Verfahrensgang
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Dortmund vom 23. Februar 2011 mit den Feststellungen aufgehoben, soweit die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt abgelehnt worden ist.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Diebstahls in acht Fällen unter Einbeziehung der Strafe aus dem Strafbefehl des Amtsgerichts Dortmund vom 14. Juli 2010 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten sowie wegen Diebstahls in drei Fällen und wegen versuchten Diebstahls zu einer weiteren Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt. Hiergegen richtet sich die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg, im Übrigen ist es unbegründet.
Rz. 2
1. Die Ablehnung der Maßregelanordnung nach § 64 StGB durch das Landgericht begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
Rz. 3
Nach den Ausführungen der sachverständig beratenen Strafkammer fehlt es für eine Anordnung nach § 64 StGB allein an den Erfolgsaussichten, „da der Angeklagte keinen ausreichenden Therapiewillen zeigt” (UA 24). Das Fehlen von Therapiewilligkeit steht jedoch einer Anordnung nach § 64 StGB nicht entgegen. Sie kann lediglich ein gegen die Erfolgsaussicht sprechendes Indiz sein, das den Tatrichter zu der Prüfung verpflichtet, ob die konkrete Aussicht besteht, dass die Therapiebereitschaft für eine Erfolg versprechende Behandlung geweckt werden kann (vgl. BGH, Beschluss vom 24. Juni 2009 – 2 StR 170/09; Fischer, StGB, 58. Aufl., § 64 Rn. 20 jeweils mwN).
Rz. 4
Zudem ist nach den von der Strafkammer getroffenen Feststellungen der nunmehr 29jährige Angeklagte „im Rahmen des § 35 BtMG möglicherweise zu einer stationären Betäubungsmitteltherapie bereit” (UA 7) und es ist ihm, obwohl ein Therapieversuch noch nie unternommen wurde, gelungen, den Konsum von Heroin über mehrere Jahre einzustellen. Auch nach der Entlassung aus der Strafhaft im April 2010 versuchte er, „ohne Heroinkonsum zu leben” und besorgte sich selbst ein Substitutionsmittel (UA 6). Vor diesem Hintergrund liegt es nicht fern, dass beim Angeklagten eine Therapiebereitschaft spätestens im Rahmen der Unterbringung geweckt und die Behandlung Erfolg versprechend im Sinne des § 64 Satz 2 StGB durchgeführt werden kann. Auch der Hinweis auf eine Zurückstellung der Strafvollstreckung gemäß § 35 BtMG ist in diesem Zusammenhang unerheblich. Denn die Unterbringung nach § 64 StGB geht dieser dem Vollstreckungsverfahren vorbehaltenen Maßnahme vor; von der Anordnung der Unterbringung darf daher nicht abgesehen werden, weil eine Entscheidung nach § 35 BtMG ins Auge gefasst ist (vgl. BGH aaO; Fischer aaO § 64 Rn. 24, 26).
Rz. 5
Dass nur der Angeklagte Revision eingelegt hat, hindert die Nachholung der Unterbringungsanordnung nicht (§ 358 Abs. 2 Satz 3 StPO; BGH, Urteil vom 10. April 1990 – 1 StR 9/90, BGHSt 37, 5). Er hat die Nichtanwendung des § 64 StGB durch das Tatgericht auch nicht vom Rechtsmittelangriff ausgenommen (vgl. BGH, Urteil vom 7. Oktober 1992 – 2 StR 374/92, BGHSt 38, 362).
Rz. 6
Der Senat hebt daher die Entscheidung über den unterbliebenen Maßregelausspruch auf. Er schließt aus, dass das Landgericht bei Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt niedrigere Einzel- oder Gesamtstrafen verhängt hätte.
Rz. 7
2. Im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. Insofern besteht Anlass nur zu folgenden Hinweisen:
Rz. 8
a) In Zusammenhang mit einer Betäubungsmittelabhängigkeit ist eine Aufhebung der Schuldfähigkeit regelmäßig ausgeschlossen (Weber, BtMG, 3. Aufl., Vor §§ 29 ff. Rn. 421; Fischer, StGB, 58. Aufl., § 20 Rn. 41 jeweils mwN). Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs begründet die Abhängigkeit von Betäubungsmitteln für sich allein noch nicht einmal die erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit im Sinne von § 21 StGB. Derartige Folgen sind bei einem Rauschgiftsüchtigen vielmehr nur ausnahmsweise gegeben, und zwar – unter Umständen – dann, wenn er das Delikt im Zustand eines akuten Rausches verübt oder wenn langjähriger Betäubungsmittelkonsum zu schwersten Persönlichkeitsveränderungen geführt hat oder der Täter unter starken Entzugserscheinungen bzw. der Angst vor solchen leidet und dadurch dazu getrieben wird, sich mittels einer Straftat Drogen zu verschaffen (BGH, Beschluss vom 17. Juni 2010 – 4 StR 47/10 mwN). Vor diesem Hintergrund und der dem Angeklagten vom Landgericht zugebilligten Strafmilderung nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB vermisst der Senat weitere Ausführungen zu dem von der Strafkammer erholten Schuldfähigkeitsgutachten nicht.
Rz. 9
b) Hinsichtlich der abgeurteilten Tat 4 (Diebstahls eines Parfums der Marke Boss zum Verkaufspreis von 69,95 EUR am Nachmittag des 14. Juni 2010) fehlt es im Hinblick auf die Konkretisierung und Individualisierung insbesondere durch den Tatort und das Tatobjekt trotz einer Tatzeitverschiebung gegenüber der Schilderung in der Anklage nicht an der „Nämlichkeit” von angeklagter und abgeurteilter Tat (vgl. BGH, Beschluss des Großen Senats für Strafsachen vom 12. Januar 2011 – GSSt 1/10, NJW 2011, 1687, 1688 [Rn. 19]; Urteile vom 22. Juni 2006 – 3 StR 79/06, NStZ-RR 2006, 316, 317; vom 21. Januar 2010 – 4 StR 407/09, NStZ 2010, 346 f.).
Unterschriften
Mutzbauer, Roggenbuck, Cierniak, Franke, Quentin
Fundstellen