Entscheidungsstichwort (Thema)
schwerer Raub mit Todesfolge
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bielefeld vom 24. Juni 1999, soweit es ihn betrifft, im Strafausspruch mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Insoweit wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gemeinschaftlich begangenen schweren Raubes mit Todesfolge in Tateinheit mit Aussetzung und gefährlicher Körperverletzung unter Einbeziehung eines auf sieben Monate Jugendstrafe lautenden früheren Urteils zu einer Einheitsjugendstrafe von acht Jahren verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner – wie die Ausführungen der Begründungsschrift ergeben – auf den Strafausspruch beschränkten Revision. Das auf die Verletzung sachlichen Rechts gestützte Rechtsmittel hat Erfolg.
Die Erwägungen, mit denen das Landgericht eine alkoholbedingte erheblich verminderte Steuerungsfähigkeit (§ 21 StGB) bei dem Angeklagten zur Tatzeit verneint hat, halten rechtlicher Prüfung nicht stand. Zwar begegnet es keinen rechtlichen Bedenken, daß das Landgericht „von einer zugrunde zu legenden Blutalkoholkonzentration von 3,60 [permil]” ausgegangen ist, es aber „dem Blutalkoholwert bereits deswegen geringere Beweisbedeutung beigemessen (hat), weil dieser bei einer längeren Trinkzeit ≪hier: „8,5 Stunden”, UA 28≫ lediglich aufgrund von Trinkmengenangaben rechnerisch ermittelt worden ist” (UA 29). Dies ist nicht – wie der Generalbundesanwalt meint – „widersprüchlich und deshalb auch rechtsfehlerhaft”, sondern entspricht der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH NJW 1998, 3427, 3428 = NStZ 1998, 457, 458 = StV 1998, 537, 538). Auch nach der Entscheidung BGHSt 43, 66 hat die – unter Beachtung des Zweifelsgrundsatzes – festgestellte Tatzeit-Blutalkohol-konzentration allerdings insofern Bedeutung, als sie Aufschluß über die Stärke der alkoholischen Beeinflussung gibt und in diesem Sinne ein zwar nicht allgemein gültiges, aber immerhin gewichtiges Beweisanzeichen neben anderen ist (st. Rspr.; BGH NStZ 1997, 592 = StV 1998, 257 f.; BGHR StGB § 21 BAK 35 m.w.N.). Das hat das Landgericht an sich auch nicht verkannt. Es hat aber nicht genügend beachtet, daß die Anforderungen an die Aussagekraft der für die Annahme uneingeschränkter Steuerungsfähigkeit trotz erheblicher Alkoholisierung herangezogenen psycho-diagnostischen Kriterien umso größer sind, je höher der Wert der zugrundegelegten Blutalkoholkonzentration ist. Dies gilt namentlich dann, wenn sich die Blutalkoholkonzentration dem Wert von 3 [permil] (bzw. 3,3 [permil] bei schwerwiegenden Gewaltdelikten) nähert oder sie diesen – wie hier – überschreitet, von dem ab nach der Rechtsprechung regelmäßig Schuldunfähigkeit (§ 20 StGB) zu erörtern ist (BGH NStZ 1996, 227 = StV 1996, 204).
Ungeachtet des dem Tatrichter insoweit eröffneten Beurteilungsspielraums (BGHR StGB § 21 Ursachen, mehrere 13 a.E.; BGH, Beschlüsse vom 3. Dezember 1998 - 4 StR 606/98 = BA 1999, 179, 180 und vom 15. April 1999 - 4 StR 93/99 = BA 1999, 303, insoweit in NStZ 1999, 501 nicht mitabgedruckt), war es dem Landgericht zwar nicht verwehrt, die hochgradige Alkoholgewöhnung des Angeklagten und seine genaue, auch die Motivationslage einschließende Erinnerung für die Annahme uneingeschränkter Steuerungsfähigkeit heranzuziehen (BGH NStZ-RR 1999, 297 m.w.N.). Ob eine solche Aussagekraft auch der Entscheidung der Tatbeteiligten zukommt, das Opfer nicht, wie ursprünglich geplant, in der Wohnung des Mitangeklagten A., sondern bereits auf dem Wege dorthin auszurauben, könnte zweifelhaft sein, zumal das Urteil die Möglichkeit offen läßt, daß der Entschluß hierzu wesentlich auf Veranlassung des – erheblich weniger alkoholisierten – A. gefaßt wurde. Doch mag dies dahinstehen; denn jedenfalls läßt die Heranziehung der weiteren Umstände (nämlich: daß der Angeklagte „in der Lage (war), sich unbemerkt mit dem Fuß den auf dem Boden liegenden 10,00 DM-Schein zu ‚angeln’”, er „folgerichtig … mit der Gerüstknarre auf einen vermeintlichen K.O.-Punkt im Schulterbereich des (Tatopfers) schlagen wollte” und er „in der Lage (war), (dem Tatopfer) die neue und daher enge Jeanshose auszuziehen”; UA 30), nicht erkennen, ob das Landgericht dabei bedacht hat, daß „eingeschliffenes” Verhalten und „schlichte Handlungsmuster” jedenfalls nicht ohne weiteres geeignet sind, die Indizwirkung einer hohen BAK zu entkräften (BGHSt 43, 66, 70; BGH BA 1999, 179, 180; BGH NStZ 1997, 592; BGH, Beschluß vom 13. November 1997 - 4 StR 539/97 - insoweit in StV 1998, 481 nicht mitabgedruckt). Im übrigen war zu berücksichtigen, daß der Angeklagte ausweislich der zu seinen persönlichen Verhältnissen getroffenen Feststellungen „im nüchternen Zustand ein friedlicher Mensch” ist, er demgegenüber aber die „Schwäche” hat „aggressiv” zu werden, „wenn er Alkohol trinkt” (UA 12). Dies läßt auf eine gesteigerte alkoholbedingte Einschränkung der Impulskontrolle und damit der Steuerungsfähigkeit des – zudem heranwachsenden (BGH StV 1992, 432; BGH, Beschluß vom 6. Februar 1997 - 4 StR 510/96) – Angeklagten schließen. Damit hat sich hat das Landgericht nicht – wie es hier geboten war (BGH BA 1999, 179, 180) – auseinandergesetzt.
Auf dem aufgezeigten Rechtsfehler beruht der Strafausspruch (§ 337 StPO). Zwar hat die Jugendkammer den Strafausspruch auch auf die Erwägung gestützt, „daß dem Angeklagten … die Milderungsmöglichkeit des § 49 StGB auch deshalb zu versagen wäre, weil er unter Alkoholeinfluß aggressiv wird und zu Tätlichkeiten neigt, was er auch weiß” (UA 30). Dies begründet hier aber weder an sich (vgl. BGHSt 34, 29, 33; 43, 66, 78; BGH NStZ-RR 1999, 295 f.) noch als Hilfserwägung (vgl. BGHSt 7, 359; Tröndle/Fischer StGB 49. Aufl. § 21 Rdn. 8 m.w.N.) einen durchgreifenden Rechtsfehler, weil bei Anwendung von Jugendrecht die Strafrahmen des allgemeinen Strafrechts nicht gelten (§ 18 Abs. 1 Satz 3 JGG). Auch wenn der Schuldgewichtung nach allgemeinem Strafrecht dort jedenfalls eine Limitierungsfunktion zukommt (vgl. dazu Eisenberg JGG 7. Aufl. § 18 Rdn. 15 ff. m.N.), durfte das Landgericht innerhalb dieses Rahmens bei der für die Bemessung der Einheitsjugendstrafe erforderlichen Bestimmung des Erziehungsbedarfs („erzieherisch notwendig”, UA 34) auch den Umstand werten, daß der Angeklagte die schwerwiegende Tat nach Alkoholkonsum begangen hat, obwohl er weiß, daß er „in angetrunkenem Zustand aggressiv” wird. Gleichwohl kann der Senat nicht ausschließen, daß das Landgericht auf eine mildere Strafe erkannt hätte, wenn es zur Anwendung des § 21 StGB gelangt wäre.
Unterschriften
Meyer-Goßner, Maatz, Kuckein, Solin-Stojanovi[cacute], Ernemann
Fundstellen
Haufe-Index 540839 |
NStZ 2000, 136 |