Normenkette
StGB §§ 20-21, 46
Verfahrensgang
LG München I (Entscheidung vom 15.07.2021; Aktenzeichen 19 KLs 257 Js 217947/19) |
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts München I vom 15. Juli 2021 im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
2. Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen besonders schweren Raubes zu einer Freiheitsstrafe von neun Jahren verurteilt und die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 500 € angeordnet. Die gegen seine Verurteilung mit der Sachrüge geführte Revision des Angeklagten erzielt den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
Rz. 2
1. Die Strafzumessung hält sachlichrechtlicher Nachprüfung nicht stand.
Rz. 3
a) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs dürfen einem Angeklagten Anlass, Tatmotive oder -modalitäten nur dann ohne Abstriche strafschärfend zur Last gelegt werden, wenn sie ihm in vollem Umfang vorwerfbar sind, nicht aber, wenn hierfür eine von ihm nicht oder nur eingeschränkt zu vertretende geistig-seelische Beeinträchtigung ursächlich ist (BGH, Beschlüsse vom 7. Oktober 2020 - 4 StR 145/20 Rn. 7; vom 27. Juni 2018 - 4 StR 103/18 Rn. 2; vom 3. Februar 2015 - 3 StR 541/14 Rn. 16 und vom 12. März 2014 - 5 StR 69/14 Rn. 6; je mwN). Gleiches gilt für das Nachtatverhalten (BGH, Beschluss vom 3. November 2004 - 2 StR 295/04 Rn. 7).
Rz. 4
b) Bei der Strafzumessung würdigt das Landgericht als straferschwerend, der Angeklagte habe "durch die Vielzahl seiner erheblichen und umfangreichen Vorstrafen - die zum großen Teil längere Freiheitsstrafen darstellen und einschlägiger Natur sind - und auch [durch] sein Nachtatverhalten eindrücklich gezeigt, dass die gegen ihn verhängten Strafen bislang keinerlei Wirkung hatten, er nach der jeweiligen Haftentlassung nie das ernsthafte Bestreben hatte, ein geordnetes, verantwortungsvolles, straffreies Leben zu führen, sondern - unbeeindruckt von der jahrelangen Haft - erneut einschlägige Delikte beging" (UA S. 50). Diese Erwägung lässt sich indes nicht mit der landgerichtlichen Wertung vereinbaren, die dissoziale Persönlichkeitsstörung des Angeklagten (ICD 10 F 60.2), die sich unter anderem darin zeige, dass er "unwillig (sei), aus negativer Erfahrung - insbesondere aus Bestrafung - zu lernen" (UA S. 43), erreiche grundsätzlich den Schweregrad einer schweren anderen seelischen Störung im Sinne des § 20 StGB (UA S. 43 f.); sollte dies zutreffen, wäre zu erörtern gewesen, warum dem Angeklagten trotz eines solchen Zustands sowohl die Vorstrafen als auch die nach der verfahrensgegenständlichen Tat begangenen Eigentumsdelikte in anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union in vollem Umfang vorgeworfen werden dürfen.
Rz. 5
2. Der Senat hebt den Strafausspruch mit den zu Grunde liegenden Feststellungen auf (§ 353 Abs. 2 StPO), um dem nunmehr zur Strafzumessung berufenen Tatgericht eine widerspruchsfreie Entscheidung zu ermöglichen.
Rz. 6
Es wird, naheliegender Weise unter Hinzuziehung eines weiteren Sachverständigen, vor allem zu prüfen sein, ob die bislang diagnostizierte Persönlichkeitsstörung tatsächlich das Eingangsmerkmal der schweren anderen seelischen Störung im Sinne des § 20 StGB erfüllt. Der Täter muss aufgrund der Störung aus einem mehr oder weniger unwiderstehlichen Zwang heraus gehandelt haben (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschlüsse vom 22. September 2021 - 1 StR 305/21 Rn. 11 mwN und vom 6. Mai 2021 - 3 StR 350/20 Rn. 17 f.). Für eine solche Annahme bedarf es einer Gesamtschau, ob die Persönlichkeitsstörung Symptome aufweist, die in ihrer Gesamtheit das Leben des Angeklagten vergleichbar schwer und mit ähnlichen Folgen stören, belasten oder einengen wie krankhafte seelische Störungen; der Ausprägungsgrad der Störung und der Einfluss auf die soziale Anpassungsfähigkeit sind entscheidend (st. Rspr.; BGH, Beschlüsse vom 22. Januar 2020 - 2 StR 562/19 Rn. 23; vom 16. März 2016 - 1 StR 402/15 Rn. 12 und vom 11. Februar 2015 - 4 StR 498/14 Rn. 6; Urteile vom 21. Januar 2004 - 1 StR 346/03, BGHSt 49, 45, 52 f. und vom 22. Mai 2019 - 2 StR 530/18 Rn. 14; je mwN). Die hier diagnostizierte dissoziale Persönlichkeitsstörung ist eher unspezifisch (vgl. BGH, Beschluss vom 11. Februar 2015 - 4 StR 498/14 Rn. 6 mwN); die bloße Angabe einer Diagnose im Sinne eines der Klassifikationsmerkmale ICD-10 genügt jedenfalls nicht (vgl. BGH, Beschlüsse vom 12. November 2004 - 2 StR 367/04, BGHSt 49, 347, 352 und vom 14. Juli 1999 - 3 StR 160/99 Rn. 7, BGHR StGB § 63 Zustand 34). Die Charakter- und Verhaltensauffälligkeiten müssen Besonderheiten erkennen lassen, die sich nicht mehr "normalpsychologisch" und nicht mit der Dissozialität erklären lassen, die der (mehrfachen) Begehung von schweren Straftaten immanent ist (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Mai 2019 - 1 StR 651/18 Rn. 14 mwN).
Raum |
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Fundstellen
Haufe-Index 15139241 |
NJW 2022, 1967 |
StV 2022, 385 |