Verfahrensgang
LG Hannover (Entscheidung vom 14.07.2023; Aktenzeichen 46 KLs 19/22) |
Tenor
1. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hannover vom 14. Juli 2023 im Maßregelausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird verworfen.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in sieben Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt und eine Einziehungsentscheidung getroffen. Zudem hat es seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet und bestimmt, dass ein Jahr der Strafe vor der Maßregel zu vollziehen ist. Die auf die Verletzung sachlichen Rechts gestützte Revision des Angeklagten führt - ebenso wie das wirksam auf den Maßregelausspruch beschränkte Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft - zur Aufhebung der Unterbringungsentscheidung (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
Rz. 2
1. Während der Schuld- und Strafausspruch ebenso wie die Einziehungsentscheidung revisionsgerichtlicher Überprüfung standhalten, begegnet die Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
Rz. 3
a) Der Senat hat seiner Entscheidung gemäß § 354a StPO die zum 1. Oktober 2023 in Kraft getretene Neufassung des § 64 StGB (BGBl. 2023 I Nr. 203) zugrundezulegen (vgl. BGH, Urteil vom 15. November 2023 - 6 StR 327/23). Die dort normierten und nach § 2 Abs. 6 StGB auch für „Altfälle“ geltenden Voraussetzungen für die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt werden durch das Urteil nicht hinreichend belegt. Das gilt namentlich für den erforderlichen symptomatischen Zusammenhang zwischen dem Substanzkonsum des Täters und der Begehung von Straftaten.
Rz. 4
aa) Die begangene rechtswidrige Tat muss nach der Neufassung von § 64 Satz 1 StGB „überwiegend“ auf den Hang zurückgehen. Durch diese Schärfung des Kausalitätserfordernisses zwischen „Hang“ und „Anlasstat“ erstrebt der Gesetzgeber, dass Personen, bei denen die Straffälligkeit auf andere Ursachen zurückzuführen ist, künftig nicht mehr die Voraussetzungen für eine Unterbringung nach § 64 StGB erfüllen (vgl. BT-Drucks. 20/5913, S. 26). Bloße Mitursächlichkeit des Hangs für die Tat reicht deshalb nur noch dann aus, wenn sie andere Ursachen quantitativ überwiegt (vgl. BGH, Beschlüsse vom 25. Oktober 2023 - 5 StR 246/23; vom 2. November 2023 - 6 StR 316/23; vom 7. November 2023 - 5 StR 345/23; vom 20. November 2023 - 5 StR 407/23). Dies wird insbesondere in Fällen abzulehnen sein, in denen Straftaten begangen werden, um - neben dem Drogenkonsum - den eigenen, womöglich aufwendigen Lebensbedarf zu finanzieren, oder bei einem „Großdealer“, der selbst auch die gehandelte Droge oder ein anderes Suchtmittel konsumiert, und solchen, bei denen suchtunabhängiges dissoziales Verhalten für die Tatbegehung wesentlich war (vgl. BT-Drucks. aaO, S. 47). Hingegen wird ein überwiegender Zusammenhang regelmäßig anzunehmen sein, wenn das delinquente Verhalten seine Motivation etwa im Craving, also im Drogenhunger, oder in der Notwendigkeit zum Erwerb der Substanz hat, um Entzugssymptome zu vermeiden, oder wenn aggressive Handlungen infolge der Abhängigkeit bzw. einer Intoxikation begangen worden sind (vgl. BT-Drucks. aaO). Das Vorliegen dieses Kausalzusammenhangs ist durch das Tatgericht - unter sachverständiger Beratung (§ 246a Abs. 1 Satz 2 StPO) - festzustellen (BT-Drucks. aaO, S. 69 f.; vgl. hierzu bereits BGH, Beschlüsse vom 25. Oktober 2023 - 5 StR 246/23; vom 7. November 2023 - 5 StR 345/23; vom 20. November 2023 - 5 StR 407/23).
Rz. 5
bb) Bei seiner vor Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens getroffenen Entscheidung hat das Landgericht diesen strengeren Anordnungsmaßstab nicht anwenden können. Es hat - sachverständig beraten - festgestellt, dass der erhebliche Konsum von Kokain und Marihuana zumindest „mitursächlich für die verfahrensgegenständlichen Taten“ war (UA S. 16). Damit fehlt eine Aussage zu der nunmehr entscheidenden Frage, inwieweit der Hang das ausschlaggebende („überwiegende“) Motiv war.
Rz. 6
2. Die Frage der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt bedarf somit erneuter Prüfung und Entscheidung. Der Senat hebt die zugehörigen Feststellungen auf, um dem Tatgericht widerspruchsfreie neue Feststellungen, namentlich mit Blick auf Gefährlichkeitsprognose und Behandlungserfolgsaussicht (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 2. November 2023 - 6 StR 316/23) sowie zu den Konsumgewohnheiten des Angeklagten seit Begehung der hier abgeurteilten Taten, zu ermöglichen.
Sander |
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Wenske |
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Fritsche |
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von Schmettau |
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Arnoldi |
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Fundstellen
Haufe-Index 16191172 |
NStZ-RR 2024, 108 |