Verfahrensgang
LG Hagen (Entscheidung vom 23.11.2022; Aktenzeichen 49 KLs 25/22) |
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hagen vom 23. November 2022 im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in Tateinheit mit Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt. Zudem hat es seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nach einem Vorwegvollzug von neun Monaten der verhängten Freiheitsstrafe angeordnet. Die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte und - ausweislich des entsprechenden Revisionsantrags und der Rechtsausführungen zur Sachrüge - auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Revision des Angeklagten hat Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO).
Rz. 2
1. Der Strafausspruch ist rechtsfehlerhaft. Das Landgericht hat eine erheblich verminderte Steuerungsfähigkeit des Angeklagten aufgrund einer - durch seine Betäubungsmittelabhängigkeit bedingten - krankhaften seelischen Störung bejaht, es jedoch unterlassen, den nach den Urteilsgründen vorliegenden vertypten Strafmilderungsgrund des § 21 StGB bei der Strafzumessung zu berücksichtigen. Das Landgericht hat diesen weder bei der Prüfung und Ablehnung eines minder schweren Falls nach § 30a Abs. 3 BtMG bedacht (vgl. zur Prüfungsreihenfolge BGH, Beschluss vom 15. Februar 2023 - 2 StR 270/22 Rn. 5 mwN) noch hat es eine Strafrahmenverschiebung gemäß §§ 21, 49 Abs. 1 StGB in den Blick genommen.
Rz. 3
2. Der Maßregelausspruch weist ebenfalls einen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf. Die Strafkammer hat die für die Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nach § 64 Satz 2 StGB erforderliche Erfolgsaussicht nicht tragfähig begründet. Hierzu hat der Generalbundesanwalt ausgeführt:
„Die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt darf nach § 64 Satz 2 StGB nur angeordnet werden, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, den Verurteilten durch die Behandlung innerhalb der Frist des § 67d Abs. 1 Satz 1 oder 3 StGB zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf den Hang zurückgehen. Notwendig, aber auch ausreichend für die vom Tatgericht zu treffende Prognose ist eine auf Tatsachen gegründete Wahrscheinlichkeit des Behandlungserfolgs. Einer sicheren oder unbedingten Gewähr bedarf es hierfür zwar nicht. Erforderlich ist aber, dass in der Persönlichkeit und den Lebensumständen des Verurteilten konkrete Anhaltspunkte für einen erfolgreichen Verlauf der Therapie vorliegen. Die bloße Möglichkeit einer therapeutischen Veränderung genügt hierfür nicht (Senat, Beschluss vom 6. Dezember 2022 - 4 StR 438/22, NStZ-RR 2023, 76 m.w.N.; BGH, Beschluss vom 10. November 2022 - 2 StR 132/22, NStZ-RR 2023, 41). Notwendig ist eine durch Tatsachen begründete Wahrscheinlichkeit des Behandlungserfolgs. Dabei ist der Tatrichter gehalten, das Risiko eines Scheiterns der Behandlung in den Blick zu nehmen und die im Urteilszeitpunkt gegebenen prognosegünstigen gegen die prognoseungünstigen Faktoren in die Beurteilung einzubeziehen und gegeneinander abzuwägen (Senat, Beschluss vom 22. November 2022 - 4 StR 347/22, NStZ-RR 2023, 41 m.w.N.).
Diesem Maßstab werden die Erwägungen der Strafkammer nicht gerecht. Denn sie hat für die Beurteilung der Erfolgsaussichten der Behandlung maßgebliche prognoseungünstige Umstände nicht in den Blick genommen. Hierzu zählen insbesondere die in den Jahren 2021 und 2022 mehrfach wahrgenommenen Entgiftungsbehandlungen des Angeklagten in einer Klinik, die jedoch zu keinem länger anhaltenden Erfolg geführt haben (UA S. 4 f.). Auch [die] seit Jahren bestehende Abhängigkeit (UA S. 3 f., 21 f.) hat das Tatgericht nicht ausreichend bedacht. So konsumierte der Angeklagte neben Heroin insbesondere seit Beendigung seiner Unterbringung im Jahre 2014 immer wieder Cannabinoide, zuletzt verstärkt auch verschiedene Medikamente und Alkohol (UA S. 4 f.).
Die Aufhebung der Unterbringung entzieht zugleich der Anordnung des Vorwegvollzugs eines Teils der Freiheitsstrafe die Grundlage.“
Rz. 4
Dem kann sich der Senat nicht verschließen.
Rz. 5
3. Der Rechtsfolgenausspruch hat daher keinen Bestand. Der Senat hebt die zugehörigen Feststellungen (§ 353 Abs. 2 StPO) ebenfalls auf, um dem neuen Tatgericht insbesondere die erneute Prüfung, ob eine Maßregel nach § 64 StGB anzuordnen ist, auf einer widerspruchsfreien - auch mit Blick auf § 21 StGB neu festzustellenden (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 17. Januar 2023 - 4 StR 216/22 Rn. 14; Beschluss vom 9. November 2022 - 4 StR 383/22 Rn. 5) - Tatsachengrundlage hinsichtlich des Betäubungsmittelkonsums des Angeklagten zu ermöglichen.
Quentin |
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RiBGH Rommel ist wegen Urlaubs an der Unterschriftsleistung gehindert. |
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Maatsch |
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Scheuß |
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Fundstellen
Haufe-Index 15741458 |
NStZ-RR 2023, 243 |