Verfahrensgang
LG Münster (Entscheidung vom 06.07.2021; Aktenzeichen 1 KLs 14/20) |
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten A. V. gegen das Urteil des Landgerichts Münster (Westf.) vom 6. Juli 2021 wird
a) das Verfahren eingestellt, soweit der Angeklagte im Fall II. 15. der Urteilsgründe (Anklagevorwurf 16.) verurteilt worden ist; im Umfang der Einstellung fallen die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten der Staatskasse zur Last;
b) das vorgenannte Urteil im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte A. V. des schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in 25 Fällen, davon in zehn Fällen in Tateinheit mit schwerem sexuellen Missbrauch von Kindern in kinderpornographischer Absicht, sowie des schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in kinderpornographischer Absicht in drei Fällen schuldig ist.
2. Die weiter gehende Revision des Angeklagten A. V. und die Revisionen der Angeklagten S., Sc., L. und C. V. werden verworfen.
3. Jeder Beschwerdeführer hat die Kosten - der Beschwerdeführer A. V. die verbleibenden Kosten - seines Rechtsmittels und die den Nebenklägern K. und Sch. dadurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen. Die Beschwerdeführer A. V. und L. haben darüber hinaus die durch ihr Rechtsmittel dem Nebenkläger Li., der Beschwerdeführer L. zudem die dem Nebenkläger Lin. entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten A. V. wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in 29 Fällen, den Angeklagten S. wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in vier Fällen, den Angeklagten Sc. wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen in sechs Fällen sowie wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen und den Angeklagten L. wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in fünf Fällen zu Gesamtfreiheitsstrafen von vierzehn Jahren (A. V. ), zehn Jahren (S. ), zwölf Jahren (Sc. ) und elf Jahren und sechs Monaten (L. ) verurteilt. Ferner hat die Strafkammer die Unterbringung dieser Angeklagten in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Die Angeklagte C. V. hat das Landgericht wegen Beihilfe zum schweren sexuellen Missbrauch von Kindern zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Gegen dieses Urteil wenden sich die Angeklagten mit ihren auf die Rügen der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revisionen. Das Rechtsmittel des Angeklagten A. V. führt zu einer Teileinstellung und Schuldspruchänderung; im Übrigen ist es wie die Revisionen der übrigen Angeklagten unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
I.
Rz. 2
Die Verfahrensbeanstandungen der Angeklagten dringen aus den in den Antragsschriften des Generalbundesanwalts genannten Gründen nicht durch. Zu der Verfahrensrüge der Angeklagten C. V., mit der sie einen Verstoß gegen „§ 244 Abs. 4 StPO“ wegen der Ablehnung eines Beweisantrags vom 8. Juni 2021 auf „Einholung eines Zweitgutachtens“ im Zusammenhang mit der Aussagetüchtigkeit des Zeugen Cü. geltend macht, bemerkt der Senat ergänzend:
Rz. 3
Die Rüge ist unzulässig (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO), weil ihre Angriffsrichtung nicht eindeutig erkennbar ist. Dem Revisionsvortrag ist nicht ohne weiteres zu entnehmen, welche Beweistatsache Gegenstand der Rüge ist (vgl. zu den Vortragserfordernissen BGH, Urteil vom 27. November 2008 - 5 StR 96/08 Rn. 9; Beschluss vom 25. September 1986 - 4 StR 496/86, BGHR StPO § 344 Abs. 2 Satz 2 Formerfordernis 1). Der mitgeteilte Beweisantrag und seine Begründung lassen auch die Deutung zu, dass (nur) eine methodische Überprüfung des Erstgutachtens begehrt werde. Das Verständnis des Rügevorbringens wird weiter dadurch erschwert, dass die von der Revision zur Stützung ihrer Rechtsauffassung herangezogene Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH, Beschluss vom 27. Januar 2010 - 2 StR 535/09, BGHSt 55, 5) eine andere Konstellation betraf. Auch mit Blick auf die bereits in dem Gerichtsbeschluss vom 10. Juni 2021 geäußerten Zweifel des Tatgerichts, welche Tatsachen die Beschwerdeführerin unter Beweis stellen wolle, hätte es daher der Klarstellung des Beweisbegehrens in der Revisionsbegründung bedurft. Denn von dessen Inhalt hängt die Anwendung der verschiedenen Ablehnungsgründe des § 244 Abs. 4 StPO ab.
Rz. 4
Ohnehin beruht das Urteil auf der Ablehnung des Beweisantrags nicht (§ 337 Abs. 1 StPO). Nach den Urteilsgründen hat die Strafkammer hinsichtlich der Beihilfetat der Beschwerdeführerin in der Zeugenaussage lediglich eine Bestätigung des Beweisergebnisses erblickt, von der ihre auf andere Beweismittel wie insbesondere ein Augenscheinsobjekt (Video aus der Gartenlaube) und Chatnachrichten gestützte Überzeugungsbildung insoweit jedoch nicht abhing.
II.
Rz. 5
1. a) Auf Antrag des Generalbundesanwalts stellt der Senat das Verfahren gegen den Angeklagten A. V. gemäß § 154 Abs. 2 StPO aus prozessökonomischen Gründen ein, soweit der Angeklagte im Fall II. 15. der Urteilsgründe (Anklagevorwurf 16.) wegen „schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern“ (in kinderpornographischer Absicht) verurteilt worden ist. Die Annahme der Strafkammer, er habe sich insoweit gemäß § 176a Abs. 3 StGB in der Fassung vom 27. Januar 2015 strafbar gemacht, begegnet rechtlichen Bedenken. Gegenstand der zu verbreitenden pornographischen Schrift müssen für eine Verurteilung nach § 176a Abs. 3 StGB aF (nunmehr: § 176c Abs. 2 StGB) sexuelle Handlungen im Sinne der dort genannten Tatvarianten des § 176 StGB aF sein (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Januar 2023 - 4 StR 216/22; Ziegler in BeckOK-StGB, 42. Ed. 1. Mai 2019, § 176a Rn. 16). Hieran fehlt es nach den Feststellungen im Fall II. 15. der Urteilsgründe.
Rz. 6
b) Der Senat ändert den Schuldspruch nach Maßgabe der Verfahrenseinstellung in analoger Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO ab. Zugleich ist der ergangene Schuldspruch dahin zu korrigieren, dass sich der Angeklagte - was der rechtlichen Würdigung der Strafkammer entspricht - in den Fällen II. 13., 16. und 18. der Urteilsgründe des schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern „in kinderpornographischer Absicht“ gemäß § 176a Abs. 3 StGB aF schuldig gemacht hat und zudem in den Fällen II. 1. bis 4., 8., 14., 17., 19., 22. und 23. der Urteilsgründe jeweils tateinheitlich dieses Delikt verwirklicht hat. Auch neben der in den zuletzt genannten Fällen erfolgten Verurteilung wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern gemäß § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB aF ist der zugleich erfüllte Tatbestand des § 176a Abs. 3 StGB aF im Schuldspruch zum Ausdruck zu bringen (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Oktober 2020 - 1 StR 234/20 Rn. 4; BGH, Beschluss vom 16. Dezember 2015 - 2 StR 191/15 Rn. 1). Dem steht § 265 StPO nicht entgegen, denn die (tateinheitliche) Begehung der Delikte gemäß § 176a Abs. 3 StGB aF war dem Angeklagten bereits mit der zugelassenen Anklage vorgeworfen worden.
Rz. 7
c) Der Wegfall der Einzelstrafe im Fall II. 15. der Urteilsgründe (Anklagevorwurf 16.) lässt den Strafausspruch bei dem Angeklagten A. V. unberührt. Der Senat schließt angesichts der Einsatzfreiheitsstrafe von zwölf Jahren und der Vielzahl und Höhe der verbleibenden Strafen (darunter allein zwölf Einzelstrafen zwischen fünf Jahren und elf Jahren und sechs Monaten Freiheitsstrafe) aus, dass die Strafkammer ohne die entfallende Einzelstrafe von drei Jahren auf eine niedrigere Gesamtfreiheitsstrafe erkannt hätte. Die teilweise Verfahrenseinstellung wirkt sich auch nicht auf die rechtsfehlerfrei begründete Maßregelanordnung aus. Dem entfallenden Delikt kam nach den Urteilsgründen weder ein relevanter Einfluss auf die formellen und materiellen Voraussetzungen der Sicherungsverwahrung noch auf die Ermessensausübung der Strafkammer im Rahmen von § 66 Abs. 2, Abs. 3 Satz 2 StGB zu.
Rz. 8
2. Die Überprüfung des Urteils aufgrund der Sachrügen der Angeklagten hat im Übrigen keine Rechtsfehler zu ihrem Nachteil ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO).
Quentin |
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Maatsch |
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Scheuß |
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Messing |
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Momsen-Pflanz |
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Fundstellen
Haufe-Index 15736962 |
NStZ-RR 2024, 3 |
Polizei 2024, 225 |