Leitsatz (amtlich)
a) Eine (Auflassungs-)Vormerkung ist im Zwangsversteigerungsverfahren wie ein Recht der Rangklasse 4 des § 10 Abs. 1 ZVG zu behandeln.
b) Ansprüche der Wohnungseigentümergemeinschaft, die die Zwangsversteigerung aus der Rangklasse 2 des § 10 Abs. 1 ZVG betreibt, sind gegenüber einer Auflassungsvormerkung stets vorrangig. Diese ist nicht im geringsten Gebot zu berücksichtigen und erlischt mit dem Zuschlag; erwirbt der Vormerkungsberechtigte nach der Beschlagnahme das Eigentum, ist das Verfahren fortzusetzen und nicht gem. § 28 Abs. 1 Satz 1 ZVG einzustellen.
Normenkette
ZVG § 10 Abs. 1 Nrn. 2, 4, § 28 Abs. 1 S. 1; BGB § 883 Abs. 2; WEG § 16 Abs. 2
Verfahrensgang
LG Ravensburg (Beschluss vom 09.07.2013; Aktenzeichen 6 T 17/13) |
AG Tettnang (Entscheidung vom 21.02.2013; Aktenzeichen K 38/10) |
Tenor
Die Rechtsbeschwerde der Beteiligten zu 3) und 4) gegen den Beschluss der 6. Zivilkammer des LG Ravensburg vom 9.7.2013 wird zurückgewiesen.
Der Gegenstandswert beträgt 3.000 EUR für die Gerichtskosten, 4.563,38 EUR für die anwaltliche Vertretung der Beteiligten zu 1) und 6.000 EUR für die anwaltliche Vertretung der Beteiligten zu 3) und 4).
Gründe
A.
Rz. 1
Im Grundbuch der eingangs genannten Teileigentumseinheit der Beteiligten zu 2) ist seit dem 20.1.1999 eine Auflassungsvormerkung zugunsten der Beteiligten zu 3) und 4) eingetragen. Die Beteiligte zu 1) - die Wohnungseigentümergemeinschaft, zu deren Anlage das Teileigentum gehört - betreibt wegen titulierter Wohngeldansprüche aus dem Jahr 2008 die Zwangsversteigerung. Das AG hat mit Beschluss vom 8.10.2010 wegen der Ansprüche der Beteiligten zu 1) die Zwangsversteigerung aus der Rangklasse des § 10 Abs. 1 Nr. 2 ZVG angeordnet. Vor dem Versteigerungstermin haben die Beteiligten zu 3) und 4) mitgeteilt, dass die Teileigentumseinheit am 15.2.2013 an sie aufgelassen worden sei und sie ihre Eintragung als Eigentümer beantragt hätten. Die Umschreibung des Eigentums ist nicht erfolgt. In dem Versteigerungstermin am 21.2.2013 hat das Vollstreckungsgericht die Auflassungsvormerkung nicht in das geringste Gebot aufgenommen. Mit Beschluss vom gleichen Tag ist der Beteiligten zu 5) als Meistbietender der Zuschlag erteilt worden; die Vormerkung ist in dem Zuschlagsbeschluss nicht als bestehenbleibendes Recht aufgeführt.
Rz. 2
Die gegen den Zuschlagsbeschluss gerichtete sofortige Beschwerde der Beteiligten zu 3) und 4) ist erfolglos geblieben. Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde wollen sie die Aufnahme der zu ihren Gunsten eingetragenen Auflassungsvormerkung in das geringste Gebot erreichen.
B.
Rz. 3
Das Beschwerdegericht meint, das Verfahren sei nicht gem. § 28 Abs. 1 ZVG aufzuheben. Dies setze voraus, dass die Umschreibung des Eigentums im Grundbuch aufgrund der Auflassungsvormerkung erfolgt sei; dazu sei es aber nicht gekommen. Die Auflassungsvormerkung sei zu Recht nicht in das geringste Gebot aufgenommen worden, weil sie gegenüber den Ansprüchen der betreibenden Wohnungseigentümergemeinschaft aus der Rangklasse 2 des § 10 Abs. 1 ZVG nachrangig sei. Zwar werde die Vormerkung in § 10 ZVG nicht ausdrücklich erwähnt. Nach zutreffender Ansicht falle sie aber in die Rangklasse 4 des § 10 Abs. 1 ZVG; hieraus ergebe sich ihre Nachrangigkeit gegenüber Ansprüchen, die der Rangklasse 2 zuzuordnen seien.
C.
Rz. 4
Die zulässige Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg.
Rz. 5
Weil eine Partei mit ihrer Prozesshandlung im Zweifel das erreichen will, was nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und ihrer recht verstandenen Interessenlage entspricht (vgl. nur Senat, Urt. v. 19.10.2012 - V ZR 233/11, ZfIR 2013, 23 Rz. 11 m.w.N.), ist der Antrag der Beteiligten zu 3) und 4) dahingehend auszulegen, dass sie die Versagung des Zuschlags begehren; nur diese, nicht aber die beantragte Änderung des geringsten Gebots kann mit der Rechtsbeschwerde erreicht werden. Ein Zuschlagsversagungsgrund liegt jedoch nicht vor.
Rz. 6
I. Zutreffend und von der Rechtsbeschwerde unbeanstandet verneint das Beschwerdegericht der Sache nach einen Zuschlagsversagungsgrund gem. § 83 Nr. 5 ZVG. Nach dieser Bestimmung ist der Zuschlag zu versagen, wenn das Recht eines Beteiligten der Fortsetzung des Verfahrens entgegensteht. Ist ein solches Recht aus dem Grundbuch ersichtlich, hat das Vollstreckungsgericht das Verfahren gem. § 28 Abs. 1 Satz 1 ZVG aufzuheben oder einstweilen einzustellen bzw. gem. § 33 ZVG den Zuschlag zu versagen. Die Voraussetzungen des § 28 Abs. 1 Satz 1 ZVG lagen aber schon deshalb nicht vor, weil eine Umschreibung des Eigentums aufgrund des vorgemerkten Anspruchs auf die Beteiligten zu 3) und 4) nicht erfolgt ist. Die Auflassungsvormerkung als solche stellt kein der Zwangsversteigerung entgegenstehendes Recht i.S.v. § 28 Abs. 1 Satz 1 ZVG dar (vgl. nur ArbG Frankfurt/O., Urteil vom 28.10.1966 - V ZR 11/64, BGHZ 46, 124, 126 f.; BGH, Urt. v. 11.7.1996 - IX ZR 226/94, NJW 1996, 3147 f. jeweils m.w.N.).
Rz. 7
II. Ebenso wenig ist der Zuschlag wegen einer Verletzung der Vorschriften über die Feststellung des geringsten Gebots i.S.v. § 83 Nr. 1 ZVG zu versagen. Das Vollstreckungsgericht hat die für die Beteiligten zu 3) und 4) im Grundbuch eingetragene Auflassungsvormerkung zu Recht nicht in das geringste Gebot aufgenommen.
Rz. 8
1. Im Ausgangspunkt ist eine Auflassungsvormerkung wie ein eingetragenes Recht zu behandeln (§§ 9 Nr. 1, 48 ZVG).
Rz. 9
a) In das geringste Gebot ist sie aufzunehmen, wenn sie dem Anspruch des (bestrangig betreibenden) Gläubigers vorgeht (§ 44 Abs. 1 ZVG); dies gilt auch dann, wenn sie einen bedingten Anspruch sichert (ArbG Frankfurt/O., Urt. v. 28.10.1966 - V ZR 11/64, BGHZ 46, 124 ff.). Fällt die Auflassungsvormerkung in das geringste Gebot, bleibt sie bei dem Zuschlag in der Zwangsversteigerung bestehen (§ 52 Abs. 1 Satz 1 ZVG). Weil der Eigentumserwerb des Erstehers dem Vormerkungsberechtigten gegenüber unwirksam ist (§ 883 Abs. 2 BGB), kann dieser den gesicherten Anspruch auf Übertragung des Eigentums trotz des erfolgten Zuschlags gegenüber dem Ersteher durchsetzen (§ 888 Abs. 1 BGB; vgl. ArbG Frankfurt/O., Urt. v. 28.10.1966 - V ZR 11/64, BGHZ 46, 124, 127; BGH, Urt. v. 11.7.1996 - IX ZR 226/94, NJW 1996, 3147, 3148; Staudinger/Gursky, BGB [2013], § 883 Rz. 298 ff.).
Rz. 10
b) Dagegen ist die Vormerkung nicht in das geringste Gebot aufzunehmen, wenn sie dem Recht des (bestrangig betreibenden) Gläubigers im Rang nachgeht. Der Vormerkungsberechtigte muss den Eigentumserwerb des Erstehers gegen sich gelten lassen, weil die Vormerkung mangels Aufnahme in das geringste Gebot mit dem Zuschlag erlischt (§§ 91 Abs. 1, 52 Abs. 1 Satz 2 ZVG). An die Stelle des zuvor durch die Vormerkung gesicherten Anspruchs tritt der Anspruch auf Wertersatz aus dem Versteigerungserlös (§ 92 Abs. 1 ZVG; vgl. Staudinger/Gursky, BGB [2013], § 883 Rz. 304 f.).
Rz. 11
2. Ob eine vor der Beschlagnahme eingetragene Auflassungsvormerkung dem Recht der Wohnungseigentümergemeinschaft i.S.v. § 44 Abs. 1 ZVG vorgeht, wenn diese die Zwangsversteigerung aus Ansprüchen betreibt, die der Rangklasse 2 des § 10 Abs. 1 ZVG zuzuordnen sind, ist umstritten.
Rz. 12
a) Nach überwiegender Ansicht gehen die bevorrechtigten Hausgeldansprüche der Auflassungsvormerkung vor. Teils wird dies vornehmlich aus deren vermeintlich dinglichem Charakter hergeleitet (Alff, ZWE 2010, 105, 112; ders., Rpfleger 2013, 15, 18 f.; Schmidberger, ZfIR 2013, 113 ff.; Schneider, ZMR 2009, 165, 169 f.; ZMR 2013, 305 f.; ZWE 2013, 246, 249; Suilmann, NotBZ 2010, 365, 368). Andere sehen Ansprüche der Rangklasse 2 des § 10 Abs. 1 ZVG unabhängig von ihrer Rechtsnatur als vorrangig an; die Auflassungsvormerkung müsse wie jedes andere aus dem Grundbuch ersichtliche Recht in das Rangklassensystem des § 10 ZVG eingeordnet werden und falle in die (nachrangige) Rangklasse 4 (Morvilius in Dierck/Morvilius/Vollkommer, Handbuch des Zwangsvollstreckungsrechts, S. 344 Rz. 296a; Stöber, ZVG, 20. Aufl., § 10 Rz. 16.8; Schmidt-Räntsch, ZWE 2011, 429, 439; wohl auch Becker in Bärmann, WEG, 12. Aufl., § 16 Rz. 200; Kümmel in Niedenführ/Kümmel/Vandenhouten, WEG, 9. Aufl., Anhang IV Rz. 49; Hintzen in Dassler/Schiffhauer/Hintzen/Engels/Rellermeyer, ZVG, 14. Aufl., § 44 Rz. 11; Franck, MittBayNot 2012, 345, 349; Böttcher, ZfIR 2010, 345, 347).
Rz. 13
b) Nach der Gegenauffassung bietet eine Auflassungsvormerkung Schutz vor einer Zwangsversteigerung, die aus Rechten der Rangklasse 2 betrieben wird. Zur Begründung wird teilweise darauf verwiesen, dass die bevorrechtigten Hausgeldansprüche keine dingliche Wirkung hätten. Könne das Vorrecht einem Erwerber nicht entgegengehalten werden, sei die Beschlagnahme als vormerkungswidrig anzusehen; der Vormerkungsberechtigte müsse sie nicht gegen sich gelten lassen. Die Wohnungseigentümergemeinschaft stehe im Verhältnis zu dem Vormerkungsberechtigten gewöhnlichen persönlichen Gläubigern gleich (Reymann, ZWE 2013, 446, 449; Herrler, NJW 2013, 3518; Fabis, ZfIR 2010, 354, 357 f.). Vereinzelt wird auch die Einordnung der Auflassungsvormerkung in die Rangklasse 4 bestritten, weil die Vormerkung ebenso wie das Eigentum selbst außerhalb des Rangklassensystems des § 10 Abs. 1 ZVG stehe; ihre Schutzwirkung bestimme sich ausschließlich nach § 883 Abs. 2 BGB (Kesseler, NJW 2009, 121, 123 f.; zustimmend Kohler in MünchKomm/BGB, 6. Aufl., § 883 Rz. 62 Fn. 428; offen gelassen von Reymann, ZWE 2013, 446, 448).
Rz. 14
c) Der Senat entscheidet die Frage mit der zuerst genannten Auffassung dahingehend, dass Ansprüchen der Wohnungseigentümergemeinschaft, die die Zwangsversteigerung aus der Rangklasse 2 des § 10 Abs. 1 ZVG betreibt, stets Vorrang gegenüber einer Auflassungsvormerkung zukommt; diese ist auch dann nicht im geringsten Gebot zu berücksichtigen, wenn sie - wie hier - bereits vor dem Entstehen der bevorrechtigten Hausgeldansprüche in das Grundbuch eingetragen worden ist.
Rz. 15
aa) Dies ergibt sich allerdings nicht aus einer vermeintlich dinglichen Wirkung des Vorrechts der Wohnungseigentümergemeinschaft. Nach der Rechtsprechung des Senats enthält § 10 Abs. 1 Nr. 2 ZVG lediglich eine Privilegierung schuldrechtlicher Ansprüche im Zwangsversteigerungsverfahren und verleiht diesen keine dingliche Wirkung (ArbG Frankfurt/O., Urt. v. 13.9.2013 - V ZR 209/12, BGHZ 198, 216 Rz. 8 ff.). Aus dem schuldrechtlichen Charakter der bevorrechtigten Ansprüche folgt aber nicht, dass eine Auflassungsvormerkung Schutz vor der aus § 10 Abs. 1 Nr. 2 ZVG betriebenen Zwangsversteigerung bietet (zutreffend Morvilius in Dierck/Morvilius/Vollkommer, Handbuch des Zwangsvollstreckungsrechts, S. 344 Rz. 296a; Schneider, ZWE 2014, 61, 70 f.).
Rz. 16
bb) Der Vorrang der § 10 Abs. 1 Nr. 2 ZVG unterfallenden Hausgeldansprüche ergibt sich vielmehr daraus, dass die Auflassungsvormerkung der Rangklasse 4 des § 10 Abs. 1 ZVG zuzuordnen ist.
Rz. 17
(1) Welches Recht dem Anspruch des betreibenden Gläubigers i.S.v. § 44 Abs. 1 ZVG vorgeht und folglich im geringsten Gebot Berücksichtigung finden muss, richtet sich nach §§ 10 bis 12 ZVG (Stöber, ZVG, 20. Aufl., § 44 Rz. 4.2; Löhnig/Siwonia, ZVG, § 44 Rz. 2 f.). Aus diesem Grund muss auch die Vormerkung zwingend in das Rangklassensystem des § 10 Abs. 1 ZVG - also in eine der in dieser Norm unter Nr. 1 bis 8 aufgeführten Rangklassen - eingeordnet werden (zutreffend Morvilius in Dierck/Morvilius/Vollkommer, Handbuch des Zwangsvollstreckungsrechts, S. 344 Rz. 296a). Nach der Rechtsprechung des BGH steht eine Auflassungsvormerkung im Zwangsversteigerungsverfahren in einem Rangverhältnis zu den Rechten der Rangklasse 4 (ArbG Frankfurt/O., Urt. v. 28.10.1966 - V ZR 11/64, BGHZ 46, 124, 127; BGH, Urt. v. 11.7.1996 - IX ZR 226/94, NJW 1996, 3147, 3148); nichts anderes gilt für ihr Verhältnis zu Rechten der Rangklassen 1 bis 3. Zwar trifft es zu, dass die Vormerkung wie das vorgemerkte Eigentum zu behandeln ist (§ 48 ZVG) und dass das Eigentum als solches nicht rangfähig ist (ArbG Frankfurt/O., Beschl. v. 25.1.2007 - V ZB 125/05, BGHZ 170, 378 Rz. 16; Assmann, Die Vormerkung (1998) S. 146, 194). Daraus ergibt sich aber nicht, dass eine Auflassungsvormerkung außerhalb des Rangklassensystems des § 10 Abs. 1 ZVG steht; sie sichert zwar den Anspruch auf Verschaffung des Eigentums, ist aber ein Sicherungsrecht eigener Art und kein gegenüber dem Eigentum wesensgleiches Minus.
Rz. 18
(2) Dass Auflassungsvormerkungen in die Rangklasse 4 des § 10 Abs. 1 ZVG einzuordnen sind, entspricht der nahezu einhelligen Auffassung (vgl. Jäckel/Güthe, ZVG, 7. Aufl., § 10 Rz. 15; Staudinger/Gursky, BGB [2013], § 883 Rz. 294; Soergel/Stürner, BGB, 13. Aufl., § 883 Rz. 40; Kohler in MünchKomm/BGB, 6. Aufl., § 883 Rz. 60; Jauernig, BGB, 15. Aufl., § 883 Rz. 20; Becker in Bärmann, WEG, 12. Aufl., § 16 Rz. 200; Kümmel in Niedenführ/Kümmel/Vandenhouten, WEG, 9. Aufl., Anhang IV Rz. 49; Morvilius in Dierck/Morvilius/Vollkommer, Handbuch des Zwangsvollstreckungsrechts, S. 344 Rz. 296a; Schöner/Stöber, Grundbuchrecht, 15. Aufl. Rz. 1532; Schmidt-Räntsch, ZWE 2011, 429, 439; Böttcher, ZfIR 2010, 345, 347, jeweils m.w.N.). So sieht es auch der Senat. Weil die in § 10 Abs. 1 ZVG nicht ausdrücklich geregelte Vormerkung - wie ausgeführt - zwingend einer der in der Norm enthaltenen Rangklassen zugeordnet werden muss, kommt nur die Rangklasse 4 in Betracht. Denn sie ist am ehesten mit den darin aufgeführten dinglichen Rechten vergleichbar, während sie mit den in den anderen Rangklassen geregelten Rechten keine Ähnlichkeiten aufweist.
Rz. 19
(3) Aus der Einordnung der Auflassungsvormerkung in die Rangklasse 4 des § 10 Abs. 1 ZVG ergibt sich ohne Weiteres, dass sie gegenüber Rechten der Rangklasse 2 nachrangig ist. Denn die Rechte der Rangklasse 2 gehen insgesamt den Rechten aus den nachfolgenden Rangklassen 3 bis 8 vor. Auf die zeitliche Entstehung der Rechte kommt es insoweit nicht an; diese ist von Bedeutung, wenn mehrere Rechte innerhalb der Rangklasse 4 konkurrieren (vgl. § 11 Abs. 1 ZVG, §§ 879 ff. BGB). Auch hängt die bevorzugte Stellung der Ansprüche von Wohnungseigentümergemeinschaften i.S.v. § 10 Abs. 1 Nr. 2 ZVG nicht von deren Rechtsnatur ab. Sie ergibt sich vielmehr aus der Einordnung der Hausgeldansprüche in dem Rangklassensystem des § 10 Abs. 1 ZVG. Mit diesem wäre es unvereinbar, wenn die der Rangklasse 2 unterfallenden Ansprüche im Verhältnis zu Auflassungsvormerkungen den nicht bevorrechtigten Ansprüchen aus der Rangklasse 5 der betreibenden Wohnungseigentümergemeinschaft gleichgesetzt würden (zutreffend Schneider, ZWE 2014, 61, 70 f.; vgl. auch ArbG Frankfurt/O., Beschl. v. 17.4.2008 - V ZB 13/08, NJW 2008, 1956 Rz. 17).
Rz. 20
cc) Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde steht § 883 Abs. 2 BGB diesem Ergebnis nicht entgegen. Die Aufstellung des geringsten Gebots richtet sich nicht nach dieser Norm, sondern allein nach dem Rangklassensystem des Zwangsversteigerungsgesetzes. Die Wirkungen des § 883 Abs. 2 BGB kann die Vormerkung gegenüber dem Ersteher nur dann entfalten, wenn sie gegenüber dem Recht des betreibenden Gläubigers (nach § 10 Abs. 1 ZVG) vorrangig ist, infolgedessen in das geringste Gebot fällt und trotz des Zuschlags bestehen bleibt. Nicht das Rangklassensystem wird durch § 883 Abs. 2 BGB durchbrochen, sondern im Gegenteil wird die Schutzwirkung der Vormerkung durch die Spezialregelungen des Zwangsversteigerungsgesetzes erheblich modifiziert und eingeschränkt (vgl. Staudinger/Gursky, BGB [2013], § 883 Rz. 293 a.E.; Rosenberg, Sachenrecht [1919], § 883 Anm. IV 3c); Meiser, Gruchot Bd. 57, 769 f.; unzutreffend daher Reymann, ZWE 2013, 446, 448; Kesseler, NJW 2009, 121, 123; Herrler, NJW 2013, 3518). Durch die Geltendmachung eines (nach dem Rangklassensystem) vorrangigen Anspruchs des betreibenden Gläubigers im Wege der Zwangsvollstreckung wird der vorgemerkte Auflassungsanspruch nämlich in gesetzlich zulässiger Weise beeinträchtigt (Meiser, Gruchot Bd. 57, 769, 770).
Rz. 21
dd) Gegen den Vorrang der Ansprüche der Beteiligten zu 1) lässt sich auch nicht einwenden, dass hierdurch ein "Wettlauf" zwischen der Wohnungseigentümergemeinschaft und dem Vormerkungsberechtigten entstehe, weil ein Eigentumserwerb des Vormerkungsberechtigten während des Zwangsversteigerungsverfahrens dessen Fortsetzung entgegenstehe (vgl. Krauß, Immobilienkaufverträge in der Praxis, 6. Aufl., Rz. 1133; ders., Notar 2013, 331, 334).
Rz. 22
(1) Richtig ist allerdings, dass es widersprüchlich wäre, wenn - wie es das Beschwerdegericht annimmt - einerseits die Vormerkung nicht in das geringste Gebot fiele, andererseits aber ein nach der Beschlagnahme erfolgter vollendeter Eigentumserwerb des Vormerkungsberechtigten gem. § 28 Abs. 1 Satz 1 ZVG zu der Einstellung des Zwangsversteigerungsverfahrens führte. Zu einem solchen Wertungswiderspruch kommt es aber nicht, weil eine nach der Beschlagnahme erfolgte Umschreibung des Eigentums auf den Vormerkungsberechtigten keinen Einfluss auf den Fortgang des Verfahrens hat, wenn die Zwangsversteigerung aus einem gegenüber der Vormerkung (nach dem Rangklassensystem) vorrangigen Recht betrieben wird (vgl. ArbG Frankfurt/O., Beschl. v. 25.1.2007 - V ZB 125/05, BGHZ 170, 378 ff.).
Rz. 23
(2) So liegt es, wenn die Zwangsversteigerung aus Ansprüchen der Rangklasse 2 des § 10 Abs. 1 ZVG betrieben wird (ebenso im Ergebnis LG Heilbronn, ZWE 2013, 230 f.; Becker in Bärmann, WEG, 12. Aufl., § 16 Rz. 200; a.A. Krauß, Notar 2013, 331, 334; Reymann, ZWE 2013, 446, 448, jeweils m.w.N.). Der auf dem vorgemerkten Anspruch beruhende Eigentumserwerb ist aufgrund der Beschlagnahme gegenüber der aus einem besseren Recht betreibenden Wohnungseigentümergemeinschaft relativ unwirksam (§ 23 Abs. 1 Satz 1 ZVG i.V.m. §§ 135, 136 BGB) und hindert die Fortsetzung des Zwangsversteigerungsverfahrens deshalb nicht (vgl. Stöber, BGHReport 2007, 580 f.). Soweit sich aus dem Senatsbeschluss vom 25.1.2007 insoweit etwas anderes ergibt (V ZB 125/05, BGHZ 170, 378 Rz. 12 ff.), hält der Senat hieran nicht fest.
Rz. 24
ee) Im Ergebnis setzt sich danach das Vorrecht der Wohnungseigentümergemeinschaft, die die Zwangsversteigerung aus Rechten der Rangklasse 2 des § 10 Abs. 1 ZVG betreibt, gegenüber einer Auflassungsvormerkung stets durch. Diese ist nicht in das geringste Gebot aufzunehmen und erlischt mit dem Zuschlag; erwirbt der Vormerkungsberechtigte nach der Beschlagnahme das Eigentum, ist das Verfahren fortzusetzen und nicht gem. § 28 Abs. 1 Satz 1 ZVG einzustellen. Dieses Ergebnis ist eine Folge der gesetzgeberischen Entscheidung, wonach die Wohnungseigentümergemeinschaft die Zwangsversteigerung aus der Rangklasse 2 des § 10 Abs. 1 ZVG selbst betreiben darf (vgl. §§ 10 Abs. 3, 52 Abs. 2 Satz 2 ZVG; BT-Drucks. 16/887, 44; ArbG Frankfurt/O., Beschl. v. 17.4.2008 - V ZB 13/08, NJW 2008, 1956 Rz. 17); der Gesetzgeber hat - in den Grenzen von § 10 Abs. 1 Nr. 2 ZVG - eine umfassende Privilegierung der Wohnungseigentümergemeinschaft im Zwangsversteigerungsverfahren geschaffen (vgl. ArbG Frankfurt/O., Urt. v. 13.9.2009 - V ZR 209/12, BGHZ 198, 216 Rz. 13, 16).
Rz. 25
ff) Verfassungsrechtliche Bedenken stehen nicht entgegen. Allerdings droht Berechtigten, zu deren Gunsten - wie hier - am 1.7.2007 eine Auflassungsvormerkung eingetragen war, ein Rechtsverlust infolge der an diesem Tag in Kraft getretenen Neufassung des § 10 Abs. 1 Nr. 2 ZVG. Es handelt sich insoweit um eine unechte Rückwirkung. Eine solche liegt vor, wenn eine Norm - wie hier - auf einen gegenwärtigen, noch nicht abgeschlossenen Sachverhalt und auf Rechtsbeziehungen für die Zukunft einwirkt und damit zugleich die betroffene Rechtsposition entwertet. Sie ist grundsätzlich zulässig. Allerdings können sich aus dem Grundsatz des Vertrauensschutzes und dem Verhältnismäßigkeitsprinzip Grenzen der Zulässigkeit ergeben. Das ist dann der Fall, wenn die angeordnete unechte Rückwirkung zur Erreichung des Gesetzeszwecks nicht geeignet oder erforderlich ist oder wenn die Bestandsinteressen der Betroffenen die Veränderungsgründe des Gesetzgebers überwiegen (st.Rspr. des BVerfG, vgl. nur BVerfGE 132, 302 Rz. 43 m.w.N.).
Rz. 26
(1) § 10 Abs. 1 Nr. 2 ZVG verfolgt das legitime Ziel, die Zwangsversteigerung von Eigentumswohnungen bei Hausgeldrückständen zu erleichtern. Nach der zuvor bestehenden Rechtslage waren Hausgeldrückstände im Zwangsversteigerungsverfahren nur in der Rangklasse 5 des § 10 Abs. 1 ZVG zu berücksichtigen und damit nachrangig gegenüber den Rechten der Rangklasse 4. Deshalb verlief die Zwangsversteigerung von Eigentumswohnungen wegen Hausgeldrückständen meist erfolglos. Die Rückstände mussten von den anderen Wohnungseigentümern getragen werden, wodurch notwendige Instandhaltungsmaßnahmen unterblieben (s. insgesamt BT-Drucks. 16/887, 1, 43 f.). Dieses Ziel würde verfehlt, wenn eine Auflassungsvormerkung vor einer aus Rechten der Rangklasse 2 betriebenen Zwangsversteigerung schützte. Kann nämlich der Vormerkungsberechtigte seinen Anspruch auf Eigentumsübertragung gegen den Ersteher durchsetzen, finden sich in aller Regel keine Bietinteressenten mit der Folge, dass eine Zwangsversteigerung faktisch unmöglich wird (vgl. BGH, Urt. v. 11.7.1996 - IX ZR 226/94, NJW 1996, 3147 f.; Staudinger/Gursky, BGB [2013], § 883 Rz. 302; Stöber, ZVG, 20. Aufl., § 28 Rz. 5.1 unter b); Morvilius in Dierck/Morvilius/Vollkommer, Handbuch des Zwangsvollstreckungsrechts S. 344 Rz. 296a).
Rz. 27
(2) Die Bestandsinteressen der Betroffenen überwiegen die genannten Veränderungsgründe des Gesetzgebers nicht.
Rz. 28
(a) Der mit der Neubelegung der Rangklasse 2 des § 10 Abs. 1 ZVG verbundene Eingriff in die Rechte der Realkreditgläubiger ist diesen insb. deshalb zuzumuten, weil der Gesetzgeber das Vorrecht sowohl in zeitlicher Hinsicht als auch der Höhe nach begrenzt hat (vgl. BT-Drucks. 16/887, 43 f.). Vormerkungsberechtigten droht allerdings - anders als den dinglich berechtigten Gläubigern - mit dem Erlöschen der Auflassungsvormerkung durch den Zuschlag ein vollständiger Rechtsverlust. Gleichwohl kommt die zeitliche und summenmäßige Begrenzung des Vorrechts mittelbar auch den Vormerkungsberechtigten zugute, weil diese ihr Interesse an einem Fortbestehen der Auflassungsvormerkung durch Ablösung der vorrangigen Ansprüche wahren können.
Rz. 29
(b) Zudem bot selbst eine erstrangige Auflassungsvormerkung auch vor der Gesetzesänderung keinen vollständigen Schutz. Sie war - unbestritten - stets durch eine Zwangsversteigerung gefährdet, die aus Ansprüchen der vorangehenden Rangklassen betrieben wurde, etwa aufgrund öffentlicher Lasten der Rangklasse 3 des § 10 Abs. 1 ZVG (vgl. Alff, Rpfleger 2013, 15, 19; Kesseler, NJW 2009, 121 f.; Stöber, NJW 2000, 3600 ff. zu der Versteigerung aus § 10 Abs. 1 Nr. 1a i.V.m. § 174a ZVG). Die Inhaber einer Auflassungsvormerkung konnten nicht darauf vertrauen, dass die Regelung des § 10 Abs. 1 ZVG dauerhaft unverändert bleiben und keine weiteren Ansprüche in eine der vorangehenden Rangklassen aufgenommen werden würden.
D.
Rz. 30
Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst, weil sich die Beteiligten in dem Verfahren über die Zuschlagsbeschwerde grundsätzlich nicht als Parteien im Sinne der Zivilprozessordnung gegenüberstehen (vgl. ArbG Frankfurt/O., Beschl. v. 25.1.2007 - V ZB 125/05, BGHZ 170, 378 Rz. 7).
Rz. 31
Der Gegenstandswert bemisst sich nach dem Wert des Zuschlags, §§ 47 Abs. 1 Satz 1, 54 Abs. 2 Satz 1 GKG. Der Wert der anwaltlichen Vertretung der Beteiligten zu 1), 3) und 4) richtet sich nach § 26 Nr. 1 RVG.
Fundstellen
Haufe-Index 7026045 |
BGHZ 2015, 157 |
NJW 2014, 2445 |
NJW 2014, 8 |
EBE/BGH 2014 |
DNotI-Report 2014, 118 |
MittBayNot 2015, 39 |
NZM 2014, 518 |
WM 2014, 1386 |
WuB 2014, 581 |
ZIP 2014, 1895 |
ZMR 2014, 896 |
ZfIR 2014, 654 |
DNotZ 2014, 769 |
JZ 2014, 559 |
JZ 2014, 564 |
KKZ 2015, 187 |
MDR 2014, 988 |
NJ 2014, 3 |
NJ 2015, 31 |
Rpfleger 2014, 613 |
WuM 2014, 498 |
ZInsO 2014, 1573 |
ZWE 2014, 378 |
FoVo 2014, 192 |
MietRB 2014, 268 |
NJW-Spezial 2014, 577 |
NotBZ 2014, 463 |
VE 2014, 153 |