Verfahrensgang
LG Nürnberg-Fürth (Urteil vom 17.11.2015) |
Tenor
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 17. November 2015 wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Verunglimpfung des Staates und seiner Symbole in Tateinheit mit zwei Fällen der Volksverhetzung in zwei Fällen, wegen Verunglimpfung des Staates und seiner Symbole in Tateinheit mit Volksverhetzung in zwei Fällen sowie wegen Verunglimpfung des Staates und seiner Symbole zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt. Dagegen wendet sich der Beschwerdeführer mit seiner auf die Rügen der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel ist unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
Rz. 2
Die Verfahrensrügen dringen aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts nicht durch. Auch die auf die Sachbeschwerde veranlasste umfassende materiell-rechtliche Überprüfung des Urteils hat zum Schuld- und Strafausspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Der näheren Erörterung bedarf nur Folgendes:
Rz. 3
Zu Recht ist das Landgericht auch in den Fällen B.1.a) und b) sowie B.2.c) der Urteilsgründe von einem Verbreiten von Schriften im Sinne der § 90a Abs. 1 Nr. 1, § 130 Abs. 5 Satz 2, Abs. 3 StGB ausgegangen. Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen übermittelte der Angeklagte in den Fällen B.1.a) und b) der Urteilsgründe im Sinne der vorstehenden Delikte inkriminierte Texte an den Betreiber des im Internet unterhaltenen „J.-Blogs”, damit diese über den Blog veröffentlicht würden. Ob es danach noch zu einer Veröffentlichung der von dem Betreiber empfangenen Artikel kam, hat die Strafkammer nicht feststellen können. Im Fall B.2.c) der Urteilsgründe versandte der Angeklagte einen Brief mit strafbarem Inhalt an … B., den er aufforderte, diesen „abzutippen” und einer möglichst großen Öffentlichkeit zukommen zu lassen. Anders als in zwei vorherigen Fällen, bei denen B. inkriminierte Briefe an zahlreiche Personen weiterverteilt hatte, blieb er nunmehr untätig.
Rz. 4
Diese Feststellungen belegen eine Verbreitung von Schriften durch den Angeklagten. Eine Schrift verbreitet, wer sie ihrer Substanz nach einem größeren Personenkreis zugänglich macht, wobei dieser nach Zahl und Individualität unbestimmt oder jedenfalls so groß sein muss, dass er für den Täter nicht mehr kontrollierbar ist (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteil vom 24. März 1999 – 3 StR 240/98, NJW 1999, 1979, 1980 mwN). Eines Verbreitungserfolgs in dem Sinne, dass ein größerer Personenkreis tatsächlich von der Schrift Kenntnis genommen haben muss oder diese zumindest erlangt hat, bedarf es dabei nicht. Sowohl § 90a Abs. 1 Nr. 1 StGB als auch § 130 Abs. 5 Satz 2, Abs. 3 StGB sind keine Erfolgs-, sondern Tätigkeitsdelikte (Matt/Renzikowski/Becker, StGB, § 90a Rn. 1; Matt/Renzikowski/Altenhain, StGB, § 130 Rn. 4; MüKoStGB/Steinmetz, 3. Aufl., § 90a Rn. 2; MüKoStGB/Schäfer, 3. Aufl., § 130 Rn. 12; Fischer, StGB, 64. Aufl., § 90a Rn. 2, § 130 Rn. 2a). Verbreiten ist daher die Verbreitungstätigkeit an sich, also auch schon das Auf-den-Weg-bringen der Schrift als erster Verbreitungsakt (vgl. bereits RG, Urteil vom 10. Oktober 1887 – Rep. C. 4/87, RGSt 16, 245 f.; Beschluss vom 29. August 1930 – 7 TB 62/30, 64, 292, 293; S/S-Eisele, StGB, 29. Aufl., § 184b Rn. 5a). In den Fällen der sogenannten Mengenverbreitung ist ein vollendetes Verbreiten dementsprechend bereits dann anzunehmen, wenn der Täter das erste Exemplar einer Mehrzahl von ihm zur Verbreitung bestimmter Schriften an einen einzelnen Bezieher abgegeben hat (BGH, Urteil vom 24. März 1999 – 3 StR 240/98, NJW 1999, 1979, 1980 mwN). Auch in der – hier einschlägigen – Fallgruppe der Kettenverbreitung ist das Tatbestandsmerkmal mit der Weitergabe der Schrift an einen einzelnen Empfänger schon dann erfüllt, wenn diese seitens des Täters mit dem Willen geschieht, dass der Empfänger die Schrift durch körperliche Weitergabe einem größeren Personenkreis zugänglich machen werde, oder wenn der Täter mit der Weitergabe an eine größere, nicht mehr zu kontrollierende Zahl von Personen rechnet (st. bisherige Rspr.; vgl. bereits RG, Urteile vom 28. September 1883 – Rep. 1973/83, RGSt 9, 71, 72; vom 8. März 1921 – II 1560/20, RGSt 55, 276, 277; BGH, Urteil vom 24. März 1999 – 3 StR 240/98, NJW 1999, 1979, 1980 mwN; Beschluss vom 4. August 2009 – 3 StR 174/09, juris Rn. 27).
Rz. 5
Soweit hierzu in einzelnen Entscheidungen ausgeführt wird, die Weitergabe einer Schrift an einen einzelnen bestimmten Empfänger reiche noch nicht zur Tatbestandserfüllung aus, wenn nicht feststehe, dass dieser seinerseits die Schrift Dritten überlassen werde (BGH, Urteil vom 22. Dezember 2004 – 2 StR 365/04, NJW 2005, 689, 690; Beschluss vom 16. Mai 2012 – 3 StR 33/12, NStZ 2012, 564; BVerfG, Beschluss vom 9. November 2011 – 1 BvR 461/08, NJW 2012, 1498, 1500), folgt hieraus nicht, dass zur Tatvollendung über die Weitergabe der inkriminierten Schrift vom Täter an seinen Empfänger hinaus objektiv gesichert sein muss, dass es zu weiteren Überlassungen der Schrift an eine oder mehrere Personen kommen wird. Andernfalls könnte die Weitergabe der Schrift an eine einzelne Person entgegen der Grundsätze zur Mengen- und Kettenverbreitung grundsätzlich nicht zur Verwirklichung des Tatbestands ausreichen. Denn eine derartige objektive Sicherheit für künftige Geschehnisse kann im Hinblick auf die stets vorhandenen Unwägbarkeiten der weiteren Entwicklung nicht belegt werden. Ein solches Verständnis ergibt sich aus den genannten Entscheidungen – auch im Hinblick darauf, dass dies eine Abkehr von der ständigen Rechtsprechung schon des Reichsgerichts und diesem später folgend des Bundesgerichtshofs bedeutet hätte – indes nicht; es widerspräche zudem – wie dargelegt – dem Deliktscharakter von § 90a Abs. 1 Nr. 1, § 130 Abs. 2 StGB. Die Ausführungen, es müsse feststehen, dass der Empfänger seinerseits die Schrift an Dritte weiterreichen werde, sind daher so zu verstehen, dass damit der im Zeitpunkt der (ersten) Übergabe der Schrift erforderliche Vorsatz des Täters im Hinblick auf den weiteren Kausalverlauf präzisiert wird. Ob insoweit für die Fälle der Kettenverbreitung zu verlangen ist, dass der Täter im Hinblick auf die Weiterverbreitung der Schrift durch seinen (unmittelbaren) Empfänger absichtlich handelt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 9. November 2011 – 1 BvR 461/08, NJW 2012, 1498, 1500; S/S-Eisele, StGB, 29. Aufl., § 184b Rn. 5a; s. auch BGH, Beschluss vom 4. August 2009 – 3 StR 174/09, juris Rn. 27), oder ob in diesem Zusammenhang auch eine andere Vorsatzform ausreichen kann, bedarf keiner Entscheidung. Dass der Angeklagte in allen Fällen mit der Übersendung seiner Schriften deren Weiterverbreitung bezweckte, ist für die Fälle B.1.b) und B.2.c) der Urteilsgründe ausdrücklich festgestellt; im Fall B.1.a) der Urteilsgründe ergibt sich seine Absicht aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe.
Unterschriften
Becker, Schäfer, Spaniol, Tiemann, Hoch
Fundstellen
Haufe-Index 10764460 |
NStZ 2017, 405 |
NStZ-RR 2017, 205 |
NJW-Spezial 2017, 344 |
StV 2018, 89 |
StraFo 2017, 201 |