Verfahrensgang
LG Trier (Urteil vom 31.01.2012) |
Tenor
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Trier vom 31. Januar 2012 – auch soweit der Angeklagte freigesprochen worden ist – mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf der Vergewaltigung freigesprochen und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg.
Rz. 2
1. Nach den Feststellungen der sachverständig beratenen Strafkammer leidet der Angeklagte seit 1997 an einer paranoid-halluzinatorischen Schizophrenie mit inhaltlichen Denkstörungen, paranoider Symptomatik und teilweise eindeutig wahndeterminiertem Verhalten. Eine im Jahr 2004 angeordnete Unterbringung nach § 63 StGB wurde zur Bewährung ausgesetzt und der Angeklagte lebte in der Folgezeit in derselben Therapieeinrichtung wie die später Geschädigte. Im Jahr 2010 nahm er wiederholt die ihm verordneten Medikamente nicht vollständig ein und zeigte sich erhöht aggressiv. Von den weiblichen Bewohnern der Therapieeinrichtung sah er sich zu sexuellen Handlungen gedrängt. Anfang Dezember 2010 fragte er die im Rollstuhl sitzende Geschädigte, ob sie „etwas mit ihm machen wolle”. Die Geschädigte lehnte ab und fuhr in ihr Zimmer. Der Angeklagte folgte ihr und führte dort an der schwerstbehinderten Geschädigten, die aufgrund diverser Lähmungen lediglich das rechte Bein, den linken Arm und die Hand eingeschränkt bewegen und nur leise und undeutlich sprechen konnte, gegen deren Willen den Oralverkehr durch.
Rz. 3
Die Strafkammer ist davon ausgegangen, der Angeklagte sei bei Begehung der Tat schuldunfähig gewesen (§ 20 StGB). Unter dem Einfluss seiner Erkrankung habe bei ihm eine erhöhte Bereitschaft bestanden, dem Sexualtrieb nachzugehen, ohne zuvor andere Handlungsmöglichkeiten zu bedenken. Angesichts seiner Wahnideen sei davon auszugehen, dass er nicht in der Lage war, das Unrecht seines Tuns einzusehen.
Rz. 4
2. Der Maßregelausspruch hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die Voraussetzungen für die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus werden nicht hinreichend belegt. Die Urteilsfeststellungen tragen nicht die für die Anordnung der Maßregel nach § 63 StGB erforderliche Gefährlichkeitsprognose.
Rz. 5
Die grundsätzlich unbefristete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB ist eine außerordentlich belastende Maßnahme, die einen besonders gravierenden Eingriff in die Rechte des Betroffenen darstellt. Sie darf daher nur dann angeordnet werden, wenn neben weiteren Anordnungsvoraussetzungen eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades besteht, der Täter werde infolge seines fortdauernden Zustandes in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen; die zu erwartenden Taten müssen schwere Störungen des Rechtsfriedens besorgen lassen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 18. März 2008 – 4 StR 6/08, Rn. 5; vom 16. Juli 2008 – 2 StR 161/08, Rn. 7; jeweils mwN). Die bloße Möglichkeit zukünftiger Straftaten reicht nicht aus (BGH, Beschlüsse vom 10. September 2008 – 2 StR 291/08, Rn. 7; vom 11. März 2009 – 2 StR 42/09, Rn. 10, NStZ-RR 2009, 198).
Rz. 6
Diese Anordnungsvoraussetzungen werden vorliegend nicht hinreichend belegt. Ungeachtet dessen, dass letztlich unklar bleibt, welche erheblichen rechtswidrigen Taten zur Überzeugung der Strafkammer künftig zu erwarten sind, tragen die widersprüchlichen und ungenauen Ausführungen des Landgerichts nicht die Annahme einer Wahrscheinlichkeit „höheren Grades” für die künftige Begehung dieser Straftaten:
Rz. 7
Die Strafkammer ist nach den Ausführungen des von ihr herangezogenen Sachverständigen davon ausgegangen, dass sich „mit hoher Wahrscheinlichkeit” eine ähnliche wie die vom Angeklagten begangene Tat wiederholen könne. Nach den Ausführungen des Sachverständigen sei zwar die Bereitschaft des Angeklagten für den Einsatz von Gewalt eher gering bis moderat ausgeprägt und eine Bereitschaft für Tötungshandlungen nicht erkennbar. Auch sei die Anlasstat als ein eher zufallsbedingtes Geschehen ohne zielstrebige Tatrealisation zu werten. Der Angeklagte übernehme aber keine Verantwortung für sein Handeln, zeige keine Empathie und sei nicht fähig, sich mit der Tat auseinanderzusetzen. Es liege daher eine „moderate bis deutliche Rückfallgefahr” vor; ohne Therapie oder andere risikosenkende Maßnahmen sei eine Rückfallfreiheit zwar möglich, jedoch nicht wahrscheinlich. Im Weiteren wird ausgeführt, die Legalprognose sei „aktuell sehr ungünstig, im günstigsten Fall neutral”. In Freiheit sei mit „deutlicher” Wahrscheinlichkeit wieder mit Delinquenz zu rechnen; bei nicht genügender Medikation sei „durchaus” mit Gewaltdelikten, wie Körperverletzungen aber auch mit Sexualstraftaten und Tötungsdelikten zu rechnen. Im Anschluss an den Sachverständigen ist die Strafkammer schließlich davon ausgegangen, dass zumindest langfristig mit erneuten schwerwiegenden Straftaten „zu rechnen” sei.
Rz. 8
3. Die Sache bedarf daher insgesamt der neuen Verhandlung und Entscheidung. Der Senat war durch den Umstand, dass allein der Angeklagte Revision eingelegt hat, nicht gehindert, auch den Freispruch aufzuheben (§ 358 Abs. 2 Satz 2 StPO; vgl. BGH StraFo 2010, 55 mwN). Zwar begegnet die den Feststellungen zugrunde liegende Beweiswürdigung im Hinblick auf die zum Nachteil der Geschädigten begangene rechtswidrige Anlasstat keinen rechtlichen Bedenken. Die Annahme der Schuldunfähigkeit des Angeklagten wird indes nicht widerspruchsfrei begründet. Soweit das Landgericht ausgeführt hat, bei dem Angeklagten habe krankheitsbedingt offenbar eine erhöhte Bereitschaft bestanden, ohne vorherige Erwägung anderer Handlungsmöglichkeiten dem Sexualtrieb nachzugehen, spricht dies eher dafür, dass der Angeklagte nicht oder nur erheblich eingeschränkt in der Lage war, sein Verhalten entsprechend seiner noch vorhandenen Unrechtseinsicht zu steuern. Demgegenüber ist die Strafkammer im Ergebnis davon ausgegangen, der Angeklagte sei wahnbedingt schon nicht in der Lage gewesen, das Unrecht seines Handels zu erkennen. Im Hinblick darauf und um dem Tatrichter einheitliche Feststellungen zu ermöglichen, war auch der den Angeklagten für sich genommenen nicht beschwerende Freispruch aufzuheben.
Rz. 9
4. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat darauf hin, dass insbesondere vor dem Hintergrund, dass der Angeklagte vorliegend nur mit einer Anlasstat in Erscheinung getreten ist, die zudem nicht mit der Anwendung von körperlicher Gewalt verbunden war, auch das delinquente Vorleben des Angeklagten näherer Betrachtung bedarf. Auch dürfen die Zeiträume vor und nach der Tat, in denen der Angeklagte unauffällig geblieben ist, nicht unerörtert bleiben (BGH, Urteil vom 2. März 2011 – 2 StR 550/10, Rn. 11, NStZ-RR 2011, 240, 241). Von daher sind auch Feststellungen dazu erforderlich, wie der Angeklagte, der die Therapieeinrichtung im Dezember 2010 verlassen hat und im Juli 2011 nach § 126a StPO vorläufig untergebracht worden ist, sich im Nachgang zu der Anlasstat verhalten und ob er weitere strafrechtlich relevante und gefährliche Handlungen begangen hat.
Unterschriften
Becker, RiBGH Prof. Dr. Fischer ist erkrankt und daher gehindert zu unterschreiben. Becker, Berger, Krehl, Ott
Fundstellen
Haufe-Index 3506689 |
NStZ-RR 2015, 200 |