Verfahrensgang
LG Stendal (Urteil vom 10.01.2012) |
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Stendal vom 10. Januar 2012 – auch soweit der Angeklagte freigesprochen worden ist – mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Tatbestand
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen nicht ausschließbarer Schuldunfähigkeit vom Vorwurf der gefährlichen Körperverletzung freigesprochen und seine (erneute) Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB angeordnet.
Rz. 2
Mit seiner dagegen gerichteten Revision rügt der Angeklagte die Verletzung materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat Erfolg.
I.
Rz. 3
Das Landgericht hat im Wesentlichen Folgendes festgestellt:
Rz. 4
1. Am 18. März 2011 half der Angeklagte, der aufgrund des Urteils des Amtsgerichts Dannenberg vom 15. Februar 2011 gemäß § 63 StGB in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht war, bei einem stationsinternen Umzug innerhalb der Einrichtung des Maßregelvollzugs. Er forderte den Geschädigten B. mehrfach erfolglos auf, ihm bei dem Transport von Möbelstücken zu helfen. Über die Weigerung des Geschädigten geriet der Angeklagte in Wut und beschloss diesen zu bestrafen. Unvermittelt zog er die Knoten des locker um den Hals des Geschädigten geschlagenen Wollschals so fest auseinander, dass der Geschädigte, wie vom Angeklagten beabsichtigt, keine Luft mehr bekam. Einer Zeugin die das Geschehen beobachtete und die dem Angeklagten vorhielt, was er mache, sei versuchter Mord, antwortete er, dass er dies ja gerade wolle. Nachdem er gleichwohl kurz darauf von dem Geschädigten abgelassen hatte, gelang es herbeigeeilten Pflegekräften erst etwa zwei Minuten später, den Knoten zu lösen. Mittlerweile war der Geschädigte infolge der Luftnot blau angelaufen. Er musste daraufhin notärztlich versorgt werden.
Rz. 5
2. Nach den Bekundungen des psychiatrischen Sachverständigen leidet der Angeklagte an einer schweren kombinierten Persönlichkeitsstörung (ICD-10: F 61.0) mit einem emotional instabilen und einem dissozialen Persönlichkeitsanteil, letzterer gekennzeichnet durch andauernde Verantwortungslosigkeit sowie durch das Unvermögen emotionale Beziehungen aufrecht zu erhalten und Schuldbewusstsein zu entwickeln. Begleitet sei dies von einem völligen Fehlen von Empathie. Das Landgericht hat, dem Sachverständigen folgend, das Eingangsmerkmal einer schweren anderen seelischen Abartigkeit im Sinne des § 20 StGB angenommen. Eine erhebliche Einschränkung der Steuerungsfähigkeit zum Zeitpunkt der Tat sei sicher anzunehmen, deren vollständige Aufhebung infolge der massiven Einschränkung des Hemmungsvermögens könne nicht ausgeschlossen werden. Zur Begründung der Unterbringungsanordnung hat die Strafkammer, auch insoweit dem psychiatrischen Sachverständigen folgend, ausgeführt, infolge der kombinierten Persönlichkeitsstörung seien vom Angeklagten weitere vergleichbare oder schwerere Straftaten zu erwarten. Schon bei den im Urteil des Amtsgerichts Dannenberg vom 15. Februar 2011 festgestellten Handlungen habe es sich überwiegend um Gewalttaten gehandelt, die er trotz Einbindung in eine strukturierte und beschützende Umgebung begangen habe. Die erneute Unterbringungsanordnung sei auch verhältnismäßig; die festgestellte neue Tat sei geeignet, die Gefährlichkeitsprognose nach § 67e StGB sowie Entscheidungen über die Dauer der Unterbringung und über Vollzugslockerungen wesentlich zu beeinflussen.
Entscheidungsgründe
II.
Rz. 6
1. Damit hat das Landgericht die Annahme einer schweren anderen seelischen Abartigkeit nicht rechtsfehlerfrei begründet.
Rz. 7
a) Zwar können auch nicht pathologisch bedingte Störungen Anlass für eine Unterbringung nach § 63 StGB sein, allerdings nur dann, wenn sie ihrem Gewicht nach der krankhaften seelischen Störung entsprechen. Bei der Erörterung der vom Landgericht auf der Grundlage der Ausführungen des psychiatrischen Sachverständigen beschriebenen Persönlichkeitsstörung besteht regelmäßig die Gefahr, dass Eigenschaften und Verhaltensweisen, die sich innerhalb der Bandbreite des Verhaltens voll schuldfähiger Menschen bewegen, zu Unrecht als Symptome einer die Schuldfähigkeit erheblich beeinträchtigenden schweren seelischen Abartigkeit bewertet werden. Das gilt nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs vor allem dann, wenn es um die Beurteilung kaum messbarer, objektiv schwer darstellbarer Befunde und Ergebnisse geht, wie es bei einer „kombinierten Persönlichkeitsstörung” der Fall ist (Senatsbeschluss vom 11. November 2003 – 4 StR 424/03, NStZ 2004, 197; vgl. auch BGH, Beschluss vom 18. Juni 1997 – 2 StR 251/97, BGHR StGB § 63 Zustand 24; Beschluss vom 14. Juli 1999 – 3 StR 160/99, BGHR StGB § 63 Zustand 34). Entscheidend für die Beurteilung der Schuldfähigkeit sind der Ausprägungsgrad der Störung und ihr Einfluss auf die soziale Anpassungsfähigkeit. Für die Beurteilung der Schwere der Persönlichkeitsstörung ist maßgebend, ob es im Alltag außerhalb des angeklagten Delikts zu Einschränkungen des beruflichen und sozialen Handlungsvermögens gekommen ist. Erst wenn das Muster des Denkens, Fühlens oder Verhaltens, das gewöhnlich im frühen Erwachsenenalter in Erscheinung tritt, sich im Zeitverlauf als stabil erwiesen hat, können die psychiatrischen Voraussetzungen vorliegen, die rechtlich als viertes Merkmal des § 20 StGB, der „schweren anderen seelischen Abartigkeit” angesehen werden (BGH, Urteil vom 21. Januar 2004 – 1 StR 346/03, BGHSt 49, 45, 52 f. m.w.N.).
Rz. 8
b) Dem werden die Urteilsgründe, in denen im Einzelnen darzulegen ist, ob die Persönlichkeitsstörung den erforderlichen Schweregrad erreicht (vgl. dazu Senatsbeschluss vom 2. Dezember 2004 – 4 StR 452/04), im vorliegenden Fall nicht gerecht. Die erforderliche Gesamtschau im Hinblick darauf, ob die Störung das Leben des Angeklagten vergleichbar schwer und mit ähnlichen Folgen belastet oder einengt wie im Fall einer krankhaften seelischen Störung, lässt sich dem angefochtenen Urteil nicht entnehmen. Vielmehr beschränkt sich das Landgericht im Wesentlichen auf eine Wiedergabe der Ausführungen des Sachverständigen und den Hinweis auf eine ähnliche psychiatrische Beurteilung des Angeklagten, die dem Urteil des Amtsgerichts Dannenberg vorausging. Auch bleibt unklar, in welcher Form sich die Persönlichkeitsstörung des Angeklagten bei der Begehung der konkreten Tat ausgewirkt hat.
Rz. 9
c) Damit bedarf auch die Frage der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus neuer Prüfung und Entscheidung. Der Senat weist darauf hin, dass die zu erwartenden rechtswidrigen Taten im Sinne des § 63 StGB erheblich sein müssen (Einzelheiten bei SSW-StGB/Schöch, § 63 Rn. 20 ff.; Fischer, StGB, 59. Aufl., § 63 Rn. 16 ff., jeweils m.w.N.). Soweit die zu neuer Verhandlung und Entscheidung berufene Strafkammer für die Gefährlichkeitsprognose wiederum die im Urteil des Amtsgerichts Dannenberg vom 15. Februar 2011 festgestellten Taten berücksichtigen will, wird sie die Tatumstände im Einzelnen in den Blick zu nehmen haben. Die pauschale Bewertung, es habe sich überwiegend um Gewalttaten gehandelt (UA 11), wird den insoweit getroffenen Feststellungen nicht gerecht.
III.
Rz. 10
Der Rechtsfehler führt auch zur Aufhebung des Freispruchs, da nicht ausgeschlossen werden kann, dass der neue Tatrichter an Stelle der Unterbringung eine Strafe verhängen wird (§ 358 Abs. 2 Satz 2 StPO; vgl. dazu BGH, Beschluss vom 27. Oktober 2009 – 3 StR 369/09).
Unterschriften
Ernemann, RiBGH Cierniak ist erkrankt und daher gehindert zu unterschreiben. Ernemann, Franke, Schmitt, Quentin
Fundstellen
Haufe-Index 3015942 |
NStZ-RR 2013, 164 |
StraFo 2012, 275 |
R&P 2012, 226 |