Leitsatz (amtlich)
a) § 15 Nr. 3 EGZPO gilt auch für die Zwangsvollstreckung aus arbeitsgerichtlichen Titeln.
b) Eine Verfügung der Rechtsaufsichtsbehörde gem. § 69 Abs. 1 ThürKO, mit der die Zwangsvollstreckung gegen eine Gemeinde aus einem arbeitsgerichtlichen Titel zugelassen wird, ist nicht vollziehbar, wenn das VG die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Gemeinde gem. § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO wiederhergestellt hat.
c) Ist vor der Entscheidung über die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung bereits ein Pfändungs- und Überweisungsbeschluss ergangen, so hat das Vollstreckungsgericht in entsprechender Anwendung des § 80 Abs. 5 Satz 3 VwGO unter Berücksichtigung der beiderseitigen Interessen des Schuldners und des Gläubigers zu prüfen, ob diese Maßnahme aufzuheben ist.
Normenkette
ZPO § 829 Abs. 1, § 835 Abs. 1; EGZPO § 15 Nr. 3; VwGO § 80 Abs. 5 S. 3; ThürKO § 69 Abs. 1
Verfahrensgang
LG Erfurt (Beschluss vom 16.12.2008; Aktenzeichen 2 T 437/08) |
AG Sömmerda (Entscheidung vom 14.05.2008; Aktenzeichen 2 M 800/06) |
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde des Gläubigers wird der Beschluss der 2. Zivilkammer des LG Erfurt vom 16.12.2008 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Beschwerdegericht zurückverwiesen.
Gründe
I.
Rz. 1
Der Gläubiger betreibt gegen die Schuldnerin, eine Stadt in Thüringen, die Zwangsvollstreckung aus einem vorläufig vollstreckbaren Urteil des ArbG E., durch das die Schuldnerin zur Zahlung von 204.812,57 EUR zzgl. Zinsen verurteilt wurde.
Rz. 2
Das Landratsamt S. ließ als Rechtsaufsichtsbehörde mit Bescheid vom 20.6.2006 die Zwangsvollstreckung in das gesamte bewegliche Vermögen der Schuldnerin gem. § 69 Abs. 1 Satz 1 ThürKO mit der Maßgabe zu, dass diese ab dem 3.7.2006 erfolgen kann. Auf Antrag des Gläubigers hat das AG - Vollstreckungsgericht - am 5.7.2006 die Pfändung von angeblichen Forderungen der Schuldnerin gegen die Drittschuldnerin angeordnet und die Ansprüche an den Gläubiger zur Einziehung überwiesen. Zwischenzeitlich hat es die Einstellung der Zwangsvollstreckung angeordnet.
Rz. 3
Die Schuldnerin legte gegen die Zulassungsverfügung des Landratsamts S. vom 20.6.2006 Widerspruch ein. Im weiteren Verlauf des Verfahrens ordnete das Landratsamt S. am 6.10.2008 die sofortige Vollziehung seiner Zulassungsverfügung vom 20.6.2006 an, die dahin modifiziert wurde, dass die Zwangsvollstreckung bis zum 31.12.2008 erfolgen kann. Nach Widerspruch der Schuldnerin gegen den Bescheid vom 6.10.2008 und einem Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO stellte das VG W. fest, dass dieser Widerspruch aufschiebende Wirkung hat, und es stellte zudem die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen die Zulassungsverfügung vom 20.6.2006 wieder her.
Rz. 4
Die Erinnerung der Schuldnerin gegen den Pfändungs- und Überweisungsbeschluss ist erfolglos geblieben. Auf ihre sofortige Beschwerde hat das Beschwerdegericht den Pfändungs- und Überweisungsbeschluss aufgehoben. Mit der von ihm zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt der Gläubiger die Wiederherstellung der Entscheidung des AG - Vollstreckungsgerichts -.
Rz. 5
Am 30.1.2009 hat das Landesverwaltungsamt eine Anschluss-Zulassungsverfügung erlassen, mit der die Zwangsvollstreckung in das gepfändete Konto der Schuldnerin zugelassen wird. Es wurde angeordnet, dass der Beginn der Zwangsvollstreckung ab dem 1.1.2009 als Anschluss-Vollstreckung erfolgen kann. Die sofortige Vollziehung der Verfügung wurde angeordnet.
II.
Rz. 6
Das Beschwerdegericht sieht den der Zwangsvollstreckung zugrunde liegenden Anspruch des Gläubigers aus dem Beschäftigungsverhältnis des Gläubigers mit der Schuldnerin als bürgerlich-rechtliche Geldforderung i.S.d. § 69 Abs. 1 Satz 1 ThürKO an. Voraussetzung der Zwangsvollstreckung gegen die Schuldnerin sei deshalb eine Zulassungsverfügung der Rechtsaufsicht. Diese müsse vollziehbar sein. Nachdem das VG W. die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Schuldnerin gegen die Zulassungsverfügung wiederhergestellt habe und dies nach § 80 Abs. 1 VwGO auf den Zeitpunkt des Erlasses der Zulassungsverfügung zurückwirke, fehle es an einer vollziehbaren Zulassungsverfügung, so dass die Pfändungsmaßnahme aufzuheben sei.
III.
Rz. 7
Die gem. §§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 3 Satz 2, 575 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht. Dessen Ausführungen halten der Nachprüfung in einem wesentlichen Punkt nicht stand.
Rz. 8
1. Keinen Erfolg hat die Rechtsbeschwerde mit ihrer Auffassung, eine Zulassungsverfügung nach § 69 Abs. 1 Satz 1 ThürKO sei keine Voraussetzung der Zwangsvollstreckung. Diese Regelung sei nicht auf Zwangsvollstreckungen aus Urteilen der ArbG anwendbar, wie sich aus § 15 Nr. 3 EGZPO ergebe. Diese, den Vorrang des Landesrechts regelnde Norm gelte nur für Geldforderungen, denen ein auf dem ordentlichen Rechtsweg verfolgter Anspruch zugrunde liege.
Rz. 9
Grundsätzlich verdrängen allerdings die prozessrechtlichen Vorschriften der Zivilprozessordnung landesrechtliche Regelungen zur Zwangsvollstreckung, § 14 Abs. 1 EGZPO. Eine Ausnahme davon gilt jedoch für landesgesetzliche Vorschriften über die Zwangsvollstreckung wegen Geldforderungen gegen einen Gemeindeverband oder eine Gemeinde, soweit nicht dingliche Rechte verfolgt werden. Diese Vorschriften bleiben unberührt, § 15 Nr. 3 EGZPO. Eine derartige Vorschrift ist § 69 Abs. 1 ThürKO. Danach bedarf der Gläubiger zur Einleitung der Zwangsvollstreckung gegen die Gemeinde wegen einer bürgerlich-rechtlichen Geldforderung einer Zulassungsverfügung des Landesverwaltungsamts (in der bis zum 28.11.2008 geltenden Fassung "der Rechtsaufsichtsbehörde"), es sei denn, es handelt sich um die Verfolgung dinglicher Rechte. § 15 Nr. 3 EGZPO ist auch bei einer Zwangsvollstreckung wegen Geldforderungen aus arbeitsgerichtlichen Titeln anzuwenden. Das ergibt sich aus dem Zweck der Vorschrift und seiner Entstehungsgeschichte.
Rz. 10
a) Wegen der Vollstreckung von Urteilen der ArbG verweist § 62 Abs. 2 ArbGG allerdings lediglich auf die Vorschriften des Achten Buches der Zivilprozessordnung. Der Umstand, dass § 62 Abs. 2 ArbGG keine Verweisung auf § 15 Nr. 3 EGZPO enthält, lässt jedoch nicht den Schluss zu, dass diese Vorschrift nicht anzuwenden wäre. Sinn der Regelung in § 62 Abs. 2 ArbGG ist die komplette Übernahme des Zwangsvollstreckungsverfahrens der ordentlichen Gerichtsbarkeit (vgl. Regierungs-Entwurf eines Arbeitsgerichtsgesetzes nebst amtlicher Begründung, 33. Sonderheft zum Reichsarbeitsblatt 1925, S. 80 f.). Dazu gehört auch die Regelung zur Geltung des Landesrechts in § 15 Nr. 3 EGZPO.
Rz. 11
b) Es gibt weder in den Gesetzgebungsmaterialien zur Fassung des Arbeitsgerichtsgesetzes im Jahr 1953 und denjenigen zur Neubekanntmachung im Jahre 1979 (vgl. BT-Drucks. 1/3516, 31 und BT-Drucks. 8/1567) noch in den Gesetzesmaterialien zum Gesetz über Maßnahmen auf dem Gebiete der Zwangsvollstreckung irgendwelche Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber die Absicht hatte, den Ländern bei der Zwangsvollstreckung von Geldforderungen gegen Gemeindeverbände oder Gemeinden aus arbeitsgerichtlichen Titeln keine Regelungskompetenz zuzuweisen. Vielmehr spricht der Umstand deutlich dagegen, dass der ursprüngliche Regierungsentwurf zum Gesetz über Maßnahmen auf dem Gebiete der Zwangsvollstreckung zu § 882a ZPO, der auch die Einbeziehung der Gemeinden in den Regelungsbereich vorsah (BT-Drucks. 1/4452, 3 f. und S. 28), abgelehnt wurde (vgl. hierzu Geißler, Zur Neuregelung der Zwangsvollstreckung gegen den Fiskus, NJW 1953, 1853 [1855 f.]). Denn es wäre dann eine Regelungslücke für die Vollstreckung aus arbeitsgerichtlichen Titeln gegen Gemeindeverbände und Gemeinden verblieben, die ersichtlich nicht gewollt war und für die es auch keinen nachvollziehbaren Grund gäbe. Es liegt zudem auf der Hand, dass die im Bundesrat gegen die Einbeziehung der Gemeinden in den Regelungsbereich des § 882a ZPO vorgetragenen Bedenken, die vorgesehene Regelung könne gegen das im Grundgesetz verankerte Recht der Länder zur Regelung des Gemeinderechts verstoßen (BR-Drucks. 297/53 Anlage 1), auch für die Zwangsvollstreckung aus arbeitsgerichtlichen Titeln gilt.
Rz. 12
2. Ohne Erfolg bleibt auch die Rüge, zu Unrecht habe das Beschwerdegericht angenommen, dass eine bürgerlich-rechtliche Streitigkeit i.S.d. § 69 Abs. 1 ThürKO auch der von dem Gläubiger gegen die Schuldnerin geführte Prozess vor dem ArbG sei und es deshalb einer vollziehbaren Zulassungsverfügung bedürfe. Diese Rüge richtet sich gegen die Auslegung einer landesrechtlichen Norm, die der Nachprüfung durch den BGH entzogen ist. Nach § 576 Abs. 1 ZPO kann die Rechtsbeschwerde nur auf die Verletzung von Bundesrecht oder einer Vorschrift, deren Geltungsbereich sich über den Bezirk eines OLG hinaus erstreckt, gestützt werden. Diese Voraussetzungen sind von der Rechtsbeschwerde nicht dargelegt. Von ihr wird auch nicht geltend gemacht, dass es in anderen Ländern vergleichbare Regelungen gäbe, die in ihrem wesentlichen Inhalt mit § 69 Abs. 1 ThürKO übereinstimmten, und dass diese Übereinstimmung bewusst und gewollt zum Zweck der Vereinheitlichung herbeigeführt worden sei (vgl. dazu BGH, Urt. v. 18.6.2009 - VII ZR 196/08, BGHZ 181, 304, Tz. 10 f.).
Rz. 13
3. Im Ausgangspunkt zutreffend erkennt das Beschwerdegericht, dass die Zulassungsverfügung vom 20.6.2006 nicht vollziehbar ist, nachdem das VG W. die aufschiebende Wirkung des dagegen gerichteten Widerspruchs angeordnet hat und auch die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Änderungsbescheid vom 6.10.2008 festgestellt hat. Damit fehlt eine Voraussetzung für die Einleitung der Zwangsvollstreckung aus dem vorläufig vollstreckbaren Urteil des ArbG. Vergeblich macht die Rechtsbeschwerde geltend, es käme nur darauf an, dass im Zeitpunkt der Pfändung eine noch nicht angefochtene Zulassungsverfügung vorgelegen hätte. Das Beschwerdegericht hat § 69 Abs. 1 ThürKO in der Sache dahin ausgelegt, dass die Zulassungsverfügung bei der Einleitung der Zwangsvollstreckung vollziehbar sein müsse und insoweit die allgemeinen Grundsätze des Verwaltungsrechts anwendbar seien. Nach diesen Grundsätzen wirkt der Widerspruch gegen einen Verwaltungsakt in der Weise, dass der angefochtene Verwaltungsakt von Anfang an nicht vollziehbar war (BVerwG, DÖV 1973, 785 [787]). Gleiches gilt, wenn ein VG die aufschiebende Wirkung eines Widerspruchs gem. § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO anordnet (BVerwG, Buchholz 402.24 § 2 AuslG Nr. 32, zum zweiseitigen Verhältnis; Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 5. Aufl. Rz. 1082).
Rz. 14
4. Die Entscheidung des VG W. vom 28.10.2008 hatte danach zur Folge, dass die Zulassungsverfügung als von Anfang an nicht vollziehbar zu behandeln ist. Daraus folgt jedoch entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts nicht, dass der Pfändungs- und Überweisungsbeschluss ohne Weiteres aufgehoben werden muss. Der Pfändungs- und Überweisungsbeschluss stellt sich in der Sache als Vollziehung der Zulassungsverfügung dar. Ist ein Verwaltungsakt mit Doppelwirkung, wie er hier mit der Zulassungsverfügung vorliegt, für sofort vollziehbar erklärt worden und ist er vollzogen, so führt die spätere Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung durch das VG nicht ohne Weiteres dazu, dass die Vollziehung ebenfalls rückgängig gemacht wird. Vielmehr findet eine gesonderte Prüfung statt, vgl. §§ 80 Abs. 5 Satz 3, 80a Abs. 3 VwGO. Das Gericht kann die Aufhebung der Vollziehung anordnen, es kann aber auch davon absehen. Es findet eine umfassende Interessenabwägung statt, bei der nicht nur die beiderseitigen wirtschaftlichen Interessen zu berücksichtigen sind, sondern auch die Erfolgsaussichten in der Hauptsache (Kopp/Schenke, VwGO, 16. Aufl., § 80 Rz. 176, 151 f.; vgl. VGH Bayern, NJW 1983, 835 [838]). Diese Regelungen sind entsprechend anzuwenden, wenn das VG diese Prüfung deshalb nicht vornehmen kann, weil die Vollziehung des Verwaltungsaktes im Wege der Zwangsvollstreckung erfolgt und deshalb die Zuständigkeit des VG nicht gegeben ist. In diesem Fall hat das Vollstreckungsgericht die gebotene Abwägung vorzunehmen. Es muss dem allgemein im Zwangsvollstreckungsverfahren geltenden Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Geltung verschaffen (vgl. dazu BGH, Beschl. v. 28.6.2006 - VII ZB 142/05, NJW-RR 2005, 1576). Dieser gebietet, das Interesse des Gläubigers an einem zügigen und wirksamen Vollstreckungszugriff und das Interesse des Schuldners an effektivem Rechtsschutz und einem möglichst maßvollen Eingriff gegeneinander abzuwägen (Zöller/Stöber, ZPO, 28. Aufl., vor § 704 Rz. 29).
Rz. 15
5. Der angefochtene Beschluss ist aufzuheben und die Sache ist an das Beschwerdegericht zurückzuverweisen. Eine abschließende Entscheidung des Senats ist nicht möglich, § 577 Abs. 5 ZPO. Das Beschwerdegericht hat, von seinem Standpunkt aus konsequent, keine Feststellungen zu den berechtigten Interessen der Parteien am Fortbestand der Pfändung getroffen. Die Aufhebung und Zurückverweisung gibt ihm Gelegenheit, dies nachzuholen. Dabei wird es das wirtschaftliche Interesse der Schuldnerin an einer Aufhebung der Pfändungsmaßnahme zu berücksichtigen haben. Andererseits wird es das Interesse des Gläubigers an einer sofortigen Vollstreckung zu prüfen haben und dabei auch in Erwägung ziehen müssen, dass der Gläubiger bereits seit längerer Zeit einen vollstreckbaren Titel besitzt und sich die Schuldnerin deshalb auf eine Pfändung einstellen konnte. Das Beschwerdegericht wird im Rahmen der ihm möglichen summarischen Prüfung auch in Erwägung ziehen müssen, welche Erfolgsaussichten die Anfechtung des Zulassungsbescheids hat. Dazu geben die Ausführungen des OVG in einem Parallelverfahren wichtige Hinweise. Im Rahmen seiner Interessenabwägung ist das Beschwerdegericht nicht gehindert, die vom AG angeordnete Einstellung der Zwangsvollstreckung aufzuheben.
Rz. 16
Das Beschwerdegericht muss sich allerdings vorrangig damit auseinandersetzen, dass die Zulassungsverfügung mit Bescheid vom 6.10.2008 dahin abgeändert worden ist, dass die Zwangsvollstreckung nur bis zum 31.12.2008 erfolgen kann und der Zeitraum ab dem 1.1.2009 offenbar durch den Bescheid vom 30.1.2009 abgedeckt werden sollte. Es ist Sache des Beschwerdegerichts, diesen Bescheid auszulegen.
Fundstellen
EBE/BGH 2010 |
WM 2010, 769 |
DÖV 2010, 703 |
JZ 2010, 254 |
MDR 2010, 773 |