Verfahrensgang
LG Bielefeld (Urteil vom 10.11.2011) |
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bielefeld vom 10. November 2011
- im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte des Diebstahls mit Waffen in Tateinheit mit versuchter Nötigung (Fälle II. 11 und 12 der Urteilsgründe), wegen Diebstahls in neun Fällen sowie wegen Betruges schuldig ist,
- im Ausspruch über die Einzelstrafen in den Fällen II. 11 und 12 der Urteilsgründe, im Gesamtstrafenausspruch sowie im Maßregelausspruch mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Tatbestand
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Diebstahls mit Waffen, wegen Diebstahls in neun Fällen, wegen Betruges und wegen versuchter Nötigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt sowie seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt, hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
I.
Rz. 2
1. Die Annahme von Tatmehrheit zwischen den für sich genommen rechtsfehlerfreien Verurteilungen wegen Diebstahls mit Waffen und versuchter Nötigung begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Als der Angeklagte, der sich durch Flucht seiner Festnahme entziehen wollte, zu seiner Bauchtasche griff und das Messer hervorholte, um seine Verfolger abzuschütteln, war der zuvor begangene Diebstahl der Zigaretten nach den Feststellungen noch nicht beendet. In einem solchen Fall ist Tateinheit anzunehmen (vgl. Senatsbeschluss vom 12. Juli 2005 – 4 StR 170/05, NStZ-RR 2005, 340, 341).
Rz. 3
Die Änderung des Schuldspruchs führt zum Wegfall der Einsatzstrafe im Fall II. 11 sowie der weiteren Einzelstrafe im Fall II. 12 der Urteilsgründe. Über die Einsatzstrafe sowie die Gesamtstrafe hat der Tatrichter neu zu befinden.
Rz. 4
2. Im Übrigen hat die Nachprüfung des angefochtenen Urteils auf Grund der Sachrüge zum Schuld- und Strafausspruch keinen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler ergeben. Insoweit wird auf die zutreffenden Ausführungen in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 27. März 2012 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
II.
Rz. 5
Jedoch kann der Maßregelausspruch nicht bestehen bleiben.
Rz. 6
1. Auf der Grundlage der zum Werdegang, zu den Vorstrafen und zu den abgeurteilten Taten getroffenen Feststellungen hat das sachverständig beratene Landgericht den gemäß § 64 Satz 1 StGB erforderlichen Hang, alkoholische Getränke im Übermaß zu sich zu nehmen, ebenso rechtsfehlerfrei bejaht wie den symptomatischen Zusammenhang zwischen Hang und Tat. Auch die Prognoseentscheidung der Strafkammer ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Indessen sind die Voraussetzungen für die gemäß § 64 Satz 2 StGB geforderte hinreichend konkrete Aussicht eines Behandlungserfolges nicht dargetan.
Rz. 7
2. a) Nach den Feststellungen des Landgerichts unterzog sich der vielfach vor allem wegen sog. Beschaffungsdelikte vorbestrafte, betäubungsmittelabhängige Angeklagte in der Zeit von 2000 bis 2004 zwei Entzugsbehandlungen, wurde aber kurz nach deren Beendigung wieder rückfällig. Zwei weitere, ähnliche Behandlungen in den Jahren 2007 und 2009 musste er jeweils wegen Entlassung aus der Einrichtung nach Alkoholkonsum vorzeitig abbrechen. Nach Entlassung aus Strafhaft am 27. Mai 2011 wurde er nach kurzer Zeit erneut mit Heroin und Benzodiazepinen rückfällig. Die Strafkammer bejaht die hinreichend konkrete Erfolgsaussicht unter Bezugnahme auf die Ausführungen des psychiatrischen Sachverständigen, der ausgeführt habe, es bestehe bei dem Angeklagten die konkrete Aussicht, dass er von einer Behandlung im Maßregelvollzug nach § 64 StGB derart profitieren werde, dass er zumindest für eine erhebliche Zeit vor einem Rückfall und damit von der Begehung weiterer Straftaten bewahrt wird.
Rz. 8
b) Zwar steht nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs der Umstand, dass ein Täter bereits eine Entzugsbehandlung absolviert hat und danach wieder rückfällig geworden ist, der Erfolgsaussicht einer neuen Therapie nicht ohne weiteres entgegen (vgl. nur Senatsbeschlüsse vom 23. Oktober 1996 – 4 StR 473/96, NStZ-RR 1997, 131, und vom 13. April 2011 – 4 StR 7/11). Hat der Täter, wie im vorliegenden Fall der Angeklagte, mehrere Entwöhnungsbehandlungen absolviert und ist er entweder danach wieder rückfällig geworden oder mussten die Therapien abgebrochen werden, so darf sich der Tatrichter jedoch nicht auf die bloße Mitteilung des Ergebnisses des Sachverständigen beschränken. Die Gründe des angefochtenen Urteils beschränken sich insoweit auf eine in die Stellungnahme des psychiatrischen Sachverständigen eingekleidete Wiedergabe des Wortlauts von § 64 Satz 2 StGB. Der Senat kann danach nicht prüfen, ob die Strafkammer bei ihrer Bewertung der Erfolgsaussicht von einem zutreffenden rechtlichen Maßstab ausgegangen ist. Auf der Grundlage des Ergebnisses der neuen Verhandlung, für die die zur Entscheidung berufene Strafkammer die Beauftragung eines neuen Sachverständigen in Betracht ziehen sollte, wird dessen Stellungnahme zur hinreichend konkreten Erfolgsaussicht in ihren wesentlichen Punkten in die Urteilsgründe aufzunehmen sein (§ 267 Abs. 6 Satz 1 StPO).
Rz. 9
3. Im Hinblick auf die Erwägung des Landgerichts, die generelle Abstinenzmotivation des Angeklagten ergebe sich auch aus der Tatsache, dass er sich im Jahr 2002 in Russland freiwillig einer Entzugsbehandlung mit einem gefährlichen Medikament unterzogen habe, weist der Senat darauf hin, dass es für die Maßregelanordnung nach § 64 StGB auf die Verhältnisse zum Zeitpunkt der letzten Verhandlung vor dem Tatrichter ankommt (SSW-StGB/Schöch, § 64 Rn. 33).
Unterschriften
Ernemann, RiBGH Cierniak ist erkrankt und daher gehindert zu unterschreiben. Ernemann, Franke, Schmitt, Quentin
Fundstellen