Leitsatz (amtlich)
Zur Ausgangskontrolle fristgebundener Anwaltsschriftsätze.
Normenkette
ZPO § 85 Abs. 2, § 233
Verfahrensgang
OLG Frankfurt am Main (Beschluss vom 09.10.2013; Aktenzeichen 16 U 143/13) |
LG Frankfurt am Main (Urteil vom 04.07.2013; Aktenzeichen 2-10 O 383/12) |
Tenor
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 16. Zivilsenats des OLG Frankfurt vom 9.10.2013 wird auf Kosten des Klägers als unzulässig verworfen.
Beschwerdewert: 7.906,78 EUR
Gründe
I.
Rz. 1
Dem Kläger ist das klageabweisende Urteil des LG am 9.7.2013 zugestellt worden. Gegen dieses Urteil hat er rechtzeitig Berufung eingelegt. Mit Schriftsatz vom 9.9.2013, der am 10.9.2013 beim OLG eingegangen ist, hat er beantragt, die Frist zur Begründung der Berufung bis zum 9.10.2013 zu verlängern. Das OLG hat die Frist mit Verfügung vom 11.9.2013 antragsgemäß verlängert. Vor Zugang dieser Verfügung hat der Kläger mit Schriftsatz vom 16.9.2013 beantragt, ihm Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Frist zur Berufungsbegründung zu gewähren. Im selben Schriftsatz hat er nochmals beantragt, die Frist zur Berufungsbegründung bis zum 9.10.2013 zu verlängern. Mit Verfügung vom 19.9.2013 hat das OLG die Frist zur Berufungsbegründung bis zum 21.10.2013 verlängert. Die Berufungsbegründung ist am 14.10.2013 bei Gericht eingegangen.
Rz. 2
Der Kläger hat geltend gemacht, seine Prozessbevollmächtigte, Rechtsanwältin K., habe den Fristverlängerungsantrag bereits in der Woche vor dem Fristablauf diktiert und mit der Begleitverfügung versehen, dass dieser Schriftsatz am 9.9.2013 ausgefertigt, ihr zur Unterschrift vorgelegt und fristwahrend vom Sekretariat gefaxt werden solle. Die Rechtsanwaltsfachangestellte B. habe den Schriftsatz am Freitag, dem 6.9.2013, mit Datum 9.9.2013 ausgefertigt und Rechtsanwältin K., die an jenem Tag Urlaub gehabt habe, in einer Unterschriftsmappe auf den Schreibtisch gelegt. Völlig unvorhersehbar sei Rechtsanwältin K. am Morgen des 9.9.2013 aufgrund einer akuten Erkrankung in ihrer Wohnung zusammengebrochen, habe sich einer Notoperation unterziehen müssen und befinde sich seither im Koma. Davon habe man in der Anwaltskanzlei am 9.9.2013 noch keine Kenntnis gehabt. Frau B. habe zunächst geglaubt, Rechtsanwältin K. werde im Laufe des Tages im Büro erscheinen. Gegen 18.00 Uhr habe Frau B. das Büro verlassen und dabei sowohl die in der vorliegenden Sache zu wahrende Frist als auch die in dem Büro von Rechtsanwältin K. liegende Unterschriftenmappe vergessen. Das Büro von Rechtsanwältin K. sei von außen nicht einsehbar, weshalb ihr die Mappe im Laufe des Tages nicht mehr aufgefallen sei. Aus diesem Grund habe sie auch keinen anderen Rechtsanwalt auf die Fristsache angesprochen, obwohl sie für solche Fälle allgemein angewiesen sei, die kanzleiintern zuständige Rechtsanwältin anzurufen, und wenn sie sie nicht erreiche, deren Vertreterin oder einen in der Kanzlei anwesenden Rechtsanwalt auf den Fristablauf anzusprechen. Am 9.9.2013 um 18.00 Uhr sei Rechtsanwältin Ku. noch anwesend gewesen. Die Büroorganisation sei generell so geregelt, dass eine Fristversäumung weitestgehend ausgeschlossen sei. Es gebe feste Fristenregelungen, wonach diejenige Bürokraft, die konkret mit der Fristenwahrung beauftragt sei - unabhängig davon, ob dies durch persönliche Ansprache oder im Wege eines Diktats erfolgt sei, - bis zur vollständigen Erledigung die Vorgänge der Fristwahrung überwache und diese erst dann als erledigt austrage. Diese Bürokraft sei auch für eine Fristenkontrolle am Ende des Tages zuständig. Im Arbeitsvertrag mit Frau B. sei ihr Aufgabenbereich fest umschrieben. Sie habe die Aufgaben einer Rechtsanwaltsfachangestellten; mithin sei ihr sowohl generell als auch im Besonderen die Wahrung der Fristen im Rahmen der Büroorganisation aufgetragen gewesen. Frau B. habe den Umstand, dass die Frist noch zu wahren gewesen sei, schlicht und einfach vergessen.
Rz. 3
Das OLG hat das Wiedereinsetzungsgesuch mit Beschluss vom 9.10.2013 zurückgewiesen, weil es nicht den Anforderungen des § 236 Abs. 2 Satz 2 ZPO entspreche. Der Kläger habe die versäumte Prozesshandlung nicht innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist nachgeholt. Die irrtümlich bewilligte Fristverlängerung für die Einreichung der Berufungsbegründung sei unwirksam und habe keinen Vertrauenstatbestand geschaffen. Mit der Rechtsbeschwerde begehrt der Kläger die Aufhebung dieses Beschlusses und Wiedereinsetzung in die versäumte Frist zur Begründung der Berufung, hilfsweise Zurückverweisung.
II.
Rz. 4
Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO i.V.m. §§ 522 Abs. 1 Satz 4, 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Sie ist jedoch nicht zulässig, weil die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO nicht erfüllt sind. Die Rechtssache wirft weder entscheidungserhebliche Fragen von grundsätzlicher Bedeutung oder zur Fortbildung des Rechts auf noch erfordert sie die Zulassung der Rechtsbeschwerde zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung.
Rz. 5
1. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde beruht der angefochtene Beschluss weder auf einer Verletzung des verfahrensrechtlich gewährleisteten Anspruchs des Klägers auf wirkungsvollen Rechtsschutz und auf ein faires Verfahren (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip) noch auf einem Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz in seiner Ausprägung als Willkürverbot (Art. 3 Abs. 1 GG). Dem Kläger wird insb. nicht der Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert.
Rz. 6
a) Es kann offen bleiben, ob dem Kläger, der seine Berufungsbegründung erst am 14.10.2013 und damit nach Ablauf der für die Nachholung der versäumten Prozesshandlung geltenden einmonatigen Frist des § 236 Abs. 2 Satz 2 ZPO eingereicht hat, ein Verschulden an der Versäumung dieser Frist angelastet werden kann oder ihm wegen der irreführenden Fristverlängerung durch das Berufungsgericht vom 19.9.2013 - auf seinen konkludenten Antrag im Schriftsatz vom 14.10.2013 oder von Amts wegen - Wiedereinsetzung wegen der Versäumung der Frist des § 236 Abs. 2 Satz 2 ZPO zu gewähren wäre (vgl. BVerfGE 110, 339, 343 ff.; BGH, Beschl. v. 7.6.1999 - II ZB 25/98, VersR 2000, 647, 648).
Rz. 7
b) Das Berufungsgericht hat dem Kläger die beantragte Wiedereinsetzung im Ergebnis zu Recht versagt, weil die Versäumung der Frist zur Berufungsbegründung auf einem Verschulden seiner Prozessbevollmächtigten beruht, das ihm nach § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnen ist. Der Kläger hat weder dargetan noch glaubhaft gemacht, dass seine Prozessbevollmächtigte durch eine ordnungsgemäße Organisation der Fristenkontrolle in ihrer Kanzlei dafür Sorge getragen hat, dass Rechtsmittelfristen nicht versäumt werden.
Rz. 8
aa) Nach der gefestigten Rechtsprechung des BGH gehört es zu den Aufgaben des Prozessbevollmächtigten, dafür Sorge zu tragen, dass ein fristgebundener Schriftsatz rechtzeitig erstellt wird und innerhalb der Frist bei dem zuständigen Gericht eingeht. Zu diesem Zweck muss der Prozessbevollmächtigte nicht nur sicherstellen, dass ihm die Akten von Verfahren, in denen Rechtsmittel- oder Rechtsmittelbegründungsfristen laufen, rechtzeitig vorgelegt werden. Er muss vielmehr zusätzlich eine Ausgangskontrolle schaffen, durch die zuverlässig gewährleistet wird, dass fristwahrende Schriftsätze auch tatsächlich rechtzeitig hinausgehen. Da für die Ausgangskontrolle in jedem Anwaltsbüro ein Fristenkalender unabdingbar ist, muss der Rechtsanwalt sicherstellen, dass die im Kalender vermerkten Fristen erst gestrichen werden (oder ihre Erledigung sonst kenntlich gemacht wird), wenn die fristwahrende Maßnahme durchgeführt, der Schriftsatz also gefertigt und abgesandt oder zumindest postfertig gemacht, die weitere Beförderung der ausgehenden Post also organisatorisch zuverlässig vorbereitet worden ist. Dabei ist der für die Kontrolle zuständige Angestellte anzuweisen, Fristen im Kalender grundsätzlich erst zu streichen oder als erledigt zu kennzeichnen, nachdem er sich anhand der Akte vergewissert hat, dass zweifelsfrei nichts mehr zu veranlassen ist (vgl. BGH v. 8.1.2013 - VI ZB 78/11, VersR 2014, 645 Rz. 10; BGH, Beschl. v. 23.1.2013 - XII ZB 559/12, VersR 2013, 1330 Rz. 6; v. 27.11.2013 - III ZB 46/13, juris Rz. 8, jeweils m.w.N.). Schließlich gehört zu einer wirksamen Ausgangskontrolle auch eine Anordnung des Prozessbevollmächtigten, durch die gewährleistet wird, dass die Erledigung der fristgebundenen Sachen am Abend eines jeden Arbeitstages anhand des Fristenkalenders von einer dazu beauftragten Bürokraft überprüft wird (st.Rspr., s. etwa BGH, Beschl. v. 17.1.2012 - VI ZB 11/11, VersR 2012, 1009 Rz. 9; v. 12.4.2011 - VI ZB 6/10, VersR 2012, 506 Rz. 7 f.; BGH, Beschl. v. 4.11.2014 - VIII ZB 38/14, juris Rz. 8 f.; v. 16.7.2014 - IV ZB 40/13, juris Rz. 9; v. 27.11.2013 - III ZB 46/13, juris Rz. 8; v. 23.4.2013 - X ZB 13/12, juris Rz. 9; v. 27.3.2012 - II ZB 10/11, NJW-RR 2012, 745, 746 Rz. 9; v. 16.2.2010 - VIII ZB 76/09, NJW 2010, 1378, Rz. 7).
Rz. 9
bb) Der Begründung des Wiedereinsetzungsantrags ist nicht zu entnehmen, dass in der Kanzlei der Prozessbevollmächtigten des Klägers die danach erforderlichen organisatorischen Vorkehrungen getroffen wurden. Obwohl der Prozessbevollmächtigte der Beklagten mit Schriftsatz vom 26.9.2013 ausdrücklich auf das Fehlen jeglichen Vortrags zur Ausgangskontrolle hingewiesen hatte, hat der Kläger weder dargetan noch glaubhaft gemacht, dass eine Kanzleianweisung besteht, aufgrund derer Rechtsmittelfristen in einen Fristenkalender einzutragen und erst zu streichen sind, wenn die fristwahrende Maßnahme durchgeführt ist. Ebenso wenig ist eine Anordnung der Prozessbevollmächtigten dargetan, durch die gewährleistet wird, dass die Erledigung der fristgebundenen Sachen am Abend eines jeden Arbeitstages anhand des Fristenkalenders von einer dazu beauftragten Bürokraft überprüft wird.
Rz. 10
cc) Die unzureichende Ausgangskontrolle in der Kanzlei der Prozessbevollmächtigten des Klägers war auch kausal für die Fristversäumung. Hätte die Prozessbevollmächtigte des Klägers Vorkehrungen dafür getroffen, dass die im Kalender vermerkten Fristen erst gestrichen werden, wenn die fristwahrende Maßnahme durchgeführt ist, und die Erledigung der fristgebundenen Sachen am Abend eines jeden Arbeitstages anhand des Fristenkalenders von einer dazu beauftragten Bürokraft überprüft wird, so wäre die Berufungsbegründungsfrist nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge gewahrt worden (vgl. zur Kausalität BGH v. 13.7.2010 - VI ZB 1/10, NJW 2011, 151 Rz. 9; Zöller/Greger, ZPO, 28. Aufl., § 233 Rz. 22). Denn dann hätte es sich nicht ausgewirkt, dass Frau B. die Frist und die Postmappe im Büro der Prozessbevollmächtigten des Klägers am 9.9.2013 "schlicht und einfach vergessen" hatte. Vielmehr wäre bei der gebotenen Fristenkontrolle aufgefallen, dass der Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist, dem das OLG in der Folge stattgegeben hat, noch nicht fertiggestellt war. Nach dem eigenen Vortrag des Klägers wäre er dann von der noch anwesenden Rechtsanwältin Ku. unterzeichnet und rechtzeitig per Telefax an das OLG übersandt worden. Die Frist wäre dann nicht am 9.9.2013, sondern aufgrund der Verfügung des Senatsvorsitzenden vom 19.9.2013 am 21.10.2013 abgelaufen und durch die am 14.10.2013 eingegangene Berufungsbegründung gewahrt worden.
Fundstellen
Haufe-Index 7558165 |
NWB 2015, 162 |
EBE/BGH 2015, 35 |
FamRZ 2015, 495 |
NJW-RR 2015, 442 |
IBR 2015, 104 |
StuB 2015, 160 |
JZ 2015, 103 |
MDR 2015, 112 |
VersR 2015, 339 |
NWB direkt 2015, 60 |
Rafa-Z 2015, 6 |