Entscheidungsstichwort (Thema)
Mord
Leitsatz (amtlich)
Zur Verknüpfung von Verdeckungsabsicht und Tötungsvorsatz sowie zum Rücktritt beim Verdeckungsmord durch Unterlassen.
Normenkette
StGB § 211 Abs. 2, § 13 Abs. 1, § 24 Abs. 1 S. 1 Alt. 1
Verfahrensgang
Tenor
Die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 30. Juni 1999 werden als unbegründet verworfen.
Die Beschwerdeführer haben die Kosten ihres Rechtsmittels und die dadurch den Nebenklägern im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Gründe
Das Landgericht hat die beiden miteinander verheirateten Angeklagten jeweils wegen Mordes in Tateinheit mit Mißhandlung von drei Schutzbefohlenen zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt. Als Mordmerkmal ist Verdeckungsabsicht festgestellt. Die Revisionen der Angeklagten haben keinen Erfolg.
I. Nach den Feststellungen des Landgerichts hatten die Angeklagten eine Großfamilie gegründet, in der sie zuletzt mit drei ehelich geborenen Kindern und drei Pflegekindern lebten. Sie hatten das Pflegekind A. (geboren am 2. Juni 1989) etwa sieben Jahre lang und die Pflegekinder Al. (geboren am 29. Mai 1991) und Ale. (geboren am 9. November 1992) etwa dreieinhalb Jahre lang zur Pflege aufgenommen. Die Kinder waren ihnen in altersgerechtem Entwicklungszustand anvertraut worden. Während die Angeklagten ihre eigenen Kinder gut versorgten, quälten sie die Pflegekinder von Anfang an, um deren Willen zu brechen und sie gefügig zu machen. Dazu setzten sie vor allem auf das natürliche und elementare Bedürfnis nach Nahrung. Sie gaben den Pflegekindern zu wenig, Minderwertiges oder zeitweise gar nichts zu essen. Daneben sperrten sie diese ein und schlugen sie. Die Angeklagten bemerkten und nahmen es hin, wie sie die Kinder dadurch an ihrer Gesundheit schädigten. Diese waren schließlich in ihrer Entwicklung, insbesondere in ihrem Längenwachstum gestört und von sogenanntem psychosozialen Minderwuchs (Kleinwuchs) gezeichnet. Auf dem Hintergrund einer sich im Jahre 1996 entfaltenden Ehe- und Berufskrise, verschärft durch ein scheineheliches Kind der Angeklagten U. R., entglitt ihnen die Kontrolle über die Nahrungszufuhr, mit der sie die Pflegekinder zunächst gerade so weit bei Kräften hielten, daß sie deren Zustand mit erfundenen Geschichten über Epilepsie, Alkoholembryopathie und andere Ursachen gegenüber Außenstehenden plausibel machen konnten.
Nachdem Mitte September 1997 der abgemagerte Zustand der Pflegekinder für jedermann sichtbar war, schotteten die Angeklagten diese von der Außenwelt ab. Sie wollten so verhindern, daß die vorausgegangenen Mißhandlungen aufgedeckt und sie deswegen strafrechtlich verfolgt würden. Insbesondere schickten sie A. nicht mehr zur Schule sowie Al. und Ale. nicht mehr in den Kindergarten. Spätestens Anfang Oktober 1997 erkannten sie, daß die drei Pflegekinder infolge des abgemagerten Zustandes in Lebensgefahr waren, weil deren Körper aufgrund des zuletzt verschärften Nahrungsentzuges auf Fett- und Muskelreserven zurückgegriffen hatte. Gleichwohl konsultierten sie in Kenntnis der tödlichen Gefahr weiter fortschreitender Abmagerung und in weiterer Kenntnis ihrer Handlungspflicht als Pflegeeltern, die für den todbringenden Zustand der Kinder verantwortlich waren, keinen Arzt. Auch dies unterblieb, weil sie befürchteten, die jahrelange Mißhandlung und das Quälen insbesondere durch Nahrungsentzug würde dadurch im gesamten Ausmaß aufgedeckt. Sie versteckten die Pflegekinder im Haus und „wimmelten Besucher ab”. In ihrer angespannten Lebenssituation hofften sie, dennoch nicht ihrer Taten überführt zu werden. Ale. starb infolge der Unterernährung am 27. November 1997. Ein in der Todesnacht doch noch herbeigerufener Notarzt konnte ihn nicht mehr reanimieren. Die beiden anderen Pflegekinder wurden durch ärztliche Hilfe gerettet.
II. Die Revisionen erweisen sich als unbegründet. Die von der Angeklagten U. R. erhobenen Verfahrensrügen greifen aus den in der Zuschrift des Generalbundesanwalts vom 17. Januar 2000 dargelegten Gründen nicht durch. Auch die Sachrügen bleiben ohne Erfolg. Der Erörterung bedarf der Schuldspruch wegen Verdeckungsmordes zum Nachteil des Pflegekindes Ale.. Dieser begegnet keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
1. Die Annahme, die Angeklagten hätten um die tödliche Konsequenz ihres Handelns und Unterlassens im Umgang mit den Pflegekindern gewußt, ist als Element des Tötungsvorsatzes (sog. Wissenselement) von Rechts wegen nicht zu beanstanden. Soweit die Revisionen sich hiergegen wenden, suchen sie lediglich ihre eigene Würdigung an die Stelle derjenigen des Tatrichters zu setzen. Damit können sie nicht durchdringen, weil die Bewertung des Landgerichts hierzu tragfähig ist. Sie weist weder Widersprüche noch Lücken auf; auch verstößt sie nicht gegen die Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze. Im wesentlichen stützt sich das Landgericht auf die in der Schlußphase für jedermann erkennbare todbringende Auszehrung der Pflegekinder, die die Angeklagten in ihrem Haushalt vor Augen hatten. Auch der Angeklagte K. R. hatte beim Baden den unbekleideten Körper des Ale. Anfang Oktober 1997 zu Gesicht bekommen. Das Landgericht geht weiter davon aus, daß dieser Zustand der Pflegekinder den Angeklagten auch deshalb nicht verborgen geblieben sein kann, weil sie ihre eigenen Kinder, von denen zwei nur wenig älter waren, vorbildlich versorgt hätten. Überdies hat das Landgericht darauf abgestellt, daß die Angeklagten sich aus ihrem sozialen Umfeld zurückzogen und intensive Abschottungsbemühungen bis hin zur Abmeldung der Pflegekinder in Schule und Kindergarten sowie zur Ummeldung des Telefons entfalteten. Zudem hätten sie die Frage diskutiert, ob ein Arzt hinzugezogen werden solle. Bei alledem litten die Angeklagten nicht etwa unter Wahrnehmungsstörungen, wie die Strafkammer, sachverständig beraten, nachvollziehbar ausgeführt hat. Wenn sie auf dieser Grundlage und unter Hinweis auf die Lebenserfahrung den Schluß gezogen hat, die Angeklagten seien sich der tödlichen Konsequenz ihres Vorgehens bewußt gewesen, ist diese Folgerung möglich und beruht auf einer tragfähigen Tatsachengrundlage. Dabei hat das Landgericht ersichtlich mitbedacht, daß die Angeklagte U. R. staatlich geprüfte Kindererzieherin ist und der Angeklagte K. R. als ehemaliger Berufssoldat und als Student der Sozialpädagogik mit bereits absolvierten Praktika als Erzieher durchaus über entsprechende Erfahrungsgrundlagen verfügten.
Ohne Erfolg beanstandet die Revision der Angeklagten U. R. in diesem Zusammenhang die Würdigung der Aussage des 13jährigen Zeugen F. R., eines leiblichen Sohnes der Angeklagten. Die Bewertung dieser Aussage ist nicht deshalb lückenhaft, weil das Landgericht nicht ausdrücklich erwogen hat, ob F. R. auf einen entsprechenden Vorhalt nur deswegen – unzutreffend – von einem Gespräch seiner Eltern über das Herbeiholen ärztlicher Hilfe berichtet haben könnte, weil er die Eltern in einem möglichst günstigen Licht habe erscheinen lassen wollen. Die Strafkammer hat die Bekundung des Kindes F. R. nicht etwa unkritisch übernommen. Sie hat vielmehr darauf abgehoben, daß die Angeklagten selbst diesen Angaben ihres Sohnes in der Hauptverhandlung nicht widersprochen haben, obwohl gerade der in Rede stehende Teil seiner Aussage thematisiert worden sei. Unter diesen Umständen läßt die von der Revision vermißte Erwägung die Beweiswürdigung zur Aussage des F. R. nicht als lückenhaft erscheinen.
2. Gegen die vom Landgericht festgestellte Verdeckungsabsicht der Angeklagten ist von Rechts wegen nichts zu erinnern.
a) Die Verdeckungsabsicht steht nicht im Widerspruch zu einem nur bedingten Tötungsvorsatz der Angeklagten.
Das Landgericht hat nicht ausdrücklich hervorgehoben, von welchem Vorsatzgrad der Angeklagten es ausgeht. Der Zusammenhang der Urteilsgründe bietet Anhalt sowohl für die Annahme direkten wie auch bedingten Tötungsvorsatzes. So führt das Landgericht aus, die Angeklagten hätten den sicheren Tod des Pflegekindes „akzeptiert”; „im Bewußtsein der tödlichen Konsequenz” ihres Vorgehens hätten sie die Kinder abgeschottet und auch deren Besuch beim Arzt vermieden. Im Rahmen der Straffindungserwägungen formuliert die Strafkammer allerdings, die Angeklagten hätten in Kenntnis der tödlichen Gefahr „bewußt an ihrer Entscheidung festgehalten, Ale. sterben zu lassen”. Letzteres deutet auf direkten Tötungsvorsatz hin, ohne daß sich die Strafkammer jedoch mit der Abgrenzung ausdrücklich auseinandergesetzt hätte. Die Frage kann im Ergebnis dahingestellt bleiben, weil auch die Annahme nur bedingten Tötungsvorsatzes hier einen Widerspruch zur Verdeckungsabsicht nicht begründen würde.
Der Bundesgerichtshof hat wiederholt entschieden, daß die Annahme von bedingtem Tötungsvorsatz und von Verdeckungsabsicht sich nicht stets widersprechen (BGHSt 21, 283, 284 f.; 41, 358, 359 ff.; BGH NJW 1988, 2682; 1992, 583, 584; StV 2000, 74, 75). Anders verhält es sich nur dann, wenn die vom Täter erstrebte Verdeckung einer Straftat nach seiner Vorstellung nur durch den Tod des Opfers erreicht werden kann. Dann können widerspruchsfrei nur direkter Tötungsvorsatz und Verdeckungsabsicht miteinander einhergehen. Ist der Tod des Opfers hingegen aus Sicht des Täters nicht unabdingbare Voraussetzung für eine erfolgreiche Verdeckung seiner Täterschaft hinsichtlich einer anderen Straftat, so kann das von Verdeckungsabsicht bestimmte Vorgehen des Täters ohne weiteres mit einer nur möglichen, aber gebilligten Todesfolge zusammentreffen, ohne daß darin ein denkgesetzlicher Widerspruch läge (vgl. Jähnke in LK 10. Aufl. § 211 Rdn. 24).
So aber lag es hier. Das Landgericht ist – wie der Zusammenhang der Urteilsgründe ergibt – davon ausgegangen, daß die Maßnahmen der Angeklagten zur Verdeckung der Mißhandlung ihrer Pflegekinder (Abschotten, Unterlassen ärztlicher Hilfe) nach ihrer Vorstellung erfolgversprechend waren. Die Verdeckung der Erziehungspraktiken und Mißhandlungen war bereits über einen längeren Zeitraum hinweg gelungen, in dem die Angeklagten gegenüber Außenstehenden immer neue Erklärungen und Ausreden für die Verhältnisse erfanden und die Kinder selbst sich gegenüber Dritten weitgehend ausschwiegen. Infolge der Mißhandlung durch Nahrungsentzug und Strafen hatten sie gelernt, alle Gebote und Verbote der Angeklagten strikt einzuhalten. Sie „parierten” schon, wenn die Angeklagte U. R. auch nur „mit den Augen rollte”. Dementsprechend gingen die Angeklagten, wie der Zusammenhang der Urteilsgründe ergibt, davon aus, daß ihre Mißhandlungen durch ihre Maßnahmen unentdeckt bleiben würden, und zwar auch für den Fall des Weiterlebens der Pflegekinder, ebenso aber auch für den Fall ihres Sterbens; für den Fall des tödlichen Ausganges gingen sie zudem davon aus, diesen „irgendwie vertuschen” zu können.
b) Der Annahme von Verdeckungsabsicht steht nicht entgegen, daß die Angeklagten in der Todesnacht des Pflegekindes Ale. doch noch den Notarzt alarmierten, der das Kind erfolglos zu reanimieren versuchte. Über die Ursachen für den Zustand des Kindes suchte der Angeklagte K. R. auch den Notarzt mit Ausreden zu täuschen; die weitere Verdeckung gelang indes nicht mehr; wegen „unnatürlicher Todesursache” schaltete die Rettungsleitstelle die Kriminalpolizei ein.
c) Die Würdigung des Landgerichts zur Verdeckungsabsicht der Angeklagten ist schließlich nicht deshalb zu beanstanden, weil die Angeklagten für den Fall des Todes eines der Pflegekinder keinen konkreten Plan für die Verdeckung der Todesursache oder die Beseitigung der Leiche hatten. Dieser Umstand läßt die Beweiswürdigung des Landgerichts auch insoweit weder als lückenhaft noch als widersprüchlich erscheinen; sie verstößt auch nicht gegen Denkgesetze oder allgemein gültige Erfahrungssätze.
Nach den Feststellungen hofften die Angeklagten im Wissen um den tödlichen Ausgang ihres Vorgehens, diesen irgendwie vertuschen zu können, da ihnen auch bis dahin niemand auf die Spur gekommen war. Die Gedanken, wie sie etwa die Leiche beseitigen oder deren Zustand den Behörden erklären sollten, verdrängten sie. Sie handelten „von jetzt auf nachher”.
Diese „relative Planlosigkeit” für den Fall des letalen Ausganges ändert nichts daran, daß das Tun und Lassen der Angeklagten von der Fortführung ihrer rohen Erziehungspraktikenund von den Bemühungen zur Verdeckung der Mißhandlung ihrer Pflegekinder bestimmt war. Überdies liegt auf der Hand, daß im Falle des Todeseintritts mögliche etwaige weitere Verdeckungsbemühungen innerhalb ihrer Großfamilie situationsabhängig und schon deshalb nicht verläßlich planbar gewesen wären. Wenn die Angeklagten sie deshalb nicht von vornherein festlegten, die Frage stattdessen verdrängten und ersichtlich darauf vertrauten, gegebenenfalls lageangepaßt reagieren zu können, so steht das der Annahme von Verdeckungsabsicht nicht zwingend entgegen. Es läßt ihre Verdeckungsbemühungen auch nicht als von vornherein untauglich oder völlig ungeeignet erscheinen.
3. Entgegen der Ansicht der Revision der Angeklagten U. R. ist auch die nach § 211 Abs. 2 StGB erforderliche Verknüpfung zwischen der – möglicherweise nur bedingt vorsätzlichen – Tötung des Pflegekindes Ale. und der Verdeckungsabsicht gegeben.
Der Senat war bereits früher mit der Auslegung dieses im Tatbestand angelegten Verknüpfungserfordernisses befaßt (BGHSt 41, 358 ff.). Danach muß das Mittel der Verdeckung, also der vom Täter in Gang gesetzte Ursachenverlauf, der dazu dienen soll, die vorangegangene Straftat nicht offenbar werden zu lassen,zugleich (vorsätzlich) zum Tod eines Menschen führen (BGHSt aaO S. 360). Nach diesem aus dem Gesetzestext abgeleiteten Verständnis kommt es also darauf an, welches Motiv den Täter bei seinem als Tötung eines Menschen eingestuften Handeln bestimmt hat.
Hier ist hinsichtlich der gegebenen Anknüpfungspunkte zu differenzieren: Das fortgesetzte Hungernlassen der Pflegekinder als solches diente nicht der Verdeckung der Mißhandlungen. In ihm schlug sich allein die Fortführung der rohen, quälerischen Erziehungspraxis der Angeklagten nieder. Anders verhält es sich hingegen mit dem strikten Abschotten der Pflegekinder, vor allem mit dem Unterlassen des (rechtzeitigen) Herbeirufens ärztlicher Hilfe. Nach den Feststellungen des Landgerichts unterließen sie es, Ale. mit ärztlicher Hilfe zu retten, weil es ihnen darauf ankam, die jahrelange Mißhandlung weiter zu verbergen, die dadurch nicht nur bei Ale., sondern auch bei den anderen Pflegekindern aufgedeckt worden wäre. An anderer Stelle des Urteils heißt es, aus Angst vor Entdeckung hätten sie keine ärztliche Hilfe geholt. Um sich der Strafverfolgung zu entziehen, hätten sie dem Pflegekind Ale. die erforderliche medizinische Versorgung verwehrt. Darüber hinaus haben sie die Pflegekinder im Haus verborgen gehalten, damit niemand auf deren Zustand aufmerksam wurde. Dieses – wenigstens bedingt vorsätzlich – zum Tode führende bewußte Unterlassen ärztlicher Hilfe bezweckte mithin zugleich die Verdeckung der vorangegangenen Mißhandlungen ihrer Schutzbefohlenen. In dem verdeckungsgerichteten Unterlassen hat das Landgericht eine Ursache für den Todeseintritt gesehen. Das genügt für die vom Tatbestand vorausgesetzte Verknüpfung zwischen Tötung und Verdeckungsabsicht.
Unerheblich ist in diesem Zusammenhang, daß die Angeklagten den körperlichen Zustand des Opfers, der ärztliches Eingreifen gebot, selbst erst durch – für sich gesehen nicht verdeckungsgerichtetes – Hungernlassen und Quälen der Pflegekinder herbeigeführt haben. Dies begründete unter dem Gesichtspunkt der Ingerenz lediglich einmal mehr ihre Garantenstellung. Im übrigen können mit der Verdeckungsabsicht bei Verdeckungsmaßnahmen auch andere Zwecke – hier die rohe Erziehungspraxis – zusammentreffen (vgl. BGH bei Dallinger MDR 1976, 15; Maurach/Schroeder/Maiwald, Strafrecht BT Teilband 1 § 2 III Rdn. 36).
Daß die Verdeckung und Tötung des Ale. insoweit durch ein Unterlassen der Angeklagten erfolgte, ändert im Ergebnis ebenfalls nichts. Zu Recht ist das Landgericht davon ausgegangen, daß das Unterlassen der Verwirklichung des Tatbestandes durch positives Tun hier entspricht (§ 13 Abs. 1 StGB; vgl. zum Verdeckungsmord durch Unterlassen Jähnke in LK 10. Aufl. § 211 Rdn. 22 m.w.Nachw.; Eser in Schönke/Schröder, StGB 25. Aufl. § 211 Rdn. 35; siehe auch Horn in SK StGB § 211 Rdn. 68, 69 unter Aufgabe seiner früheren Auffassung).
4. Im Ergebnis ohne Rechtsfehler hat das Landgericht auch einen strafbefreienden Rücktritt vom Mordversuch verneint. Die Angeklagten hatten ihr pflichtwidriges Unterlassen, an das hier anzuknüpfen ist, noch vor der Vollendung der Tat aufgegeben. Der Angeklagte K. R. alarmierte um 0.44 Uhr in der Todesnacht – nach Eintritt des Atemstillstandes bei Ale. – den Notarzt. Dieser traf um 0.50 Uhr ein und mußte schließlich um 1.33 Uhr den Eintritt des Todes feststellen. Nach einer in der Literatur verbreiteten Ansicht wäre bei dieser Sachlage auf den sog. Rücktrittshorizont des Angeklagten abzustellen gewesen, weil beim unbeendeten Versuch eines unechten Unterlassungsdelikts das Risiko der Erfolgsabwendung durch letztlich doch noch pflichtgemäßes Handeln des Täters nicht von diesem zu tragen sein soll (vgl. Eser in Schönke/Schröder, StGB 25. Aufl. § 24 Rdn. 27 ff., insbesondere Rdn. 30; Vogler in LK 10. Aufl. § 24 Rdn. 142; siehe auch die Übersicht bei Wessels/Beulke, Strafrecht AT 28. Aufl. Rdn. 743 bis 745 m.w.Nachw.). Hierzu verhält sich das Urteil nicht. Das erweist sich aber als unschädlich, weil die Rücktrittsvoraussetzungen beim Versuch des Unterlassungsdelikts entgegen der zitierten Ansicht dieselben sind wie beim beendeten Versuch des Begehungsdeliktes (so schon mit näherer Begründung BGH StV 1998, 369). Damit wird in den Fällen des Erfolgseintritts trotz Rücktrittsbemühungen dem Grundsatz Rechnung getragen, strafbefreienden Rücktritt vom Versuch nur dann anzunehmen, wenn es beim Versuch geblieben ist (vgl. Vogler in LK aaO § 24 Rdn. 149). In Fällen wie diesem trägt daher grundsätzlich der Täter das Risiko, daß trotz eines Rücktritts der tatbestandliche Erfolg eintritt (so auch Rudolphi in SK vor § 13 Rdn. 56). Denn der Grund der Strafbefreiung wurzelt letztlich in der freiwilligen Änderung der Verhaltensrichtung,weil und solange der Täter alle unerlaubten Risiken noch sicher in der Hand hat (siehe dazu Lackner/Kühl, StGB 23. Aufl. § 24 Rdn. 2; Jakobs ZStW Bd. 104, 82, 104; für eine angemessene Verteilung des Risikos für den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges bei nachträglicher Pflichterfüllung auch Eser in Schönke/Schröder aaO § 24 Rdn. 27).
Nach allem kann offen bleiben, ob die Alarmierung des Notarztes angesichts erwachter anderer Kinder als freiwillig zu werten gewesen wäre und ob dieses Verhalten vollen Umfangs der Garantenstellung gerecht wurde. Letzteres müßte fraglich erscheinen, weil die Angeklagten den Notarzt und den nachalarmierten Oberarzt der Kinderklinik nicht über die wirklichen Ursachen des Zustandes des Pflegekindes Ale. unterrichteten.
Unterschriften
Maul, Granderath, Wahl, Boetticher, Schluckebier
Fundstellen
Haufe-Index 556655 |
NJW 2000, 1730 |
Nachschlagewerk BGH |
LL 2000, 640 |