Entscheidungsstichwort (Thema)
Erledigung des staatlichen Strafanspruchs. Versuchte Vergiftung
Leitsatz (amtlich)
Zu den verfahrensrechtlichen Wirkungen des Todes des Angeklagten nach der Verkündung des tatrichterlichen Urteils.
Normenkette
StPO 1975 §§ 206a, 296, 465 Abs. 3
Tenor
Die Revision der Beschwerdeführerin gegen das Urteil des Landgerichts Regensburg vom 31. Juli 1981 wird als unzulässig verworfen.
Die Beschwerdeführerin hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
Gründe
1.
Das Landgericht Regensburg hatte den Angeklagten am 31. Juli 1981 wegen zwei Verbrechen der versuchten Vergiftung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt. Der Angeklagte verstarb am gleichen Tage. Sein Verteidiger legte "namens und im Auftrag des Verstorbenen" Revision ein, nahm das Rechtsmittel jedoch nach Antragstellung des Generalbundesanwalts rechtswirksam zurück. Das Urteil wurde nicht mehr schriftlich abgesetzt. Mit Schriftsatz vom 5. Juli 1982 an den Bundesgerichtshof hat nunmehr die Ehefrau des Angeklagten Revision eingelegt; sie will mit dem Rechtsmittel erreichen, daß das Urteil vom 31. Juli 1981 beseitigt und die Unschuld des Angeklagten festgestellt wird.
2.
Die Revision ist nicht zulässig. Selbst wenn man die Rechtsmittelbefugnis der Beschwerdeführerin unterstellt, wäre sie an die Vorschriften gebunden, die das Gesetz für die Form und Frist des Rechtsmittels vorgesehen hat (vgl. § 298 StPO). Nach § 341 Abs. 1 StPO muß die Revision bei dem Gericht eingelegt werden, dessen Urteil angefochten wird, und zwar binnen einer Woche nach Verkündung des Urteils. Beide Voraussetzungen sind nicht erfüllt.
Davon abgesehen steht der Beschwerdeführerin das Rechtsmittel auch nicht zu. Stirbt der Angeklagte vor dem rechtskräftigen Abschluß des Strafverfahrens, so endet das Verfahren ohne weiteres von selbst; der staatliche Strafanspruch, der sich nur gegen eine lebende Person richten kann, hat seine Erledigung gefunden. Der ausdrücklichen und förmlichen Einstellung des Verfahrens bedarf es nicht; sie hätte nur deklaratorische Bedeutung (OLG Jena bei Alsberg Entsch. 3, 154; BayObLGSt 1902, 320; OLG Darmstadt DStRZ 1915, 174; OLG Königsberg JW 1924, 1789; OLG Stuttgart ZStW 45, 406, 408; OLG Jena JW 1929, 1080; KG HRR 1930 Nr. 859; KG JW 1930, 1524; BayObLGSt 1960, 141, 143; 1961, 291; OLG Hamm MDR 1970, 1030; OLG Celle NJW 1971, 2182; OLG Stuttgart AnwBl. 1972, 330; OLG München NJW 1973, 1515; KG GA 1974, 79; OLG Oldenburg NdsRpfl. 1975, 23; OLG Hamm OLGSt § 467 S. 141; OLG München JurBüro 1976, 788; OLG Schleswig NJW 1978, 1016; OLG Düsseldorf JMBlNW 1978, 240; LG Stade MDR 1971, 68; LG Aurich NdsRpfl. 1979, 20; LG Darmstadt KostRspr. § 464 Nr. 195; LG Kleve MDR 1981, 606; Karlsruher Kommentar § 465 Rdn. 6; Eb. Schmidt, Lehrkomm. StPO 2. Aufl. Teil I Nr. 149; Paulus in KMR 7. Aufl. § 206 a Rdn. 38; Kleinknecht 35. Aufl. § 206 a Rdn. 8; a.A. RG HRR 1926 Nr. 993; OLG Dresden GA 46, 365; OLG Frankfurt NJW 1982, 1891; Meyer-Goßner in Löwe-Rosenberg, 23. Aufl. § 206 a Rdn. 28 ff.; Schmidt in Festschrift für Karl Schäfer S. 231, 239; Lampe NJW 1974, 1856). Ein bis dahin ergangenes Urteil kann nicht mehr in Rechtskraft erwachsen und wird gegenstandslos; die Vollstreckung in den Nachlaß des Verurteilten ist unzulässig (vgl. § 465 Abs. 3 StPO). Weitere Sachentscheidungen dürfen nicht getroffen werden (OLG Celle NJW 1971, 2182; OLG München NJW 1973, 1515; KG GA 1974, 79; Karlsruher Kommentar a.a.O.; Paulus a.a.O.; Kleinknecht a.a.O.). Wegen der höchstpersönlichen Natur des Streitgegenstands ist eine Rechtsnachfolge in der Sache ausgeschlossen; die Erben oder Angehörigen des Verstorbenen treten nicht in seine Rechtsstellung als Beschuldigter ein und können daher das Verfahren auch nicht fortsetzen (RGSt 18, 14, 21; KG JR 1968, 432; OLG Stuttgart AnwBl. 1972, 330; OLG München MDR 1973, 336; KG GA 1974, 79; OLG München JurBüro 1976, 788; Gollwitzer in Löwe-Rosenberg, 23. Aufl. § 296 Rdn. 3). § 393 Abs. 2 StPO, wonach die Privatklage nach dem Tode des Klägers unter gewissen Voraussetzungen fortgeführt werden kann, beruht auf einer anderen Interessenlage und gestattet deshalb keine ausdehnende Auslegung. Weil die Entscheidung keinerlei Rechtswirkungen entfaltet, der Angeklagte also als nicht verurteilt gilt, besteht für seine Angehörigen - anders als im Fall der Wiederaufnahme eines durch rechtskräftiges Urteil abgeschlossenen Verfahrens gemäß § 361 StPO - kein Bedürfnis, das Urteil förmlich zu beseitigen und den Verstorbenen zu rehabilitieren.
Ob in Abweichung von den dargelegten Grundsätzen wenigstens über die Kosten und Auslagen des bisherigen Verfahrens entschieden werden darf ( bejahend ; BGH KostRspr. § 464 Nr. 75; OLG Dresden GA 46, 365; OLG Hamm NJW 1971, 209; OLG Hamm MDR 1970, 1030; OLG Hamburg NJW 1971, 2183; OLG Stuttgart AnwBl. 1972, 330; OLG Bamberg JurBüro 1973, 662; OLG Hamm NJW 1978, 177; OLG Frankfurt NJW 1982, 1891; LG Köln KostRspr. § 464 Nr. 198; Müller in KMR 7. Aufl. § 465 Rdn. 18; Kleinknecht a.a.O. § 467 Rdn. 19; Schmidt in Festschrift für Karl Schäfer S. 231, 239; ders., Die Vergütung des Strafverteidigers, 2. Aufl. S. 97 ff; Lampe NJW 1974, 1856; Kühl NJW 1978, 977; verneinend : OLG Darmstadt DStRZ 1915, 174; OLG Königsberg JW 1924, 1789; OLG Stuttgart ZStW 45, 406, 408; OLG Jena JW 1929, 1080; KG HRR 1930 Nr. 859; KG JW 1930, 1524; BayObLGSt 1961, 291; OLG Celle NJW 1971, 2182; OLG München NJW 1973, 1515; KG GA 1974, 79; OLG Koblenz JurBüro 1974, 1556; OLG Oldenburg NdsRpfl. 1975, 23; OLG München JurBüro 1976, 788; OLG Karlsruhe Justiz 1977, 243; OLG Schleswig NJW 1978, 1016; OLG Koblenz GA 1979, 192; OLG Düsseldorf JMBlNW 1978, 240; LG Waldshut AnwBl. 1971, 56; LG Stade MDR 1971, 68; LG Tübingen AnwBl. 1974, 190; LG Aurich NdsRpfl. 1979, 20; LG Darmstadt KostRspr. § 464 Nr. 195; LG Kleve MDR 1981, 606; Schäfer in Löwe-Rosenberg 23. Aufl. § 467 Rdn. 12 ff, 18 m.w.N.; Karlsruher Kommentar § 465 Rdn. 6), kann dahingestellt bleiben.
Eine solche Entscheidung wird von der Beschwerdeführerin nicht begehrt; sie könnte auch nur vom Landgericht getroffen werden, weil dieses Gericht im Zeitpunkt des Todes des Angeklagten mit der Sache befaßt gewesen ist.
Unterschriften
Herdegen
Ulsamer
Maul
Schikora
Schimansky
Fundstellen
Haufe-Index 1456182 |
JZ 1983, 466 |