Verfahrensgang
LG Lübeck (Urteil vom 25.03.2004) |
Tenor
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Lübeck vom 25. März 2004 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen vorsätzlicher Körperverletzung, Nötigung und Beleidigung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt und die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Verletzung formellen und sachlichen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat mit einer Verfahrensrüge Erfolg.
1. Die Verteidigung hatte für den Fall, daß die Strafkammer entgegen der Einschätzung des in der Hauptverhandlung gehörten Sachverständigen bei dem Angeklagten einen Hang im Sinne von § 63 Abs. 1 Nr. 3 StGB annehme, beantragt, ein weiteres Sachverständigengutachten zur Frage des Hanges einzuholen. Als Sachverständige hatte sie zwei deutsche Hochschullehrer für forensische Psychiatrie benannt.
Diesen Antrag hat das Landgericht mit folgender Begründung zurückgewiesen:
„Diesem Beweisantrag war gemäß § 244 Abs. 3 S. 2 StPO nicht nachzugehen, weil … das Gegenteil der in dem Hilfsbeweisantrag steckenden Behauptung, der Angeklagte habe keinen Hang zur Begehung erheblicher Straftaten, bereits bewiesen ist. Die von dem Angeklagten pauschal behaupteten besseren Forschungs- und Erkenntnismittel der von ihm benannten Sachverständigen vermag die Kammer nicht zu erkennen. Forschungsmittel im Sinne des § 244 Abs. 3 S. 2, 2. Halbsatz StPO sind nur Hilfsmittel, derer sich der Sachverständige für seine wissenschaftlichen Untersuchungen zu bedienen pflegt. Diese sind nicht dargelegt und nicht ersichtlich. Auch im Übrigen gebietet § 244 Abs. 3 S. 2, 2. Halbsatz StPO nicht die Anhörung eines weiteren Sachverständigen.”
Ausweislich der Urteilsgründe hatte der in der Hauptverhandlung gehörte Sachverständige einen Hang im Sinne des § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB nicht sicher festzustellen vermocht, weil es während der Zeiten der Strafverbüßung keine Anlaßtaten des Angeklagten gegeben habe. Dem ist das Landgericht unter Hinweis darauf, daß sich der Angeklagte – wie sich aus zwei Verurteilungen wegen Körperverletzung ergibt – auch während der Haftzeiten nicht angepaßt und unauffällig geführt habe, nicht gefolgt.
Der Beschwerdeführer rügt, daß die beantragte Beweiserhebung nicht hätte abgelehnt werden dürfen. Daß er dies als Verletzung der gerichtlichen Aufklärungspflicht (§ 244 Abs. 2 StPO) beanstandet, steht der Zulässigkeit der Revisionsrüge nicht entgegen, denn deren Angriffsrichtung läßt sich dem Vortrag hinreichend deutlich entnehmen (vgl. Kuckein in KK 5. Aufl. § 344 Rdn. 34 m. w. N.).
2. Die Zurückweisung des Beweisantrags verstößt gegen § 244 Abs. 4 Satz 2 1. Halbs. StPO. Erkennbar auf diese Norm und nicht auf den allerdings dreimal zitierten Absatz 3 Satz 2 dieser Vorschrift hat das Landgericht dem Inhalt des Beschlusses nach seine Entscheidung gestützt. Nach § 244 Abs. 4 Satz 2 1. Halbs. StPO kann die Anhörung eines weiteren Sachverständigen abgelehnt werden, wenn durch das frühere Gutachten das Gegenteil der behaupteten Tatsache bereits erwiesen ist. Behauptet worden war, daß beim Angeklagten ein Hang im Sinne von § 63 Abs. 1 Nr. 3 StGB nicht vorliege. Das Gegenteil – also das Bestehen eines Hanges – konnte indes „durch das frühere Gutachten” nicht erwiesen sein, da der gehörte Sachverständige einen Hang verneint hatte. Zwar war das Landgericht dieser Beurteilung nicht gefolgt; indes darf mit der Begründung, das Gegenteil der behaupteten Tatsache sei durch das frühere Gutachten bewiesen, die Einholung eines weiteren Gutachtens nur abgelehnt werden, wenn allein durch das frühere Gutachten zu demselben Beweisthema das Gegenteil der behaupteten Tatsache bewiesen ist (vgl. BGHSt 39, 49, 52 m. w. N.).
Damit gehen die weiteren Erwägungen des Landgerichts ins Leere: Ob der neue Sachverständige über Forschungsmittel verfügt, die denen des früheren Gutachters überlegen sind, ist nur von Bedeutung, wenn das Gericht das Gegenteil der behaupteten Tatsache als „durch das frühere Gutachten” bereits erwiesen ansehen und deshalb den Antrag auf Anhörung eines weiteren Sachverständigen ablehnen will.
Der Senat kann nicht ausschließen, daß die Verhängung der Maßregel auf diesem Verfahrensfehler beruht. Zwar kann das Revisionsgericht, wenn – wie hier – ein Hilfsbeweisantrag in zulässiger Weise erst in den Urteilsgründen beschieden worden ist, die Ursächlichkeit des Verstoßes gegen § 244 Abs. 3 oder 4 StPO mit der Begründung verneinen, daß der Tatrichter den Antrag mit einer anderen Begründung rechtsfehlerfrei hätte ablehnen können (vgl. Meyer-Goßner, StPO 47. Aufl. § 244 Rdn. 86 m. w. N.). Ein solcher Ablehnungsgrund ergibt sich aber weder aus den Urteilsgründen noch liegt er sonst auf der Hand. Der Überlegung, das Landgericht habe durch das erste Gutachten die für die Beurteilung des Hanges erforderliche eigene Sachkunde erlangt und hätte deswegen den Antrag nach § 244 Abs. 4 Satz 1 StPO ablehnen können, steht entgegen, daß § 246 a StPO in Verfahren, in denen mit der Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung zu rechnen ist, die Vernehmung eines Sachverständigen unabhängig von dem Maß der Sachkunde des Gerichts zwingend vorschreibt und sich das Landgericht vor diesem Hintergrund eine eigene Sachkunde erkennbar nicht aufgrund des Gutachtens zugesprochen hat, dem es nicht folgen wollte.
3. Der Senat hat die Feststellungen insgesamt aufgehoben. Zwar weist das Urteil in der rechtlichen Würdigung und bei der Strafzumessung jeweils für sich genommen keine den Angeklagten benachteiligenden Rechtsfehler auf, jedoch ist für die Beurteilung des Hanges des Angeklagten durch den neuen Sachverständigen das Tatbild von wesentlicher Bedeutung. Im übrigen käme, sollte der nunmehr mit der Sache befaßte neue Tatrichter etwa feststellen, daß der Angeklagte, ehe er von seinem Opfer abließ, schon gewaltsam eine sexuelle Handlung an diesem vorgenommen hatte, wegen des dann vollendeten Delikts der sexuellen Nötigung (§ 177 Abs. 1 StGB) ein Rücktritt vom Versuch der Vergewaltigung (§ 177 Abs. 2 Nr. 1 StGB) nicht mehr in Betracht. An einem insoweit zum Nachteil des Angeklagten geänderten Schuldspruch wäre der neue Tatrichter nicht gehindert. Er hätte freilich beim Rechtsfolgenausspruch § 358 Abs. 2 Satz 1 StPO zu beachten.
Unterschriften
Tolksdorf, Miebach, Pfister, Becker, Hubert
Fundstellen
Haufe-Index 2557879 |
NStZ 2005, 159 |
StV 2005, 6 |
StraFo 2005, 30 |