Verfahrensgang
LG Dresden (Urteil vom 14.05.2001) |
Tenor
Auf die Revisionen der Angeklagten Dr. W, M, L und A wird das Urteil des Landgerichts Dresden vom 14. Mai 2001 nach § 349 Abs. 4 StPO – auch im Hinblick auf den Mitangeklagten R – mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit es diese Angeklagten betrifft.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Tatbestand
Das Landgericht hat die Angeklagten Dr. W, M und L wegen versuchten Betrugs in vier Fällen zu Gesamtgeldstrafen verurteilt. Den Angeklagten A hat es wegen Beihilfe zum versuchten Betrug in vier Fällen mit einer Gesamtgeldstrafe belegt. Die Revisionen der Angeklagten haben Erfolg. Die Aufhebung ist auf den nicht revidierenden Mitange- klagten R zu erstrecken, gegen den das Landgericht wegen versuchten Betrugs in zwei Fällen eine Gesamtgeldstrafe verhängt hat.
I.
Nach den Feststellungen des Landgerichts waren die Angeklagten Dr. W, M und L Gesellschafter und Geschäftsführer der Lo B GmbH (künftig: LBG). Ende des Jahres 1992 war den Angeklagten bekannt geworden, daß für mehrere Grundstücke in Dresden bislang noch keine Restitutionsansprüche gestellt waren, obwohl eine Rückgabe der Grundstücke nach dem Vermögensgesetz in Betracht kam. Solche Anträge konnten nach § 30a VermG bei den Ämtern für offene Vermögensfragen nur noch bis 31. Dezember 1992 gestellt werden. Ohne aufzudecken, daß eine Bevollmächtigung durch die eigentlich Berechtigten bislang noch nicht erfolgt war, stellten die Angeklagten in deren Namen Restitutionsanträge. Nach ihren Vorstellungen sollten die Berechtigten, die ihnen zu dem Zeitpunkt namentlich noch nicht sicher bekannt waren, die LBG nachträglich bevollmächtigen, wobei gegebenenfalls die Vollmachtserklärungen auf einen Zeitpunkt vor dem 31. Dezember 1992 rückdatiert werden sollten. Die Angeklagten beabsichtigten dann, sich die Restitutionsansprüche von den Berechtigten zu einem – deutlich unter dem Verkehrswert liegenden – günstigen Preis abtreten zu lassen.
Hinsichtlich der in Dresden gelegenen Grundstücke Heinrich-Schütz-Straße und Rähnitzgasse gingen die Angeklagten arbeitsteilig in der beschriebenen Art und Weise vor. Obwohl die Sachbearbeiter des Amts für offene Vermögensfragen eine Rückdatierung der Vollmachten in Betracht gezogen hatten, erfolgte eine Rückübertragung der Grundstücke. Hinsichtlich zweier weiterer Grundstücke in Dresden (Clara-Zetkin-Straße, Augsburger Straße) scheiterte ein Erwerb der Grundstücke im Restitutionsverfahren aus anderen Gründen. Der nicht revidierende Mitangeklagte R war auf Seiten der LBG in den Restitutionsverfahren Rähnitzgasse und Clara-Zetkin-Straße beteiligt.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revisionen der Angeklagten führen zu einer Aufhebung des angefochtenen Urteils, weil das Landgericht die subjektive Seite des Betrugs nicht ausreichend begründet hat.
1. Eine Strafbarkeit wegen Betrugs gemäß § 263 Abs. 1 StGB setzt voraus, daß der Täter in dem Bewußtsein handelt, daß der angestrebte Vermögensvorteil rechtswidrig ist. Die Rechtswidrigkeit des Vermögensvorteils ist Tatbestandsmerkmal des § 263 StGB. Deshalb macht allein der Umstand, daß ein Anspruch durch Mittel der Täuschung realisiert werden soll, den erstrebten Vorteil nicht unrechtmäßig. Wenn das verfolgte Ziel der Rechtsordnung entspricht, wird es nicht dadurch, daß rechtswidrige Mittel zu seiner Verwirklichung angewandt werden, selbst rechtswidrig (BGHSt 3, 160, 162 f.; 20, 136, 137; 42, 268, 271 m. w. N. aus der Rechtsprechung).
In Betracht kommt allenfalls eine Strafbarkeit wegen (untauglichen) Versuchs, wenn der Täter den angestrebten Vermögensvorteil fälschlicherweise als rechtswidrig ansieht (BGHR StGB § 263 Abs. 1 Irrtum 7; BGHSt 42, 268, 273). Hält dagegen der Täter – im umgekehrten Fall – den erstrebten Vermögensvorteil für rechtmäßig, liegt ein Tatbestandsirrtum im Sinne des § 16 Abs. 1 Satz 1 StGB vor. Wer mit Mitteln der Täuschung einen tatsächlich rechtswidrigen, nach seiner Vorstellung aber rechtmäßigen Anspruch durchsetzen will, begeht daher keinen Betrugsversuch (BGHSt 42, 268, 272; BGH, Beschl. vom 30. August 1988 – 5 StR 325/88; OLG Düsseldorf wistra 1992, 74).
2. Das Landgericht setzt sich nicht im ausreichenden Maße damit auseinander, ob die Angeklagten hinsichtlich des Tatbestandsmerkmals der Rechtswidrigkeit des Vermögensvorteils vorsätzlich gehandelt haben. Bei den Besonderheiten der hier gegebenen Verfahrenssituation konnte das Landgericht nicht ohne zusätzliche Gesichtspunkte von einem jedenfalls bedingten Vorsatz der Angeklagten ausgehen.
a) Die Frage, ob die Anmeldung von Restitutionsansprüchen durch einen vollmachtlosen Vertreter von dem Berechtigten rückwirkend (und damit fristwahrend) genehmigt werden kann, ist durch das Bundesverwaltungsgericht erst durch Urteil vom 24. Juni 1999 entschieden und verneint worden (BVerwGE 109, 169 ff.). Die Vorinstanz hatte eine solche Rückwirkung der Genehmigung bejaht. Nach den Feststellungen des landgerichtlichen Urteils ging auch das zuständige Amt für offene Vermögensfragen zum damaligen Zeitpunkt von einer rückwirkenden Genehmigung des vollmachtlosen Handelns aus (UA S. 27). Diese Rechtsauffassung stand auf dem Boden des allgemeinen verfahrensrechtlichen Grundsatzes (vgl. GemSOGB in BVerwGE 69, 380, 381 mit umfänglichen Nachweisen), wonach die Genehmigung regelmäßig – ex tunc – auf den Zeitpunkt der Handlung des vollmachtlosen Vertreters zurückwirkt (§ 89 Abs. 2 ZPO), jedenfalls soweit nichts anderes bestimmt ist (§ 184 Abs. 1 BGB). Dieser Grundsatz gilt auch im Verwaltungsverfahren (vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG 8. Aufl. § 14 Rdn. 20 f.).
b) Das Landgericht schließt auf ein entsprechendes Bewußtsein der Rechtswidrigkeit des Vermögensvorteils bei den Angeklagten im wesentlichen aus dem Umstand, daß sie die Vollmachtsurkunden rückdatiert haben. Ein solcher Schluß von der Täuschungshandlung auf das Bewußtsein der Rechtswidrigkeit des Vermögensvorteils mag im Regelfall gerechtfertigt sein; denn der Täter wird nur dann zum Mittel der Täuschung greifen, wenn er befürchtet, durch wahrheitsgemäße Angaben seinen (vermeintlichen) Anspruch nicht durchsetzen zu können. Im vorliegenden Verfahren bestand jedoch aufgrund der aufgezeigten Rechtslage eine Fallkonstellation, die eine abweichende Würdigung zugelassen hätte.
Zweifel am Vorsatz der Angeklagten lagen bei der hier gegebenen Fallgestaltung nahe und hätten im landgerichtlichen Urteil der Erörterung bedurft. Angesichts der Besonderheiten der verfahrensrechtlichen Situation wäre es denkbar, daß die Angeklagten, von denen zwei Volljuristen waren, davon ausgingen, daß auch in dem Restitutionsverfahren nach dem Vermögensgesetz die Anmeldung vermögensrechtlicher Ansprüche durch einen vollmachtlosen Vertreter wie in anderen Verfahren auch durch den Berechtigten nachträglich genehmigungsfähig ist und die Genehmigung zurückwirkt. Eine Täuschung über den Zeitpunkt der späteren Bevollmächtigung kann dabei von ihnen veranlaßt worden sein, um ein von ihnen befürchtetes Risiko anderer rechtlicher Beurteilung auszuschließen, ohne daß damit schon die Schwelle zum bedingten Vorsatz überschritten worden wäre. Eine solche Täuschungshandlung kann weiterhin aus der Überlegung motiviert sein, das Restitutionsverfahren weitgehend zu beschleunigen und so schon sich damals abzeichnenden Unsicherheiten bezüglich der weiteren Entwicklung der Grundstückswerte entgegenzuwirken.
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs reicht ein Schluß von dem äußeren Tatablauf auf die innere Tatseite nämlich dann nicht ohne weiteres aus, wenn die Annahme eines auch bedingten Vorsatzes ein normatives Verständnis des Täters voraussetzt, das nicht ohne weiteres unterstellt werden kann (vgl. BGH, Beschl. vom 27. November 2002 – 5 StR 127/02 zur Veröffentlichung in BGHSt vorgesehen, NJW 2003, 907, 910; BGH NJW 2003, 1821, 1822 f.).
Ob die Angeklagten jedenfalls mit bedingtem Vorsatz gehandelt haben, bedarf deshalb neuer tatrichterlicher Prüfung. Dabei wird eine umfassende Abwägung des Einzelfalls vorzunehmen sein, bei der neben dem Grad der Wahrscheinlichkeit eines Erfolgseintritts insbesondere die Motive und die Interessenlage der Angeklagten zu beachten sind (vgl. BGHSt 46, 30, 35).
III.
Die Aufhebung des landgerichtlichen Urteils hat der Senat gemäß § 357 StPO auf den Mitangeklagten R erstreckt, weil die nicht ausrei- chende Prüfung der subjektiven Tatseite ihn in gleicher Weise betraf. Der Nichtrevident ist zur Anwendung des § 357 StPO angehört worden und hat ihr nicht widersprochen.
IV.
Im Falle eines neuerlichen Schuldspruchs ist im Rahmen der Strafzumessung die beträchtliche zeitliche Verzögerung, die auch das Revisionsverfahren umfaßt, erheblich zu Gunsten der Angeklagten zu berücksichtigen. Der neue Tatrichter wird den gravierenden Zeitablauf dabei auch unter dem Gesichtspunkt einer Verletzung des Art. 6 Abs. 1 MRK zu würdigen haben.
Unterschriften
Harms, Häger, Basdorf, Gerhardt, Raum
Fundstellen
Haufe-Index 2559317 |
NWB 2004, 37 |
NStZ 2003, 663 |
wistra 2003, 383 |
NJ 2003, 606 |
StV 2003, 671 |
StraFo 2003, 390 |