Verfahrensgang
LG Trier (Urteil vom 25.07.2017) |
Tenor
1. Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Trier vom 25. Juli 2017 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit ihre Unterbringung in einer Entziehungsanstalt unterblieben ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehenden Revisionen werden verworfen.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat die Angeklagten wie folgt verurteilt: den Angeklagten S. wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in 46 Fällen sowie wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 13 Fällen und den Angeklagten L. wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in 55 Fällen, davon in 54 Fällen in Tateinheit mit Erwerb von Betäubungsmitteln, wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in drei Fällen und wegen Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Handeltreiben mit Betäubungsmitteln jeweils zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten. Weiter hat es Entscheidungen über die Einziehung des Tatertrages getroffen und von der Anordnung der Unterbringung der Angeklagten in einer Entziehungsanstalt abgesehen. Dagegen wenden sich die Beschwerdeführer mit ihren jeweils auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revisionen, die sie in allgemeiner Form erhoben haben. Der Angeklagte L. hat weiter – ebenfalls nur in allgemeiner Form – die Verletzung formellen Rechts beanstandet. Die Rechtsmittel haben auf die Sachrüge den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Erfolg; im Übrigen erweisen sie sich als unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
Rz. 2
1. Die von dem Angeklagten L. erhobene Formalrüge ist nicht ausgeführt und deshalb unzulässig (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO).
Rz. 3
2. Die auf die Sachrügen veranlasste umfassende Überprüfung des Urteils hat zu den jeweiligen Schuld- und Strafaussprüchen sowie zu den Einziehungsentscheidungen keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben. Soweit das Landgericht indes die Unterbringung der Angeklagten in einer Entziehungsanstalt abgelehnt hat, hält das Urteil revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand.
Rz. 4
a) Nach den Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen der Angeklagten konsumierte der Angeklagte S. ab Anfang des Jahres 2016 regelmäßig auch unter der Woche Amphetamin und „THC”, in den letzten drei Monaten vor seiner Inhaftierung täglich ein halbes bis ein Gramm Amphetamin und ein Gramm „THC”. Der Angeklagte L. konsumierte ab dem Jahr 2015 etwa zwei Gramm Amphetamin pro Tag und litt zu Beginn der Untersuchungshaft im vorliegenden Verfahren unter Entzugserscheinungen.
Rz. 5
Die Strafkammer hat – sachverständig beraten – zur Frage der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt ausgeführt, die Angeklagten hätten keine intensive Neigung, Betäubungsmittel zu konsumieren und mithin keinen Hang im Sinne von § 64 StGB. Dagegen spreche, dass die bei beiden vorliegende mittelgradige Abhängigkeit bislang nicht zu einer Depravation ihrer Persönlichkeit und ihres sozialen Gefüges geführt habe. Der Betäubungsmittelkonsum sei nicht der ausschließlich determinierende Faktor in ihrem Leben gewesen, weshalb die Voraussetzungen einer Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nicht vorlägen.
Rz. 6
b) Das Landgericht hat damit für die Annahme eines Hangs im Sinne von § 64 StGB einen unzutreffenden Maßstab angelegt. Hierzu gilt:
Rz. 7
Ein Hang im Sinne von § 64 StGB liegt vor bei einer chronischen, auf körperlicher Sucht beruhenden Abhängigkeit oder zumindest bei einer eingewurzelten, auf psychischer Disposition beruhenden oder durch Übung erworbenen intensiven Neigung, immer wieder Rauschmittel im Übermaß zu sich zu nehmen. Ausreichend ist, dass der Betroffene aufgrund seiner Konsumgewohnheiten sozial gefährdet oder gefährlich erscheint. Dem Umstand, dass durch den Rauschmittelgenuss die Gesundheit, Arbeits- und/oder Leistungsfähigkeit erheblich beeinträchtigt ist, kann insoweit zwar indizielle Bedeutung für das Vorliegen eines Hangs zukommen; das Fehlen solcher Beeinträchtigungen schließt die Bejahung eines Hangs aber nicht aus. Insbesondere bei Beschaffungskriminalität kommt die Annahme eines solchen in Betracht (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschluss vom 9. August 2016 – 3 StR 287/16, juris Rn. 3 mwN).
Rz. 8
Angesichts des festgestellten Konsumverhaltens der Angeklagten lag die Bejahung eines Hangs nicht fern. Ausweislich der Ausführungen zur Strafzumessung hat das Landgericht zudem zu Gunsten beider Angeklagten berücksichtigt, dass sie selbst Betäubungsmittelkonsumenten waren und die Taten – bei dem Angeklagten S. zumindest auch – der Finanzierung ihres eigenen Rauschmittelkonsums dienten; angesichts dessen kann auch das Vorliegen eines symptomatischen Zusammenhangs zwischen dem Hang und der Begehung der Straftaten nicht ausgeschlossen werden.
Rz. 9
Zu den weiteren Anordnungsvoraussetzungen oder Ausschlussgründen verhält sich das landgerichtliche Urteil nicht. Über die Frage der Anordnung der Unterbringung der Angeklagten in einer Entziehungsanstalt muss deshalb neu verhandelt und entschieden werden. Dass nur die Angeklagten Revision eingelegt haben, hindert die etwaige Nachholung einer Unterbringungsanordnung nicht (§ 358 Abs. 2 Satz 3 StPO, vgl. BGH, Urteil vom 10. April 1990 – 1 StR 9/90, BGHSt 37, 5); sie haben die Nichtanwendung des § 64 StGB durch das Tatgericht auch nicht von ihrem Rechtsmittelangriff ausgenommen (vgl. BGH, Urteil vom 7. Oktober 1992 – 2 StR 374/92, BGHSt 38, 362).
Rz. 10
3. Der Senat schließt aus, dass die rechtsfehlerhafte Nichtanordnung der Maßregel nach § 64 StGB Einfluss auf die jeweiligen Strafaussprüche gehabt hat. Diese können daher – wie die davon ohnehin nicht berührten Einziehungsentscheidungen – bestehen bleiben.
Unterschriften
Becker, Gericke, Spaniol, Tiemann, Berg
Fundstellen
Haufe-Index 11530408 |
RPsych 2018, 290 |