Verfahrensgang
LG Siegen (Urteil vom 04.07.2019; Aktenzeichen 42 Js 1396/18 55 KLs 11/19) |
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Siegen vom 4. Juli 2019 im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in vier Fällen, davon in drei Fällen in Tateinheit mit Sich-Verschaffen jugendpornografischer Schriften zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und drei Monaten verurteilt und seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Seine hiergegen eingelegte und auf die Sachrüge gestützte Revision führt zur Aufhebung des gesamten Rechtsfolgenausspruchs. Im Übrigen ist sie unbegründet.
Rz. 2
1. Der Schuldspruch weist keine den Angeklagten benachteiligenden Rechtsfehler auf. Auch die Verurteilung wegen Vergewaltigung in den Fällen II.2.d. und e. der Urteilsgründe hält revisionsrechtlicher Überprüfung stand.
Rz. 3
a) Nach den Feststellungen lernte der Angeklagte die 14 Jahre alte Nebenklägerin in einem „Chatroom” im Internet kennen, wobei er sich ihr als 18 Jahre alter Auszubildender namens „M.” vorstellte, der Schlagzeug in einer Band spielt. Er vermochte schnell das Vertrauen der mit Minderwertigkeitskomplexen ringenden Nebenklägerin zu gewinnen. Nach kurzer Zeit führte er sich über einen anderen Account gegenüber der Nebenklägerin mit einer weiteren Identität als Fotomodell und Bandkollegin des „M.” ein, die er „B.” nannte. Die Nebenklägerin glaubte beide Legenden und kommunizierte mit beiden in der Annahme, es handele sich um verschiedene Personen, wobei sie jeweils auch über ihre Verbindung zu der anderen „Identität” berichtete. Nachdem der Angeklagte der Nebenklägerin unter der Legende „B.” berichtet hatte, dass sich „M.” in sie verliebt habe und sich erotische Fotos von ihr wünsche, schickte ihm die Nebenklägerin, die sich ihrerseits in „M.” verliebt hatte, mehrere Nacktfotos von sich. Um die Nebenklägerin vollends gefügig zu machen, führte sich der Angeklagte unter einem neuen Account mit einer weiteren Legende („S.”) ein. Unter dieser Legende drohte er der Nebenklägerin nun damit, ihrer Mutter von den Nacktfotos zu berichten oder diese Dritten zu übersenden und erwirkte auf diese Weise, dass die Nebenklägerin bei mehreren Videotelefonaten auf seine Anweisungen hin sexuelle Handlungen an sich vornahm und sich dabei – ebenfalls auf Weisung des Angeklagten – mehrfach unter anderem auch mit Gegenständen selbst penetrierte (Fälle II.2.a. und c. der Urteilsgründe).
Rz. 4
Nachdem der Angeklagte der Nebenklägerin unter der Legende „S.” erfolgreich vorgespiegelt hatte, dass er seinerseits von einer japanischen kriminellen Organisation erpresst werde und „B.” sich für diese zwangsweise prostituieren müsse, entwickelte die Nebenklägerin auch positive Gefühle für „S.”. In der Folge erklärte der Angeklagte der Nebenklägerin bei einer Vielzahl von Chats unter der Legende „S.”, dass die „Japaner” Bilder mit sexuellen Handlungen von ihr haben wollten. Als die Nebenklägerin dies ablehnte, erklärte ihr der Angeklagte, dass dann nur „B. als Lösung” bliebe. Die Nebenklägerin war daraufhin bereit, noch einmal Fotos von sich nach Anweisung der Japaner zu fertigen, um „B.” Einsatz als Prostituierte abzumildern und dafür zu sorgen, dass „S.” nichts passiert. Als ihr von dem Angeklagten unter der Legende „S.” ausgerichtet wurde, dass „der Japaner” Fotos von ihr wolle, auf denen sie sich ihre Finger vaginal und anal einführt, lehnte die Nebenklägerin dies ab. Daraufhin richtete ihr der Angeklagte aus, dass „der Japaner” dann einen Fotografen zu ihr schicken würde, um die Bilder zu fertigen. Um diese für sie erschreckenden Repressalien des „Japaners” von sich abzuwenden, kam die Nebenklägerin doch der Aufforderung nach und penetrierte sich selbst, wobei sie sich unter anderem auch einen Gegenstand vaginal einführte. Hiervon fertigte sie Fotos, die sie dem Angeklagten übersandte (Fall II.2.d. der Urteilsgründe).
Rz. 5
Schließlich erklärte der Angeklagte der Nebenklägerin bei diversen Chats, dass sich „B.” wieder für den „Japaner” prostituieren müsse und dieser von ihr weitere Bilder mit sexuellen Handlungen (vaginale Selbstpenetration mit einem Gegenstand) verlange. Als die Nebenklägerin mitteilte, dass sie keine derartige Handlung vornehmen und keine Bilder davon machen wolle, berichtete ihr der Angeklagte zum Schein von einem unmittelbar bevorstehenden Termin für „B.”, bei dem diese sexuelle Handlungen mit mehreren Männern vorzunehmen habe. Um dies abzuwenden, nahm die Nebenklägerin schließlich nochmals eine Vielzahl von sexuellen Handlungen an sich vor, wobei es auch zu teilweise schmerzhaften Selbstpenetrationen mit Gegenständen kam. Hiervon fertigte sie Fotos und Videos, die sie dem Angeklagten übersandte. Mehrfach wies der Angeklagte sie dabei durch Chats unmittelbar zu bestimmten sexuellen Handlungen an. Dabei gab er vor, nur Anweisungen der „Japaner” zu übermitteln (Fälle II.2.e. der Urteilsgründe).
Rz. 6
b) Diese Feststellungen tragen im Ergebnis auch in den Fällen II.2.d. und e. der Urteilsgründe die Annahme einer Vergewaltigung nach § 177 Abs. 1, Abs. 6 Satz 2 Nr. 1 StGB (zur Tenorierung vgl. BGH, Beschluss vom 28. November 2019 – 3 StR 482/19 Rn. 3 mwN).
Rz. 7
aa) Die Strafkammer ist zutreffend davon ausgegangen, dass die Grundtatbestände des § 177 Abs. 1 und 2 StGB und der sich auf diese beziehende besonders schwere Fall nach § 177 Abs. 6 Satz 2 Nr. 1 StGB nach dem Wortlaut des Gesetzes auch sexuelle Handlungen des Opfers an sich selbst erfassen (vgl. BT-Drucks. 18/9097 S. 23 und 28; Eschelbach in Matt/Renzikowski, StGB, 2. Aufl., § 177 Rn. 23 und 118; Wolters in SSW-StGB, 4. Aufl., § 177 Rn. 10 und 91; Renzikowski in MünchKommStGB, 3. Aufl., § 177 Rn. 49 und 144; Ziegler in BeckOK-StGB, 46. Edition, § 177 Rn. 8; Fischer, StGB, 67. Aufl., § 177 Rn. 7). Auch ist es nicht erforderlich, dass der Täter räumlich anwesend ist (vgl. Eisele in Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl., § 177 Rn. 15; Renzikowski in MünchKommStGB, 3. Aufl., § 177 Rn. 49).
Rz. 8
bb) Zwar hat die Strafkammer zu Unrecht angenommen, dass der Angeklagte die Nebenklägerin in den Fällen II.2.d. und e. mit einem empfindlichen Übel bedroht und dadurch zu der Vornahme der sexuellen Handlungen genötigt habe (§ 177 Abs. 2 Nr. 5 StGB). Denn nicht anders als im Fall des § 240 StGB (vgl. dazu BT-Drucks. 18/9097 S. 26) ist auch hier die bloße Warnung vor einem durch Dritte drohenden Übel, dessen Eintritt der Täter aus der Sicht des Erklärungsempfängers nicht beeinflussen kann – hier die vorgespiegelten Repressalien der „Japaner” gegenüber der Nebenklägerin selbst, sowie gegenüber „B.” und „S.” – keine Drohung im Sinne dieser Vorschrift (vgl. BGH, Beschluss vom 3. April 1996 – 3 StR 59/96, NStZ 1996, 435; Urteil vom 18. Januar 1955 – 2 StR 284/54, BGHSt 7, 197, 198 [jeweils zu § 253 StGB]; Eschelbach in Matt/Renzikowski, StGB, 2. Aufl., § 177 Rn. 74; Eisele in Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl., § 177 Rn. 54). Der Angeklagte hat insoweit aber den Grundtatbestand des § 177 Abs. 1 2. Alt. StGB verwirklicht, indem er durch seine vermeintlichen „Warnungen” der Nebenklägerin den Anlass dazu gegeben hat, die festgestellten sexuellen Handlungen an sich vorzunehmen. Dies reicht für die Annahme eines „vornehmen lassen” im Sinne dieser Vorschrift aus (vgl. Renzikowski in MünchKommStGB, 3. Aufl., § 177 Rn. 49 [einen Grund dafür geben]; Eisele in Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl., § 177 Rn. 16 [Bestärkung des Opfers]). Dabei handelte die Nebenklägerin aus der Perspektive eines objektiven Dritten jeweils auch entgegen ihrem ausdrücklich erklärten und damit erkennbaren Willen (vgl. BGH, Beschluss vom 21. November 2018 – 1 StR 290/18, NStZ 2019, 717 Rn. 18; BT-Drucks. 18/9097 S. 22 f.). Ihre Entscheidung, die verlangten sexuellen Handlungen dennoch vorzunehmen, wurde nur aus Angst vor der von dem Angeklagten vorgespiegelten Gefahr getroffen, sie selbst sowie die fälschlich für existent gehaltenen „B.” und „S.” würden andernfalls gravierende Nachteile erleiden. Diesem als nötigend empfundenen Zwang beugte sich die Nebenklägerin, sodass dieser Handlungsentschluss vollständig fremdbestimmt war (vgl. Renzikowski in MünchKommStGB, 3. Aufl., § 177 Rn. 51; krit. Fischer, NStZ 2019, 580, 581 ff.). Eine Willensänderung brachte sie hierdurch nicht zum Ausdruck (vgl. dazu El-Ghazi, jurisPR-StrafR 18/2019 Anm. 2; Hörnle, NStZ 2019, 439, 441). Dies war dem Angeklagten, der die gesamte Tatsituation beherrschte, auch bekannt (zu einem anderen Fall vgl. BGH, Beschluss vom 21. November 2018 – 1 StR 290/18, NStZ 2019, 717 Rn. 18 ff. m. Anm. Ziegler).
Rz. 9
§ 265 StPO steht einer Verurteilung auf der Grundlage von § 177 Abs. 1 i.V.m. Abs. 6 StGB nicht entgegen, denn es ist ausgeschlossen, dass sich der geständige Angeklagte anders als geschehen hätte verteidigen können.
Rz. 10
2. Der Rechtsfolgenausspruch kann dagegen nicht bestehen bleiben.
Rz. 11
a) Die auf § 66 Abs. 2 StGB gestützte Anordnung der Sicherungsverwahrung hält rechtlicher Überprüfung nicht stand, weil das Landgericht die Annahme eines Hangs zu erheblichen Straftaten gemäß § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB nicht rechtsfehlerfrei begründet hat.
Rz. 12
aa) Der Rechtsbegriff des Hangs im Sinne des § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB bezeichnet einen eingeschliffenen inneren Zustand, der den Täter immer wieder neue Straftaten begehen lässt (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 9. Mai 2019 – 4 StR 511/18, NStZ-RR 2020, 10 Rn. 30 f.; Beschluss vom 24. Mai 2017 – 1 StR 598/16, BGHR StGB § 66 Abs. 1 Hang 15; Urteil vom 8. Juli 2005 – 2 StR 120/05, BGHSt 50, 188, 195 f. mwN). Dieser Zustand ist vom Tatgericht auf der Grundlage einer umfassenden Vergangenheitsbetrachtung in eigener Verantwortung wertend festzustellen. Dabei muss sich der Tatrichter eine eigene sichere Überzeugung bilden (vgl. BGH, Urteil vom 31. Juli 2019 – 2 StR 132/19 Rn. 14; Ullenbruch/Drenkhahn/Morgenstern in MünchKommStGB, 3. Aufl., § 66 Rn. 222 mwN).
Rz. 13
bb) Die vom Landgericht hierzu angestellten Erwägungen begegnen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
Rz. 14
(1) Die Strafkammer ist sowohl bei der Annahme der Voraussetzungen des § 21 StGB, als auch bei der Annahme eines Hanges dem angehörten Sachverständigen nicht gefolgt. Dieser hatte bei dem Angeklagten lediglich eine Pädophilie als Nebenströmung diagnostiziert und das Vorliegen einer schweren anderen seelischen Abartigkeit im Sinne des § 20 StGB mit der Begründung verneint, dass es (bereits) an der erforderlichen Schwere der sexuellen Störung fehle, weil der Angeklagte pädophile Phantasien erstmals im Jahr 2011 ausgelebt und zuvor über lange Jahre eine sexuelle Beziehung zu seiner Ehefrau unterhalten habe (UA 37). Aufgrund des erst späten Auftretens seiner Delinquenz sei auch ein Hang zu verneinen (UA 47). Demgegenüber ist die Strafkammer bei der Prüfung des § 21 StGB – unter Hinweis auf die Aussage einer Zeugin zum Auffinden kinderpornografischer Dateien zu Beginn der Ehe – „zugunsten des Angeklagten” davon ausgegangen, dass er bereits früh in seinem Leben Kontakt mit kinderpornografischen Inhalten gehabt habe, seine Ehe nur eine Fassade und die vorhandene sexuelle Devianz deutlich ausgeprägter gewesen sei (UA 38). Bei der Bejahung einer Hangtäterschaft hat das Landgericht dann auf diese Ausführungen Bezug genommen und daraus gefolgert, dass die Taten des Angeklagten Ausfluss seiner Persönlichkeit seien (UA 47).
Rz. 15
(2) Damit hat das Landgericht seine Annahme, bei dem Angeklagten liege ein Hang im Sinne des § 66 Abs. 2 i.V.m. § 66 Abs. 1 Nr. 4 StGB vor, auf eine Indiztatsache gestützt, deren Vorliegen es zuvor nur „zu seinen Gunsten” angenommen hatte. Zwar könnte der Umstand, dass der Angeklagte schon früh Kontakt zu kinderpornografischen Inhalten hatte, ein Indiz für einen Hang zu Sexualstraftaten zum Nachteil von Kindern und Jugendlichen sein. Unter den hier gegebenen Umständen hätte dieser tatsächliche Umstand dann aber festgestellt und bewiesen sein müssen (vgl. BGH, Beschluss vom 21. April 2016 – 2 StR 435/15, StV 2017, 7 Rn. 11 [Indiztatsache am Beginn einer Beweiskette zum Tatnachweis]; Urteil vom 31. Oktober 1989 – 1 StR 419/89, BGHSt 36, 286, 290).
Rz. 16
b) Aufgrund des durch diese Begründung hergestellten untrennbaren Zusammenhangs zwischen dem Strafausspruch und der Maßregelanordnung hebt der Senat den gesamten Rechtsfolgenausspruch auf. Die Sache bedarf daher insoweit – naheliegend unter Hinzuziehung eines weiteren Sachverständigen – neuer Verhandlung und Entscheidung.
Unterschriften
Sost-Scheible, RinBGH Roggenbuck ist im Urlaub und daher gehindert zu unterschreiben. Sost-Scheible, Quentin, Bartel, Rommel
Fundstellen
Haufe-Index 13938069 |
NStZ-RR 2020, 276 |
NStZ-RR 2021, 2 |
NStZ-RR 2021, 3 |
StV 2021, 296 |