Tenor
Der beabsichtigten Entscheidung steht Rechtsprechung des Senats nicht entgegen.
Gründe
Rz. 1
1. Die vom 2. Strafsenat beabsichtigte Entscheidung in der weiten Fassung der Beschlussformel widerspräche der Entscheidung des Senats vom 15. Dezember 1999 – 5 StR 608/99 (NStZ-RR 2000, 105). An der dort zugrunde gelegten Rechtsauffassung hält der Senat auch fest.
Rz. 2
Indes ergibt sich aus der Begründung des Anfragebeschlusses eine Einschränkung dahin, dass die Versagung eines Härteausgleichs nur für diejenigen Fälle gelten soll, in denen eine gemeinsame Aburteilung aller Taten in Deutschland nicht oder allenfalls theoretisch nach § 7 Abs. 2 Nr. 2 StGB möglich gewesen wäre (S. 11 des Beschlusses vom 29. Oktober 2008 – 2 StR 386/08). Insoweit unterscheidet sich die dem Anfragebeschluss zugrunde liegende Fallgestaltung von derjenigen der vorgenannten Entscheidung des Senats. Denn dort hätten die im Ausland begangenen und abgeurteilten Taten im Hinblick auf § 6 Nr. 5 StGB auch in Deutschland verfolgt werden können, was der Senat in seiner Entscheidung ausdrücklich hervorgehoben hatte.
Rz. 3
2. Wenngleich die Voraussetzungen nach § 132 Abs. 2 und 3 GVG in diesem Anfrageverfahren damit nicht gegeben sein dürften, ist aus Sicht des 5. Strafsenats (vorsorglich) zu bemerken, dass er zwar – im Anschluss an den 2. Strafsenat – eine Unterschreitung gesetzlicher Mindeststrafen für unzulässig hält, sich im Übrigen den Gründen des Anfragebeschlusses jedoch nicht anzuschließen vermag. Es ist zunächst nicht überzeugend, dass die hilfsweise erfolgte Annahme eines minder schweren Falles (§ 250 Abs. 3 StGB) auf identischer Tatsachengrundlage rechtsfehlerhaft sein soll. Der maßgebliche Grund – das durch die Mehrfachbestrafungen begründete außergewöhnliche Gesamtstrafübel – erlangt bei einer Strafrahmenverschiebung nach § 250 Abs. 3 StGB kein anderes Gewicht als bei einer – freilich durchgreifend bedenklichen – Durchbrechung des Regelstrafrahmens des § 250 Abs. 2 StGB.
Rz. 4
3. Das besondere Gesamtstrafübel ist ein wesentlicher Strafmilderungsgrund.
Rz. 5
a) Die unmittelbare Anwendung der Grundsätze zum Härteausgleich kommt allerdings wegen der mangelnden Vergleichbarkeit der verwirkten Strafen und deren Vollstreckung nicht in Betracht. Um die Schuldangemessenheit des Gesamtstrafübels dennoch zu gewährleisten, müssen die Auswirkungen der gegen den Täter verhängten Verurteilungen für sein künftiges Leben im Rahmen der Strafzumessung besonders ins Gewicht fallen (BGHSt 43, 79, 81; vgl. auch Rissing-van Saan in LK 12. Aufl., § 55 Rdn. 33). Dies gilt unabhängig davon, ob ein Gerichtsstand in Deutschland gegeben war und eine einheitliche Aburteilung möglich gewesen wäre. Da die Auswirkungen der im Ausland verhängten Strafen wegen möglicher anderer Vollstreckungsregelungen nicht allein an der zeitlichen Dauer der Strafe gemessen werden können, wird das Tatgericht die hierfür relevanten Umstände, insbesondere abweichende Regelungen über Strafmaßreduktionen, Strafaussetzung und Amnestien zu ermitteln und die im Ausland verhängten Strafen entsprechend zu gewichten haben. Die diesbezüglich erforderliche Vorgehensweise unterscheidet sich insoweit nicht maßgeblich von der im Rahmen der Übernahme der Vollstreckung eines ausländischen Erkenntnisses zu treffenden sogenannten Exequaturentscheidung, z. B. auf der Grundlage der §§ 48 ff., 54 IRG.
Rz. 6
b) Hiergegen lässt sich nicht einwenden, dass der Täter durch die Wahl der Tatorte die ihn benachteiligende Aburteilung in verschiedenen Staaten selbst herbeigeführt hat. Dieser sehr allgemeine Gesichtspunkt gilt nämlich gleichermaßen für die Fallkonstellation, dass in Folge einer zäsurbildenden Verurteilung gesonderte Strafen zu verhängen sind (vgl. BGHSt 41, 310, 312; 44, 179, 185 f.). Demgegenüber lässt sich die Schlechterstellung eines nicht durch eine zwischenzeitliche Verurteilung gemahnten Angeklagten unter Schuldgesichtspunkten – ungeachtet des allerdings im Blick auf die offenen Grenzen nur noch bedingt schulderhöhenden Umstands grenzüberschreitender Kriminalität – schwerlich rechtfertigen. Schließlich darf auch nicht aus dem Blick verloren werden, dass letztlich alle dem Anwendungsbereich des § 55 StGB unterfallenden wie nahestehenden Sachverhaltskonstellationen darauf zurückgehen, dass der Täter mehrere Straftaten begangen und daher durch sein eigenes Verhalten das Risiko getrennter Aburteilung gesetzt hat.
Rz. 7
c) Die Nichtanwendung des Gedankens des Gesamtstrafübels nach deutschem Recht (S. 12 des Anfragebeschlusses) bei aufgrund des zeitlichen Ablaufs gesamtstrafenfähigen Verurteilungen im Aus- und Inland lässt sich zudem nicht ohne weiteres mit dem gewandelten Verständnis bezüglich der Anerkennung ausländischer Erkenntnisse vereinbaren, zumal solcher der Mitgliedstaaten der Europäischen Union, wie sie in entsprechenden völker- und gemeinschaftsrechtlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland zum Ausdruck kommt. Denn dies würde zu einer massiven Schlechterstellung des Angeklagten mit in- und ausländischen Verurteilungen gegenüber demjenigen, der nur im Inland Straftaten gleichen Schuldgehalts begangen hat, führen und ist vor dem Hintergrund zunehmender gemeinschaftsrechtlicher Integration, auch auf dem Gebiet des Strafrechts, sachlich kaum zu rechtfertigen. So hat sich die Bundesrepublik Deutschland unter anderem durch das Gesetz zu dem Schengener Übereinkommen vom 19. Juni 1990 betreffend den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen (BGBl. 1993 II S. 1010, 1013; 1997 I S. 1606) und durch das jetzt auch in Kraft getretene Zusatzprotokoll vom 18. Dezember 1997 zu dem Übereinkommen über die Überstellung verurteilter Personen (BGBl. 2002 II S. 2866; 2008 II S. 45; vgl. zudem EG-VollstrÜbk, BGBl. 1997 II S. 1351, dazu Schomburg/Hackner in Schomburg/Lagodny/ Gleß/Hackner, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen 4. Aufl. S. 1079 Rdn. 12) zu einer noch weitergehenden Anerkennung strafgerichtlicher Erkenntnisse der Mitgliedstaaten verpflichtet. Hiermit stünde die Ausblendung des Gedankens des Gesamtstrafübels für ausländische Erkenntnisse in einem Spannungsverhältnis (vgl. etwa zur Anrechnung von Geldbußen bei gleichzeitiger Verwirklichung von Bußgeldtatbeständen nach deutschem und europäischem Kartellrecht schon EuGH GRUR Int 1969, 264, 269; BGHSt 24, 54, 60 f.).
Unterschriften
Basdorf, Raum, Brause, Schneider, König
Fundstellen
Haufe-Index 2562566 |
NJW-Spezial 2009, 458 |
StraFo 2009, 302 |