Leitsatz (amtlich)
Gegen die Ablehnung der Einholung eines weiteren Gutachtens gem. § 412 ZPO ist auch im selbständigen Beweisverfahren kein Rechtsmittel gegeben.
Normenkette
ZPO §§ 412, 485, 492 Abs. 1, § 567 Abs. 1
Verfahrensgang
Tenor
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 5. Zivilsenats des OLG Köln vom 29.7.2009 wird auf Kosten des Antragsgegners als unzulässig verworfen.
Beschwerdewert: 20.000 EUR
Gründe
I.
Rz. 1
Das LG hat auf Antrag der Antragstellerin, die von dem Antragsgegner zahnärztlich behandelt worden war, in einem selbständigen Beweisverfahren die Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens angeordnet. Der Sachverständige hat das in Auftrag gegebene Gutachten erstattet und drei ergänzende Stellungnahmen abgegeben. Der Antragsgegner hat die Einholung eines weiteren Gutachtens gem. § 412 ZPO beantragt. Diesen Antrag hat das LG zurückgewiesen. Mit dem angefochtenen Beschluss hat das OLG die sofortige Beschwerde des Antragsgegners, der das LG nicht abgeholfen hat, als unzulässig verworfen. Dagegen wendet sich der Antragsgegner mit seiner vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde.
II.
Rz. 2
Die Rechtsbeschwerde ist unzulässig.
Rz. 3
1. Die Rechtsbeschwerde ist nur zulässig, wenn dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO) oder das Beschwerdegericht sie in dem angefochtenen Beschluss zugelassen hat (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO). Die erstgenannte Alternative liegt nicht vor. Die auf Grundlage der zweiten Alternative vorgenommene Zulassung der Rechtsbeschwerde durch das Beschwerdegericht ist aber für das Rechtsbeschwerdegericht nicht bindend, wenn die Rechtsbeschwerde gegen die angefochtene Entscheidung bereits nicht statthaft ist. Eine nach dem Gesetz unanfechtbare Entscheidung kann nicht durch Zulassung einer Anfechtung unterworfen werden (vgl. BGH v. 8.10.2002 - VI ZB 27/02, VersR 2003, 1007; v. 27.1.2004 - VI ZB 33/03, MDR 2004, 698 [699]; v. 6.10.2009 - VI ZB 18/08 - Rz. 4, AGS 2009, 599; BGH, Beschl. v. 12.9.2002 - III ZB 43/02, VersR 2003, 482 [483]; v. 1.10.2002 - IX ZB 271/02, VersR 2004, 488 f.; v. 8.5.2003 - I ZB 40/02, VersR 2004, 761; v. 21.4.2004 - XII ZB 279/03, VersR 2005, 427). Das gilt erst recht, wenn schon das Rechtsmittel zum Beschwerdegericht nicht zulässig gewesen ist (BGH, Beschl. v. 23.10.2003 - IX ZB 369/02, NJW 2004, 1112 [1113 m.w.N.]). Die Rechtsbeschwerde ist in diesem Fall auch dann unzulässig, wenn das Beschwerdegericht sie eigens zur Klärung der Zulässigkeitsfrage zugelassen hat (BGH, Beschl. v. 17.10.2005 - II ZB 4/05, NJW-RR 2006, 286; v. 20.12.2005 - VII ZB 52/05 - InVo 2006, 146; Prütting/Gehrlein/Lohmann, ZPO, § 574 Rz. 17).
Rz. 4
So verhält es sich hier.
Rz. 5
2. Gegen die Ablehnung der Einholung eines weiteren Gutachtens gem. § 412 ZPO ist auch im selbständigen Beweisverfahren kein Rechtsmittel gegeben.
Rz. 6
a) Die Frage, inwieweit gegen einzelne Entscheidungen, die im selbständigen Beweisverfahren (§§ 485 ff. ZPO) ergehen, die sofortige Beschwerde (§ 567 ZPO) gegeben ist, wird in der Rechtsprechung nicht einheitlich beantwortet. Während der Senat die sofortige Beschwerde gegen die Zurückweisung eines Antrags auf Ladung des Sachverständigen zur mündlichen Erläuterung seines Gutachtens für zulässig erachtet hat (BGH BGHZ 164, 94 [95]), hat der VIII. Zivilsenat des BGH entschieden, dass gegen die gerichtliche Anforderung eines Auslagenvorschusses im selbständigen Beweisverfahren - wie auch im Hauptsacheverfahren - ein Rechtsmittel nicht gegeben ist (BGH, Beschl. v. 3.3.2009 - VIII ZB 56/08, NJW-RR 2009, 1433 [1434]). Die Frage, ob im selbständigen Beweisverfahren die Entscheidung, mit der ein Antrag auf Einholung eines weiteren Gutachtens gem. § 412 ZPO zurückgewiesen worden ist, mit der sofortigen Beschwerde anfechtbar ist, wird von OLG teilweise bejaht (OLG Frankfurt MDR 2008, 585 f.; OLG Stuttgart, NJW-RR 2009, 497 f.), überwiegend jedoch verneint (OLG Hamm OLGReport Hamm 1996, 203 f.; OLG Düsseldorf NJW-RR 1998, 933; OLG Hamm OLGReport Hamm 2001, 251, 252; OLG Köln OLGReport Köln 2002, 128, 129; OLG Schleswig OLGReport Schleswig 2003, 308; OLG Jena, IBR 2007, 350; OLG Koblenz MDR 2007, 736, OLG Rostock MDR 2008, 999 f.; OLG Zweibrücken, IBR 2009, 186; OLG Düsseldorf MDR 2009, 588; OLG Schleswig MDR 2009, 1304; OLG Hamm OLGReport Hamm 2009, 844 f.; vgl. auch Leipold in Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl., § 492 Rz. 8; Zöller/Herget, ZPO, 28. Aufl., § 490 Rz. 4).
Rz. 7
b) Die letztgenannte Auffassung trifft zu. Dies ergibt sich, wie das Beschwerdegericht zutreffend ausgeführt hat, aus § 567 Abs. 1 ZPO. Weder ist im Gesetz ausdrücklich bestimmt, dass gegen die im selbständigen Beweisverfahren ergangene Entscheidung, kein weiteres Gutachtens gem. § 412 ZPO einzuholen, die sofortige Beschwerde statthaft ist (§ 567 Abs. 1 Nr. 1 ZPO), noch handelt es sich in diesen Fällen um eine von § 567 Abs. 1 Nr. 2 ZPO erfasste Entscheidung. Die Beweismöglichkeiten im selbständigen Beweisverfahren gehen grundsätzlich nicht weiter als im Hauptsacheverfahren. Im Erkenntnisverfahren ist gegen die Ablehnung der Einholung eines neuen Gutachtens grundsätzlich kein Rechtsmittel gegeben. Nach § 492 ZPO folgt die Beweisaufnahme im selbständigen Beweisverfahren den Regeln des Erkenntnisverfahrens. Würde den Parteien im selbständigen Beweisverfahren in Fällen wie hier ein Beschwerderecht eingeräumt, erhielten sie ein Rechtsmittel an die Hand, welches ihnen bei einer Beweiserhebung in der Hauptsache nicht zur Verfügung stünde. Gründe für eine abweichende Regelung im selbständigen Beweisverfahren sind nicht vorhanden. Hält eine Partei die Einholung eines weiteren Gutachtens für notwendig, bleibt es ihr unbenommen, die Gründe dafür ggf. im Hauptsacheverfahren vorzutragen und dort die Anordnung der erneuten Begutachtung zu beantragen. Hat dieser Antrag im Hauptsacheverfahren keinen Erfolg, ist das Unterlassen einer weiteren Begutachtung, das einen revisiblen Verfahrensfehler darstellen kann, im Rechtsmittelverfahren überprüfbar (Zimmermann in MünchKomm/ZPO, 3. Aufl., § 412 Rz. 5; Zöller/Greger, a.a.O., § 412 Rz. 4).
Rz. 8
c) Eine verfahrensrechtliche Pflicht zur Einholung eines weiteren Gutachtens besteht im Hauptsacheverfahren gem. § 412 ZPO nur ausnahmsweise, nämlich bei besonders schwierigen Fragen, bei groben Mängeln der vorhandenen Gutachten und dann, wenn ein neuer Gutachter über überlegene Forschungsmittel verfügt (BGHZ 53, 245 [258]; BGH, Urt. v. 5.12.1961 - VI ZR 261/60, VersR 1962, 231 [232]; v. 9.2.1971 - VI ZR 142/69, VersR 1971, 472 [473]; v. 4.3.1980 - VI ZR 6/79, VersR 1980, 533 f.; BGH, Urt. v. 18.3.1974 - III ZR 48/73, VersR 1974, 804 [806 f.]). Hinsichtlich der Frage, ob die Einholung eines weiteren Gutachtens geboten ist, ist dem Tatrichter ein Ermessensspielraum eingeräumt (§§ 144, 411 Abs. 3, 412 ZPO), bei dessen Ausübung er die Grundsätze der freien Beweiswürdigung, die sachfremde Erwägungen verbieten (§ 286 ZPO), zu beachten hat (BGH, Urt. v. 4.3.1980 - VI ZR 6/79 -, a.a.O., S. 533). Die Entscheidung darüber, ob ein weiteres Gutachten einzuholen ist, erfordert mithin eine Würdigung der bisher erhobenen Beweise. Eine Beweiswürdigung findet im selbständigen Beweisverfahren indessen nicht statt. Die Tätigkeit des mit dem selbständigen Beweisverfahren beauftragten Gerichts beschränkt sich vielmehr, wie die Beschwerdeerwiderung zutreffend darlegt, auf die Entgegennahme und formelle Prüfung des Antrags (§§ 487, 490 ZPO), die Ladung des Gegners (§ 491 ZPO) und die Durchführung der Beweisaufnahme nach Maßgabe des § 492 ZPO. Ist dem Gericht im selbständigen Beweisverfahren eine Prüfung der Frage der Erforderlichkeit eines neuen Gutachtens mithin verwehrt, ist die Ablehnung eines darauf gerichteten Antrags auch der Überprüfung im Beschwerdeverfahren entzogen.
Rz. 9
d) Ohne Erfolg macht die Rechtsbeschwerde geltend, dass das selbständige Beweisverfahren nach § 485 Abs. 2 Satz 2 ZPO auch eine Streitvermeidung im Auge habe und dazu eine umfassende Beweiserhebung erforderlich sei. Ob die Einholung eines weiteren Gutachtens zur Streitvermeidung geeignet ist, ist eine Frage des Einzelfalls und rechtfertigt es nicht, den Parteien im selbständigen Beweisverfahren die Möglichkeit an die Hand zu geben, über den verfahrenseinleitenden Antrag hinaus die Art und Weise sowie den Umfang und die Dauer der Beweiserhebung zu bestimmen. Zudem steht einer Überprüfung von Entscheidungen über die Art und Weise der Beweiserhebung die Vorschrift des § 355 Abs. 2 ZPO entgegen, die auch im selbständigen Beweisverfahren Anwendung findet (Zöller/Herget, a.a.O., § 492 Rz. 1). Etwas anderes gilt allein für den Antrag einer Partei auf Ladung des gerichtlichen Sachverständigen zur Erläuterung seines Gutachtens, denn einem solchen Antrag hat das Gericht grundsätzlich - ohne Würdigung der bisher erhobenen Beweise - zu entsprechen. Nach ständiger Rechtsprechung des erkennenden Senats hat die Partei nämlich zur Gewährleistung des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) nach §§ 397, 402 ZPO einen Anspruch darauf, dass sie dem Sachverständigen die Fragen, die sie zur Aufklärung der Sache für erforderlich hält, zur mündlichen Beantwortung vorlegen kann (BGH v. 22.5.2007 - VI ZR 233/06, VersR 2007, 1713 m.w.N.). Dieses Antragsrecht besteht deshalb auch im selbständigen Beweisverfahren (BGH BGHZ 164, 94 [96 f.]).
Rz. 10
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Fundstellen
Haufe-Index 2313380 |
BauR 2010, 932 |
EBE/BGH 2010 |
FamRZ 2010, 732 |
IBR 2010, 729 |
AnwBl 2010, 146 |
JZ 2010, 253 |
MDR 2010, 767 |
VersR 2010, 1241 |
ZfBR 2010, 449 |
GesR 2010, 322 |
KfZ-SV 2010, 31 |
NJW-Spezial 2010, 205 |
PA 2010, 79 |
r+s 2011, 44 |
DS 2010, 397 |
Mitt. 2010, 257 |