Verfahrensgang
LG Berlin (Urteil vom 26.01.2005) |
Tenor
Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 26. Januar 2005 gemäß § 349 Abs. 4 StPO mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Verfahrens, an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Tatbestand
Das Landgericht hat die Angeklagte wegen Mordes in Tateinheit mit besonders schwerer Brandstiftung sowie in weiterer Tateinheit mit Brandstiftung mit Todesfolge, mit Versicherungsmissbrauch und mit fahrlässiger Körperverletzung zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt und zugleich die besondere Schwere der Schuld festgestellt. Die hiergegen gerichtete Revision der Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg.
I.
Nach den Feststellungen des Landgerichts setzte die Angeklagte durch Verwendung von Brennspiritus, den sie im ersten Obergeschoss und im Erdgeschoss verteilt hatte, das von ihr, ihrem Lebensgefährten und ihrem Vater bewohnte Haus in Brand. Durch den Brand wurde ihr schwer krebskranker, bettlägeriger Vater, der Eigentümer des Hauses, getötet. Ihr Lebensgefährte, der ihrem Vater zu Hilfe kommen wollte, konnte sich durch einen Sprung aus dem Fenster des ersten Stockes retten, erlitt aber hierbei erhebliche Verletzungen. Die Angeklagte wollte durch den Brand Zahlungen der Feuer- und Hausratsversicherung erlangen.
Das Landgericht stützt seine Überzeugungsbildung im Wesentlichen nur auf zwei aus einer Reihe von sechs einander widersprechenden Sachverständigengutachten. Es folgt dem Chemiker A, der das Vorhandensein von Spiritus aus dem chemischen Nachweis seiner drei Bestandteile oberhalb einer von ihm aus eigenen Erfahrungswerten hergeleiteten Kappungsgrenze folgert. Hinsichtlich des Vorliegens einer zweiten Brandstelle im Erdgeschoss bezieht sich das Landgericht auf die Angaben des Sachverständigen R, der aus dem Abbrand der Aluminiumverkleidung der Heizung auf einen zweiten Brandausbruch in deren unmittelbaren Umgebung schließt.
Entscheidungsgründe
II.
Die Ausführungen des Landgerichts zur Entstehung des Brandes leiden an einem Darstellungsmangel, der zur Aufhebung des angefochtenen Urteils nötigt. Das Landgericht hat die einzelnen Sachverständigengutachten in den Urteilsgründen nur unzureichend erörtert.
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist es bei der Bewertung voneinander abweichender Gutachten erforderlich, dass der Tatrichter die wesentlichen Anknüpfungstatsachen und Darlegungen der Sachverständigen im Urteil wiedergibt (BGH NStZ 1981, 488). Er ist gehalten, die wesentlichen tatsächlichen Grundlagen, an die die Schlussfolgerungen eines Gutachtens anknüpfen, und die Schlussfolgerungen selbst wenigstens insoweit im Urteil mitzuteilen, als dies zum Verständnis der Gutachten und zur Beurteilung ihrer gedanklichen Schlüssigkeit für das Revisionsgericht erforderlich ist (BGHSt 8, 113, 118; 12, 311, 314 f.).
Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht. Dem Landgericht lagen zu der zentralen Beweisfrage, ob die Angeklagte vorsätzlich unter Verwendung von Spiritus den Brand herbeigeführt hat, mehrere Sachverständigengutachten vor, die von der Strafverfolgungsbehörde noch im Ermittlungsverfahren, von der Angeklagten selbst oder später vom Gericht in Auftrag gegeben worden waren. Das Landgericht teilt zu den Gutachten, denen es nicht folgt, lediglich punktuelle Einzelaussagen mit. Es bleibt offen, aufgrund welcher Überlegungen die jeweiligen Sachverständigen zu ihrem Ergebnis gelangt sind und welche Argumente den Schlussfolgerungen dieser Sachverständigen aus Sicht des Landgerichts entgegenstehen. Soweit aus den Urteilsgründen erkennbar ist, halten etliche der Sachverständigen einen Schwelbrand für gegeben oder können einen solchen jedenfalls nicht ausschließen. Ein Schwelbrand könnte nach ihrer Auffassung durch eine heruntergefallene Zigarettenglut des häufig im Bett rauchenden späteren Tötungsopfers hervorgerufen worden sein. Welche Anknüpfungstatsachen und welche Begründungen diese Sachverständigen zu ihrem Ergebnis gelangen lassen, ist den Urteilsgründen nicht zu entnehmen. Wenn das Landgericht darauf abstellt, die anderen Sachverständigen hätten den Tatort später besichtigt, so ist dies schon deshalb nicht überzeugend, weil das Landgericht sich andererseits zur Frage eines zweiten Brandherdes auf die vor Ort getroffenen Erkenntnisse eines anderen Gutachters stützt, der die Brandstelle ersichtlich ebenfalls wesentlich später – möglicherweise zeitlich sogar als letzter der Sachverständigen – in Augenschein genommen hat. Im Übrigen hätte zu der Frage, inwieweit die wohl unverändert gelassene Brandstelle noch eine sachverständige Beurteilung ermöglicht hätte, gleichfalls die Auffassung der beteiligten Sachverständigen zu der Begutachtungstauglichkeit der Brandstelle mitgeteilt werden müssen, wenn das Landgericht gerade diesem Gesichtspunkt entscheidende Bedeutung beimisst.
Die Ausführungen des Landgerichts zu dem Gutachten des Chemikers A sind noch aus einem weiteren Grunde rechtsfehlerhaft. Das Landgericht folgt dem Sachverständigen, der aus dem Überschreiten einer von ihm entwickelten Kappungsgrenze zu der festgestellten Quantität von Vergällungsmitteln auf die Verwendung von Spiritus schließt. Das Landgericht erklärt nicht zureichend und für das Revisionsgericht nachvollziehbar, was unter „Kappungsgrenze” in diesem Zusammenhang zu verstehen ist. Es erläutert gleichfalls nicht, wie der Sachverständige diese „Kappungsgrenze” ermittelt hat. Die vom Sachverständigen A dargestellte Messmethode ist offensichtlich nicht standardisiert, weil sie auf seinen eigenen Erfahrungswerten aufbaut. Dies schließt zwar nicht aus, dass auch einem solchen Ansatz gefolgt werden könnte, erhöht aber andererseits die Darlegungsanforderungen an den Tatrichter, wenn er diesem Sachverständigen folgen will (BGHR StPO § 267 Abs. 1 Satz 2 Beweisergebnis 4). Um dem Revisionsgericht insoweit die Nachprüfung zu ermöglichen, hätte die Dauer und die Anzahl der Versuche genauer geschildert werden müssen. Zudem hätte es einer ergänzenden Erläuterung dazu bedurft, ob die wissenschaftliche Literatur bei einem Vorhandensein von Vergällungsmitteln, die einerseits bei der Pyrolyse (also einem Holzbrand unter Ausschluss von Sauerstoff) entstehen können, andererseits aber auch im Spiritus vorhanden sind, in gleicher Weise quantitativ abgrenzt oder ob gegebenenfalls andere Indikatoren für die Feststellung der Verwendung von Spiritus herangezogen werden.
Das Landgericht hat sich mit der Auffassung der anderen Sachverständigen zu dieser Beweisfrage mit der Begründung nicht auseinander gesetzt, diese seien keine Chemiker. Dies begegnet schon deshalb durchgreifenden Bedenken, weil nicht mitgeteilt wird, welche berufliche Qualifikation und welche Ausbildung die anderen Sachverständigen aufweisen. Bei einer in der Brandursachenforschung so zentralen und sich immer wieder stellenden Frage, ob ein Brand unter Verwendung eines Brandbeschleunigers entstanden ist, hätte es einer Auseinandersetzung mit der Auffassung der anderen Sachverständigen bedurft, zumal die Methodik des Sachverständigen … A ihrerseits nicht standardisiert ist.
Die übrigen Gesichtspunkte, die das Landgericht für seine Überzeugung ausführt, wonach die Angeklagte den Brand durch Spiritus gelegt habe, sind nicht so gewichtig, dass sich ein zur Aufhebung des angefochtenen Urteils nötigender Darstellungsmangel ausschließen ließe. Die Aussage des Zeugen H, der Flammen aus dem Fenster des Krankenzimmers schlagen sah, hat für sich genommen keinen Beweiswert. Der Inhalt der Aussage bedarf vielmehr, wenn man die Beobachtungen dieses Zeugen überhaupt zur Grundlage für einen Rückschluss auf die Brandentstehung nutzen will, der Sachverständigenbewertung. Insoweit können die Bekundungen des Zeugen eine Anknüpfungstatsache bilden, die in die Gesamtbewertung des Geschehens einzustellen ist. Deshalb hätte dieser Gesichtspunkt im Rahmen einer Darstellung sämtlicher Sachverständigenmeinungen erörtert und gewürdigt werden müssen.
Soweit das Landgericht in einem der abgehörten Gespräche der Angeklagten mit dem Zeugen S einen die Angeklagte „besonders belastenden” Umstand sieht, liegt auch insoweit ein Erörterungsmangel vor. Das Landgericht, das die Aussage der Angeklagten, auch bei fahrlässiger Brandstiftung leiste die Brandversicherung, als besonders belastenden Umstand wertet, bezieht in seiner Begründung nicht mit ein, dass die Angeklagte bereits vorher – am Tage nach dem Brand – diesen ihrer Versicherung gemeldet hat und deshalb auch durch den Versicherungsmitarbeiter über die Eintrittspflicht der Brandversicherung im Falle einer nur fahrlässigen Brandstiftung hätte informiert sein können.
Da das Urteil bereits auf die Sachrüge aufzuheben war, bedarf es keines Eingehens mehr auf die von der Angeklagten erhobene Aufklärungsrüge zu der Frage, ob sie mit den später sichergestellten Schuhen nach dem Brand nochmals das Innere des Hauses betreten hat.
Unterschriften
Harms, Häger, Gerhardt, Raum, Schaal
Fundstellen
Haufe-Index 2555461 |
NStZ 2006, 296 |
NStZ-RR 2006, 144 |
StV 2006, 229 |