Entscheidungsstichwort (Thema)
Kostenentscheidung im selbstständigen Beweisverfahren. Übereinstimmende Erledigungserklärung bezüglich selbstständigen Beweisverfahrens. Kostenentscheidung
Leitsatz (amtlich)
Erklären Antragsteller und Antragsgegner übereinstimmend, ein gerichtlich angeordnetes, aber nicht mehr zu Ende geführtes selbständiges Beweisverfahren habe sich erledigt, und kommt es nicht zum Hauptsacheverfahren, ist kein Raum für eine Kostenentscheidung, auch nicht in entsprechender Anwendung von § 91a ZPO.
Normenkette
ZPO §§ 91a, 485
Verfahrensgang
Tenor
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 10. Zivilsenats des OLG Stuttgart vom 28.7.2006 wird auf Kosten der Antragsteller zurückgewiesen.Beschwerdewert: bis 1.200 EUR
Gründe
[1] I. Die Antragsteller begehren eine Kostenentscheidung zum Nachteil der Antragsgegnerin in einem gerichtlich angeordneten, nach entsprechenden Erledigungserklärungen beider Parteien aber nicht mehr durchgeführten selbständigen Beweisverfahren.
[2] 1. Unter dem 5.10.2005 beantragten die Antragsteller beim LG die Einleitung eines selbständigen Beweisverfahrens zur Feststellung des zwischen den Parteien streitigen Umfangs von Schäden an ihrem Wohngebäude nach einem Brand des Nachbargebäudes. Der Beweisbeschluss erging am 4.11.2005. Noch vor Begutachtung durch den gerichtlich bestellten Sachverständigen erbrachte ein Versicherer des Nachbarn Entschädigungsleistungen an die Antragsteller. Daraufhin erklärten diese, das selbständige Beweisverfahren könne mit der Maßgabe für erledigt erklärt werden, dass der Antragsgegnerin die Kosten aufzuerlegen seien. Die Antragsgegnerin schloss sich der Erledigungserklärung an, beantragte aber ihrerseits, den Antragstellern die Verfahrenskosten aufzuerlegen.
[3] 2. Das LG hat die Kostenanträge beider Parteien mit der Begründung zurückgewiesen, eine entsprechende Anwendung von § 91a ZPO im selbständigen Beweisverfahren komme nicht in Betracht. Die sofortige Beschwerde ist ohne Erfolg geblieben. Dagegen richtet sich die vom Beschwerdegericht zugelassene Rechtsbeschwerde der Antragsteller.
[4] Das Beschwerdegericht hat ausgeführt, das Gesetz sehe mit Ausnahme des in § 494a Abs. 2 ZPO geregelten Sonderfalles im selbständigen Beweisverfahren keine Kostenentscheidung vor. Die Anordnung einer Beweiserhebung ergehe nicht zum Nachteil des Antragsgegners und bedeute weder eine Entscheidung über ein Recht noch über einen Anspruch. Vielmehr diene das selbständige Beweisverfahren der Vorbereitung des Erkenntnisverfahrens; seine Kosten seien daher ein Teil der dort anfallenden Verfahrenskosten. Eine Kostenentscheidung in entsprechender Anwendung von § 91a ZPO komme ebenfalls nicht in Betracht. Bei der nach § 91a ZPO zu treffenden Ermessensentscheidung müsse in erster Linie auf die materielle Rechtslage zum Zeitpunkt des Eintritts des erledigenden Ereignisses abgestellt werden; eine solche sachliche Prüfung sei im selbständigen Beweisverfahren gerade nicht vorgesehen. Eine allein an Zulässigkeit und Begründetheit des selbständigen Beweisverfahrens bis zum Eintritt des erledigenden Ereignisses ausgerichtete Kostenentscheidung könne im Einzelfall zu einer Abweichung von der materiell-rechtlichen Kostentragungspflicht führen. Dies widerspreche dem Grundsatz, dass sich die Pflicht zur Tragung der Verfahrenskosten nach dem materiellen Ergebnis des Hauptsacheprozesses und der Notwendigkeit der Kosten für die Rechtsverfolgung beurteile. Die in der Rechtsprechung für den Fall der Antragsrücknahme oder ähnlicher Fallgestaltungen zum Teil bejahte Zulässigkeit einer Kostenentscheidung zu Lasten des Antragstellers in analoger Anwendung von § 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO rechtfertige keine andere Beurteilung. Nach Rücknahme einer Klage oder eines Antrags finde regelmäßig keine Sachprüfung statt; die Kostenfolge ergebe sich vielmehr aus dem Gesetz. Das berechtigte Interesse der Praxis an einer möglichst einfachen Handhabung rechtfertige die entsprechende Anwendung des § 91a ZPO im Rahmen des selbständigen Beweisverfahrens nicht. Den Parteien bleibe im Übrigen die Möglichkeit, einen etwa bestehenden materiell-rechtlichen Kostenerstattungsanspruch gesondert geltend zu machen.
[5] II. Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO) und auch im Übrigen zulässig. Sie hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.
[6] 1. a) Die Kosten des selbständigen Beweisverfahrens gehören grundsätzlich zu den Kosten des anschließenden Hauptsacheverfahrens und werden von der darin zu treffenden Kostenentscheidung mit umfasst. Nur ausnahmsweise, wenn trotz Fristsetzung keine Hauptsacheklage erhoben worden ist, kann im selbständigen Beweisverfahren gem. § 494a Abs. 2 Satz 1 ZPO eine Kostenentscheidung ergehen. Verzichtet der Antragsteller - etwa wegen des für ihn ungünstigen Ergebnisses der Beweisaufnahme - auf die Hauptsacheklage, soll dies nicht dazu führen, dass er der Kostenpflicht entgeht, die sich aus der Abweisung der Klage in der Hauptsache ergäbe (BGH, Beschl. v. 12.2.2004 - V ZB 57/03, BGHReport 2004, 854 = MDR 2004, 715 = NJW-RR 2004, 1005 unter III 2). Dabei ist § 494a ZPO als Ausnahmevorschrift eng auszulegen (BGH, Beschl. v. 13.12.2006 - XII ZB 176/03, BGHReport 2007, 278 = MDR 2007, 554 = FamRZ 2007, 374 unter b aa; Beschl. v. 10.1.2007 - XII ZB 231/05, MDR 2007, 744 = BGHReport 2007, 372 - BauR 2007, 747 unter II 2b). Die Voraussetzungen des § 494a Abs. 2 ZPO sind im vorliegenden Falle aber nicht gegeben.
[7] b) Ob die übereinstimmende Erklärung von Antragsteller und Antragsgegner, das selbständige Beweisverfahren solle nicht mehr fortgeführt werden und habe seine Erledigung gefunden, eine Kostenentscheidung zulässt, hat der BGH bislang nicht entschieden. Er hat aber ausgesprochen, dass eine einseitige Erklärung des Antragstellers, ein selbständiges Beweisverfahren sei in der Hauptsache erledigt, keine Kostenentscheidung gegen den Antragsgegner ermögliche (BGH, Beschl. v. 12.2.2004, a.a.O., unter III 1). Andererseits kann eine solche Erklärung aber zum Ausdruck bringen, dass der Antragsteller eine gerichtliche Beweiserhebung endgültig nicht mehr wünscht. Dann ist sie als Antragsrücknahme anzusehen und der Antragsteller hat in entsprechender Anwendung des § 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO die Kosten des selbständigen Beweisverfahrens unter Einschluss derjenigen des Antragsgegners zu tragen. Für den Fall, dass kein Hauptsacheverfahren anhängig ist, in dem diese Kostenfolge ausgesprochen werden kann, darf eine entsprechende Kostenentscheidung im selbständigen Beweisverfahren ergehen (BGH, Beschl. v. 14.10.2004 - VII ZB 23/03, BGHReport 2005, 265 = MDR 2005, 227 unter a, b).
[8] 2. Das Beschwerdegericht hat vor diesem Hintergrund zu Recht und mit zutreffenden Erwägungen angenommen, dass eine Kostenentscheidung entsprechend § 91a ZPO bei übereinstimmender Erledigungserklärung im selbständigen Beweisverfahren keinen Raum hat.
[9] a) Allerdings ist diese Frage in Rechtsprechung und Schrifttum umstritten. Bejaht wird die Statthaftigkeit einer entsprechenden Kostenentscheidung nach § 91a ZPO analog etwa im Fall der Einigung der Parteien nach Beweiserhebung zur Vermeidung einer Hauptsacheklage (OLG Dresden BauR 2003, 1608), bei Erledigung durch Unstreitigwerden der Beweisfrage (OLG München BauR 2000, 139) sowie bei Erzielung einer einvernehmlichen Lösung durch Nachbesserung bei Baumängeln (LG Hannover JurBüro 1998, 98; ähnlich LG Stuttgart v. 6.11.2000 - 27 OH 9/98, NJW-RR 2001, 720; a.A. LG Tübingen v. 28.3.1995 - 5 T 100/95, MDR 1995, 638). Demgegenüber sind das OLG Hamburg (OLG Hamburg v. 31.7.1997 - 9 W 16/97, OLGReport Hamburg 1997, 403 = MDR 1998, 242) für den Fall der Anerkennung von Mängeln im Bauprozess der Anwendung von § 91a ZPO entgegengetreten, ebenso das OLG Stuttgart (BauR 2000, 445) sowie das KG (KG v. 18.9.2001 - 4 W 183/01, KGReport Berlin 2001, 389 = MDR 2002, 422) bei Erledigung eines selbständigen Beweisverfahrens nach Zahlung zurückbehaltenen Werklohns (gleichfalls ablehnend OLG Düsseldorf v. 12.4.2005 - I-23 W 10/05, OLGReport Düsseldorf 2005, 453; OLG Schleswig BauR 2006, 870). Im Schrifttum, das eine entsprechende Anwendung von § 91a ZPO überwiegend befürwortet (vgl. Musielak/Wolst, ZPO 5. Aufl., § 91a Rz. 3; Zöller/Herget, ZPO 26. Aufl., § 494a Rz. 5; Lindacher in MünchKomm/ZPO, 2. Aufl., § 91a Rz. 146; ebenso Lindacher JR 1999, 278, 279; Leipold in Stein/Jonas, ZPO 22. Aufl. Vor § 485 Rz. 19; differenzierend Weise, Selbständiges Beweisverfahren im Baurecht 2002 Rz. 586 m.w.N.), wird wie in den entsprechenden gerichtlichen Entscheidungen zur Begründung auf das praktische Bedürfnis verwiesen, im Fall der Erledigung des selbständigen Beweisverfahrens eine Kostenentscheidung treffen zu können, die mangels Hauptsacheklage nach Beendigung des Rechtsstreits nicht getroffen werden könne. Ohne die Möglichkeit einer solchen Entscheidung bestehe die Gefahr eines erneuten Rechtsstreits über den materiell-rechtlichen Kostenerstattungsanspruch. Dieser Ansicht folgt der Senat nicht.
[10] b) Bedenken ergeben sich schon daraus, dass einer entsprechenden Anwendung des § 91a ZPO die Entscheidung des Gesetzgebers, eine Kostenentscheidung im selbständigen Beweisverfahren nur unter den engen Voraussetzungen des § 494a ZPO vorzusehen, entgegenstehen, § 494a ZPO insoweit also als abschließende Regelung anzusehen sein könnte (anders etwa OLG Dresden, a.a.O.). Mit Inkrafttreten des Rechtspflegevereinfachungsgesetzes vom 17.12.1990 (BGBl. I, 2847) wurde das frühere Beweissicherungsverfahren mit dem Ziel einer Förderung der außergerichtlichen Streitbeilegung (so ausdrücklich BT-Drucks. 11/3621, 2) tiefgreifend umgestaltet. Die Vorschrift des § 494a ZPO wurde im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens auf eine Anregung des Bundesministeriums der Justiz neu eingefügt, um im selbständigen Beweisverfahren unter bestimmten Voraussetzungen eine Kostenentscheidung zu ermöglich und damit eine im Gesetz bestehende Lücke zu schließen (so BT-Drucks. 11/8283, 47 f.). Weiteren Regelungsbedarf hat der Gesetzgeber nicht gesehen und es, wie das Beschwerdegericht mit Recht hervorhebt, auch in der Folgezeit nicht für erforderlich gehalten, die gesetzlichen Möglichkeiten für eine Kostenentscheidung im selbständigen Beweisverfahren zu erweitern. Ob eine entsprechende Anwendung des § 91a ZPO schon daran scheitert, kann jedoch auf sich beruhen.
[11] Das gilt auch, soweit einer entsprechenden Anwendung des § 91a ZPO teilweise entgegengehalten wird, im selbständigen Beweisverfahren fehle es an einem Prozessrechtsverhältnis (so Baumbach/Lauterbach/Hartmann, ZPO 65. Aufl., § 91 Rz. 193). Zwar setzt die Anwendung der §§ 91 ff. ZPO auch nach der Rechtsprechung des BGH ein kontradiktorisches Verfahren voraus (so jüngst BGH, Beschl. v. 25.1.2007 - V ZB 125/05, BGHReport 2007, 578 m. Anm. Stöber - Tz. 7, zur Veröffentlichung bestimmt; vgl. auch Musielak/Wolst, ZPO 5. Aufl. Vor § 91 Rz. 2), indes wird der Antragsgegner im selbständigen Beweisverfahren ebenso wie bei einer Klageerhebung gegen seinen Willen mit einem Verfahren überzogen (Musielak/Wolst, a.a.O., § 91a Rz. 3).
[12] c) Durchgreifende Bedenken ergeben sich jedenfalls aus der mangelnden Vergleichbarkeit der Erledigung der Hauptsache mit der "Erledigung" eines selbständigen Beweisverfahrens. Grundlage für die Erledigung der Hauptsache ist der Eintritt einer Tatsache mit Auswirkungen auf die materiell-rechtlichen Voraussetzungen der Zulässigkeit oder Begründetheit der Klage (BGH v. 17.7.2003 - IX ZR 268/02, BGHZ 155, 392, 398 = BGHReport 2003, 1302 m. Anm. Schneider = MDR 2003, 1433; Musielak/Wolst, a.a.O., Rz. 10). In der Anordnung einer Beweiserhebung i.S.v. § 490 Abs. 2 ZPO liegt aber gerade keine Entscheidung über ein Recht oder einen Anspruch, noch ergeht eine solche Anordnung zum Nachteil des Antragsgegners (BGH, Beschl. v. 12.2.2004, a.a.O., unter III 1). Deshalb kann auch aus der in Übereinstimmung mit dem Antragsteller abgegebenen Erklärung des Antragsgegners selbst dann kein Schluss auf eine ihn treffende materielle Kostentragungspflicht gezogen werden, wenn er nach Anordnung des selbständigen Beweisverfahrens eine Handlung vornimmt, die das Interesse des Antragstellers entfallen lässt, diesen hierauf klageweise in Anspruch zu nehmen (BGH, a.a.O.). Dies muss erst recht dann gelten, wenn, wie im vorliegenden Fall, die betreffende Handlung von einem Dritten, am Streitverhältnis nicht Beteiligten vorgenommen wird.
[13] d) Demgegenüber erweisen sich die für eine entsprechende Anwendung des § 91a ZPO vertretenen, an den Bedürfnissen der Praxis ausgerichteten Erwägungen als nicht stichhaltig.
[14] aa) § 91a ZPO verlangt eine Entscheidung über die Kostenverteilung nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung der materiellen Rechtslage zum Zeitpunkt des erledigenden Ereignisses. Diese sachliche Prüfung ist im selbständigen Beweisverfahren nicht vorgesehen. Es trifft auch nicht zu, dass eine solche Ermessensentscheidung aufgrund der bis zum erreichten Verfahrensstand im selbständigen Beweisverfahren festgestellten Sachlage möglich ist, die an die Stelle der materiellen Rechtslage i.S.d. § 91a ZPO tritt und auf deren Grundlage die Erfolgsaussichten des in Aussicht genommenen Rechtsstreits (des "hypostasierten Hauptverfahrens"; so Lindacher in MünchKomm/ZPO, a.a.O., Rz. 146) vor, während und nach einer sachverständigen Begutachtung regelmäßig zuverlässig bewertet werden können (so aber Herget, a.a.O., § 494a Rz. 5). Dies zeigt deutlich der vorliegende Fall, bei dem die angeordnete Beweiserhebung, eine umfangreiche Begutachtung technischer Fragen durch einen Sachverständigen, nicht mehr zur Durchführung gelangt ist. Anhaltspunkte dafür, die Erfolgsaussichten eines möglichen Hauptsacheverfahrens gegen den nach seinen Bedingungen ggf. eintrittspflichtigen Versicherer auch nur ansatzweise zuverlässig, nunmehr "nach Aktenlage", zu beurteilen, sind nicht ersichtlich.
[15] bb) Der Ansicht, bei der nach § 91a ZPO analog zu treffenden Billigkeitsentscheidung komme es nicht auf eine materiell-rechtliche Prüfung der Erfolgsaussichten, sondern darauf an, ob der Beweisantrag bis zum Eintritt des erledigenden Ereignisses zulässig und begründet gewesen ist (so OLG München BauR 2000, 139), ist das Beschwerdegericht zu Recht ebenfalls nicht gefolgt. Eine solche kostenrechtliche Bewertung des selbständigen Beweisverfahrens widerspricht dem Grundsatz, dass sich die Kostentragungspflicht grundsätzlich nach dem materiellen Ergebnis des Hauptsacheprozesses und der Notwendigkeit der Kosten für die Rechtsverfolgung beurteilt (vgl. KG BauR 2001, 1951; OLG Düsseldorf v. 12.4.2005 - I-23 W 10/05, OLGReport Düsseldorf 2005, 453).
Fundstellen
Haufe-Index 1762243 |
NJW 2007, 3721 |
BGHR 2007, 886 |
BauR 2007, 1290 |
BauR 2007, 1446 |
EBE/BGH 2007, 210 |
IBR 2007, 404 |
JurBüro 2007, 605 |
ZAP 2007, 772 |
MDR 2007, 1150 |
VersR 2008, 93 |
ZZP 2008, 95 |
ZfBR 2007, 562 |
GuT 2007, 236 |
NZBau 2007, 516 |
RVGreport 2007, 360 |
DS 2007, 270 |
RVG prof. 2007, 135 |