Verfahrensgang
LG Koblenz (Urteil vom 23.05.2011) |
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten B. wird das Urteil des Landgerichts Koblenz vom 23. Mai 2011 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit von der Anordnung der Unterbringung dieses Angeklagten in einer Entziehungsanstalt abgesehen worden ist.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Banden-handels mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in sechs Fällen sowie wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in sieben Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Von der Unterbringung dieses Angeklagten in einer Entziehungsanstalt hat es abgesehen. Der Beschwerdeführer rügt die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Sein Rechtsmittel hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
Rz. 2
1. Die Rüge der Verletzung formellen Rechts ist nicht ausgeführt und deshalb unzulässig.
Rz. 3
2. Die Überprüfung des Urteils auf die Sachrüge hat im Schuld- und Strafausspruch aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts keine Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
Rz. 4
3. Hingegen hält die Nichtanordnung einer Maßregel gemäß § 64 StGB einer rechtlichen Überprüfung nicht stand. Der Generalbundesanwalt hat dazu ausgeführt:
„Nach den Feststellungen konsumierte der Angeklagte, der bereits im Alter von 15 Jahren mit dem Genuss von Marihuana begonnen und ab 1998 für zwei Jahre Ecstasy konsumiert hatte, ab 1999 – mit zeitlichen Unterbrechungen – regelmäßig, seit März 2010 täglich Amphetamin (UA S. 23 f.). Nach den Ausführungen des in der Hauptverhandlung gehörten Sachverständigen liegt bei dem Angeklagten ein Abhängigkeitssyndrom von Cannabinoiden und Stimulanzien vor (UA S. 109 i.V.m. S. 69 ff.). Das Landgericht hat weiter festgestellt, dass die urteilsgegenständlichen Taten des Angeklagten auf seiner Betäubungsmittelabhängigkeit beruhten. Die Kammer hat eine Unterbringung des Angeklagten in einer Ent-ziehungsanstalt unter Bezugnahme auf die Entscheidung BGH NStZ 2004, 494 abgelehnt, in welcher der 1. Strafsenat des Bundesgerichts-hofes ausgeführt hatte, dass eine Tendenz zum Betäubungsmittelmissbrauch ohne Depravation und erhebliche Persönlichkeitsstörung nicht ausreichend sei, um einen Hang anzunehmen. Dies hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Der 1. Strafsenat hat in einer späteren Entscheidung (BGH NStZ 2007, 697) klargestellt, dass ein Hang i.S.d. § 64 StGB keine Depravation voraussetzt. „Depravation” und „erhebliche Persönlichkeitsstörung” können im Zusammenhang mit der Frage des Vorliegens eines Hanges zum übermäßigen Konsum von Betäubungsmitteln nicht gleichgesetzt werden mit den Anforderungen, die die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs für die Annahme einer erheblichen Verminderung der Schuldfähigkeit wegen Betäubungsmittelabhängigkeit stellt. Danach begründet die Abhängigkeit von Betäubungsmitteln eine erhebliche Verminderung der Steuerungs-fähigkeit nur ausnahmsweise, z.B. wenn langjähriger Betäubungsmittelgenuss zu schwersten Persönlichkeitsänderungen geführt hat. Solche schwersten Persönlichkeitsstörungen müssen für die Bejahung eines Hanges zum übermäßigen Konsum von Betäubungsmitteln nicht vorliegen (vgl. Senat, Beschluss vom 10. August 2007 – 2 StR 344/07). Die Formulierungen in dem angefochtenen Urteil lassen besorgen, dass die Strafkammer insoweit zu hohe Anforderungen gestellt hat. Hang i.S.v. § 64 StGB verlangt eine chronische, auf körperlicher Sucht beruhende Abhängigkeit oder zumindest eine eingewurzelte, auf psychischer Disposition beruhende oder durch Übung erworbene intensive Neigung, immer wieder Alkohol oder andere Rauschmittel zu sich zu nehmen, wobei auch das Fehlen ausgeprägter Entzugssyndrome sowie Intervalle der Abstinenz dem nicht entgegenstehen (BGH NStZ-RR 2010, 216; Fischer StGB 58. Aufl. § 64 Rn. 9 m.w.N.).
Ein solches Verhalten legen die Urteilsfeststellungen zumindest nahe. Die festgestellten Umstände legen auch nahe, dass der Angeklagte Betäubungsmittel im Übermaß konsumiert. Denn ausreichend für die Annahme eines Hanges zum übermäßigen Genuss von Rauschmitteln ist jedenfalls, dass der Betroffene aufgrund seiner Abhängigkeit sozial gefährdet oder gefährlich erscheint (vgl. BGH NStZ 2005, 210; Senatsbeschlüsse vom 10. September 1997 – 2 StR 416/97 und vom 10. August 2007 – 2 StR 344/07). Das kommt nicht nur dann in Betracht, wenn der Betroffene Rauschmittel in einem solchen Umfang zu sich nimmt, dass seine Gesundheit, Arbeits- und Leistungsfähigkeit dadurch erheblich beeinträchtigt werden, sondern insbesondere auch bei Beschaffungskriminalität. Die Annahme, dass der Angeklagte seine Handelstätigkeit zumindest auch zu dem Zweck durchgeführt hat, seinen eigenen Konsum zu finanzieren, drängt sich angesichts der Urteilsfeststellungen auf. Einer etwaigen Nachholung der Unterbringung steht nicht entgegen, dass ausschließlich der Angeklagte Revision eingelegt hat (§ 358 Abs. 2 Satz 2 StPO; BGHSt 37, 5).”
Rz. 5
Dem folgt der Senat und schließt aus, dass die Freiheitsstrafe niedriger ausgefallen wäre, wenn das Landgericht zugleich die Unterbringung des Angeklagten angeordnet hätte.
Unterschriften
Fischer, Appl, Berger, Eschelbach, Ott
Fundstellen
Haufe-Index 2847866 |
NStZ-RR 2012, 71 |
StV 2012, 282 |