Verfahrensgang
LG Oldenburg (Urteil vom 17.06.2002) |
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Oldenburg vom 17. Juni 2002 mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Tatbestand
I.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Mordes zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt.
Zugrunde liegt nach den getroffenen Feststellungen, daß der Angeklagte dem späteren Tatopfer am Tattag nach 18.45 Uhr zufällig auf einem Waldweg begegnete, es in eine Tannenschonung zog und sich entschloß, mit ihm geschlechtlich zu verkehren, wobei er es zu diesem Zweck töten oder in der Tötung geschlechtliche Befriedigung suchen wollte. Die vor ihm fliehende, bis auf die Socken nackte Frau, an der er zuvor mit einem Regenschirm sexuelle Handlungen vorgenommen hatte, erstach er mit insgesamt 47 Messerstichen. Während das Opfer verblutete, vollzog der Angeklagte an ihm den Beischlaf bis zum Samenerguß. Eine DNA-Analyse hat zu dem Ergebnis geführt, daß das in der Leiche gefundene Sperma dem Angeklagten zuzuordnen ist und dessen Identifizierungsmuster seltener als einmal unter einer Billion nicht blutsverwandter Personen vorkommt.
Der Angeklagte hat den Geschlechtsverkehr mit dem Tatopfer eingestanden. Nach dem freiwilligen Geschlechtsverkehr sei er von dem lesbisch veranlagten Opfer beleidigt und geschlagen worden, an das weitere Geschehen habe er keine Erinnerung mehr.
Die auf die Verletzung formellen und sachlichen Rechts gestützte Revision des Angeklagten macht Mängel in der Beweiswürdigung zum Tatgeschehen sowie zur unmittelbaren Vor- und Nachgeschichte geltend und rügt die fehlerhafte Behandlung mehrerer Beweisanträge. Mit der weiteren Beanstandung, daß an dem Urteil ein Richter mitgewirkt hat, nachdem er wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt und das Ablehnungsgesuch mit Unrecht verworfen worden war, hat der Beschwerdeführer Erfolg.
Entscheidungsgründe
II.
1. Der Rüge liegt folgender Verfahrenssachverhalt zugrunde:
Im Laufe der Hauptverhandlung am 15. Februar 2002 sagte der Zeuge KHK S. aus, daß dem Zeugen Ma. am Tattag um 18 Uhr der Pkw der später getöteten Frau M. entgegen gekommen sei, in dem eine weitere, eventuell männliche Person auf dem Beifahrersitz gesessen habe. Auf die erstaunte Nachfrage des Verteidigers bestätigte der Vorsitzende, daß sich eine solche Aussage nicht in den Ermittlungsakten befinde. Hierzu gab der Zeuge an, er hätte sie in einer der zahlreichen Spurenakten gelesen. Am 19. Februar 2002 übergab KHK S. einen Karton mit den Spurenakten dem Gericht. Im Fortsetzungstermin vom 22. Februar 2002 wies der Verteidiger darauf hin, daß er noch Einsicht in die Spurenakten nehmen wolle. Er kündigte an, weitere Beweisanträge nach deren Durcharbeitung zu stellen. Der Vorsitzende fragte gleichwohl, ob die Beweisaufnahme geschlossen werden könne. Erneut wies der Verteidiger darauf hin, daß er beabsichtige, die Spurenakten durchzusehen und noch Beweisanträge zu stellen. Daraufhin äußerte der Vorsitzende, man könne heute die Zeit noch nutzen für das Plädoyer des Staatsanwalts. Bei eventuellen Beweisanträgen könne wieder in die Hauptverhandlung eingetreten werden. Die Beweisaufnahme wurde sodann geschlossen, der Staatsanwalt hielt sein Plädoyer.
Am selben Tag rief der Vorsitzende in der Mittagszeit den Verteidiger an und fragte, ob er sein Plädoyer nicht einen Tag früher als zu dem ins Auge gefaßten Fortsetzungstermin halten könne. Wieder wies der Verteidiger auf die Durchsicht der Spurenakten, eine Besprechung mit dem Angeklagten sowie auf weitere Beweisanträge hin. Daraufhin äußerte der Vorsitzende, daß die Beweisanträge möglicherweise alle abgelehnt werden könnten. Auf die Frage des Verteidigers, ob denn das Urteil schon feststehe, antwortete er, daß ein Täter, der ein Mordmerkmal erfülle, regelmäßig lebenslänglich bekomme, es sei denn, der Verteidiger präsentiere den wahren Täter, vielleicht den Zwillingsbruder des Angeklagten mit derselben DNA.
In seiner dienstlichen Äußerung hat der Vorsitzende zu seiner Bemerkung zur Ablehnung der Beweisanträge ausgeführt, daß er die Möglichkeit gesehen habe, daß die Verteidigung keine oder nur solche Beweisanträge stellen würde, die das Gericht nach kurzer Beratung ablehnen könnte. Seine Antwort zur Frage nach einer lebenslangen Freiheitsstrafe sei lediglich der Hinweis auf eine Binsenwahrheit gewesen. Seine Bewertung mit dem Zwillingsbruder habe sich nur auf den Beweiswert der DNA-Analyse bezogen. Er habe weiter gesagt, daß Beweisanträge, die darauf abzielten, daß der Geschlechtsverkehr stattgefunden habe, bevor Frau M. ihrem Mörder begegnet sei, Erfolg haben könnten. In einer ergänzenden Stellungnahme hat der Vorsitzende geäußert, daß er auf den hohen Beweiswert der DNA hingewiesen habe, daß bei einer statistischen Wahrscheinlichkeit von mehreren Billionen oder Billiarden nur noch ein Zwillingsbruder als möglicher anderer Täter in Frage komme, andererseits aber auch die Möglichkeit bestehe, daß durch die DNA nicht die dem Geschlechtsverkehr nachfolgende Tötung bewiesen werde.
Nach Ablehnung dieses Befangenheitsantrages wurde wieder in die Beweisaufnahme eingetreten; das Urteil wurde schließlich vier Monate später verkündet.
2. Bei diesem Sachverhalt ist das Ablehnungsgesuch des Angeklagten zu Unrecht verworfen worden. Die zitierten Äußerungen begründen die Besorgnis der Befangenheit; sie waren geeignet, Mißtrauen gegen die Unparteilichkeit des Vorsitzenden zu rechtfertigen (§ 24 Abs. 2 StPO). Denn sie konnten den Eindruck erwecken, der Vorsitzende ziehe eine schnelle Prozeßerledigung einer sachgemäßen Aufklärung der Sache vor und sei bereits davon überzeugt, daß der Angeklagte nicht nur den Geschlechtsverkehr mit dem Opfer, sondern auch einen Sexualmord begangen hatte.
Angesichts des Umstandes, daß ein Polizeibeamter in der Hauptverhandlung auf eine den Angeklagten entlastende Aussage des Zeugen Ma. hingewiesen hatte, die dem Verteidiger und auch dem Vorsitzenden bislang unbekannt war, und die in Spurenakten enthalten war, die sich bisher nicht bei den Verfahrensakten befanden, und der daraufhin erfolgten Ankündigung des Verteidigers, nach Durcharbeitung der Spurenakten Beweisanträge stellen zu wollen, konnte die vom Vorsitzenden verfügte Beendigung der Beweisaufnahme, seine Aufforderung an die Staatsanwaltschaft, das Schlußplädoyer zu halten, und die Äußerung dem Verteidiger gegenüber, daß dessen angekündigte Beweisanträge möglicherweise alle abgelehnt würden, auch in einem besonnenen Angeklagten die Befürchtung wecken, dieser Richter sei ihm gegenüber nicht mehr unbefangen und geneigt, auf das prozessuale Vorgehen seines Verteidigers ihm, dem Angeklagten gegenüber, in einer seiner Sache nachteiligen Weise zu reagieren und die schnelle Sacherledigung einer sachgerechten Aufklärung vorzuziehen (vgl. BGHR StPO § 24 II Vorsitzender 1).
Hierbei ist zu berücksichtigen, daß durch das DNA-Gutachten zunächst lediglich bewiesen wird, daß der Angeklagte Geschlechtsverkehr mit dem Opfer hatte. Für die weitere Schlußfolgerung, daß er auch derjenige war, der das Opfer erstochen hatte, kam es auf die Auswertung und Würdigung des gesamten übrigen Spuren- und Beweisbildes an, weil dafür der zeitliche Abstand zwischen Geschlechtsverkehr und Tötungshandlung sowie deren Reihenfolge von Bedeutung sind. Daß sich hierbei durchaus Anhaltspunkte aus den Spurenakten gewinnen ließen, die der Verteidigung Anlaß für Beweisanträge sein konnten, lag nicht fern. Dies belegt bereits die von dem Zeugen KHK S. wiedergegebene Beobachtung eines Zeugen, der in einem engen zeitlichen und örtlichen Zusammenhang zu der Begegnung des Angeklagten mit dem Opfer eine weitere „eventuell männliche Person” in deren Pkw gesehen haben will. Bei dem vom Gericht angenommenen Geschehensablauf wäre dies eine dritte Person gewesen, deren mögliche Verwicklung in das Geschehen hätte bedacht werden müssen.
Wenn sich schon in einem Verfahren das Mißgeschick ereignet, daß Spurenakten, die möglicherweise erhebliche Ermittlungen enthalten, erst im Laufe der Hauptverhandlung auftauchen, wäre zu erwarten gewesen, daß das Gericht diese selbst im Rahmen seiner Aufklärungspflicht nach § 244 Abs. 2 StPO eingehend prüft und auch den Verfahrensbeteiligten, insbesondere aber dem Verteidiger ausreichende Gelegenheit zur Nachholung der Verfahrensvorbereitung gibt, anstatt auf eine schnelle Verfahrensbeendigung zu drängen.
III.
Da bereits diese Verfahrensrüge zur Aufhebung führt, kommt es auf die Begründetheit der weiteren Verfahrens- und Sachrügen nicht mehr an. Der Senat weist jedoch darauf hin, daß auch in weiteren Punkten nicht unerhebliche rechtliche Bedenken bestehen:
1. Das Landgericht hat den Beweisantrag, die nach dem Spurensicherungsbericht an der unbekleideten Leiche aufgefundenen und asservierten Haare einer DNA-Analyse zu unterziehen, die ergeben werde, daß diese Haare weder dem Angeklagten noch dem Tatopfer zuzuordnen seien, abgelehnt. Zur Begründung hat es ausgeführt, es handle sich bei der Beweisbehauptung um eine bloße Vermutung. Im übrigen hat die Kammer die unter Beweis gestellte Tatsache als bedeutungslos bezeichnet, weil sie nach dem bisherigen Ergebnis der Beweisaufnahme auch dann, wenn sie erwiesen sei, aus ihr nicht den zwar möglichen, aber nicht zwingenden Schluß ziehen würde, daß die Spurenübertragung durch einen anderen Täter stattgefunden habe.
Beide Begründungen sind rechtlich bedenklich. Ein Antragsteller darf auch das, was er nur für möglich hält, also vermutet, zum Gegenstand eines Beweisantrags machen (vgl. Herdegen in KK 4. Aufl. § 244 Rdn. 44). Eine „aufs Geratewohl” aufgestellte, aus der Luft gegriffene Beweisbehauptung (vgl. BGH StraFo 2003, 95) liegt bei dieser Sachlage, bei der es um die Zuordnung von am Tatort tatsächlich aufgefundenen Spuren geht, ersichtlich nicht vor. Für eine Behandlung als bedeutungslos fehlt es in Anbetracht des Umstandes, daß nach Sachlage durchaus die Beteiligung einer dritten Person zu prüfen war (vgl. die Beweiswürdigung ab UA S. 30), an einer ausreichenden Begründung. Denn zur Beurteilung der Frage der Erheblichkeit ist die Beweistatsache so, als sei sie bewiesen, in das bisher gewonnene Beweisergebnis einzufügen und als Teil des Gesamtgefüges in seiner indiziellen Beweisbedeutung zu würdigen (vgl. Herdegen aaO Rdn. 74). Damit unterscheidet sich die erforderliche Begründung bei der Ablehnung eines Beweisantrags wegen Bedeutungslosigkeit grundsätzlich nicht von den Begründungserfordernissen bei der Würdigung von durch Beweisaufnahme gewonnenen Indiztatsachen in den Urteilsgründen. Denn die Ablehnung eines Beweisantrages darf nicht dazu führen, daß aufklärbare, zugunsten eines Angeklagten sprechende Umstände der gebotenen Gesamtabwägung im Rahmen der Beweiswürdigung entzogen werden (vgl. BGH StV 1990, 292 f.). Es liegt hier auf der Hand, daß das Schwurgericht ein Beweisergebnis, wonach auf der Haut der Leiche gefundene Haare weder vom Opfer noch vom Angeklagten, sondern von einer dritten Person stammen, nicht ohne jegliche nähere Begründung hätte übergehen dürfen.
2. Das Landgericht ist zwar im Rahmen der Beweiswürdigung der Frage nachgegangen, ob ein unbekannter Dritter in das Geschehen verwickelt war. Es hat sich dabei jedoch nicht mit dem Umstand auseinandergesetzt, daß der
Zeuge Ma. gegen 18.15 Uhr den Pkw des Tatopfers ihm langsam entgegenfahrend wahrgenommen und gemeint hat, am Steuer dieses Fahrzeuges eine Frau und daneben eine weitere – eventuell männliche – Person gesehen zu haben (UA S. 14).
Unterschriften
Winkler, Miebach, von Lienen, Becker, Hubert
Fundstellen
Haufe-Index 2558980 |
NStZ 2003, 666 |
StV 2003, 369 |
StraFo 2003, 235 |