Leitsatz (amtlich)
Zur Notwendigkeit der Bekanntgabe eines Sachverständigengutachtens an den Betroffenen im Betreuungsverfahren (im Anschluss an BGH v. 12.2.2020 - XII ZB 179/19 - zur Veröffentlichung bestimmt -; v. 8.8.2018 - XII ZB 139/18 FamRZ 2018, 1769).
Normenkette
FamFG § 288 Abs. 1
Verfahrensgang
LG Potsdam (Beschluss vom 02.10.2019; Aktenzeichen 11 T 29/19 und 11 T 38/19) |
AG Brandenburg (Beschluss vom 26.03.2019; Aktenzeichen 86 XVII 17/15) |
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde der Betroffenen wird der Beschluss der 11. Zivilkammer des LG Potsdam vom 2.10.2019 aufgehoben, soweit die Beschwerde der Betroffenen gegen den Beschluss des AG Brandenburg an der Havel vom 26.3.2019 zurückgewiesen worden ist.
Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das LG zurückverwiesen.
Wert: 5.000 EUR
Gründe
I.
Rz. 1
Für die Betroffene, die an einer paranoiden Schizophrenie leidet, besteht seit 2016 eine rechtliche Betreuung. Der Aufgabenkreis bezieht sich auf die Vermögenssorge, Gesundheitssorge, Vertretung gegenüber Behörden, Versicherungen, Renten- und Sozialleistungsträgern, Entgegennahme, Öffnen und Anhalten der Post und Entscheidung über Fernmeldeverkehr, Aufenthaltsbestimmung einschließlich Unterbringung in einer geschlossenen Abteilung sowie Vertretung vor Gerichten. Nach Einholung eines Sachverständigengutachtens hat das AG die Betreuung durch Beschluss vom 26.3.2019 verlängert und anstelle des bis dahin zum Betreuer bestellten Ehemanns der Betroffenen einen Berufsbetreuer bestellt. Mit Beschluss vom 29.4.2019 hat es die Betreuung um einen Einwilligungsvorbehalt hinsichtlich der Vermögenssorge erweitert.
Rz. 2
Die Betroffene hat gegen beide Beschlüsse Beschwerden eingelegt. Das LG hat durch den angefochtenen Beschluss angeordnet, dass der Einwilligungsvorbehalt entfällt, und die weitergehende Beschwerde zurückgewiesen. Mit der Rechtsbeschwerde wendet sich die Betroffene gegen die Zurückweisung der Beschwerde gegen den Beschluss vom 26.3.2019.
II.
Rz. 3
Die Rechtsbeschwerde führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses, soweit die Beschwerde gegen die Verlängerung der Betreuung und den damit zusammenhängenden Betreuerwechsel zurückgewiesen worden ist, und in diesem Umfang zur Zurückverweisung der Sache an das LG. Die Rechtsbeschwerde rügt mit Recht, dass der angefochtene Beschluss insoweit verfahrensfehlerhaft ergangen ist, weil das zugrunde liegende Sachverständigengutachten der Betroffenen nicht ordnungsgemäß bekanntgegeben worden ist.
Rz. 4
1. Das AG hat im Rahmen der Verlängerung der Betreuung nach §§ 295 Abs. 1 Satz 1, 280 FamFG ein Sachverständigengutachten eingeholt. Nach der Rechtsprechung des Senats setzt die Verwertung eines Sachverständigengutachtens als Grundlage einer Entscheidung in der Hauptsache voraus, dass das Gutachten dem Betroffenen mit seinem vollen Wortlaut zur Verfügung gestellt wird. Davon kann nur unter den Voraussetzungen des § 288 Abs. 1 FamFG abgesehen werden (vgl. BGH v. 8.8.2018 - XII ZB 139/18 FamRZ 2018, 1769 Rz. 9; v. 8.3.2017 - XII ZB 516/16 FamRZ 2017, 911 Rz. 5 m.w.N.).
Rz. 5
Sieht das Betreuungsgericht entsprechend § 288 Abs. 1 FamFG von der Bekanntgabe eines Gutachtens an den Betroffenen ab, kann durch die Bekanntgabe an den Verfahrenspfleger allenfalls dann ein notwendiges Mindestmaß rechtlichen Gehörs sichergestellt werden, wenn zusätzlich die Erwartung gerechtfertigt ist, dass der Verfahrenspfleger mit dem Betroffenen über das Gutachten spricht. Letzteres setzt in der Regel einen entsprechenden Hinweis des Betreuungsgerichts an den Verfahrenspfleger voraus (BGH, Beschl. v. 12.2.2020 - XII ZB 179/19 - zur Veröffentlichung bestimmt).
Rz. 6
Eine in erster Instanz verfahrensfehlerhaft unterbliebene ordnungsgemäße Bekanntgabe ist gem. § 68 Abs. 3 FamFG im Beschwerdeverfahren nachzuholen.
Rz. 7
2. Im vorliegenden Fall hat das AG das von ihm unzutreffend als ärztliches Zeugnis bezeichnete Sachverständigengutachten der Betroffenen (erst) im Anhörungstermin vom 26.3.2019 zum Lesen vorgelegt. Im von der zuständigen Richterin gefertigten Anhörungsvermerk ist zudem festgestellt, dass das Gutachten von der Betroffenen nicht verstanden worden sei. Da unter diesen Umständen eine Bekanntgabe an die Betroffene unabhängig von der gegenläufigen Empfehlung des Sachverständigen deren rechtliches Gehör nicht wahren konnte, hätte das AG das Gutachten jedenfalls einem - erforderlichenfalls noch zu bestellenden (vgl. BGH, Beschl. v. 30.10.2019 - XII ZB 144/19 FamRZ 2020, 282 Rz. 7 m.w.N.) - Verfahrenspfleger zur Verfügung stellen und diesen darauf hinweisen müssen, dass er das Gutachten mit der Betroffenen besprechen soll. Die Rechtsbeschwerde rügt mit Recht, dass solches unterblieben ist.
Rz. 8
Der darin liegende Verfahrensfehler ist im Beschwerdeverfahren nicht behoben worden. Zwar hat das LG eine Verfahrenspflegerin bestellt. Dass diese das Sachverständigengutachten mit der Betroffenen besprochen habe oder vom Gericht darauf hingewiesen worden ist, geht aus den Akten aber nicht hervor. Auch eine weitere, nunmehr in anderem Zusammenhang vom AG bestellte Verfahrenspflegerin hat ausweislich ihrer Stellungnahme weder zu dem Gutachten Stellung genommen noch dieses mit der Betroffenen besprochen.
Rz. 9
3. Die Beschwerdeentscheidung kann daher im Umfang der Anfechtung keinen Bestand haben. Eine eigene Sachentscheidung ist dem Senat verwehrt, weil die Sache mangels hinreichender Tatsachenfeststellung noch nicht entscheidungsreif ist (vgl. § 74 Abs. 6 Satz 1 und 2 FamFG). Die angegriffene Entscheidung ist daher aufzuheben; die Sache ist insoweit zur erneuten Behandlung und Entscheidung an das LG zurückzuverweisen. Hierbei wird das LG auch dem im Anhörungstermin vom 14.8.2019 gegebenen Hinweis der Betreuungsbehörde auf eine von der Betroffenen erteilte Vorsorgevollmacht nachzugehen haben.
Rz. 10
4. Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen (§ 74 Abs. 7 FamFG).
Fundstellen