Verfahrensgang

Saarländisches OLG (Entscheidung vom 14.09.2023; Aktenzeichen 4 U 94/19)

LG Saarbrücken (Entscheidung vom 04.11.2019; Aktenzeichen 9 O 186/17)

 

Nachgehend

BGH (Beschluss vom 24.06.2024; Aktenzeichen IX ZA 22/23)

BGH (Beschluss vom 19.06.2024; Aktenzeichen IX ZA 22/23)

BGH (Beschluss vom 02.05.2024; Aktenzeichen IX ZA 22/23)

 

Tenor

Das Ablehnungsgesuch des Klägers gegen den Richter am Bundesgerichtshof W.       wegen Besorgnis der Befangenheit wird für unbegründet erklärt.

 

Gründe

I.

Rz. 1

Der Kläger nimmt die Beklagten unter dem Gesichtspunkt der Anwaltshaftung wegen fehlerhafter Prozessführung auf Schadensersatz in Anspruch. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die dagegen eingelegte Berufung des Klägers hat das Oberlandesgericht zurückgewiesen. Gegen die in dieser Entscheidung unterbliebene Zulassung der Revision beabsichtigt der Kläger Beschwerde einzulegen und hat hierzu die Bewilligung von Prozesskostenhilfe beantragt. Nachfolgend hat der Kläger den Richter am Bundesgerichtshof W.     wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt.

II.

Rz. 2

Es bestehen keine Gründe, die eine Ablehnung von Richter am Bundesgerichtshof W.     rechtfertigen könnten. Der Einholung einer dienstlichen Äußerung des abgelehnten Richters bedurfte es nicht, weil die Ablehnung ausschließlich auf dessen Vorbefassung gestützt wird. Eine dienstliche Äußerung könnte ersichtlich nicht zur Aufklärung des erheblichen Sachverhalts beitragen, weil die Vorbefassung des abgelehnten Richters aktenkundig feststeht (vgl. BGH, Beschluss vom 27. Dezember 2011 - V ZB 175/11, MDR 2012, 363 Rn. 2).

Rz. 3

1. Ein Ausschlussgrund kraft Gesetzes liegt nicht vor. Dies ist gemäß § 41 Nr. 6 ZPO nur der Fall in Sachen, in denen der Richter in einem früheren Rechtszug bei dem Erlass der angefochtenen Entscheidung mitgewirkt hat. Richter am Bundesgerichtshof W.       hat an der angefochtenen Entscheidung nicht mitgewirkt.

Rz. 4

2. Nach § 42 Abs. 2 ZPO findet die Ablehnung eines Richters wegen der Besorgnis der Befangenheit statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen seine Unparteilichkeit zu rechtfertigen. Dies ist dann der Fall, wenn der Ablehnende bei verständiger Würdigung des Sachverhalts Grund zu der Annahme hat, dass der abgelehnte Richter eine Haltung einnimmt, die seine Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit störend beeinflussen kann. Maßgeblich ist, ob aus der Sicht der ablehnenden Partei bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass gegeben ist, an der Unvoreingenommenheit und objektiven Einstellung des Richters zu zweifeln (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 2. November 2016 - AnwZ (Brfg) 61/15, AnwZ (B) 2/16, NJW-RR 2017, 187 Rn. 4 mwN).

Rz. 5

3. Nach diesen Maßstäben liegen Ablehnungsgründe hier nicht vor.

Rz. 6

a) Der Kläger meint, eine Besorgnis der Befangenheit des Richters am Bundesgerichtshof W.     ergebe sich aus dessen Mitwirkung an dem Beschluss des Berufungsgerichts vom 2. Oktober 2020, mit dem der Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Berufungsverfahren abgelehnt worden ist. Ferner sei der abgelehnte Richter an zwei Beschlüssen des Berufungsgerichts vom 27. November 2020 und vom 27. April 2021 beteiligt gewesen, mit denen zwei Ablehnungsgesuche des Klägers als unzulässig verworfen worden seien. Darüber hinaus habe der abgelehnte Richter an einem weiteren Beschluss des Berufungsgerichts vom 27. April 2021 mitgewirkt, mit dem die psychiatrische Begutachtung des Klägers in Auftrag gegeben worden sei. Schließlich sei der abgelehnte Richter an einer Entscheidung in einem weiteren Berufungsverfahren beteiligt gewesen, welches das Berufungsgericht in Bezug genommen habe. Der Kläger erachtet die gefassten Beschlüsse als willkürlich, weil diese sämtlich unter Verletzung von Verfahrens- und Verfassungsrechten sowie unter Verstoß gegen den Anspruch auf die Gewähr rechtlichen Gehörs ergangen seien.

Rz. 7

b) Das Vorbringen vermag dem Kläger bei vernünftiger Würdigung aller Umstände keinen Anlass zu geben, an der Unvoreingenommenheit des Richters am Bundesgerichtshof W.     zu zweifeln.

Rz. 8

aa) Ist der Richter in derselben Sache bereits tätig gewesen und wird er später im gleichen Rechtszug erneut damit befasst, so begründet dieser Umstand außerhalb der von § 41 Nr. 6 ZPO geregelten Fälle allein keinen Ablehnungsgrund. Eine Vorbefassung mit dem Sachverhalt in einem anderen Verfahren begründet nicht die Besorgnis der Befangenheit (BGH, Beschluss vom 27. Dezember 2011 - V ZB 175/11, MDR 2012, 363 Rn. 2). Das gilt auch, wenn ein Richter vor Beginn eines zivilrechtlichen Verfahrens eine Entscheidung getroffen hat, für die er lediglich die verfügbaren Informationen und Erfolgsaussichten der Rechtsverfolgung - wie etwa bei einer Entscheidung über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe - summarisch prüfen musste. Eine Entscheidung in der Sache selbst muss von einer summarischen Prüfung der Erfolgsaussichten einer Rechtsverfolgung unterschieden werden (vgl. EGMR, NJW 2012, 3019, 3020). Es handelt sich dabei um eine prozessordnungsgemäße Mehrfachbefassung, die für sich allein die Richterablehnung nicht zu rechtfertigen vermag. Deshalb wird die Richterablehnung in den Fällen der Vorbefassung nur gerechtfertigt sein, wenn zusätzliche konkrete Umstände vorliegen, aus denen sich etwa ergibt, dass der Richter nicht bereit ist, seine früher geäußerte Meinung kritisch, auch selbstkritisch, zu überprüfen (MünchKomm-ZPO/Stackmann, 6. Aufl., § 42 Rn. 20).

Rz. 9

bb) Aus diesem Grund vermag auch der Umstand, dass unter Beteiligung des abgelehnten Richters zwei Ablehnungsgesuche des Klägers als unzulässig verworfen worden sind, für sich betrachtet allein keinen Ablehnungsgrund zu begründen. Denn anderenfalls könnte eine Partei durch die wiederholte (erfolglose) Stellung von Befangenheitsanträgen einen ihr unliebsamen Richter "ausschalten" (vgl. Zöller/Vollkommer, ZPO, 35. Aufl., § 42 Rn. 29).

Rz. 10

(1) Entgegen der Auffassung des Klägers kann nicht in jeder fehlerhaften Rechtsanwendung eine Entziehung des gesetzlichen Richters durch die Rechtsprechung gesehen werden; anderenfalls müsste jede fehlerhafte Handhabung des einfachen Rechts zugleich als Verfassungsverstoß angesehen werden. Die Grenzen zum Verfassungsverstoß sind dann überschritten, wenn die Auslegung einer Zuständigkeitsnorm oder ihre Handhabung im Einzelfall willkürlich oder offensichtlich unhaltbar ist oder wenn die richterliche Entscheidung Bedeutung und Tragweite der Verfassungsgarantie des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG grundlegend verkennt. Ob die Entscheidung eines Gerichts auf Willkür, also auf einem Fall grober Missachtung oder grober Fehlanwendung des Gesetzesrechts beruht oder sie darauf hindeutet, dass ein Gericht Bedeutung und Tragweite der Verfassungsgarantie des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG grundlegend verkennt, kann nur anhand der besonderen Umstände des Einzelfalls beurteilt werden (vgl. BVerfG, NJW 2005, 3410, 3411 mwN).

Rz. 11

(2) Nach diesen Maßstäben verletzen die beiden unter Beteiligung des abgelehnten Richters gefassten Beschlüsse über die Ablehnungsgesuche nicht das Recht des Klägers auf den gesetzlichen Richter im Ablehnungsverfahren.

Rz. 12

(a) Dem das Ablehnungsgesuch als unzulässig zurückweisenden Beschluss liegt die zutreffende Rechtsauffassung zu Grunde, dass die abgelehnten Richter auch im Zivilprozess in bestimmten Fallgruppen ausnahmsweise über unzulässige Ablehnungsgesuche selbst entscheiden dürfen und dass hierzu nicht nur rechtsmissbräuchliche Gesuche zählen, sondern auch solche, mit denen ein Spruchkörper als solcher abgelehnt wird (vgl. BVerfG, NJW 2007, 3771, 3772 f mwN). Bei der Frage, ob Letzteres der Fall ist, ist das Gesuch vollständig zu erfassen und gegebenenfalls wohlwollend auszulegen (vgl. BVerfG, NJW-RR 2008, 72, 74).

Rz. 13

(b) Zutreffend wird in dem Beschluss vom 27. November 2020 ausgeführt, dass das Gesuch des Klägers mit Blick auf den Umstand, dass mit ihm pauschal die Richter abgelehnt werden, die an dem Ablehnungsgesuch vorangegangenen Entscheidungen mitgewirkt haben, ohne konkrete Anhaltspunkte vorzubringen, die bei vernünftiger objektiver Betrachtung auf eine Befangenheit der Mitglieder des Spruchkörpers deuten könnten. Diese Entscheidung konnte auch unter Mitwirkung der abgelehnten Richter und ohne Einholung einer dienstlichen Stellungnahme der abgelehnten Richter getroffen werden (vgl. BGH, Beschluss vom 5. März 2019 - V ZR 179/18, BeckRS 2019, 3587 Rn. 2 mwN). Entsprechendes gilt hinsichtlich des Beschlusses vom 27. April 2021.

Rz. 14

cc) Soweit der abgelehnte Richter an dem Beschluss mitgewirkt hat, durch den die psychiatrische Begutachtung des Klägers in Auftrag gegeben worden ist, begründet dies allein ebenfalls keinen Befangenheitsgrund. Denn ein im Rahmen der richterlichen Aufklärungspflicht gebotenes richterliches Verhalten begründet niemals einen Ablehnungsgrund (vgl. Zöller/Vollkommer, ZPO, 35. Aufl., § 42 Rn. 26). § 56 Abs. 1 ZPO verpflichtet die Gerichte zwar nicht, in jedem Rechtsstreit von Amts wegen eine umfassende Prüfung aller in der Vorschrift genannten Prozessvoraussetzungen vorzunehmen. Sie haben in dieser Hinsicht lediglich einen Mangel von Amts wegen zu berücksichtigen. Eine Prüfung ist aber dann angezeigt, wenn hinreichende Anhaltspunkte dafür gegeben sind, dass Prozessunfähigkeit vorliegen könnte (vgl. BGH, Urteil vom 29. September 2010 - XII ZR 41/09, NJW 2011, 778 Rn. 14). Dabei ist das Gericht nicht an die förmlichen Beweismittel des Zivilprozesses gebunden, vielmehr gilt der Grundsatz des Freibeweises (vgl. BGH, Beschluss vom 9. November 2010 - VI ZR 249/09, NJW-RR 2011, 284 Rn. 4). Zutreffend ist, dass das Gericht sämtliche zur Verfügung stehenden Beweismittel ausschöpfen und den Betroffenen auf die Möglichkeiten hinweisen muss, wie die Zweifel zu beseitigen wären (vgl. BVerfG, NZA 2021, 891 Rn. 11). Der Kläger ist zwar erst mit dem Beschluss vom 27. April 2021 auf die Zweifel des Gerichts hingewiesen worden. Nachdem die Zweifel des Gerichts jedoch aus dem Inhalt und der Vielzahl der schriftlichen Einlassungen und Anträge des Klägers resultierten, war es hier nicht erforderlich, vor der Erholung des Sachverständigengutachtens eine Stellungnahme des Klägers abzuwarten.

Rz. 15

dd) Der Umstand, dass der abgelehnte Richter an dem durch das Berufungsgericht in Bezug genommenen Verfahren beteiligt war, vermag allein die Besorgnis der Befangenheit nicht zu begründen. Liegt ein Befangenheitsgrund nicht vor, wenn der Richter in derselben Sache bereits tätig gewesen ist und später im gleichen Rechtszug erneut damit befasst wird, so begründet die Bezugnahme auf eine in einem anderen Verfahren getroffene Entscheidung allein ebenfalls noch keinen Ablehnungsgrund.

Rz. 16

c) Die Umstände des vorliegenden Einzelfalls, die in ihrer Gesamtheit zu würdigen sind, geben schließlich keinen Anlass, an der Unvoreingenommenheit und Objektivität des abgelehnten Richters zu zweifeln.

Rz. 17

Der abgelehnte Richter hat zwar an einer Vielzahl von Entscheidungen mitgewirkt, mit denen Anträge, Rügen und Gesuche des Klägers abschlägig beschieden worden sind. Dieser Umstand resultiert indes aus der Vielzahl der Eingaben des Klägers und lässt keinen Rückschluss auf die Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit zu.

Schoppmeyer     

Röhl     

Schultz

Harms     

Kunnes     

 

Fundstellen

Dokument-Index HI16322214

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