Entscheidungsstichwort (Thema)
Sachverhaltsaufklärung und Urteilsfeststellungen des Tatrichters im Steuerstrafverfahren; Erwirkung eines Geständnisses durch Androhung einer überhöhten Strafe
Leitsatz (redaktionell)
1. Der Tatrichter hat den Sachverhalt so zu ermitteln und im Urteil darzustellen, dass deutlich wird, welches steuerliche Verhalten bei der jeweiligen Abgabenart zu einer Steuerstraftat geführt hat. Dies kann vom Gericht nicht dadurch ersetzt werden, dass auf Betriebs- oder Fahndungsprüfungsberichte und diesen zugrundeliegende steuerrechtliche Beurteilungen der Finanzverwaltung verwiesen oder zurückgegriffen wird. Die Ermittlung und Darstellung des steuerlich relevanten Sachverhalts sowie die daraus sich ergebende steuerrechtliche Beurteilung kann auch nicht durch den Verweis auf ein Geständnis des Angeklagten ersetzt werden.
2. Auch wenn die dem deutschen Strafprozess an sich fremden einverständlichen verfahrensbeendenden Absprachen zur täglichen Praxis der Strafgerichte gehören, ist es rechtsstaatlich nicht hinnehmbar, dass die Willensfreiheit des Angeklagten dadurch beeinträchtigt wird, dass bei Ablegung eines Geständnisses eine zweijährige Freiheitsstrafe mit Aussetzung zur Bewährung angeboten, ohne Geständnis aber eine Freiheitsstrafe von sechs Jahren angedroht wird.
Normenkette
AO § 370 Abs. 1
Verfahrensgang
LG München I (Urteil vom 09.07.2003; Aktenzeichen 308 Js 42912/00) |
Tenor
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts München I vom 9. Juli 2003 nach § 349 Abs. 4 StPO mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Tatbestand
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Steuerhinterziehung in acht Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten verurteilt. Der Schuldspruch umfaßt Einkommen-, Gewerbe-, Umsatz- und Körperschaftsteuerhinterziehungen in den Jahren 1993 bis 1996 in Höhe von insgesamt 8,9 Mio. DM, die dem Angeklagten als Geschäftsführer einer GmbH zur Last gelegt werden. Die Revision des Angeklagten, die auf die Verletzung formellen und sachlichen Rechts gestützt wird, hat mit der Sachrüge Erfolg.
I.
Dem Urteil sind folgende Feststellungen zu entnehmen:
1. Der Angeklagte kaufte 1977 in München in der Sondermeierstraße 77 ein Grundstück für 500.000 DM, auf dem in der Folgezeit eine Tennisanlage mit Betriebsgebäuden errichtet wurde. Betreiber der Anlage war die T GmbH, die das Grundstück seit dem 1. Januar 1979 vom Angeklagten gepachtet hatte. Der Angeklagte war Alleingeschäftsführer der GmbH; er bestimmte bis 1998 die Geschäftsabläufe. Im Handelsregister eingetragener Mehrheitsgesellschafter der T GmbH war in den Jahren 1993 bis 1996 der Stiefvater des Angeklagten, L D; über weitere Gesellschaftsverhältnisse sind keine Feststellungen getroffen.
Am 29. März 1993 veräußerte der Angeklagte das Grundstück an die B H W AG für 15 Mio. DM; diese zahlte den Kaufpreis in zwei Tranchen am 3. Mai 1993. Auflassung und Eintragung der Käuferin in das Grundbuch erfolgten noch im ersten Halbjahr 1993; die Bank bilanzierte dementsprechend das Grundstück Ende 1993 in ihrem Anlagevermögen. Besitz, Nutzen, Lasten und Gefahr gingen indes erst zum 1. Oktober 1994 auf die Käuferin über. Beginnend mit diesem Zeitpunkt pachtete nunmehr der Angeklagte das Grundstück von der B H W AG und verpachtete es weiterhin an die von ihm bis 1998 geführte GmbH.
2. Steuerlich behandelte der Angeklagte in seinen für die Jahre 1993 bis 1996 abgegebenen Einkommensteuererklärungen die regelmäßigen Einnahmen aus dem Pachtvertrag mit der GmbH über das Grundstück Sondermeierstraße 77 als Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung. Dementsprechend erfolgte die Veranlagung durch das Wohnsitzfinanzamt. Den Erlös aus der Veräußerung des Grundstücks an die B H W AG behandelte der Angeklagte nach dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe als steuerfreie Verschiebung in der privaten Vermögenssphäre. Nach den Feststellungen wollte der Angeklagte „durch die von ihm gewählte Gesellschaftskonstruktion erreichen, daß die von ihm durch die entgeltliche Überlassung des Grundstücks an die T GmbH erzielten Einnahmen als Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung qualifiziert werden und nicht als Einkünfte aus Gewerbebetrieb” (UA S. 9).
3. Darüber hinaus veranlaßte der Angeklagte für die GmbH in den Jahren 1994 bis 1996, daß Erlöse aus dem Restaurantbetrieb, der zur Tennisanlage gehörte, nicht verbucht wurden. Die dadurch verschwiegenen Einnahmen wurden in der Folge weder in den Umsatzsteuererklärungen noch in den Gewerbe- und Körperschaftsteuererklärungen der GmbH für die betreffenden Jahre erfaßt. Auch erklärte der Angeklagte die von ihm vereinnahmten Beträge nicht in seinen eigenen Einkommensteuererklärungen.
4. Den Schuldspruch wegen Steuerhinterziehung in acht Fällen gründet das Landgericht auf folgende Erwägungen:
a) Der Angeklagte sei faktisch Mehrheitsgesellschafter der GmbH gewesen. Er allein habe entscheidenden Einfluß auf die Geschicke der Gesellschaft gehabt und habe „schalten und walten” können, „wie es ihm beliebte”. Der „offizielle Mehrheitsgesellschafter” der GmbH, der Stiefvater des Angeklagten, habe lediglich als Strohmann die Anteile an der GmbH in den Jahren 1993 bis 1996 für den Angeklagten gehalten. Dies sei den Finanzbehörden nicht bekannt gewesen, so daß die tatsächlich vorliegende Betriebsaufspaltung dem Finanzamt gegenüber verschleiert worden sei. Steuerlich führe dies entsprechend dem Bericht nach Fahndungsprüfung einerseits bei der Einkommensteuer des Angeklagten für 1993 bis 1996 zu Mehreinkünften aus Gewerbebetrieb und aus Kapitalvermögen sowie zur entsprechenden Gewerbesteuerpflicht sämtlicher Einnahmen einschließlich des Veräußerungsgewinns aus dem Verkauf des Grundstücks. Andererseits seien dadurch bei der GmbH für die Jahre 1994 bis 1996 Körperschaft- und Gewerbesteuern hinterzogen worden. Die vom Angeklagten vereinnahmten Mehrerlöse aus dem Restaurantbetrieb seien als verdeckte Gewinnausschüttungen zu behandeln.
b) Grundlage für die Annahme einer steuerlich wirksamen Betriebsaufspaltung ist für das Landgericht das „glaubhafte Geständnis” des Angeklagten. Dieser hatte zu Beginn der Hauptverhandlung eine – nach sieben Wochen in Untersuchungshaft verfaßte und nunmehr mit Einschränkungen versehene – Erklärung durch seine Verteidiger verlesen lassen, in der er ausführte, ihm sei klar gewesen, „daß die Betriebsgesellschaft vom Eigentümer des Grundstücks unabhängig sein mußte, damit keine Gewerbesteuern anfallen. Deshalb sei er auch nicht offizieller Gesellschafter des T s GmbH gewesen, habe aber tatsächlich die Geschicke der GmbH umfassend bestimmt, worüber er das Finanzamt bei seinen Steuererklärungen im Unklaren gelassen und billigend in Kauf genommen habe, Gewerbesteuern zu sparen.”
Diese Erklärung hat das Landgericht lediglich in tatsächlicher Hinsicht dahin überprüft, ob anläßlich der Betriebsprüfung für die Jahre 1985 bis 1987 der Sachverhalt der Außenprüferin gegenüber offengelegt worden war, sowie in rechtlicher Hinsicht, ob der Veräußerungsgewinn aus dem Verkauf des Grundstücks im Jahr 1993 oder 1994 zu erfassen und inwieweit mit diesem Vorgang etwa eine Betriebsaufgabe gemäß § 16 EStG verbunden war. Mit den steuerrechtlichen Voraussetzungen einer Betriebsaufspaltung hat sich das Landgericht nicht auseinandergesetzt.
5. Nach Erlaß des hier angefochtenen Urteils hat der Bundesfinanzhof auf Nichtzulassungsbeschwerde des Angeklagten die entsprechende, denselben Sachverhalt betreffende Entscheidung des Finanzgerichts München (Urteil vom 19. März 2003, 9 K 715/02) aufgehoben und die Sache durch Beschluß vom 2. März 2004 (III B 114/03) an das Finanzgericht zurückverwiesen.
Entscheidungsgründe
II.
Der Schuldspruch hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die Feststellungen lassen nicht erkennen, auf welchen steuerrechtlichen Grundlagen der Tatrichter zu dem Schluß gelangt ist, bei der vom Angeklagten gewählten rechtlichen Gestaltung handele es sich um eine Betriebsaufspaltung.
1. Die Rechtsanwendung zur Ausfüllung der strafrechtlichen Blankettnorm des § 370 Abs. 1 AO ist Aufgabe des Strafrichters. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hat der Tatrichter im Blick auf die steuerrechtlichen Vorschriften den Sachverhalt so zu ermitteln und im Urteil darzustellen, daß deutlich wird, welches steuerlich erhebliche Verhalten im Rahmen der jeweiligen Abgabenart zu einer Steuerverkürzung oder zu einem ungerechtfertigtem Steuervorteil geführt hat. Die vom Gericht vorzunehmende Rechtsanwendung kann nicht dadurch ersetzt werden, daß auf Betriebs- oder Fahndungsprüfungsberichte und diesen zugrundeliegende steuerrechtliche Beurteilungen der Finanzverwaltung verwiesen oder zurückgegriffen wird (BGHR AO § 370 Abs. 1 Berechnungsdarstellung 5, 9; vgl. auch Harms NStZ-RR 1998, 97 f., Harms/Jäger NStZ-RR 2000, 129; NStZ 2001, 181 jeweils m.N.; Harms in: Gedächtnisschrift für Ellen Schlüchter, 2002, S. 451). Die Ermittlung und Darstellung des steuerlich relevanten Sachverhalts sowie die daraus sich ergebende steuerrechtliche Beurteilung kann auch nicht durch den Verweis auf ein Geständnis des Angeklagten ersetzt werden. Lediglich die Darstellung der Berechnung der hinterzogenen Steuern kann als Teil der Rechtsanwendung dann verkürzt und ergebnisbezogen erfolgen, wenn der Angeklagte geständig und zudem sachkundig genug ist, die steuerlichen Auswirkungen seines Verhaltens zu erkennen (BGHR AO § 370 Abs. 1 Berechnungsdarstellung 2, 4, 8 und BGH wistra 2001, 22; Harms aaO S. 455). Fehlt in einem Urteil die Angabe der beweiserheblichen Tatsachen oder ist im Rahmen der Beweiswürdigung nicht dargelegt, wie der Tatrichter die Bemessungsgrundlagen selbst ermittelt hat, ist das Urteil lückenhaft und muß bereits auf die Sachrüge hin vom Revisionsgericht aufgehoben werden (vgl. Harms aaO m.w.N.).
2. Gemessen daran kann das angefochtene Urteil keinen Bestand haben.
a) Das Landgericht hat die rechtlichen Voraussetzungen einer Betriebsaufspaltung, aus der es die steuerstrafrechtlichen Folgen ableitet, nicht dargelegt. Infolgedessen fehlt es an jeglichem Subsumtionsvorgang, mit dem die – im übrigen über das gesamte Urteil verstreuten – Feststellungen den rechtlichen Merkmalen zugeordnet werden, die das Landgericht gesellschaftsrechtlich und steuerrechtlich für relevant erachtet. Auf dieser Grundlage ist eine revisionsgerichtliche Nachprüfung nicht möglich, ob der Tatrichter von zutreffenden rechtlichen Voraussetzungen ausgegangen ist.
b) Selbst wenn man unter Bedacht auf den Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe unterstellt, daß das Landgericht offenbar eine (unechte) Betriebsaufspaltung angenommen hat, bei der der erforderliche einheitliche geschäftliche Betätigungswille im Betriebs- und im Besitzunternehmen durch faktische Beherrschung gewährleistet ist (vgl. dazu: Schmidt, EStG 23. Aufl. § 15 Rdn. 802, 820, 825, 836 ff.), fehlt es dazu an nachprüfbaren Feststellungen. So wird lediglich mitgeteilt, der Stiefvater des Angeklagten sei als Mehrheitsgesellschafter „Strohmann” für den Angeklagten gewesen. Wer im übrigen Gesellschafter der GmbH war und welche vertraglichen Vereinbarungen dem zugrunde lagen, wird ebenso verschwiegen, wie es auch an der Darstellung fehlt, inwieweit zwischen dem Angeklagten und seinem Stiefvater ein Über- bzw. Unterordnungsverhältnis bestand, das den Begriff der „Beherrschung” rechtfertigen könnte. Dies aber wäre erforderlich gewesen, weil nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs eine Betriebsaufspaltung durch tatsächliche Beherrschung nur in Ausnahmefällen in Betracht kommt. Wirtschaftlicher Druck aufgrund schuldrechtlicher Beziehungen reicht hierfür regelmäßig ebensowenig aus wie der Umstand, daß durch eine Person de facto jahrelang alle Entscheidungen in der Gesellschaft konfliktfrei im Sinne eben dieser Person getroffen worden sind (BFH BStBl II 2002, 771, 773; BFH/NV 2002, 777 f. m.w.N.). Es bedarf vielmehr für die Annahme einer faktischen Beherrschung weiterer Umstände im Einzelfall, etwa der Feststellung, daß der Angeklagte in der Lage gewesen wäre, der Gesellschaft ihre wesentlichen unverzichtbaren Betriebsgrundlagen ohne weiteres zu entziehen (vgl. BFH BStBl II 2002, 771, 773). Der allgemeine Hinweis, der Angeklagte habe entscheidenden Einfluß auf die Geschicke der Gesellschaft gehabt und habe „schalten und walten können, wie es ihm beliebte”, reicht dafür nicht aus, zumal er in den Jahren seit 1978 alleiniger Geschäftsführer der GmbH war.
c) Auch der Hinweis, der Stiefvater des Angeklagten habe als Mehrheitsgesellschafter die Anteile als ‚Strohmann’ für den Angeklagten gehalten, führt nicht weiter.
Der Bundesfinanzhof hat in seinem denselben Sachverhalt betreffenden Beschluß vom 2. März 2004 (III B 114/03) dazu ausgeführt:
„Der Begriff ‚Strohmannverhältnis’ wird mit unterschiedlichen Bedeutungen und Rechtsfolgen verwendet. Tritt jemand im Rechtsverkehr im eigenen Namen, aber im Innenverhältnis für einen anderen auf, treffen in der Regel den ‚Strohmann’ zivilrechtlich und steuerrechtlich die Folgen aus den von ihm abgeschlossenen Rechtsgeschäften, es sei denn, es handelt sich um ein nach § 41 Abs. 2 AO 1977 unwirksames Scheingeschäft (vgl. Urteil des FG Rheinland-Pfalz vom 8. Januar 1987 3 K 340/86, Entscheidungen der Finanzgerichte –EFG– 1987, 332, rechtskräftig, zur Strohmanngründung einer GmbH; BFH-Urteil vom 12. Juli 1991 III R 47/88, BFHE 165, 498, BStBl II 1992, 143, unter 2., zur Strohmanngründung einer KG; BFH-Beschluß vom 31. Januar 2002 V B 108/01, BFHE 198, 208, BFH/NV 2002, 835, zum Strohmanngeschäft bei der Umsatzsteuer).
Mit Strohmannverhältnissen werden aber auch sogenannte verdeckte Treuhandverhältnisse bezeichnet. Wird ein GmbH-Anteil nur treuhänderisch gehalten, hat dies bei einer wirksamen Treuhandvereinbarung zur Folge, daß der Treugeber nach § 39 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 AO 1977 wirtschaftlicher Eigentümer der GmbH-Anteile ist (Hessisches FG vom 8. Februar 1993 – 4 K 6216/91, EFG 1994, 397, rechtskräftig; FG Münster vom 18. Dezember 2001 15 K 8610/98 E, EFG 2002, 301, rechtskräftig, mit Anmerkung von Fumi).
Ein zur abweichenden Zurechnung führendes (verdecktes) Treuhandverhältnis ist aber nur wirksam, wenn es eindeutig vereinbart und nachweisbar ist (BFH-Urteile vom 15. Juli 1997 VIII R 56/93, BFHE 183, 518, BStBl II 1998, 152; vom 20. Januar 1999 I R 69/97, BFHE 188, 254, Deutsches Steuerrecht –DStR–1999, 973; vom 28. Februar 2001 I R 12/00, BFHE 194, 320, BStBl II 2001, 468, 470). Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) ist überdies eine Treuhandabrede über einen Geschäftsanteil, die nach Gründung der GmbH vereinbart wird, zivilrechtlich nur wirksam, wenn sie notariell beurkundet wird. Nur der vor Beurkundung des Gesellschaftsvertrags geschlossene Treuhandvertrag unterliegt nicht dem Formzwang des § 15 Abs. 4 Satz 1 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung (BGH, Urt. vom 19. April 1999 – II ZR 365/97; BGHZ 141, 208, DStR 1999, 861).”
Mit diesen, auch im Steuerstrafverfahren zu beachtenden Grundsätzen hat sich das Landgericht nicht befaßt, so daß auch insoweit keine nachprüfbaren Feststellungen getroffen worden sind. Dazu hätte das Landgericht – abgesehen von seiner ohnehin bestehenden Pflicht zur umfassenden Aufklärung des Sachverhalts – umso mehr Veranlassung gehabt, als der nicht in das Strafverfahren involvierte langjährige Steuerberater des Angeklagten als Zeuge in der Hauptverhandlung dabei blieb, die steuerliche Gestaltung sei unbedenklich, der Stiefvater des Angeklagten sei „echter Gesellschafter” gewesen und habe „seine Rechte” wahrgenommen. Insoweit wird es auch einer sorgfältigen Überprüfung der subjektiven Tatbestandsvoraussetzungen durch den neuen Tatrichter bedürfen (vgl. BGH NJW 2003, 1821, 1822 f.). Im übrigen wird im Hinblick auf das beim Finanzgericht anhängige Verfahren auch die Möglichkeit einer Aussetzung nach § 396 AO in Betracht zu ziehen sein.
III.
Da die Revision bereits mit der Sachrüge Erfolg hat, kommt es auf die vom Angeklagten erhobene Verfahrensrüge, die Grundsätze des fairen Verfahrens seien verletzt, nicht mehr an. Dennoch sieht der Senat Veranlassung zu folgenden Anmerkungen:
1. Der Angeklagte hat in der Hauptverhandlung eine Erklärung durch seine Verteidiger verlesen lassen, die das Landgericht als „Geständnis” gewertet hat. Diesem „Geständnis”, das der Angeklagte – wie im Urteil ausdrücklich mitgeteilt – erkennbar nur äußerst ungern abgelegt hat, war folgendes vorangegangen: Nach Anklageerhebung und Eröffnungsbeschluß Ende 2002 hatten zwischen dem damaligen Verteidiger und Mitgliedern der Strafkammer erste Gespräche über mögliche Rechtsfolgen im Falle einer Verurteilung stattgefunden. Dabei wurde eine Bewährungsstrafe erörtert, indes nicht in Aussicht gestellt, andererseits darauf hingewiesen, daß nach Durchführung einer Beweisaufnahme ohne Geständnis und ohne vollständige Schadenswiedergutmachung eine Freiheitsstrafe von bis zu sechs Jahren möglich sei und der Spruchpraxis der Strafkammer entspreche. Im ersten in dieser Sache durchgeführten Hauptverhandlungstermin am 4. Februar 2003 wurde dem Angeklagten seitens der Strafkammer nunmehr angeboten, bei Geständnis und vollständiger Schadenswiedergutmachung eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren mit Bewährung zu verhängen.
Da der Angeklagte im Hinblick auf die beim Finanzgericht München anhängige Klage gegen die entsprechenden Steuerbescheide das ihm angesonnene Geständnis nicht abgeben wollte, wurde die Hauptverhandlung zunächst ausgesetzt, um das Finanzgerichtsverfahren abzuwarten. Nachdem das Finanzgericht München durch Urteil vom 19. März 2003 die Klage abgewiesen hatte, erließ die Strafkammer am 25. März 2003 Haftbefehl gegen den (nicht vorbestraften) Angeklagten. Dieser befand sich in der Zeit vom 31. März 2003 bis 21. Mai 2003 in Untersuchungshaft in der Justizvollzugsanstalt München-Stadelheim. Die Aussetzung des Vollzugs erfolgte am 21. Mai 2003 durch das Oberlandesgericht München, nachdem der Angeklagte eine von seinem Verteidiger formulierte Erklärung vom 19. Mai 2003 vorgelegt hatte, die im wesentlichen seinem oben wiedergegebenen „Geständnis” in der zweiten Hauptverhandlung entsprach.
Sowohl im Haftbeschwerdeverfahren als auch in der dienstlichen Stellungnahme zur Verfahrensrüge hat der Vorsitzende der erkennenden Strafkammer bestätigt, das Angebot von zwei Jahren Freiheitsstrafe mit Bewährung im Hinblick auf das zeitnah abgeschlossene, entsprechend beendete spektakuläre Steuerstrafverfahren gegen Boris Becker gemacht zu haben; indes sei bei fehlendem Geständnis eine Straferwartung von sechs Jahren Freiheitsstrafe nach der langjährigen Spruchpraxis der Strafkammer realistisch gewesen. Die Gründe des angefochtenen Urteils enthalten zu diesen Verfahrensvorgängen und zum Zustandekommen des „Geständnisses” nichts.
2. Das Verhalten eines Gerichts, wie es hier erkennbar wird, ist mit dem rechtsstaatlichen Gebot, dem Angeklagten ein faires Verfahren zu garantieren, nur schwerlich zu vereinbaren. Zwar sind mittlerweile die dem deutschen Strafprozeß an sich fremden einverständlichen verfahrensbeendenden Absprachen Bestandteile des Strafverfahrens geworden; „deals” gehören zur täglichen Praxis der Strafgerichte. Sie sind indes nur dann hinnehmbar, wenn sie im Rahmen eines geordneten Strafverfahrens mit Einbeziehung aller Verfahrensbeteiligten unter Wahrung ihrer prozessualen Rechte bei hinreichender Beachtung des Öffentlichkeitsgrundsatzes erfolgen (vgl. BGHSt 43, 195 ff.; BGH NJW 2004, 1396, zur Veröffentlichung in BGHSt vorgesehen). Dies gilt insbesondere im Hinblick auf die Wahrung der freien Willensentschließung des Angeklagten (BGHSt 43, 195, 204). Nach ständiger Rechtsprechung darf deshalb im Rahmen von Verständigungsgesprächen nicht mit einer überhöhten Strafe gedroht werden oder durch Versprechen eines gesetzlich nicht vorgesehenen Vorteils der Angeklagte zu einem Geständnis gedrängt werden (BGHSt aaO).
Entsprechend diesen Grundsätzen dürfen die vom Gericht ernsthaft aufgezeigten Strafgrenzen nicht so weit auseinanderfallen, daß die Willensfreiheit des Angeklagten ungebührlich beeinträchtigt wird. Die Differenz zwischen zwei Jahren Freiheitsstrafe mit Aussetzung zur Bewährung und sechs Jahren Freiheitsstrafe ist nicht mehr mit der strafmildernden Wirkung von Geständnis und Schadenswiedergutmachung im Rahmen schuldangemessenen Strafens zu erklären (vgl. BGH StV 2002, 637, 639; Salditt StraFo 2003, 98). Dieses Vorgehen kann nur noch als massives Druckmittel zur Erwirkung eines verfahrensverkürzenden Geständnisses verstanden werden; die kaum nachvollziehbare Untersuchungshaftanordnung und -vollstreckung im vorliegenden Fall verstärkt diesen Eindruck (vgl. zum unangemessenen Einsatz von Untersuchungshaftvollzug bei Verständigungen BGH, Beschl. vom 20. April 2004 – 5 StR 11/04). Ein solches Verhalten ist rechtsstaatlich nicht hinnehmbar.
Unterschriften
Harms, Basdorf, Raum, Brause, Schaal
Fundstellen
BFH/NV Beilage 2005, 122 |
NWB 2004, 3628 |
NStZ 2004, 577 |
NStZ 2005, 520 |
wistra 2004, 424 |
wistra 2004, 470 |
GuT 2004, 194 |
StV 2004, 470 |
StraFo 2004, 349 |
BFH/NV-Beilage 2005, 122 |