Verfahrensgang
LG Magdeburg (Urteil vom 04.08.2003) |
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Magdeburg vom 4. August 2003 in den Aussprüchen über die im Fall II. 2. verhängte Einzelstrafe und die Gesamtstrafe mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexueller Nötigung in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung sowie wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung schuldig gesprochen und eine Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten verhängt. Außerdem hat es ihn verurteilt, an die Nebenklägerin ein Schmerzensgeld in Höhe von 5.000 Euro zu bezahlen; von einer weiter gehenden Entscheidung über den Adhäsionsantrag hat es abgesehen. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Verletzung sachlichen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat in dem aus der Beschlußformel ersichtlichen Umfang Erfolg. Im übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
Im Fall II. 2. (Tat vom 15. Februar 2003) hält die Strafzumessung rechtlicher Überprüfung nicht stand.
1. Auf der Grundlage der rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen hat das Landgericht den Angeklagten zu Recht wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung schuldig gesprochen. Es ist davon ausgegangen, daß die Schuldfähigkeit des Angeklagten bei Begehung dieser Tat zwar nicht aufgehoben, jedoch infolge seiner Alkoholisierung nicht ausschließbar im Sinne des § 21 StGB erheblich vermindert war. Der Bemessung der Strafe hat die Strafkammer den Strafrahmen des § 177 Abs. 2 StGB zugrundegelegt und die Einsatzstrafe von fünf Jahren Freiheitsstrafe verhängt. Die Wahl des Strafrahmens hat sie wie folgt begründet: „Bezüglich der zweiten Tat am 15.02.2003 ist hinsichtlich … der Vergewaltigung (…) in § 177 Abs. 2 StGB Freiheitsstrafe von zwei bis zu fünfzehn Jahren angedroht. Ein minder schwerer Fall ist hier gesetzlich nicht vorgesehen. Für die tateinheitlich begangene gefährliche Körperverletzung droht § 224 Abs. 1 StGB eine Höchststrafe von zehn Jahren Freiheitsstrafe an, so daß die gegen den Angeklagten zu verhängende Strafe insoweit dem Strafrahmen des § 177 Abs. 2 StGB zu entnehmen war” (UA 17). Zu einer möglichen Milderung des Strafrahmens des § 177 Abs. 2 StGB gemäß §§ 21, 49 Abs. 1 StGB verhält sich das Urteil nicht.
2. Die Bestimmung des Strafrahmens begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Die Urteilsgründe ergeben nicht, weshalb eine Strafrahmenmilderung unterblieben ist.
Die Ausführungen der Strafkammer lassen vielmehr besorgen, daß sie sich der Möglichkeiten eines Absehens von der Anwendung des erhöhten Strafrahmens nach §§ 177 Abs. 2 StGB nicht bewußt gewesen ist. Zwar ist das Landgericht zu Recht davon ausgegangen, daß der Angeklagte das Regelbeispiel nach § 177 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StGB verwirklicht hat. Nach ständiger Rechtsprechung kann jedoch gleichwohl eine Ausnahme von der Regelwirkung in Betracht kommen, wenn ein Regelbeispiel mit gewichtigen Milderungsgründen zusammentrifft. Der Bestrafung kann dann ausnahmsweise der Normalstrafrahmen des § 177 Abs. 1 StGB zugrundegelegt werden. In extremen Ausnahmefällen – ein solcher liegt hier freilich fern – kann sogar eine weiter gehende Milderung des Normalstrafrahmens (§ 177 Abs. 1 StGB) und die Bemessung der Strafe aus dem Rahmen für den minder schweren Fall (§ 177 Abs. 5 1. Halbs. StGB) in Betracht zu ziehen sein (vgl. BGHR StGB § 177 Abs. 2 Strafrahmenwahl 13 m.w.N.; Tröndle/Fischer StGB 51. Aufl. § 177 Rdn. 38).
Der rechtsfehlerhafte Ansatz der Strafkammer bei Bestimmung des Strafrahmens kann sich hier zum Nachteil des Angeklagten ausgewirkt haben. Zwar führt das Landgericht bei der Strafzumessung im engeren Sinne gewichtige Umstände an, die gegen einen Wegfall der Regelwirkung und eine Heranziehung des niedrigeren Strafrahmens nach § 177 Abs. 1 StGB sprechen. Es hat jedoch weder bei Bestimmung des Strafrahmens noch im Rahmen der Strafzumessung im übrigen bedacht, daß der vertypte Strafmilderungsgrund des § 21 StGB vorliegt. Ein vertypter Strafmilderungsgrund kann aber schon allein oder im Zusammenwirken mit allgemeinen Milderungsgründen ein Abweichen vom Regelstrafrahmen des § 177 Abs. 2 StGB und die Anwendung des Normalstrafrahmens rechtfertigen (vgl. Tröndle/Fischer aaO § 46 Rdn. 92 m.w.N.). Es ist deshalb nicht ausgeschlossen, daß die Strafkammer den für den Angeklagten günstigeren Strafrahmen des § 177 Abs. 1 StGB herangezogen hätte, wenn es diesen Umstand bei Bestimmung des Strafrahmens berücksichtigt hätte.
Wäre das Landgericht mit rechtsfehlerfreien Erwägungen zur Anwendung des Regelstrafrahmens gelangt, hätte es prüfen müssen, ob eine Strafrahmenmilderung nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB in Betracht kommt. Hiermit hat sich die Strafkammer jedoch ebenfalls nicht auseinandergesetzt.
Eine ausdrückliche Entscheidung über eine Strafrahmenmilderung durfte entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts hier auch nicht ausnahmsweise unterbleiben. Zwar kann nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bei einem Täter, der seine erheblich verminderte Schuldfähigkeit durch Alkoholgenuß verschuldet herbeigeführt hat, die Strafmilderung dann versagt werden, wenn er die Neigung hatte, nach Alkoholgenuß Straftaten zu begehen und wenn er sich dieser Neigung bewußt war oder hätte bewußt sein können (vgl. BGHSt 43, 66, 78; BGHR StGB § 21 Strafrahmenverschiebung 14, 22, 30 m.w.N.). Diese Voraussetzungen sind jedoch durch die bisherigen Feststellungen nicht ausreichend belegt.
Die Urteilsgründe lassen zum einen bereits nicht hinreichend deutlich erkennen, daß dem Angeklagten die Alkoholaufnahme zum Vorwurf gemacht werden kann. Nach den Feststellungen konsumiert er seit dem 15. Lebensjahr Alkohol, lebte zur Tatzeit im Alkoholikermilieu und sprach selbst regelmäßig dem Alkohol zu. Bei Begehung der Tat wies er eine Blutalkoholkonzentration von 2,64 ‰ auf. Diese Umstände lassen es jedenfalls nicht ausgeschlossen erscheinen, daß der Angeklagte alkoholkrank war und aufgrund eines unwiderstehlichen Dranges Alkohol trank (vgl. BGHR StGB § 21 Strafrahmenverschiebung 19). Zum anderen kann den knappen Schilderungen der Vorstrafen nicht entnommen werden, daß der Angeklagte bereits früher Gewaltdelikte unter Alkoholeinfluß beging und deshalb damit rechnen mußte, sich erneut zu solchen Straftaten hinreißen zu lassen. Auch insoweit hätte es weiterer Darlegungen bedurft.
Der Strafausspruch im Fall II. 2. muß deshalb aufgehoben werden. Die Aufhebung der Einsatzstrafe zieht die Aufhebung der Gesamtstrafe nach sich.
Unterschriften
Tepperwien, Maatz, Kuckein, Solin-Stojanović, Sost-Scheible
Fundstellen