Entscheidungsstichwort (Thema)
Verdacht der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung. „Heimatbüro” der PKK / YCK. Bildung einer kriminellen Vereinigung. Anordnung der Haftfortdauer
Leitsatz (redaktionell)
Bei der Anordnung der Haftfortdauer der Untersuchungshaft ist ausreichend, wenn ein dringender Tatverdacht der mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung besteht.Hierfür ist ausreichend, dass der dringende Verdacht besteht, dass der Angeschuldigte als Regionsverantwortlicher einer Region eingesetzt war und das ihm untergeordnete „Heimatbüro” nicht nur als Vorgesetzter geleitet hat, sondern auch in einzelne, konkrete Aktionen zur Beschaffung falscher Papiere eingebunden war.
Normenkette
StGB § 129 Abs. 1; StPO §§ 121-122
Tenor
Die Untersuchungshaft hat fortzudauern.
Eine etwa erforderliche weitere Haftprüfung durch den Bundesgerichtshof findet in drei Monaten statt.
Bis zu diesem Zeitpunkt wird die Haftprüfung dem Bayerischen Obersten Landesgericht übertragen.
Gründe
Der Angeschuldigte befindet sich seit 25. Juni 2001 aufgrund des Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 2. März 2000, neu gefaßt am 26. Juni 2001, in Untersuchungshaft. Ihm wird vorgeworfen, sich in der Zeit von Oktober 1999 bis Februar 2000 als Mitglied an einer innerhalb der PKK/ERNK aus den Führungskadern gebildeten kriminellen Vereinigung beteiligt zu haben. In der Begründung des Haftbefehls wird davon ausgegangen, daß sich der von § 129 Abs. 1 StGB vorausgesetzte kriminelle Charakter der Vereinigung zum einen aus der – mit dem Fälschen von Ausweis- und Aufenthaltspapieren sowie Verstößen gegen das Ausländergesetz verbundenen – Tätigkeit des „Heimatbüros” und zum anderen daraus ergebe, daß die Führung der PKK/ERNK sich vorbehalten habe, vom derzeit friedlichen Kurs zur Anordnung von Straftaten mit „demonstrativem” Charakter überzugehen. Der Angeschuldigte sei als Regionsverantwortlicher bereit gewesen, solche Befehle jederzeit umzusetzen, und habe dafür gesorgt, daß die „Masse aktionsbereit” geblieben sei. Der Generalbundesanwalt hat in seinem Antrag auf Haftfortdauer darauf hingewiesen, daß der Angeschuldigte über den genannten Zeitraum hinaus auch bereits vorher seit 1997 als Europaführer der Jugendorganisation „YCK” innerhalb der Führungszentrale der PKK/ERNK dieser Vereinigung angehört hatte.
1. a) Der Senat stützt seine Haftfortdauerentscheidung gegen den Angeschuldigten nur noch auf den Vorwurf der mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung, deren Tätigkeit und Zwecke auf Straftaten im Zusammenhang mit dem „Heimatbüro” gerichtet sind. Die Ermittlungen belegen den dringenden Verdacht, daß der Angeschuldigte in der Zeit von Oktober 1999 bis Februar 2000 Regionsverantwortlicher der Region Bayern war und in dieser Eigenschaft das ihm untergeordnete „Heimatbüro” nicht nur als Vorgesetzter geleitet hat, sondern in einzelne, konkrete Aktionen zur Beschaffung falscher Papiere eingebunden war. Wegen der Einzelheiten wird auf das wesentliche Ergebnis der Ermittlungen der zwischenzeitlich zum Bayerischen Obersten Landesgericht erhobenen Anklage vom 20. Dezember 2001 (S. 66 f.) verwiesen (vgl. zum „Heimatbüro” BGHR StGB § 129 Straftaten 1).
b) Da der vorstehend dargelegte Tatverdacht die Anordnung der Fortdauer der Untersuchungshaft rechtfertigt, kann der Senat im Rahmen dieser Entscheidung offen lassen, ob die dem Haftbefehl zugrunde gelegte Auffassung zutrifft, die Führungsebene der PKK/ERNK stelle derzeit auch deswegen eine kriminelle Vereinigung dar, weil sie zwar nach dem Frühjahr 1999 „demonstrative” Straftaten wie Hausfriedensbruch, Landfriedensbruch, Körperverletzung, Sachbeschädigung, Nötigung und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte nicht mehr nachweisbar durchgeführt oder gesteuert hat, sich allerdings vorbehalten habe, „jederzeit mit sonstigen Gewalttaten auf Situationen und so bezeichnete Provokationen zu reagieren, die nach ihrer Ansicht Leib und Leben des Parteiführers Öcalan gefährden oder den Bestand der Parteistrukturen bedrohen könnten”. Hiergegen könnten Bedenken bestehen, weil die Zwecke oder die Tätigkeit einer kriminellen Vereinigung im Sinne des § 129 StGB in der Weise darauf gerichtet sein müssen, Straftaten zu begehen, daß diese nicht nur von untergeordneter Bedeutung, sondern in dem Sinne wesentlich und mit anderen Zwecken oder Tätigkeiten gleichgeordnet sind, daß durch das strafrechtswidrige Verhalten das Erscheinungsbild der Vereinigung aus der Sicht informierter Dritter mitgeprägt wird (BGHSt 41, 47, 56). Dies bedarf angesichts des Kurswechsels der PKK, die ihre Ziele nunmehr mit friedlichen und politischen Mitteln erreichen will, einerseits und des Umstandes andererseits, wonach die Voraussetzungen einer Rückkehr zu „demonstrativen” Straftaten nur relativ vage definiert sind und auch ein zeitlicher Rahmen nicht absehbar ist, einer genaueren Prüfung in der Hauptverhandlung (vgl. Beschluß des Senats vom 20. Dezember 2001 – AK 21/01).
c) Der Senat braucht auch nicht zu entscheiden, ob zur Stützung der Haftfortdauerentscheidung der vorangegangene Zeitraum der Tätigkeit des Angeschuldigten als Europaführer der „YCK” herangezogen werden könnte. Dies erscheint zweifelhaft, da nach dem zur Tatzeit geltenden Rechtszustand nur inländische kriminelle Vereinigungen, bzw. im Inland bestehende Teilorganisationen solcher Vereinigungen von § 129 StGB erfaßt waren (vgl. BGHSt 30, 328; BayObLG NStZ-RR 1997, 251 m.w.N.). Da der Angeschuldigte in diesem Zeitraum eine Kaderfunktion auf europäischer Ebene innehatte (Europaverantwortlicher der „YCK”), sich überwiegend in Lagern bei Arnheim/Niederlande aufgehalten und dort die Ausbildung von Jugendlichen geleitet hatte (S. 56 der Anklage), versteht es sich nicht von selbst, daß er als Mitglied im Sinne des § 129 StGB der in Deutschland gebildeten und aus den hiesigen Funktionärskadern gebildeten Teilorganisation angehört hatte.
2. Wegen des Haftgrundes der Fluchtgefahr wird auf die Gründe des Haftbefehls Bezug genommen. Ihr kann durch weniger einschneidende Maßnahmen nach § 116 StPO nicht begegnet werden. Die Fortdauer der Untersuchungshaft ist auch in Anbetracht des eingeschränkten Tatvorwurfs derzeit noch nicht unverhältnismäßig. Bei der zu erwartenden Strafe wegen der viermonatigen Tätigkeit als Regionsverantwortlicher in Bayern ist zu berücksichtigen, daß die militanten Aktionen des Angeschuldigten im Rahmen seiner Tätigkeit als Europaverantwortlicher der „YCK” im Wege der Strafzumessung herangezogen werden können. Dem in Haftsachen geltenden Beschleunigungsgrundsatz nach § 121 Abs. 1 StPO ist Rechnung getragen worden, da zwischenzeitlich Anklage zum Bayerischen Obersten Landesgericht eingereicht worden ist.
Unterschriften
Tolksdorf, Becker, Winkler
Fundstellen