Verfahrensgang
LG Wiesbaden (Urteil vom 19.09.2011) |
Tenor
1. Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Wiesbaden vom 19. September 2011,
im Schuldspruch dahin geändert, dass
der Angeklagte B. wegen bewaffneter unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und
der Angeklagte F. wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge sowie in weiterer Tateinheit mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis
verurteilt sind,
- im Ausspruch über die Freiheitsstrafen und, soweit von der Anordnung der Unterbringung der Angeklagten in einer Entziehungsanstalt abgesehen wurde, mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben,
- im Ausspruch über die Einziehung dahin ergänzt, dass 984,9 Gramm Heroin und ein Kilogramm Streckmittel eingezogen sind.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weitergehenden Revisionen der Angeklagten werden verworfen.
Tatbestand
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten B. wegen bewaffneten unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und drei Monaten, den Angeklagten F. wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge sowie in Tateinheit mit Fahren ohne Fahrerlaubnis zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und neun Monaten verurteilt. Ferner hat es die „sichergestellten Betäubungsmittel und Streckmittel (Ziffern 1 – 6) sowie das sichergestellte Reizstoffsprühgerät (Ziffer 9 des Sicherstellungsverzeichnisses vom 27.01.2011)” eingezogen. Gegen dieses Urteil richten sich die Revisionen der Angeklagten mit der Sachbeschwerde. Die Rechtsmittel haben in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang Erfolg. Im Übrigen sind sie unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
I.
Rz. 2
Das Landgericht hat festgestellt, dass die Angeklagten im Auftrag eines unbekannt gebliebenen Drogenhändlers Heroin aus den Niederlanden nach S. bringen wollten. Dafür sollten sie 1.000 Euro erhalten. Der Angeklagte B. führte bei der Transportfahrt ein Reizstoffsprühgerät griffbereit in seinem Auto mit; der Angeklagte F. wusste nicht davon. Die Angeklagten übernahmen am 26. Januar 2011 in R. 984,9 Gramm Heroin und ein Kilogramm Streckmittel, das sie unter der Rückbank des Fahrzeugs versteckten. Auf der Rückfahrt durch Deutschland wurden sie an der Autobahnraststätte M. kontrolliert, wobei das Heroin entdeckt wurde. Zu dieser Zeit führte der Angeklagte F. das Fahrzeug, ohne im Besitz einer Fahrerlaubnis zu sein. Bei der Begehung der Tat war das Hemmungsvermögen der drogenabhängigen Angeklagten erheblich vermindert.
Entscheidungsgründe
II.
Rz. 3
1. Der Schuldspruch begegnet rechtlichen Bedenken.
Rz. 4
a) Bei dem Angeklagten B. wurde der Tatbestand der unerlaubten Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, der im Rahmen der rechtlichen Würdigung in den Urteilsgründen zutreffend bejaht wurde, nicht in die Urteilsformel aufgenommen. Das kann der Senat aufgrund der vom Landgericht getroffenen Feststellungen nachholen. § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG bezieht sich beim Zusammentreffen von unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge mit Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge auf den Einfuhrtatbestand „ohne Handel zu treiben” (vgl. Senat, Beschluss vom 27. Februar 2008 – 2 StR 593/07, StraFo 2008, 254).
Rz. 5
b) Die vom Landgericht angenommene Mittäterschaft der Angeklagten bei dem tateinheitlich begangenen unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge ist in den Urteilsgründen nicht erläutert worden. Die rechtsfehlerfrei und abschließend getroffenen Feststellungen ergeben demgegenüber indes nur Beihilfe der Angeklagten zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge.
Rz. 6
Eine bloße Kuriertätigkeit ist nach der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs grundsätzlich als Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln anzusehen, nicht als täterschaftliches Handeln (vgl. Senat, Urteil vom 28. Februar 2007 – 2 StR 516/06, BGHSt 51, 219, 221 ff.). Das gilt auch in Fällen der unerlaubten Einfuhr von Betäubungsmitteln (vgl. BGH, Beschluss vom 25. Juni 2008 – 4 StR 230/08). Die Einfuhr ist kein unselbständiger Teilakt eines – täterschaftlichen – Handeltreibens. Weder der Umstand, dass der Kurier für seine Transportleistung eine Entlohnung erhalten soll, noch die Tatsache, dass er gewisse Gestaltungsmöglichkeiten beim Transport des Rauschgiftes hat, reichen aus, um Handeltreiben als Mittäter zu begründen (vgl. Senat, Beschluss vom 27. Februar 2008 – 2 StR 593/07, aaO). Anders liegt es nur dann, wenn ein Rauschgiftkurier auch in den Erwerb oder den späteren Absatz der Betäubungsmittel eingebunden ist. Dies ist bei den beiden Angeklagten aber nicht der Fall.
Rz. 7
c) Der Senat ändert den Schuldspruch entsprechend ab. § 265 Abs. 1 StPO steht nicht entgegen, weil sich der geständige Angeklagte nicht anders als geschehen hätte verteidigen können.
Rz. 8
2. Der Strafausspruch kann nicht bestehen bleiben.
Rz. 9
a) Das Landgericht hat bei dem Angeklagten B. angenommen, der Strafrahmen des § 30a Abs. 3 BtMG, zu dem es zunächst rechtsfehlerfrei gelangt ist, werde durch die Sperrwirkung von § 30 Abs. 1 BtMG bei der Strafrahmenuntergrenze dahin geändert, dass die Mindeststrafe zwei Jahre betrage, weil ein minder schwerer Fall gemäß § 30 Abs. 2 BtMG „unter Würdigung der bereits genannten Umstände nicht in Betracht” komme. Diese Überlegung trägt aber nicht.
Rz. 10
Die Sperrwirkung höherer Mindeststrafen aus verdrängten Tatbeständen ist – was das Landgericht zunächst nicht verkannt hat – nur zu beachten, wenn nicht auch insoweit ein minder schwerer Fall gegeben ist (vgl. BGH, Beschluss vom 24. April 2003 – 3 StR 369/01, BGHR BtMG § 29a Abs. 1 Nr. 1 Abgabe 1; Beschluss vom 1. April 2009 – 1 StR 79/09, NStZ-RR 2009, 214). Warum dies hier aber gerade unter denselben Gesichtspunkten, die bei § 30a BtMG zur Annahme eines minder schweren Falles (§ 30a Abs. 3 BtMG) führen, nicht auch im Sinne des § 30 Abs. 2 BtMG der Fall sein soll, ist nicht nachzuvollziehen. Zumindest wäre im Hinblick auf den verdrängten Tatbestand des § 30 Abs. 1 Nr. 4 BtMG aber hypothetisch der vertypte Milderungsgrund gemäß § 21 StGB anzuwenden, der die Strafrahmenuntergrenze der verdrängten Norm ebenso reduzieren würde (§ 49 Abs. 1 Nr. 3 zweite Alternative StGB). § 30 Abs. 1 BtMG entfaltet deshalb hier keine Sperrwirkung.
Rz. 11
Beträgt aber die Strafrahmenuntergrenze nicht, wie das Landgericht angenommen hat, zwei Jahre Freiheitsstrafe (§ 30 Abs. 1 BtMG), sondern nur sechs Monate Freiheitsstrafe (§ 30a Abs. 3 BtMG; § 49 Abs. 1 Nr. 3 StGB), so kann der Senat nicht ausschließen, dass die verhängte Freiheitsstrafe von fünf Jahren und drei Monaten auf der rechtsfehlerhaften Annahme einer Sperrwirkung der verdrängten Strafnorm beruht.
Rz. 12
b) Bei der Strafzumessung für den Angeklagten F. ist das Landgericht davon ausgegangen, dass kein minder schwerer Fall der unerlaubten Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge nach § 30 Abs. 2 BtMG vorliege. Dem hat es aber nur gleichartige Strafzumessungserwägungen zu Grunde gelegt, wie sie bei dem Angeklagten B. genannt wurden, dem – ohne spezifische Bewertung der weitergehenden Qualifikation seiner Tat durch Mitführen einer Waffe (§ 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG) – ein minder schwerer Fall seiner Tat (§ 30a Abs. 3 BtMG) zu Gute gehalten wurde. Die höhere Vorstrafenbelastung des Angeklagten F. in Frankreich hat die Strafkammer nicht bewertet. Dann ist jedoch nicht nachzuvollziehen, warum das Landgericht – ungeachtet des Vorliegens eines vertypten Milderungsgrundes nach § 21 StGB – nicht zur Anwendung des Sonderstrafrahmens nach § 30 Abs. 2 BtMG auf den Fall des Angeklagten F. gelangt ist. Dies gilt auch deshalb, weil dieser Angeklagte durch langjährigen Heroinkonsum erheblich schwerer gesundheitlich beeinträchtigt ist als der Mitangeklagte B..
Rz. 13
3. Schließlich kann die Ermessensentscheidung des Landgerichts dahin, dass die Unterbringung der Angeklagten in einer Entziehungsanstalt nicht angeordnet wird, weil keine hinreichend konkrete Aussicht bestehe, sie dadurch zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen (§ 64 Satz 2 StGB), nicht aufrecht erhalten bleiben.
Rz. 14
Einer Therapieunwilligkeit der Angeklagten, deren Heroinkonsum auch bisher schon zeitweise mit Methadon substituiert wird, kann im Maßregelvollzug entgegengewirkt werden, worauf dieser abzielt (§ 137 StVollzG). Die Therapieunwilligkeit steht der Maßregelanordnung daher nicht notwendig entgegen (vgl. BT-Drucks. 16/1110 S. 13; BGH, Beschluss vom 21. Januar 2010 – 3 StR 502/09, NStZ-RR 2010, 141; Beschluss vom 25. Mai 2011 – 4 StR 27/11, NStZ-RR 2011, 30).
Rz. 15
An fehlenden Sprachkenntnissen ausländischer Beschuldigter soll die Maßregelanordnung im Allgemeinen nicht scheitern (vgl. Senat, Beschluss vom 30. Oktober 1996 – 2 StR 528/96, StV 1998, 74 f.; BGH, Beschluss vom 20. Juni 2001 – 3 StR 209/01, NStZ-RR 2002, 7), zumal eine Überstellung des Verurteilten in sein Heimatland zum Maßregelvollzug in Betracht kommt (s. § 70 IRG, Art. 68 SDÜ), sofern dort entsprechende Einrichtungen existieren. Die Überlegung, dass fehlende Sprachkenntnisse der Maßregelanordnung nicht entgegenstehen, wird zwar durch die Umgestaltung von § 64 StGB zur Sollvorschrift abgeschwächt (vgl. BGH, Urteil vom 18. Dezember 2007 – 1 StR 411/07, StV 2008, 138, 139). Sie besitzt jedoch weiterhin gewisse Aussagekraft. Dies gilt insbesondere für den Angeklagten B. wegen seiner prinzipiellen Bereitschaft, in Frankreich eine Therapie zu absolvieren.
Rz. 16
Schließlich ist die Erwägung des Landgerichts, dass die für erforderlich gehaltene Nachsorge nicht gewährleistet sei, wenn die Angeklagten in den Bereich ihres bisherigen Wohngebiets zurückkehren, bei dem es sich um einen sozialen Brennpunkt handelt, der sie zum Rückfall in den Drogenkonsum verleiten kann, kein tragfähiger Grund für die Nichtanordnung der Maßregel.
Rz. 17
Danach erweist sich die Ermessensentscheidung des Landgerichts als rechtsfehlerhaft.
Rz. 18
4. Der Ausspruch über die Einziehung ist aus den vom Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift vom 1. März 2012 genannten Gründen zu ergänzen.
Unterschriften
Becker, Fischer, Krehl, Ri'inBGH Dr. Ott befindet sich im Urlaub und ist daher gehindert zu unterschreiben. Eschelbach, Becker
Fundstellen
Haufe-Index 3272562 |
NStZ 2012, 689 |
R&P 2012, 222 |