Entscheidungsstichwort (Thema)
Beschwerdeverfahren. Betreuungssache. Persönliche Anhörung des Betroffenen. Pflicht des Beschwerdegerichts. Weitere Aufklärung. Neue Erkenntnisse. Eerstmalige Bestellung eines Betreuers
Leitsatz (amtlich)
a) Auch im Beschwerdeverfahren in einer Betreuungssache besteht grundsätzlich die Pflicht des Beschwerdegerichts, den Betroffenen persönlich anzuhören.
b) Sieht das Beschwerdegericht von einer persönlichen Anhörung ab, muss es die Gründe dafür in der Beschwerdeentscheidung nachvollziehbar darlegen. Das ist ausnahmsweise dann entbehrlich, wenn aus den übrigen Gründen ohne Weiteres ersichtlich ist, dass eine Anhörung keine weitere Aufklärung erwarten lässt.
Normenkette
BGB § 1896; FamFG §§ 68, 278
Verfahrensgang
LG Stade (Beschluss vom 14.09.2011; Aktenzeichen 9 T 86/11) |
AG Buxtehude (Entscheidung vom 18.04.2011; Aktenzeichen 7 XVII 76/11) |
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde der Betroffenen wird der Beschluss der 9. Zivilkammer des LG Stade vom 14.9.2011 aufgehoben.
Das Verfahren wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens - an das LG zurückverwiesen.
Wert: 3.000 EUR
Gründe
I.
Rz. 1
Die Betroffene ist 1955 in Rumänien geboren. Sie ist verwitwet und hat zwei Kinder.
Rz. 2
Seit dem Tod ihres Ehemannes Anfang des Jahres 2011 befindet sich die Betroffene in Erbauseinandersetzungen mit ihren Kindern. Die Kinder haben die Einrichtung einer Betreuung angeregt. Auf weitere Anregung der Betreuungsstelle und nach Einholung eines ärztlichen Sachverständigengutachtens, das eine schwere psychische Erkrankung in Form einer anhaltenden wahnhaften Störung mit chronifiziertem Verlauf festgestellt hat, hat das AG den weiteren Beteiligten zum Betreuer bestellt. Den Aufgabenkreis hat es auf die Vermögenssorge und die Regelung der Erbangelegenheiten nach dem Tod des Ehemannes der Betroffenen sowie die damit verbundenen Post- und Fernmeldeangelegenheiten erstreckt.
Rz. 3
Das LG hat die dagegen von der Betroffenen eingelegte Beschwerde zurückgewiesen. Es hat die Betroffene - anders als das AG - nicht persönlich angehört. Mit der Rechtsbeschwerde erstrebt die Betroffene weiterhin die Aufhebung der Betreuung.
II.
Rz. 4
Die gem. § 70 Abs. 3 Nr. 1 FamFG statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses. Dieser beruht auf einem Verfahrensfehler.
Rz. 5
1. Nach § 68 Abs. 3 Satz 1 FamFG bestimmt sich das Beschwerdeverfahren nach den Vorschriften über das Verfahren im ersten Rechtszug. Das gilt auch für die nach § 278 Abs. 1 Satz 1 FamFG vor der Bestellung eines Betreuers gebotene persönliche Anhörung des Betroffenen.
Rz. 6
Allerdings kann das Beschwerdegericht nach § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG von der persönlichen Anhörung absehen, wenn diese bereits im ersten Rechtszug vorgenommen worden ist und von einer erneuten Anhörung keine neuen Erkenntnisse zu erwarten sind (BGH v. 27.7.2011 - XII ZB 118/11, FamRZ 2011, 1577 Rz. 13; v. 16.3.2011 - XII ZB 601/10, FamRZ 2011, 880 Rz. 13; s. auch BGH v. 11.8.2010 - XII ZB 171/10, FamRZ 2010, 1650 Rz. 5 ff.). Das Beschwerdegericht hat aber - wie auch das erstinstanzliche Gericht - die Gründe, aus denen es von einer Anhörung ausnahmsweise absehen will, in den Entscheidungsgründen nachprüfbar darzulegen (vgl. BGH v. 12.7.1984 - IVb ZB 95/83, FamRZ 1984, 1084; v. 11.7.1984 - IVb ZB 73/83, FamRZ 1985, 169 - zu §§ 50a, 50b FGG; Keidel/Sternal FamFG 17. Aufl., § 68 Rz. 59a m.w.N.; vgl. auch BGH BGHZ 185, 272 = FamRZ 2010, 1060 Rz. 46). Allerdings ist im Einzelfall eine Begründung entbehrlich, wenn aus den weiteren Entscheidungsgründen ersichtlich wird, dass das Beschwerdegericht in zulässiger Weise von einer erneuten persönlichen Anhörung des Betroffenen absehen konnte.
Rz. 7
Die Rechtsbeschwerde rügt zu Recht, dass es dem angefochtenen Beschluss an einer Begründung für die unterbliebene Anhörung der Betroffenen fehlt. Dass eine Anhörung der Betroffenen entbehrlich ist, ergibt sich auch nicht aus den übrigen Beschlussgründen. Vielmehr handelt es sich um die erstmalige Bestellung eines Betreuers und zudem um einen auf einzelne spezielle Angelegenheiten zugeschnittenen Aufgabenkreis, die eine nähere Begründung des Absehens von einer Anhörung in der Beschwerdeinstanz unverzichtbar machen. Aufgrund des angefochtenen Beschlusses kann demnach nicht festgestellt werden, warum das LG von der Anhörung abgesehen hat und ob es hierzu berechtigt war. Da demnach nicht ausgeschlossen ist, dass die Entscheidung auf der mangelnden Anhörung beruht, ist der angefochtene Beschluss aufzuheben.
Rz. 8
2. Für das weitere Verfahren weist der Senat darauf hin, dass die Notwendigkeit der Erstreckung der Betreuung über die Erbschaftsangelegenheit hinaus auf sämtliche Vermögensangelegenheiten der Betroffenen bislang nicht hinreichend begründet worden sein dürfte und die Erforderlichkeit der Betreuung insoweit fraglich ist.
Fundstellen
Haufe-Index 2971299 |
NJW 2012, 8 |
EBE/BGH 2012 |
FamRZ 2012, 968 |
FuR 2012, 435 |
NJW-RR 2012, 833 |
FGPrax 2012, 163 |
BtPrax 2012, 164 |
FPR 2012, 6 |
MDR 2012, 712 |