Entscheidungsstichwort (Thema)

Vertretbare Handlung. Selbstvornahme. Kostenerstattung

 

Leitsatz (amtlich)

Der Gläubiger, der die dem Schuldner obliegende vertretbare Handlung selbst vorgenommen hat, kann die ihm dadurch entstandenen Kosten nicht noch nachträglich im Vollstreckungsverfahren erstattet verlangen.

 

Normenkette

ZPO § 887

 

Verfahrensgang

LG Chemnitz (Beschluss vom 23.08.2005; Aktenzeichen 3 T 3275/04)

AG Marienberg (Beschluss vom 14.07.2004; Aktenzeichen 2 C 685/01)

 

Tenor

Die Rechtsbeschwerde des Gläubigers und die Anschlussrechtsbeschwerde der Schuldnerinnen gegen den Beschluss der 3. Zivilkammer des LG Chemnitz vom 23.8.2005 werden mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die im Verfahren vor dem AG entstandenen Kosten des Verfahrens unter Abänderung der Kostenentscheidung im Beschluss des AG Marienberg vom 14.7.2004 - 2 C 685/01 - dem Gläubiger zu 85 % und den Schuldnerinnen als Gesamtschuldnerinnen zu 15 % auferlegt werden.

Von den Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens haben der Gläubiger 77 % und die Schuldnerinnen zu 1) und 2) jeweils 11,5 % zu tragen.

Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 2.063,69 EUR festgesetzt.

 

Gründe

[1]I. Die Parteien streiten im Zwangsvollstreckungsverfahren um die Frage, ob dem vom Gläubiger geltend gemachten Anspruch gem. § 887 Abs. 2 ZPO auf Vorauszahlung der Kosten für die Vornahme der geschuldeten Handlung entgegensteht, dass der titulierte Anspruch auf Befreiung von einer Geldverbindlichkeit nur Zug um Zug gegen Abtretung möglicher Schadensersatzansprüche des Gläubigers gegen den Dritten besteht und zudem der Gläubiger die Verbindlichkeit, von der er befreit werden soll, schon selbst (teilweise) erfüllt hat.

[2]Der Gläubiger hatte nach einem Unfall, den die Schuldnerin zu 1) mit einem von ihr gehaltenen und gefahrenen und bei der Schuldnerin zu 2) haftpflichtversicherten Pkw verursacht hatte, bei der U. Autovermietung GmbH (im Weiteren: Mietwagenunternehmen) ein Unfallersatzfahrzeug angemietet. Mit seiner vor dem AG gegen die Schuldnerinnen erhobenen Klage hat er deswegen einen Geldbetrag i.H.v. umgerechnet 2.013,69 EUR beansprucht. Da der Gläubiger die ersetzt verlangten Mietwagenkosten noch nicht bezahlt hatte und die Schuldnerinnen geltend gemacht hatten, dass das Mietwagenunternehmen seine Aufklärungspflichten ggü. dem Gläubiger verletzt habe, hat das AG mit Urteil vom 20.8.2002 entschieden, dass die Schuldnerinnen den Gläubiger von den gegen ihn gerichteten Ansprüchen des Mietwagenunternehmens freizustellen hätten Zug um Zug gegen Abtretung möglicher Schadensersatzansprüche des Gläubigers aus dem von ihm mit dem Mietwagenunternehmen geschlossenen Vertrag.

[3]Nach Eintritt der Rechtskraft des Urteils hat der Gläubiger mit Schreiben vom 15.11.2002 erklärt, dass er mögliche Schadensersatzansprüche ggü. dem Mietwagenunternehmen an die Schuldnerinnen abtrete. Mit Schreiben vom 6.12.2002 hat die Schuldnerin zu 2) die Annahme der Abtretung erklärt. Zugleich hat sie mitgeteilt, sie habe eine Zahlung i.H.v. 872 EUR an das Mietwagenunternehmen veranlasst und stelle den Gläubiger "gemäß Urteil frei".

[4]Da sich die Schuldnerinnen nachfolgend geweigert haben, an das Mietwagenunternehmen weitere Zahlungen zu erbringen, hat der Gläubiger an dieses am 1.4. und 30.6.2003 insgesamt weitere 670 EUR gezahlt.

[5]Mit Schriftsatz vom 8.6.2004 hat der Gläubiger beantragt, ihn gem. § 887 Abs. 1 ZPO zu ermächtigen, die nach dem Urteil vom 20.8.2002 den Schuldnerinnen obliegende Freistellung von der noch offenen Forderung i.H.v. 1.141,69 EUR nebst Zinsen und Kosten selbst vornehmen zu lassen. Des Weiteren hat er zugleich beantragt, die Schuldnerinnen gem. § 887 Abs. 2 ZPO zur Vorauszahlung der ihm durch die teilweise Befriedigung des Mietwagenunternehmens entstandenen Kosten i.H.v. 670 EUR und weiterer Kosten zu verpflichten.

[6]Das AG hat diese Anträge abgelehnt.

[7]Mit seiner hiergegen gerichteten sofortigen Beschwerde hat der Gläubiger beantragt, die Schuldnerinnen gesamtschuldnerisch zu verurteilen, die ihm durch die Selbstvornahme entstehenden und entstandenen Kosten i.H.v. 2.013,69 EUR vorauszuzahlen und die durch die Vornahme der Handlung entstehenden Kosten zu tragen, unbeschadet des Rechts auf eine Nachforderung, wenn die Vornahme der Handlung einen größeren Kostenaufwand verursacht.

[8]Das Beschwerdegericht hat die Schuldnerinnen gesamtschuldnerisch verurteilt, die dem Gläubiger durch die Ersatzvornahme entstehenden Kosten i.H.v. 471,69 EUR vorauszuzahlen. Im Übrigen hat es das Rechtsmittel zurückgewiesen.

[9]Mit seiner (vom Beschwerdegericht zugelassenen) Rechtsbeschwerde verfolgt der Gläubiger seinen Antrag weiter, soweit dieser im Verfahren der sofortigen Beschwerde erfolglos geblieben ist. Die Schuldnerinnen sind der Rechtsbeschwerde entgegengetreten und haben Anschlussrechtsbeschwerde eingelegt. Mit ihr erstreben sie die Wiederherstellung des den Vollstreckungsantrag des Gläubigers insgesamt ablehnenden Beschlusses des AG.

[10]II. Die Rechtsbeschwerde des Gläubigers ist aufgrund ihrer Zulassung statthaft (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 3 Satz 2 ZPO) und auch ansonsten zulässig. Dasselbe gilt für die rechtzeitig eingelegte und begründete Anschlussrechtsbeschwerde der Schuldnerinnen (vgl. § 574 Abs. 4 ZPO). In der Sache haben beide Rechtsmittel keinen Erfolg. Zu berücksichtigen ist lediglich der Teilerfolg des Gläubigers bei der erstinstanzlichen Kostenentscheidung (§ 891 Satz 3 i.V.m. §§ 92 Abs. 1, 100 Abs. 4 ZPO).

[11]1. Das Beschwerdegericht hat seine Entscheidung wie folgt begründet:

[12]Der Anspruch auf Befreiung von einer hinreichend bestimmten oder bestimmbar bezeichneten Geldverbindlichkeit sei als vertretbare Handlung nach § 887 ZPO zu vollstrecken. Die Ermächtigung zur Ersatzvornahme sei aber ausgeschlossen, wenn der Schuldner oder der Gläubiger die Handlung bereits ordnungsgemäß vorgenommen habe. Im Hinblick auf die unstreitig erfolgten Zahlungen i.H.v. insgesamt 1.542 EUR sei der Gläubiger daher zu ermächtigen, die nach dem Urteil vom 20.8.2002 den Schuldnerinnen obliegende Verpflichtung zur Freistellung im Umfang von 471,69 EUR vorzunehmen.

[13]Die Freistellungserklärung vom 6.12.2002 habe entgegen der Auffassung der Schuldnerinnen nicht zur Erfüllung des Befreiungsanspruchs geführt. Der Gläubiger sei der Forderung des Mietwagenunternehmens weiter ausgesetzt. Im Vollstreckungsverfahren sei allein vom titulierten Anspruch auszugehen; nicht zu entscheiden sei daher, ob der Anspruch des Mietwagenunternehmens mittlerweile verjährt sei. Ebenso sei auch unbeachtlich, ob sich der Gläubiger den Schuldnerinnen gegenüber möglicherweise schadensersatzpflichtig machte, wenn er auf eine verjährte Forderung freiwillig zahlte oder eine Ratenzahlungsvereinbarung träfe, und ob der Gläubiger durch sein Verhalten einen von den Schuldnerinnen im Übrigen nicht substantiiert vorgetragenen Schadensersatzanspruch ggü. dem Mietwagenunternehmen vereitelt habe.

[14]2. Diese Beurteilung hält der rechtlichen Nachprüfung stand.

[15]a) Rechtsbeschwerde des Gläubigers

[16]aa) Der Gläubiger hat seinen ursprünglich weiterreichenden Antrag im Verfahren der sofortigen Beschwerde dahingehend eingeschränkt, dass er die Verurteilung der Schuldnerinnen zur Vorauszahlung der Kosten der Selbstvornahme i.H.v. 2.013,69 EUR und zur Tragung der durch die Vornahme der Handlung zukünftig entstehenden Kosten begehrt hat.

[17]bb) Das Beschwerdegericht hat mit Recht entschieden, dass von dem danach in Rede stehenden Vorauszahlungsbetrag i.H.v. 2.013,69 EUR zum einen - wie auch die Rechtsbeschwerde nicht in Zweifel zieht - der von der Schuldnerin zu 2) an das Mietwagenunternehmen gezahlte Betrag von 872 EUR und zum anderen auch die vom Gläubiger auf die Rechnung des Mietwagenunternehmens gezahlten 670 EUR in Abzug zu bringen sind.

[18]Der Gläubiger, der die dem Schuldner obliegende vertretbare Handlung - wie hier die Befreiung von einer Zahlungsverpflichtung (vgl. BGH, Urt. v. 22.10.1957 - VI ZR 231/56, NJW 1958, 497; Urt. v. 28.6.1983 - VI ZR 285/81, MDR 1984, 132 = NJW 1983, 2438, 2439) - in eigener Person oder durch von ihm beauftragte Dritte vorgenommen hat, kann die ihm dadurch entstandenen Kosten nicht noch nachträglich im Vollstreckungsverfahren erstattet verlangen (vgl. OLG Hamm MDR 1972, 615; OLG Hamburg MDR 1973, 768; OLG Köln v. 23.7.1992 - 17 W 454/91, OLGReport Köln 1993, 13 = Rpfleger 1993, 84; Musielak/Lackmann, ZPO, 4. Aufl., § 887 Rz. 23; Stein/Jonas/Brehm, ZPO, 22. Aufl., § 887 Rz. 49; Zöller/Stöber, ZPO, 25. Aufl., § 887 Rz. 7; Schneider, MDR 1975, 279, 281 mit Nachweisen zur früher auch vertretenen Gegenauffassung). Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde folgt aus dem Sinn und Zweck der Regelung des § 887 ZPO nichts Gegenteiliges. Die dort getroffene Regelung soll einen gerechten Ausgleich zwischen dem Interesse des Gläubigers an einer erfolgreichen Vollstreckung und dem ihm gegenüberstehenden Interesse des Schuldners an einem möglichst geringen Eingriff in seine Rechte herstellen (vgl. Musielak/Lackmann, ZPO, 4. Aufl., § 887 Rz. 1). Ein solcher Interessenausgleich setzt voraus, dass dem Schuldner, der einen titulierten Anspruch des Gläubigers auf Vornahme einer vertretbaren Handlung nicht erfüllt, die Folgen seines weiteren Untätigbleibens vor Augen geführt werden. Dementsprechend ist der Schuldner vor dem Ergehen einer nach § 887 ZPO zu erlassenden Entscheidung gem. § 891 Satz 2 ZPO zwingend zu hören. Soweit der Gläubiger das insoweit vorgesehene Verfahren nicht einhält, sondern die Anspruchserfüllung selbst herbeiführt, bleibt es ihm zwar unbenommen, die entstandenen Kosten vom Schuldner etwa unter dem Gesichtspunkt der Geschäftsführung ohne Auftrag (§§ 677 ff. BGB) oder auch nach Bereicherungsrecht (§§ 812 ff. BGB) erstattet zu verlangen. Die betreffenden Ansprüche unterliegen jedoch möglichen Einwendungen, die bei Einhaltung des in den §§ 887, 891 ZPO vorgesehenen Verfahrens nicht in Betracht kommen und dort sinnvollerweise auch nicht behandelt werden. Die bei der Beurteilung nach materiellem Recht möglicherweise auftretenden Streitfragen lassen sich auch nicht - wie die Rechtsbeschwerde meint - mit den Problemen vergleichen, die sich ergeben, wenn der Gläubiger gem. § 887 Abs. 2 ZPO a.E. eine Nachforderung mit der Begründung erhebt, die Vornahme der Handlung verursache einen größeren Kostenaufwand als vom Gericht angenommen.

[19]b) Anschlussrechtsbeschwerde der Schuldnerinnen

[20]aa) Die Beurteilung des Beschwerdegerichts, die Freistellungserklärung vom 6.12.2002 habe nicht zur Erfüllung des Befreiungsanspruchs geführt, ist nicht zu beanstanden. Sie entspricht der Regelung in den §§ 414 bis 416 BGB, wonach ein Wechsel in der Person des Schuldners grundsätzlich nur im Einverständnis mit dem Gläubiger möglich ist. Eine befreiende Schuldübernahme, die zur Erfüllung und damit zum Erlöschen des Befreiungsanspruchs führt, ist im Streitfall nicht erfolgt. Den Schuldnerinnen ist es im Übrigen unbenommen, den ihnen vom Gläubiger abgetretenen Schadensersatzanspruch, dessen Bestehen sie stets betont haben, ggü. dem Mietwagenunternehmen geltend zu machen.

[21]bb) Soweit die Anschlussrechtsbeschwerde unter Hinweis auf die Unzumutbarkeit der Erfüllung des titulierten materiell-rechtlichen Anspruchs auch noch weitergehende Einwendungen erhebt, kann sie damit im Ermächtigungsverfahren gem. § 887 ZPO nicht gehört werden (vgl. BGH, Beschl. v. 7.4.2005 - I ZB 2/05, BGHReport 2005, 1490 = MDR 2005, 1314 = NJW-RR 2006, 202, 203).

[22]III. Danach sind die Rechtsbeschwerde des Gläubigers und die Anschlussrechtsbeschwerde der Schuldnerinnen unbegründet. Sie sind daher zurückzuweisen.

[23]Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 i.V.m. § 92 Abs. 1 ZPO (vgl. Hüßtege in Thomas/Putzo, ZPO, 27. Aufl., § 100 Rz. 11).

 

Fundstellen

Haufe-Index 1600333

NJW-RR 2007, 213

WM 2006, 2139

ZIP 2006, 2288

InVo 2007, 77

MDR 2007, 361

NJ 2006, 561

SVR 2007, 28

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