Verfahrensgang
LG Düsseldorf (Urteil vom 31.07.2014) |
Tenor
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Düsseldorf vom 31. Juli 2014 wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gewerbsmäßigen Bandenbetruges in vier Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Jahren und sechs Monaten verurteilt. Hiergegen wendet sich der Beschwerdeführer mit seiner Revision, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt. Das Rechtsmittel ist aus den zutreffenden Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 16. Juni 2015 unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO; der weiteren Erörterung bedarf nur die auf die Verletzung von § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO gestützte Verfahrensbeanstandung.
Rz. 2
1. Der Rüge liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:
Rz. 3
Im Verlauf des ersten Hauptverhandlungstages (23. Oktober 2012) unterbrach der Vorsitzende die Hauptverhandlung, um mit den Verteidigern des Angeklagten, denjenigen der Mitangeklagten sowie der Staatsanwaltschaft die Möglichkeit einer Verständigung zu erörtern. Das sich hieran anschließende Gespräch fand nichtöffentlich und in Abwesenheit der Angeklagten statt. Zunächst stellten die Staatsanwaltschaft und sodann das Gericht ihre Vorstellungen zu den in Betracht kommenden Strafen im Falle einer geständigen Einlassung des Angeklagten und der Mitangeklagten dar. Der vom Vorsitzenden in Aussicht gestellte Strafrahmen für die in diesem Fall gegen den Angeklagten festzusetzende Freiheitsstrafe betrug sieben Jahre drei Monate bis sieben Jahre neun Monate. Die Verteidigung des Angeklagten kommentierte die geäußerten Vorschläge nicht. Nach Fortsetzung der Hauptverhandlung ließ sich der Mitangeklagte T. zu seiner Person ein. Sodann gab der Vorsitzende bekannt, dass in der Sitzungsunterbrechung ein Rechtsgespräch stattgefunden habe, das bislang nicht zu einer Verständigung geführt habe. Der Angeklagte äußerte sich erstmals am 8. Januar 2014, dem 74. Hauptverhandlungstag, zur Sache. In der Hauptverhandlung vom 10. April 2014 (88. Hauptverhandlungstag) verlas der Vorsitzende einen von ihm verfassten Vermerk über das am ersten Hauptverhandlungstag geführte Rechtsgespräch. Hierin führte er unter anderem aus, die Strafkammer habe hinsichtlich des Angeklagten für den Fall der Ablegung eines frühzeitigen Geständnisses in Aussicht gestellt, dass die Strafobergrenze acht Jahre nicht überschreite. Anschließend stellte er die Strafvorstellungen der Staatsanwaltschaft und die Kommentare der sich hierzu äußernden Verteidiger der Mitangeklagten dar. Im folgenden Hauptverhandlungstermin vom 15. April 2014 stellte die Verteidigung des Angeklagten klar, dass die seinerzeit vom Gericht geäußerte Straferwartung nicht bei acht Jahren, sondern zwischen sieben Jahren drei Monaten bis sieben Jahre neun Monaten gelegen habe; ferner ergänzte der Vorsitzende der Strafkammer seine Erklärung vom 10. April 2014. Auf die Klarstellung der Verteidigung des Angeklagten erklärte Staatsanwältin Sz. im Hauptverhandlungstermin vom 25. April 2014, dass der von den Verteidigern genannte Strafrahmen auch den Aufzeichnungen eines der damals anwesenden Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft entspräche. Eine Verständigung kam auch im weiteren Verlauf des Verfahrens nicht zustande. Das Urteil erging am 31. Juli 2014 nach insgesamt 101 Hauptverhandlungstagen.
Rz. 4
2. Es kann offen bleiben, ob es bereits der Zulässigkeit der Rüge entgegensteht, dass die Revision das Verfahrensgeschehen ab dem 15. April 2014 diesbezüglich nicht vollständig mitgeteilt hat. Ebenso bedarf es keiner Auseinandersetzung mit der vom Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift vom 16. Juni 2015 vertretenen Auffassung, die Revision hätte vortragen müssen, ob sowie gegebenenfalls wie und wann der Revisionsführer von seinen Verteidigern über den Inhalt des am 23. Oktober 2012 geführten Gesprächs unterrichtet worden sei. Der Rüge bleibt jedenfalls in der Sache der Erfolg versagt, weil das Urteil auf der Rechtsverletzung nicht beruht.
Rz. 5
a) Gemäß § 243 Abs. 4 Satz 1 und 2 StPO ist über Erörterungen nach §§ 202a, 212 StPO zu berichten, die – wie hier – außerhalb der Hauptverhandlung stattgefunden haben und deren Gegenstand die Möglichkeit einer Verständigung (§ 257c StPO) gewesen ist. Das Transparenzgebot soll sicherstellen, dass derartige Erörterungen stets in der öffentlichen Hauptverhandlung zur Sprache kommen und durch die Möglichkeit, Gespräche außerhalb der Hauptverhandlung zu führen, kein informelles und unkontrolliertes Verfahren betrieben wird (vgl. BVerfG, Urteil vom 19. März 2013 – 2 BvR 2628/10 u.a., BVerfGE 133, 168, 215 ff.; BGH, Beschluss vom 15. April 2014 – 3 StR 89/14, NStZ 2014, 418 mwN). Die Mitteilungspflicht erstreckt sich auch auf die Darlegung, von welcher Seite die Frage einer Verständigung aufgeworfen wurde, welche Standpunkte gegebenenfalls vertreten wurden und auf welche Resonanz dies bei den anderen am Gespräch Beteiligten jeweils gestoßen ist (BGH, Beschlüsse vom 5. Oktober 2010 – 3 StR 287/10, wistra 2011, 72, 73; vom 15. Januar 2015 – 1 StR 315/14, NJW 2015, 645). Dabei ist über die stattgefundenen Erörterungen jedenfalls in der Regel unverzüglich zu informieren (BGH, Beschlüsse vom 5. Oktober 2010 – 3 StR 287/10, wistra 2011, 72, 73; vom 27. Januar 2015 – 1 StR 393/14, NStZ 2015, 353).
Rz. 6
Diesen inhaltlich an die Mitteilung zu stellenden Maßstäben genügte die nur formelhaft gehaltene Erklärung vom ersten Hauptverhandlungstag nicht. Die ergänzende Erklärung vom 10. April 2014 war ungeachtet der unzutreffenden Information hinsichtlich des seinerzeit vom Gericht in Aussicht gestellten Strafrahmens jedenfalls verspätet.
Rz. 7
b) Das Urteil beruht jedoch nicht im Sinne von § 337 Abs. 1 StPO auf dem Verfahrensverstoß.
Rz. 8
Ein Urteil beruht auf einem Rechtsfehler, wenn es ohne diesen möglicherweise anders ausgefallen wäre. An einer solchen Möglichkeit fehlt es, wenn ein ursächlicher Zusammenhang mit Sicherheit ausgeschlossen werden kann bzw. rein theoretischer Natur ist. Insbesondere bei Verstößen gegen das Verfahrensrecht hängt diese Entscheidung stark von den Umständen des Einzelfalles ab (vgl. etwa BGH, Urteile vom 15. November 1968 – 4 StR 190/68, BGHSt 22, 278, 280; vom 8. November 1984 – 1 StR 608/84, NStZ 1985, 135; vom 11. Mai 2011 – 2 StR 590/10, BGHSt 56, 235, 238; Beschluss vom 19. August 2010 – 3 StR 226/10, wistra 2011, 73, 74; Urteil vom 23. Juli 2015 – 3 StR 470/14, juris Rn. 17).
Rz. 9
aa) Ausgehend von diesen Maßstäben ist zunächst auszuschließen, dass der Schuldspruch durch die unzureichende Mitteilung über das geführte Gespräch vom 23. Oktober 2012 beeinflusst wurde. Seine Feststellungen hat das Landgericht nach umfassender Beweisaufnahme und aufgrund einer – ausweislich der Urteilsurkunde sehr sorgfältigen – Beweiswürdigung rechtsfehlerfrei getroffen. Auch im Falle eines frühzeitigen Geständnisses wäre die Strafkammer zwingend gehalten gewesen, das Geständnis umfassend auf seine Glaubhaftigkeit zu überprüfen (BVerfG, Urteil vom 19. März 2013 – 2 BvR 2628/10 u.a., BVerfGE 133, 168, 209 f.). Es ist nichts dafür ersichtlich, dass der Angeklagte die ihm zur Last gelegten Taten noch umfassender oder unter noch weitergehendem Beweisantritt in Abrede gestellt hätte, wenn er über den Inhalt des Gesprächs vom 23. Oktober 2012 frühzeitig vollumfänglich informiert worden wäre.
Rz. 10
Es ist ferner auszuschließen, dass sich der Angeklagte bei rechtzeitiger vollständiger Unterrichtung über das Gespräch vom 23. Oktober 2012 frühzeitig geständig im Sinne der getroffenen Feststellungen eingelassen hätte, und der Strafausspruch wegen des in diesem Fall gegebenen bestimmenden Strafmilderungsgrundes ohne den Rechtsfehler milder ausgefallen wäre. Der Angeklagte hat sich auch nach der Mitteilung vom 10. April 2014 an diesem Hauptverhandlungstage eingelassen. Daneben ist er – in Kenntnis der Ausführungen seiner Verteidiger vom 15. April 2014 und der Staatsanwaltschaft vom 25. April 2014 – im weiteren Verlauf der bis zu seinem letzten Wort (§ 258 Abs. 2 StPO) noch elf Hauptverhandlungstage andauernden Hauptverhandlung nicht auf die ursprüngliche Anregung des Landgerichts, sich zum Strafmaß zu verständigen, zurückgekommen. Angesichts dessen steht zur Überzeugung des Senats fest, dass der Angeklagte kein Interesse an einer Verständigung auf Grundlage der am 23. Oktober 2012 geäußerten Vorstellungen der Strafkammer hatte.
Rz. 11
bb) Der Senat hält an seiner Auffassung fest, dass die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts der oben dargelegten, bereits vom Reichsgericht begründeten Auslegung des § 337 StPO nicht entgegensteht und die maßgebend auf die Kausalität abstellende Beruhensprüfung auch bei Verletzung von § 243 Abs. 4 StPO nicht um normative Gesichtspunkte zu ergänzen ist (BGH, Urteil vom 23. Juli 2015 – 3 StR 470/14, juris Rn. 21 ff.). Selbst wenn man jedoch unter Zurückstellung der in der Entscheidung vom 23. Juli 2015 dargelegten Bedenken den in den Kammerentscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (Beschlüsse vom 15. Januar 2015 – 2 BvR 878/14, NStZ 2015, 170; 2 BvR 2055/14, NStZ 2015, 172) aufgestellten Maßstäben zur normativen Beruhensprüfung folgen würde, wäre nach den dort aufgezeigten Kriterien hier ein Fall gegeben, der die Wertung, dass das Urteil auf dem Verstoß gegen § 243 Abs. 4 StPO nicht beruht, rechtfertigen würde. Hierzu gilt:
Rz. 12
Es steht fest, dass eine rechtswidrige und informelle Verständigung zu keinem Zeitpunkt beabsichtigt war. Der zweifelsfreie, vom Revisionsführer selbst mitgeteilte Inhalt des am 23. Oktober 2012 geführten Gesprächs gibt mit Blick auf den Regelungsinhalt des § 257c Abs. 2 StPO keinen Grund zur Beanstandung. Dass der Strafkammer an einer verständigungsbasierten Beendigung des Verfahrens gelegen war, wurde zu keiner Zeit verschwiegen. Vielmehr hatte der Vorsitzende der Strafkammer dies noch am 23. Oktober 2012 durch seine Erklärung, ein entsprechendes Rechtsgespräch sei erfolglos verlaufen, in der Hauptverhandlung öffentlich gemacht.
Rz. 13
Auch Art und Schwere des Verstoßes gegen § 243 Abs. 4 StPO begründen bei der nach der Kammerrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gebotenen normativen Betrachtung ein Beruhen des Urteils auf der unterlassenen Mitteilung nicht. Unter diesem Gesichtspunkt ist zunächst in den Blick zu nehmen, dass das Vorgehen der Strafkammer durch die Mitteilung des Vorsitzenden vom ersten Hauptverhandlungstag sowohl gegenüber dem Angeklagten als auch gegenüber der Öffentlichkeit offen gelegt wurde. Angesichts des feststehenden unbedenklichen Inhalts des geführten Gesprächs ist nicht zu erkennen, weshalb der Angeklagte im Anschluss hieran unzutreffend oder unzureichend über den Gesprächsinhalt von seinen Verteidigern unterrichtet worden sein sollte oder worden wäre, hätte er sich bei diesen nach der Mitteilung des Vorsitzenden über Inhalt und Verlauf des Gesprächs erkundigt. Schließlich ist eine detailliertere Unterrichtung von Angeklagten und Öffentlichkeit später vorgenommen worden (zu einem Ausschluss des Beruhens bei vergleichbarer Sachlage BVerfG, Beschluss vom 15. Januar 2015 – 2 BvR 878/14, NStZ 2015, 170, 172; BGH, Beschluss vom 11. Juni 2015 – 1 StR 590/14, NStZ-RR 2015, 379). Dass der Vorsitzende hierbei in seiner Erklärung vom 10. April 2014 die in dem Gespräch seitens des Gerichts genannte Strafvorstellung (sieben Jahre drei Monate bis sieben Jahre neun Monate) falsch wiedergegeben hatte, indem er auf das Nichtüberschreiten einer Strafobergrenze von acht Jahren abstellte, führt zu keinem anderen Ergebnis. Es kann dahinstehen, ob es sich hierbei nicht ohnehin nur um eine geringfügige Abweichung zu dem ursprünglichen Vorschlag handelte. Jedenfalls waren der Angeklagte und die Öffentlichkeit durch die ergänzenden Stellungnahmen der Verteidiger des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft in den folgenden Hauptverhandlungstagen zutreffend ins Bild gesetzt worden. Relevante Informationsdefizite bestanden jedenfalls danach nicht mehr.
Unterschriften
Becker, Hubert, Mayer, Gericke, Spaniol
Fundstellen