Verfahrensgang
LG Marburg (Urteil vom 04.05.2009) |
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Marburg (Lahn) vom 4. Mai 2009 dahingehend abgeändert, dass im Fall II. 2 der Urteilsgründe die tateinheitliche Verurteilung wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr entfällt.
2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
3. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen vorsätzlicher Körperverletzung in zwei Fällen, davon in einem Fall (II. 1 der Urteilsgründe) in Tateinheit mit Beleidigung, Nötigung und Bedrohung, im anderen Fall (II. 2 der Urteilsgründe) in Tateinheit mit gefährlichem Eingriff in den Straßenverkehr und Bedrohung, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von elf Monaten verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er die Verletzung sachlichen Rechts rügt. Das Rechtsmittel führt zum Wegfall der Verurteilung wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
Rz. 2
1. Die Überprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben, soweit das Landgericht ihn im Fall II. 1 der Urteilsgründe wegen vorsätzlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Beleidigung, Nötigung und Bedrohung zu der Geldstrafe von 80 Tagessätzen verurteilt hat. Angesichts der Besonderheiten des festgestellten Sachverhalts ist auch nicht zu beanstanden, dass das Landgericht in diesem Fall keine Gesetzeskonkurrenz von Nötigung und Bedrohung (vgl. Fischer StGB 57. Aufl. § 240 Rdn. 63 m.N.) angenommen, sondern beide Delikte als tateinheitlich verwirklicht angesehen hat.
Rz. 3
Ebenso hat das Landgericht den Angeklagten im Fall II. 2 der Urteilsgründe rechtsfehlerfrei der vorsätzlichen Körperverletzung in Tateinheit mit Bedrohung für schuldig befunden und ihn zu der Einsatzstrafe von zehn Monaten Freiheitsstrafe verurteilt.
Rz. 4
2. Dagegen kann der Schuldspruch keinen Bestand haben, soweit das Landgericht den Angeklagten im Fall II. 2 auch des vorsätzlichen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr für schuldig befunden hat.
Rz. 5
a) Das Landgericht hat insoweit festgestellt:
Rz. 6
Aus Wut, Enttäuschung und Verzweiflung verfolgte der Angeklagte mit seinem Pkw seine Ehefrau, die sich von ihm trennen wollte und sich auf dem Heimweg zu ihrer Wohnung im Haus ihrer Eltern befand. Dieses Haus befindet sich am Ende eines Stichweges. Der Angeklagte erblickte seine Ehefrau, als er in den Stichweg einbog. Er beschleunigte seinen Pkw innerhalb von zwei Sekunden und einer Strecke von 20 m auf 45 bis 48 km/h. Er wollte seiner Ehefrau den Weg in ihr Elternhaus abschneiden und sie noch einmal wegen der Trennung zur Rede stellen. Nach zwei Sekunden maximaler Beschleunigung leitete der Angeklagte jedoch eine Vollbremsung ein, „um – was zu seinen Gunsten unterstellt werden muss – seine Ehefrau nicht weiter zu gefährden”. Weiter heißt es in dem Urteil: „Der Angeklagte erkannte dabei, dass er seine Ehefrau durch sein hoch riskantes Fahrmanöver konkret gefährdete, wollte diese indes nicht verletzten und vertraute darauf, dass sie von dem Pkw nicht erfasst würde.” Sie hatte die Gefahr rechtzeitig erkannt und konnte dem von hinten herannahenden Fahrzeug des Angeklagten ausweichen und sich auf das Grundstück ihrer Eltern flüchten. Der Pkw des Angeklagten kam nur wenige Zentimeter vor dem Jägerzaun dieses Grundstücks zum Stehen. Der Angeklagte stieg aus, lief seiner Ehefrau hinterher und schlug sie an der Haustür zu Boden.
Rz. 7
b) Diese Feststellungen rechtfertigen die Verurteilung des Angeklagten wegen vollendeten vorsätzlichen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr nach § 315 b StGB nicht. Wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift vom 17. November 2009 zutreffend ausgeführt hat, ergeben die Feststellungen nicht, dass Leib oder Leben der Ehefrau des Angeklagten (oder fremde Sachen von bedeutendem Wert) bereits konkret gefährdet worden sind, wie dies § 315 b Abs. 1 StGB voraussetzt (vgl. Senat, Beschlüsse vom 20. Oktober 2009 – 4 StR 408/09, vom 3. November 2009 – 4 StR 373/09 – und vom 10. Dezember 2009 – 4 StR 503/09).
Rz. 8
Davon abgesehen, scheitert eine Verurteilung des Angeklagten nach § 315 b StGB unter den hier gegebenen Umständen bereits am subjektiven Tatbestand. Denn nach den Feststellungen des Landgerichts hat der Angeklagte nur mit Gefährdungsvorsatz gehandelt, der hier nicht genügt. Nach der neueren Rechtsprechung des Senats (BGHSt 48, 233) setzt die Strafbarkeit bei einem sog. verkehrsfeindlichen Inneneingriff, wie ihn das Landgericht hier festgestellt hat, voraus, dass zu dem bewusst zweckwidrigen Einsatz des Fahrzeugs in verkehrsfeindlicher Einstellung hinzu kommt, dass es der Täter mit zumindest bedingtem Schädigungsvorsatz – etwa als Waffe oder Schadenswerkzeug – missbraucht; erst dann liege eine – über den Tatbestand des § 315 c hinausgehende und davon abzugrenzende – verkehrsatypische „Pervertierung” des Verkehrsvorgangs zu einem gefährlichen „Eingriff” in den Straßenverkehr im Sinne des § 315 b Abs. 1 StGB vor (ebenso Senat, Beschlüsse vom 16. Oktober 2003 – 4 StR 275/03 –, DAR 2004, 230, und vom 1. September 2005 – 4 StR 292/05 –, DAR 2006, 30).
Rz. 9
Soweit in BGHSt 48, 233, 238 ausgeführt wird, das Nötigungselement allein mache ein Verkehrsverhalten noch nicht zu einem gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr, wenn das eigene Fortkommen primäres Ziel einer gewollten Behinderung sei, ist diese Formulierung nicht im Sinne einer Einschränkung des oben ausgeführten Grundsatzes zu verstehen. Der Senat stellt vielmehr klar, dass ein vorschriftswidriges Verkehrsverhalten bei sog. Inneneingriffen im fließenden Verkehr grundsätzlich nur dann von § 315 b Abs. 1 StGB, erfasst wird, wenn der Fahrzeugführer nicht nur mit Gefährdungsvorsatz, sondern mit zumindest bedingtem Schädigungsvorsatz handelt. Eine Differenzierung der Fälle danach, ob der Täter seine Fahrt nach dem gefährlichen Eingriff fortsetzen will oder nicht, würde nicht nur zu Abgrenzungsschwierigkeiten, sondern auch zu schwer nachvollziehbaren unterschiedlichen Ergebnissen bei gleichem Unrechtsgehalt der Tat führen.
Rz. 10
c) Der Senat ändert deshalb im Fall II. 2 der Urteilsgründe den Schuldspruch dahin, dass die tateinheitliche Verurteilung des Angeklagten wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr entfällt.
Rz. 11
3. Wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift näher ausgeführt hat, wird der Strafausspruch im Fall II. 2 der Urteilsgründe durch die Schuldspruchänderung nicht berührt. Das Landgericht hat die Strafe dem Strafrahmen des § 223 Abs. 1 StGB entnommen. Der Schuldgehalt der Tat hat sich durch den Wegfall der tateinheitlichen Verurteilung nach § 315 b StGB nicht wesentlich geändert. Der Senat schließt deshalb aus, dass das Landgericht ohne den Schuldspruch nach § 315 b StGB auf eine (noch) niedrigere Einzel- und Einsatzstrafe erkannt hätte.
Unterschriften
Tepperwien, Maatz, Athing, Ernemann, Mutzbauer
Fundstellen
Haufe-Index 2420143 |
NStZ 2010, 391 |
NStZ 2010, 6 |
NPA 2011 |
StV 2010, 525 |