Verfahrensgang
LG Verden (Aller) (Urteil vom 22.11.2011) |
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Verden vom 22. November 2011
- im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte der Veräußerung von Betäubungsmitteln in 46 Fällen (elf Fälle unter III. 2. der Urteilsgründe und 35 Fälle unter III. 3. der Urteilsgründe) schuldig ist,
mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben,
aa) im übrigen Schuldspruch,
bb) im Ausspruch über die Einzelstrafen mit Ausnahme der in den Fällen III. 3. der Urteilsgründe verhängten,
cc) im Ausspruch über die Gesamtstrafe,
dd) soweit das Landgericht von der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt abgesehen hat.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Veräußerns von Betäubungsmitteln in 223 Fällen, Abgabe von Betäubungsmitteln in sechs Fällen und Besitzes von Betäubungsmitteln zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten verurteilt. In weiteren zwölf Fällen hat es ihn vom Vorwurf der Veräußerung von Betäubungsmitteln freigesprochen. Von einer Unterbringung des betäubungsmittelabhängigen Angeklagten in einer Entziehungsanstalt hat es ohne Begründung abgesehen. Dagegen richtet sich die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
Rz. 2
1. Soweit das Landgericht den Angeklagten in einem Teil der Fälle unter III. 2. der Urteilsgründe, in denen er Haschisch im Gegenwert des Einkaufspreises gegen Diazepam-Tabletten eintauschte, wegen Abgabe von Betäubungsmitten verurteilt hat, ändert der Senat den Schuldspruch in eine Verurteilung wegen Veräußerung von Betäubungsmitteln (vgl. BGH, Beschluss vom 15. November 2000 – 2 StR 431/00, NStZ-RR 2001, 118; Weber, BtMG, 3. Aufl., § 29 Rn. 928). § 265 StPO steht dem nicht entgegen, weil sich der Angeklagte gegen diesen Vorwurf nicht wirksamer als geschehen hätte verteidigen können.
Rz. 3
2. Der Schuldspruch unterliegt der Aufhebung, soweit das Landgericht den Angeklagten in den Fällen III. 1., in einem Fall unter III. 2. und in den Fällen III. 4. der Urteilsgründe verurteilt hat.
Rz. 4
a) Das Landgericht hat in diesen Fällen die Veräußerung von Haschisch, die der Angeklagte über einen längeren Zeitraum jeweils mehrmals im Monat vornahm, bzw. dessen Besitz im Mai 2011 als eigenständige Taten im Sinne des § 53 StGB gewertet. Zugleich hat es festgestellt, der Angeklagte habe sich mit dem Haschisch, das er auch für seinen Eigenkonsum bezogen habe, „regelmäßig nach Erhalt der Sozialleistungen am Monatsende sogleich für den folgenden Monat” versorgt und es in seiner Wohnung aufbewahrt. Andererseits habe er, um Betäubungsmittel veräußern zu können, „gelegentlich erst zum Beschaffen von Haschisch” fahren müssen.
Rz. 5
b) Diese Feststellungen tragen eine Verurteilung durchgängig wegen einer tatmehrheitlichen Begehungsweise nicht. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs werden mehrere Verkaufsvorgänge durch den Erwerb und Besitz der hierzu bestimmten Gesamtmenge zu einer Bewertungseinheit verbunden, sofern sie denselben Güterumsatz betreffen. Dabei setzt die Annahme einer Bewertungseinheit konkrete Anhaltspunkte dafür voraus, dass bestimmte Einzelverkäufe aus einer einheitlich erworbenen Gesamtmenge herrühren (BGH, Beschluss vom 5. März 2002 – 3 StR 491/01, BGHR BtMG § 29 Bewertungseinheit 21 mwN). Solche Anhaltspunkte bestehen, weil das Landgericht die Beschaffung eines Vorrats für den Folgemonat jeweils zum Monatsende festgestellt hat. Damit kommt sowohl eine Zusammenfassung einzelner Veräußerungen in den Fällen III. 1. der Urteilsgründe zu einer Tat als auch Tateinheit zwischen der letzten Veräußerung in den Fällen III. 2. der Urteilsgründe (Ende April 2011) und dem Besitz einer Teilmenge zum Eigenverbrauch im Fall III. 4. der Urteilsgründe (erste Maihälfte 2011) in Betracht (vgl. Körner/Patzak, BtMG, 7. Aufl., § 29 Teil 13 Rn. 100, 108).
Rz. 6
c) Eine Änderung des Schuldspruchs in dieser Hinsicht ist dem Senat nicht möglich, weil das Landgericht – der monatlichen Bevorratung widersprechend – eine gelegentliche Beschaffung von Haschisch in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Veräußerungsgeschäft festgestellt hat. Das neue Tatgericht wird deshalb unter dem Aspekt einer Zusammenfassung einzelner Fälle zu einer Tat insgesamt neue Feststellungen zu den jeweils beschafften Betäubungsmitteln zu treffen haben (§ 353 Abs. 2 StPO).
Rz. 7
3. Mit der Aufhebung des Schuldspruchs entfallen die in diesen Fällen verhängten Einzelstrafen. Weiter unterliegen die Einzelstrafen auch in den übrigen Fällen unter III. 2. der Urteilsgründe der Aufhebung, weil das Landgericht – wie im Übrigen in den Fällen III. 1. der Urteilsgründe – keine Feststellungen zur Wirkstoffmenge der veräußerten Betäubungsmittel getroffen und damit einen für die Bestimmung des Schuldumfangs wesentlichen Umstand offen gelassen hat (vgl. BGH, Beschluss vom 4. März 2010 – 3 StR 559/09, juris Rn. 5). Entsprechend ist die Gesamtstrafe erneut zuzumessen.
Rz. 8
4. Das Urteil kann schließlich insoweit nicht bestehen bleiben, als das Landgericht von der Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt abgesehen hat. Der Generalbundesanwalt hat dazu in seiner Zuschrift ausgeführt:
„Keinen Bestand haben kann das Urteil …, soweit das Landgericht nicht die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB geprüft hat. Dies musste sich vorliegend aufdrängen. Ausweislich der Urteilsgründe ist der Angeklagte betäubungsmittelabhängig und konsumiert unter anderem auch Heroin (UA S. 4). Eine in den Jahren 2008/2009 vorgenommene stationäre Entgiftung führte nicht zu einem Erfolg; vielmehr führte der Angeklagte auch danach sowie nach Teilnahme an einem Substitutionsprogramm seinen Betäubungsmittelkonsum fort (UA S. 4). Auch wenn die ausgeurteilten Taten nach den Feststellungen nicht in Gewinnerzielungsabsicht vorgenommen wurden und damit auch nicht der Finanzierung des Eigenkonsums dienten, ist ein symptomatischer Zusammenhang zwischen ihnen und dem bestehenden Hang zum übermäßigen Rauschmittelkonsum nicht fernliegend. Genügende Anhaltspunkte dafür, dass die Maßregel keine hinreichend konkrete Erfolgsaussicht hat, bestehen nach den Urteilsfeststellungen nicht. Das Fehlen von Therapiewilligkeit steht einer Anordnung grundsätzlich nicht entgegen (BGH NStZ-RR 2010, 42[, 43]).”
Rz. 9
Dem schließt sich der Senat an. Der Angeklagte hat das Unterbleiben einer Anordnung des § 64 StGB nicht wirksam vom Revisionsangriff ausgenommen (vgl. auch Fischer, StGB, 59. Aufl., § 64 Rn. 29 a.E.). Das neue Tatgericht wird die Voraussetzungen der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt unter Hinzuziehung eines Sachverständigen (§ 246a StPO) zu prüfen haben.
Unterschriften
Schäfer, Pfister, Hubert, Mayer, Menges
Fundstellen