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BGH Beschluss vom 11.02.1999 - 1 StR 528/98

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Entscheidungsstichwort (Thema)

versuchter Mord

 

Tenor

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 22. Januar 1998 wird mit der Maßgabe, daß der Angeklagte im Fall 36 der Urteilsgründe des schweren Raubes in Tateinheit mit Computerbetrug schuldig ist und die Einzelstrafe wegen dieses Computerbetruges wegfällt, als unbegründet verworfen.

Eine besondere Schwere der Schuld ist, auch soweit es B. D. betrifft, nicht festgestellt.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

 

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freisprechung im übrigen wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit schwerem Raub, Raubes mit Todesfolge in zwei Fällen, davon in einem Fall in weiterer Tateinheit mit Aussetzung mit Todesfolge, schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung in 25 Fällen, davon in 19 Fällen in weiterer Tateinheit mit Aussetzung, Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, Computerbetruges in sieben Fällen und Freiheitsberaubung zu lebenslanger Freiheitsstrafe als Gesamtstrafe verurteilt. Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Angeklagten, soweit er verurteilt wurde, mit der Sachrüge. Das Rechtsmittel führt nur zur Änderung des Schuldspruchs im Fall 36 der Urteilsgründe und zum Wegfall einer Einzelstrafe in diesem Fall. Darüber hinaus stellt der Senat – auch zugunsten von B. D., der kein Rechtsmittel eingelegt hat – klar, daß eine besondere Schwere der Schuld von dem dafür zuständigen Schwurgericht nicht bejaht wurde. Im übrigen ist das Rechtsmittel des Angeklagten unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO .

I.

Zur Konkurrenzfrage im Fall 36 ändert der Senat entsprechend dem Antrag des Generalbundesanwalts den Schuldspruch. Die Tathandlung des Computerbetruges war hier eingebettet in mehrere sukzessive Handlungen des Raubes, die das Landgericht als ein einheitliches Verbrechen wertet. Bei dieser Sachlage kann nicht angenommen werden, daß der Computerbetrug in Tatmehrheit zum Raub stehe. Es liegt natürliche Handlungseinheit vor. Dies führt zum Wegfall der Einzelstrafe wegen Computerbetruges in diesem Fall, ohne daß sich dies auf die aus zahlreichen weiteren Einzelstrafen gebildete Gesamtstrafe auswirken kann.

§ 265 Abs. 1 StPO steht der Schuldspruchänderung nicht entgegen, weil der Angeklagte, der diese Tat pauschal bestritten hat, sich nicht anders als geschehen hätte verteidigen können.

II.

1. Die Annahme des Landgerichts, es sei zur Prüfung der besonderen Schwere der Schuld im Sinne von § 57 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB nicht zuständig, trifft nicht zu (vgl. auch den Senatsbeschluß vom heutigen Tage – 1 StR 686/98 – für BGHSt bestimmt). Die Schwurgerichtskammer war auch dazu berufen, nach Verhängung lebenslanger Freiheitsstrafe als Gesamtstrafe über die Frage der besonderen Schwere der Schuld im Sinne von § 57 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB zu entscheiden, obwohl eine Verurteilung wegen nur versuchten Mordes u.a. zugrundelag, bei der die lebenslange Freiheitsstrafe gemäß § 211 Abs. 1 StGB nicht die einzige in Betracht kommende Rechtsfolge ist (§ 23 Abs. 2 StGB). Dies entspricht der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und einer in der Literatur zum Teil vertretenen Auffassung (vgl. BGHR StGB § 57 a Abs. 1 Schuldschwere 8; BGH NStZ 1994, 34, 35; 1994, 184; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO 43. Aufl. § 267 Rdn. 20 a; Stree in Schönke/Schröder, StGB 25. Aufl. § 57 a Rdn. 6).

Das Bundesverfassungsgericht hat zwar nur aus Anlaß von Fällen der Verurteilung zu lebenslanger Freiheitsstrafe wegen vollendeten Mordes gemäß § 211 Abs. 1 StGB entschieden, die Regelungen der §§ 454, 462 a StPO, 74 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 GVG seien verfassungskonform dahin auszulegen, daß die für die besondere Schwere der Schuld maßgeblichen Tatsachen vom Tatgericht im Erkenntnisverfahren festgestellt, im Urteil dargestellt und unter dem für die Aussetzungsentscheidung erheblichen Gesichtspunkt ihrer besonderen Schwere mit bindender Wirkung für das Vollstreckungsgericht gewichtet werden müssen (BVerfGE 86, 288, 315 ff.). Darauf, daß die Notwendigkeit einer Entscheidung durch den Tatrichter nur in diesen Fällen gesehen wurde (vgl. Winter, abweichende Meinung in BVerfGE 86, 355, 369), deutet neben der alleinigen Befassung mit dieser Fallvariante auch die Begründung hin (so auch Gribbohm in LK 11. Aufl. § 57 a StGB Rdn. 46 ff.; Tröndle, StGB 48. Aufl. § 57 a Rdn. 18), eine Strafzumessung nach der individuellen Schuld erfolge in diesen Fällen nicht, die Möglichkeiten der Strafvollstreckungskammer zu sachgerechter Entscheidung seien daher beschränkt (aaO S. 316).

Aber auch in anderen Fällen, in denen das Landgericht lebenslange Freiheitsstrafe verhängt, muß dies nicht immer notwendig auf einer umfassenden Würdigung aller für die Beurteilung der besonderen Schuldschwere bedeutsamen Umstände beruhen. Lehnt das Gericht bei Mord in den Fällen fakultativer Strafmilderung eine Strafrahmenverschiebung ab, kommt dabei den Besonderheiten des vertypten Milderungsgrunds (z. B. vorverlagerte Schuld bei § 21 StGB, vgl. BGHR StGB § 21 Strafrahmenverschiebung 28; Erfolgsnähe bei § 23 Abs. 2 StGB, vgl. BGH MDR 1994, 1069; BGHR StGB § 23 Abs. 2 Strafrahmenverschiebung 4; unterlassungsbezogene Umstände bei § 13 Abs. 2 StGB, vgl. BGH StV 1987, 527 f.) besonderes Gewicht zu, ohne daß diese Umstände geeignet wären, etwas zur besonderen Schuldschwere im Sinne des § 57 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB auszusagen. Dies zeigt bereits, daß allein die mehr oder weniger große Ausführlichkeit der Urteilsgründe kein ausreichendes Kriterium ist, die Zuständigkeitsfrage bei Beurteilung der besonderen Schuldschwere zu beantworten. Zudem hat das Bundesverfassungsgericht bei der Verlagerung der Entscheidung auf den Tatrichter weitere Gründe angeführt, welche nicht nur bei vollendetem Mord, sondern für alle Fälle bei Verhängung lebenslanger Freiheitsstrafe Bedeutung erlangen. Daher erscheint die entsprechende Anwendung der Regeln der Entscheidung in BVerfGE 86, 288 ff. auch in diesen Fällen sachgerecht und angebracht:

Das Bundesverfassungsgericht hat darauf abgestellt, daß die Beurteilung der Frage der besonderen Schuldschwere hinsichtlich der Feststellung der dafür maßgeblichen Tatsachen und der zusammenfassenden Würdigung der Person des Täters und seiner Straftaten nach der Struktur des Strafverfahrens dem Tatgericht, nicht dem Vollstreckungsgericht zu übertragen sei. Die Vollstreckungsgerichte seien dafür „weder besonders erfahren noch entscheidungsnah” (aaO S. 319). Für die Übertragung der Zuständigkeit zur Entscheidung über das Vorliegen einer besonderen Schuldschwere auf die Tatgerichte spreche dagegen umgekehrt deren „besondere Nähe zum Tatgeschehen” (aaO S. 322). Die Tatgerichte seien deshalb dazu berufen, über das Vorliegen der besonderen Schuldschwere zu entscheiden, die Vollstreckungsgerichte darüber, ob eine besondere Schuldschwere gegebenenfalls die weitere Strafvollstreckung nach Ablauf der Mindestverbüßungsdauer gebiete (aaO S. 323). Außerdem fehle im Verfahren vor dem Vollstreckungsgericht eine im Strengbeweis unter Beachtung besonderer Verfahrensgarantien für den Angeklagten geschaffene Grundlage für die nach dem Gesetz dem Vollstreckungsgericht übertragene Bewertung der Schuldschwere (aaO S. 317).

Wird die Gewichtung der Schuld unter dem Gesichtspunkt ihrer besonderen Schwere im Urteil vorgenommen, so unterliegt dieses auch insoweit der Revision, ungeachtet dessen, daß die Gewichtung der individuellen Schuld keine Auswirkungen auf den Strafausspruch haben kann (BVerfGE aaO). Es wäre ein Wertungswiderspruch, wenn nur in Fällen der Verurteilung zu (zwingend) lebenslanger Freiheitsstrafe wegen vollendeten Mordes ohne erhebliche Verminderung der Schuld die Frage ihrer besonderen Schwere von dem mit fünf Richtern besetzten, in Fragen der Schuldgewichtung besonders erfahrenen und tatnah entscheidenden Tatgericht beurteilt würde und dessen Entscheidung revisionsgerichtlicher Kontrolle zugänglich wäre, während in allen anderen Fällen der (fakultativen) Verhängung lebenslanger Freiheitsstrafe die Schuldschwere von einer mit drei Richtern besetzten (§ 78 b Abs. 1 Nr. 1 GVG), weniger erfahrenen (BVerfGE aaO S. 315) und lange nach der Tat entscheidenden Strafvollstreckungskammer geprüft und deren Entscheidung von einem Beschwerdegericht kontrolliert werden würde.

Eine Spaltung der Entscheidungszuständigkeit und des Instanzenzuges ist auch deshalb unangebracht, weil dann die Zuständigkeitsfrage im Einzelfall unklar wäre, etwa wenn bei Verhängung lebenslanger Freiheitsstrafe wegen vollendeten Heimtückemordes ohne erhebliche Minderung der Schuld vom Tatgericht trotz der zwingenden Regelung des § 211 Abs. 1 StGB bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände Überlegungen zur Strafzumessung nach den Grundsätzen von BGHSt GS 30, 105 ff. angestellt werden, die die Grundlage einer Entscheidung des Vollstreckungsgerichts bilden könnten. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfGE 96, 44 ff.) hat es in anderem Zusammenhang als Gebot der Gewährung effektiven Rechtsschutzes betrachtet, daß die Fachgerichte zur Klärung einer unübersichtlichen Zuständigkeits- und Rechtswegfrage beitragen (vgl. auch BGH wistra 1999, 349, 352; 1999, 353, 355, jew. für BGHSt bestimmt). Dem entspricht die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, daß in allen Fällen der Verhängung lebenslanger Freiheitsstrafe für die Prüfung der besonderen Schwere der Schuld im Sinne des § 57 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB auf der Grundlage von BVerfGE 86, 288 ff. die Tatgerichte zuständig sind.

Dafür ist auch maßgeblich, daß dem zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilten Täter in allen Fällen möglichst frühzeitig eine Perspektive gegeben werden muß, indem ihm hinsichlich des für die Verbüßungsdauer bedeutsamen Kriteriums der Schwere der Schuld schon im Rahmen der tatrichterlichen Entscheidung Gewißheit über das Ausmaß des Eingriffs in seine Freiheitsrechte verschafft wird (vgl. BVerfGE 86, 288, 327). Dieser Gesichtspunkt berührt gleichermaßen jede Verurteilung zu lebenslanger Freiheitsstrafe und gebietet auch die Gleichbehandlung aller Täter. Wenn bei Mord trotz Vorliegens eines vertypten Milderungsgrundes, bei Totschlag im besonders schweren Fall oder bei Raub oder Brandstiftung mit Todesfolge zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt wird, hat der Verurteilte ebenso wie der wegen vollendeten Mordes ohne besonderen Milderungsgrund Verurteilte Anspruch darauf, alsbald zu erfahren, ob die besondere Schwere seiner Schuld dazu führt, daß die Mindestverbüßungsdauer als nicht ausreichend angesehen wird. Es erscheint somit insgesamt nicht sachgerecht, die Zuständigkeit für die Beurteilung der Frage der besonderen Schwere der Schuld und die Rechtsmittelentscheidungen hierzu aufzuspalten.

2. Demnach hatte allein das Schwurgericht über die Frage der besonderen Schuldschwere zu entscheiden. Da ein Ausspruch hierüber im Urteilstenor nicht getroffen worden ist (vgl. BGHSt 39, 121, 123; BGHR StGB § 57 a Abs. 1 Schuldschwere 3, 8), ist eine besondere Schwere der Schuld nicht festgestellt. Dadurch ist der Angeklagte nicht beschwert. Der nicht zutreffende Hinweis des Schwurgerichts darauf, daß das Vollstreckungsgericht über die Frage der besonderen Schuldschwere zu entscheiden habe, führt – auch bezüglich des von demselben Rechtsfehler in gleicher Weise betroffenen B. D., der kein Rechtsmittel eingelegt hat (vgl. § 357 StPO) – zu der Klarstellung des Senats, daß die besondere Schwere der Schuld mit bindender Wirkung für das Vollstreckungsgericht nicht bejaht worden ist (vgl. BGH NJW 1997, 878 = NStZ 1997, 277). Eine Zurückverweisung zur Nachholung der Entscheidung über die besondere Schwere der Schuld kommt wegen des Verschlechterungsverbots (§ 358 Abs. 2 StPO) nicht in Betracht.

 

Unterschriften

Schäfer, Ulsamer, Maul, Brüning, Wahl

 

Fundstellen

Dokument-Index HI539942

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