Verfahrensgang
LG Bonn (Urteil vom 23.06.2014) |
Tenor
1. Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bonn vom 23. Juni 2014 aufgehoben; jedoch bleiben die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen aufrechterhalten.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weitergehenden Revisionen werden verworfen.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat die Angeklagte V. wegen schweren Menschenhandels zum Zweck der sexuellen Ausbeutung gemäß § 232 Abs. 4 Nr. 1 Var. 2 StGB in Tateinheit mit Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung gemäß § 232 Abs. 1 Satz 1 StGB und Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung gemäß § 232 Abs. 1 Satz 2 StGB zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und den Angeklagten D. wegen nämlicher Delikte unter Einbeziehung einer weiteren Strafe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Die auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision der Angeklagten hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg.
Rz. 2
1. Die Verurteilung wegen Menschenhandels zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung einer Person unter 21 Jahren gemäß § 232 Abs. 1 Satz 2 StGB hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die Annahme des Landgerichts, die Angeklagten hätten das Alter der unter 21 Jahre alten Zeugin (vor Beginn der Prostitutionsaufnahme) gekannt, ist nicht hinreichend belegt. Dass die Angeklagten – wie das Landgericht meint – über die Familienverhältnisse „bestens” informiert gewesen seien, ergibt sich nicht aus dem Gespräch im Auto, bei dem die Angeklagte der Nebenklägerin erklärte, ihre Tante L. habe sie verkauft (und dieses Geld müsse sie nun an die Angeklagten zurückzahlen). Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass die Angeklagten bei dem „Kauf” der Nebenklägerin deren Alter erfahren hätten, ergeben sich aus den Feststellungen nicht. Dass dies entsprechend den landgerichtlichen Erwägungen nicht fernliegend sei, stellt sich als eine bloße Vermutung dar, die den gezogenen Schluss nicht zu tragen vermag. Auch der Umstand, dass auf einer aufgefundenen „Preisliste” zur Frage möglicher Freier nach dem Alter der Mädchen „20 jare” vermerkt gewesen sei, lässt dies keinen Rückschluss darauf zu, dass die Angeklagten das Alter der Nebenklägerin tatsächlich gekannt haben. Soweit die Strafkammer im Übrigen darauf abgestellt hat, ihr Alter sei jedenfalls bekannt gewesen, nachdem für die Nebenklägerin neue Papiere organisiert worden seien, belegt dies nur die Kenntnis der Angeklagten V., und dies auch frühestens ab Anfang September 2009.
Rz. 3
Überdies lässt sich den Feststellungen nicht entnehmen, dass die Nebenklägerin zu diesem Zeitpunkt noch – wie es der Tatbestand voraussetzt – von der bzw. den Angeklagten zur „Aufnahme oder Fortsetzung der Prostitution” gebracht worden ist. Mitte August 2009 hatte die Nebenklägerin den Zeugen M. kennen gelernt, den sie später dann auch heiratete. Dieser hatte sich alsbald in sie verliebt und zahlte fortan 500 EUR pro Nacht an die Angeklagte V., damit die Nebenklägerin nicht länger „auf den Strich” gehen musste, und verbrachte vier bis fünf Mal in der Woche die Nacht bei ihr. Hierfür brauchte er sämtliche Barmittel auf und nahm schließlich sogar einen Barkredit auf. Dass das Verhältnis der Nebenklägerin zu dem Zeugen M. ein prostitutives gewesen wäre, ist nicht festgestellt; ebenso nicht, dass die Nebenklägerin bis zu ihrer Flucht mit dem Zeugen M. noch gegen Entgelt mit anderen Freiern sexuelle Handlungen vornehmen musste. Ebenso wenig ist festgestellt, dass die Nebenklägerin in dem abgeurteilten Tatzeitraum bis November 2009 von den Angeklagten dazu gebracht worden ist, sexuelle Handlungen, durch die sie ausgebeutet worden ist, zu begehen.
Rz. 4
Der Senat kann nicht ausschließen, dass noch Feststellungen getroffen werden können, die die Kenntnis der Angeklagten vom Alter der Nebenklägerin zu einem früheren Zeitpunkt und bzw. oder die Fortsetzung der Prostitution oder die Vornahme sexueller Handlungen mit ausbeuterischen Folgen belegen können. Er hebt deshalb den Schuldspruch auf und verweist die Sache an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurück. Davon betroffen ist auch die tateinheitliche, an sich rechtsfehlerfreie Verurteilung wegen der anderen Tatbestandsvarianten des § 232 StGB. Die objektiven Feststellungen zum Tatgeschehen können bestehen bleiben; sie sind von dem aufgezeigten Rechtsfehler nicht betroffen. Der Tatrichter ist nicht gehindert, neue Feststellungen zu treffen, die zu den getroffenen nicht in Widerspruch stehen.
Rz. 5
2. Der Senat weist für die neue Hauptverhandlung darauf hin, dass sich der neue Tatrichter insbesondere mit Blick auf sein mögliches Tatinteresse genauer als bisher mit der Frage zu beschäftigen haben wird, ob der Angeklagte D. als Mittäter gehandelt hat oder nur Gehilfe war.
Unterschriften
Fischer, Krehl, Eschelbach, Ott, Bartel
Fundstellen