Verfahrensgang
LG Essen (Urteil vom 12.03.2012) |
Tenor
1. Die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Essen vom 12. März 2012 werden als unbegründet verworfen.
2. Die Beschwerdeführer haben die Kosten ihres Rechtsmittels, die dadurch entstandenen besonderen Kosten des Adhäsionsverfahrens und die im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen des Neben- und Adhäsionsklägers zu tragen.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten P. wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen in Tateinheit mit Verbreitung, Erwerb und Besitz von kinderpornografischen Schriften, wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in sechs Fällen sowie wegen Verbreitung, Erwerb und Besitz von kinderpornografischen Schriften in Tateinheit mit Verbreitung von gewalt- und tierpornografischen Schriften zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren und die Angeklagte R. wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen sowie wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Ferner wurden Adhäsionsentscheidungen getroffen. Gegen dieses Urteil haben beide Angeklagte Revision eingelegt. Beide Rechtsmittel sind offensichtlich unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
I.
Rz. 2
Die von dem Angeklagten P. nach der Antragstellung durch den Generalbundesanwalt erhobenen Einwände gegen die Strafzumessung zeigen keinen durchgreifenden Rechtsfehler auf. Das Landgericht hat zu Recht strafschärfend berücksichtigt, dass der Angeklagte das Tatopfer mit der Angeklagten R. in der Absicht gezeugt hat, es später bereits als Säugling sexuell missbrauchen zu können. Soweit das Landgericht in diesem Zusammenhang ausgeführt hat, der Angeklagte habe seinen eigenen Sohn „einzig und allein auf die Funktion eines Sexualobjektes reduziert”, liegt darin kein Verstoß gegen § 46 Abs. 3 StGB. Zwar sind derartige Formulierungen grundsätzlich nicht unbedenklich (vgl. BGH, Beschluss vom 21. Mai 2003 – 2 StR 143/03), doch durfte hier die sich von üblichen Missbrauchsfällen abhebende, die gesamte Existenz des Tatopfers umfassende Herabwürdigung durch den Angeklagten strafschärfend berücksichtigt werden. Dies gilt umso mehr, als es sich bei den §§ 176a, 174 Abs. 1 Nr. 3 StGB nicht um Straftaten handelt, die ausschließlich gegen die sexuelle Selbstbestimmung gerichtet sind (vgl. BGH, Beschluss vom 10. August 2000 – 1 StR 343/00, NStZ 2001, 28, 29).
II.
Rz. 3
Die Verurteilung der Angeklagten R. im Fall II. 2b der Urteilsgründe wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern gemäß § 176 Abs. 5 StGB in der Alternative des Anbietens begegnet keinen rechtlichen Bedenken.
Rz. 4
1. Nach den Feststellungen trafen sich die Angeklagte R. und der Angeklagte P. mehrfach, um zuvor im Internet abgesprochene sexuelle Rollenspiele auszuleben. Dabei hatten beide Gefallen an sadomasochistischen Praktiken. Im Juni 2010 bekundete der Angeklagte P. Interesse an einer Einbeziehung von Säuglingen in die sexuellen Handlungen, weil er deren Saugreflexe bei oralen Penetrationen ausnutzen wollte. Daraufhin spiegelte die Angeklagte R. dem Angeklagten P. vor, Mutter eines 10 Monate alten Säuglings mit dem Namen „N.” zu sein und bot ihm mehrfach an, ihr (nicht existierendes) Kind für sexuelle Kontakte zur Verfügung zu stellen. Zur Untermauerung ihrer Angebote übersandte sie dem Angeklagten P. Fotos unbekannter Kinder und behauptete, dass es sich um Bilder ihres Sohnes handeln würde. Dabei war sich die Angeklagte R. bewusst, dass der Angeklagte P. ihre Angebote ernst nahm. Durch ihr Verhalten wollte sie den Angeklagten P. an sich binden, um die Beziehung zu ihm fortsetzen zu können.
Rz. 5
2. Der Tatbestand des § 176 Abs. 5 StGB in der Alternative des „Anbietens” ist erfüllt, wenn der Täter gegenüber einer oder mehreren Personen ausdrücklich oder konkludent erklärt, dass er willens und in der Lage ist, ein Kind für sexuelle Handlungen im Sinne der Absätze 1 bis 4 zur Verfügung zu stellen (vgl. Fischer, StGB, 59. Aufl., § 176 Rn. 22; LK-StGB/Hörnle, 12. Aufl., § 176 Rn. 102; Lackner/Kühl, StGB, 27. Aufl., § 176 Rn. 6; MK-StGB/Renzikowski, 2. Aufl., § 176 Rn. 50; Gössel, Das neue Sexualstrafrecht, § 6 Rn. 30). Dabei ist es nicht erforderlich, dass er sein Versprechen auch erfüllen will. Es reicht aus, wenn das Angebot als ernst gemeint erscheinen kann und der Täter dies in seinen (bedingten) Vorsatz aufgenommen hat (vgl. BT-Drucks. 15/350, S. 18; Fischer, StGB, 59. Aufl., § 176 Rn. 22; HK-GS/Laue, 2. Aufl., § 176 StGB Rn. 10; von Heintschel-Heinegg, StGB, § 176 Rn. 32; Lackner/Kühl, StGB, 27. Aufl., § 176 Rn. 6; NK-StGB/Frommel, 3. Aufl., § 176 Rn. 24; Amelung/ Funcke-Auffermann, StraFo 2004, 265, 267; Frühsorger, Der Straftatbestand des sexuellen Kindesmissbrauchs gemäß § 176 StGB, S. 238 ff.; Gössel, Das neue Sexualstrafrecht, § 6 Rn. 31; Thalheimer, Die Vorfeldstrafbarkeit nach §§ 30, 31 StGB, S. 220 ff.). Die Gegenauffassung, wonach nur Angebote den Tatbestand des § 176 Abs. 5 StGB erfüllen können, denen der Täter auch nachzukommen beabsichtigt (LK-StGB/Hörnle, 12. Aufl., § 176 Rn. 103; SSW-StGB/Wolters, § 176 Rn. 37; Perron/Eisele in Schönke/Schröder, StGB, 28. Aufl., § 176 Rn. 20; SK-StGB/Wolters, § 176 Rn. 31), widerspricht dem Willen des Gesetzgebers (zur Gesetzeskritik vgl. Funcke-Auffermann, Symbolische Gesetzgebung im Lichte der positiven Generalprävention, S. 122 ff.; Amelung/ Funcke-Auffermann, StraFo 2004, 265, 267; Duttge/Hörnle/Renzikowski, NJW 2004, 1065, 1068). Anlass für die Regelung des § 176 Abs. 5 StGB war ein Fall, in dem ein Ehepaar unter anderem vom Vorwurf der Verabredung zu Verbrechen nach den §§ 176a, 176b StGB a.F. freigesprochen worden war, das einem potentiellen Kunden ihres „S/M-Studios” telefonisch die Beschaffung eines Kindes für extrem sadistische Praktiken angeboten hatte. Der vom Bundesgerichtshof bestätigte Freispruch erfolgte, weil sich das Landgericht nicht davon überzeugen konnte, dass das Angebot tatsächlich ernst gemeint war und auch eine Bestrafung nach § 111 StGB ausschied (vgl. BGH, Urteil vom 7. April 1998 – 1 StR 801/97, NStZ 1998, 403 f.). Daraufhin wurden vom Bundesrat (BT-Drucks. 14/1125) und aus der Mitte des Bundestages (BT-Drucks. 14/6709 und 15/29) unter ausdrücklicher Bezugnahme auf diesen Fall mehrere Gesetzesentwürfe vorgelegt, die jeweils eine Erweiterung des § 176 StGB um einen gesonderten Tatbestand vorsahen. Dadurch sollte die Strafbarkeitslücke geschlossen werden, die bei § 30 StGB in Bezug auf nicht erweislich ernst gemeinte Angebote von Kindern für Missbrauchstaten besteht (BT-Drucks. 14/1125, S. 1 und 5; 14/6709, S. 1 und 7; 15/29, S. 10). Diese Entwürfe sahen gleichlautend zunächst nur vor, das Versprechen des Nachweises eines Kindes für Missbrauchstaten gesondert unter Strafe zu stellen. Durch den Gesetzesentwurf der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vom 28. Januar 2003 wurde der neu zu schaffende Tatbestand – bei gleichbleibender Zielsetzung – um die Varianten des „Anbietens” und der „Verabredung” ergänzt (BT-Drucks. 15/350, S. 6 und 18). Soweit dabei in der Begründung davon die Rede ist, dass der Tatbestand „keine Ernstlichkeit des Versprechens” erfordert (BT-Drucks. 15/350, S. 18), gilt dies mit Rücksicht auf die Vorgeschichte und den Kontext nicht nur für das Versprechen des Nachweises einer Gelegenheit, sondern ersichtlich auch für die angefügte Tatmodalität des Anbietens (LK-StGB/Hörnle, 12. Aufl., § 176 Rn. 103). Dieser Gesetzesentwurf liegt § 176 Abs. 5 StGB in der geltenden Fassung zugrunde.
Unterschriften
Roggenbuck, Cierniak, Franke, Quentin, Reiter
Fundstellen
Haufe-Index 3485972 |
NStZ 2013, 224 |
NStZ-RR 2013, 362 |
NStZ-RR 2014, 8 |
NJW-Spezial 2013, 26 |
StV 2013, 744 |