Verfahrensgang
LG Arnsberg (Urteil vom 25.08.2005) |
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Arnsberg vom 25. August 2005 im Strafausspruch mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine allgemeine Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und acht Monaten verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er das Verfahren beanstandet und die Verletzung sachlichen Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat zum Strafausspruch Erfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
Rz. 2
1. Die Überprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung hat zum Schuldspruch keinen den Angeklagten benachteiligenden Rechtsfehler ergeben. Insoweit verweist der Senat auf die zutreffenden Ausführungen in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 30. November 2005.
Rz. 3
2. Dagegen hält der Strafausspruch der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
Rz. 4
Hintergrund der der Verurteilung zu Grunde liegenden Tat, bei der der bislang strafrechtlich nicht in Erscheinung getretene Angeklagte dem Zahnarzt F. in dessen Praxis einen Stich mit einem Messer in den Oberschenkel versetzte, war: Die älteste Tochter des Angeklagten hatte mit dem Geschädigten, in dessen Praxis sie eine Ausbildung absolvierte, ein intimes Verhältnis, welches der Geschädigte, um seine eigene Ehe zu retten, beendet hatte, nachdem seine Ehefrau zwei Tage vor der Tat von der außerehelichen Beziehung Kenntnis erhalten hatte. Dies hatte die Tochter dem noch dem traditionellen türkisch-muslimischen Kulturkreis verhafteten Angeklagten erst am Vortag der Tat im Krankenhaus offenbart, in das sie nach einem Selbstmordversuch eingeliefert worden war. Der Angeklagte war „schockiert und reagierte zunächst verwirrt. (…) Er war sehr in Sorge um seine Tochter und fühlte zudem die Ehre der Tochter, der Familie und seine eigene beschmutzt”. Am Tattage suchte er die Praxis des Geschädigten auf, „um die Angelegenheit zu klären”. Bei dem Gespräch mit dem Geschädigten leugnete dieser, mit der Tochter des Angeklagten intim geworden zu sein. Darüber geriet der „ohnehin nervlich angespannt(e)” Angeklagte zusätzlich in Wut und beschloss deshalb, den Geschädigten „zur Bestrafung” mit dem Messer anzugreifen.
Rz. 5
Trotz dieses besonderen Tathintergrundes hat die Schwurgerichtskammer das Vorliegen eines minder schweren Falles der gefährlichen Körperverletzung (§ 224 Abs. 1 Halbs. 2 StGB) verneint und die Strafe dem Regelstrafrahmen entnommen. Dies begegnet hier durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
Rz. 6
Der Generalbundesanwalt hat hierzu ausgeführt:
„Grundsätzlich ist die Strafzumessung – und damit auch die Bestimmung des Strafrahmens – Sache des Tatrichters, dessen Entscheiden das Revisionsgericht auch dann hinzunehmen hat, wenn eine andere Entscheidung ebenso möglich gewesen wäre oder sogar näher gelegen hätte. Unter Berücksichtigung aller Gesichtspunkte, insbesondere auch der Vorgeschichte der Tat und des Verhaltens des Geschädigten der Tochter des Angeklagten gegenüber nach der Aufdeckung ihres Verhältnisses, sowie der Täterpersönlichkeit ergibt die Gesamtwürdigung jedoch ein derart eindeutiges Überwiegen der mildernden Faktoren, dass die Entscheidung der Kammer hinsichtlich des Strafrahmens als nicht mehr nachvollziehbar anzusehen ist. Die Kammer selbst hat zahlreiche strafmildernde Umstände aufgelistet (UA S. 23). Die etwas stilfremde Formulierung ‚aufgrund der wenig erfreulichen Vorgeschichte’ (UA S. 23) lässt indes besorgen, dass die Kammer die Mitverantwortung des Geschädigten für die eingetretene Eskalation in ihren Überlegungen nicht hinreichend gewichtet hat. Bei dem gegen eine Strafrahmenverschiebung gewerteten griffbereiten Mitsichführen des Messers beim Betreten der Praxis des Geschädigten ist zudem zu berücksichtigen, dass der Angeklagte das Messer nach seiner unwiderlegten Einlassung nicht im Hinblick auf die Begegnung mit dem Geschädigten eingesteckt hatte (UA S. 7, 14), wofür auch die Feststellung spricht, dass der Angeklagte mit seiner Frau ursprünglich zum Krankenhaus fahren wollte, um die Tochter abzuholen, er sich jedoch bei Fahrtantritt spontan entschlossen hatte, den Geschädigten zur Rede zu stellen (UA S. 7). Für die Beibehaltung des normalen Strafrahmens sprechen nach den Strafzumessungserwägungen letztlich die Angst des Geschädigten bei der Tat und das posttraumatische Belastungssyndrom, unter dem er leidet (UA S. 13, 23). Dies trägt angesichts der gesamten Umstände die Entscheidung der Kammer nicht.”
Rz. 7
Dem schließt sich der Senat an.
Rz. 8
3. Ergänzend zur Antragsschrift des Generalbundesanwalts und vorsorglich für das weitere Verfahren bemerkt der Senat: Die Schwurgerichtskammer hat eine vollständige Aufhebung der Schuldfähigkeit des Angeklagten (§ 20 StGB) zu Recht ausgeschlossen. Der Senat kann angesichts der ohnehin gebotenen Aufhebung des Strafausspruchs auch dahingestellt sein lassen, ob das Landgericht – wie die Revision mit einer Verfahrensbeschwerde rügt – die von der Verteidigung beantragte Einholung eines medizinisch-psychiatrischen Schuldfähigkeitsgutachtens mit Blick auf § 21 StGB im Ergebnis zu Recht abgelehnt hat. Jedenfalls begegnet die Begründung des ablehnenden Beschlusses rechtlichen Bedenken. So ist bereits nicht nachvollziehbar, dass das beantragte Sachverständigengutachten als Beweismittel „völlig ungeeignet” gewesen sei (§ 244 Abs. 3 Satz 2 StPO), denn die von der Schwurgerichtskammer vermissten Anknüpfungstatsachen für die Tatzeitverfassung des Angeklagten waren in dem Beweisantrag hinreichend konkret beschrieben und sind vom Landgericht im Übrigen auch im Urteil festgestellt. Zwar handelt es sich bei der Frage, ob eine Verminderung der Steuerungsfähigkeit „erheblich” im Sinne des § 21 StGB, um eine Rechtsfrage, die vom Gericht ohne Bindung an die Auffassung des Sachverständigen zu beantworten ist (st. Rspr.; BGHSt 43, 66, 77); doch machte auch dies das beantragte Schuldfähigkeitsgutachten nicht zu einem „völlig ungeeigneten” Beweismittel. Soweit das Landgericht im Übrigen die Ablehnung auch auf § 244 Abs. 4 Satz 1 StPO gestützt hat mit der Erwägung, es könne „die Frage der Schuldfähigkeit. .. auf Grund der Beobachtung in der Hauptverhandlung mit seinem medizinischen Allgemeinwissen beurteilen”, kann es sich nicht auf die dort zitierte Entscheidung des Bundesgerichtshofs VRS 39, 101 stützen. In jener Sache hat der Senat vielmehr im Gegenteil entschieden, dass, wenn Anzeichen vorliegen oder unter Beweis gestellt werden, die auch nur eine gewisse Möglichkeit dafür geben, dass der Angeklagte in geistiger Hinsicht von der Norm abweichen könnte, ein Beweisantrag auf eine psychiatrische Untersuchung auch dann nicht abgelehnt werden darf, wenn der Angeklagte selbst in der Hauptverhandlung sich auf einen solchen Zustand nicht beruft.
Rz. 9
4. Da Gegenstand des Verfahrens nur noch ein nicht die Zuständigkeit der Schwurgerichtskammer begründendes Delikt ist, verweist der Senat die Sache an eine allgemeine Strafkammer des Landgerichts zurück.
Unterschriften
Tepperwien, Maatz, Kuckein, Solin-Stojanović, Sost-Scheible
Fundstellen
Haufe-Index 2555345 |
NStZ-RR 2006, 140 |