Entscheidungsstichwort (Thema)
Anwendbare verfassungswidrige Gebührenforderung der Ländernotarkasse als rechtsfähige Landesanstalt gegen Notar. Schaffen verfassungsgemäßer Regelung
Leitsatz (amtlich)
Zur Errichtung einer landesunmittelbaren juristischen Person des öffentlichen Rechts - hier: Ländernotarkasse - durch ein Bundesgesetz.
Normenkette
GG Art. 84 Abs. 1; BNotO § 113a; DDR: VONot § 39
Verfahrensgang
OLG Dresden (Beschluss vom 06.04.2005; Aktenzeichen DSNot 37/04) wegen Rückerstattung von Abgaben) |
Tenor
Die sofortige Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Senats für Notarverwaltungssachen des OLG Dresden v. 6.4.2005 - DSNot 37/04, wird zurückgewiesen.
Der Antragsteller hat die Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen und die der Antragsgegnerin im Beschwerderechtszug entstandenen notwendigen Auslagen zu erstatten.
Der Geschäftswert des Beschwerdeverfahrens wird auf 11.879 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Der Antragsteller ist Notar im Tätigkeitsbereich der Antragsgegnerin. Diese erhob, gestützt auf § 113a BNotO i.V.m. ihrer Hauptsatzung und ihrer für das betreffende Kalenderjahr erlassenen Abgabensatzung, beim Antragsteller für den Monat September 2004 Abgaben i.H.v. 11.879 EUR. Der Antragsteller hält diesen Bescheid im Hinblick auf den Beschluss des BVerfG v. 13.7.2004 (BVerfG, Beschl. v. 13.7.2004 - 1 BvR 1298/94, 1 BvR 1299/94, 1 BvR 1332/95, 1 BvR 1613/97, NJW 2005, 45) für rechtswidrig. Das OLG hat seinen Antrag auf gerichtliche Entscheidung, gerichtet auf Feststellung der Rechtswidrigkeit, auf Aufhebung des Bescheides und auf Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Rückzahlung der geleisteten Abgaben zzgl. gesetzlicher Zinsen, zurückgewiesen. Hiergegen wendet er sich mit der sofortigen Beschwerde.
II. Die sofortige Beschwerde ist gem. § 111 Abs. 4 BNotO i.V.m. § 42 Abs. 4 BRAO zulässig, hat aber in der Sache keinen Erfolg.
Der - auch hinsichtlich der begehrten Feststellung zulässige (BGH, Beschl. v. 31.3.2003 - NotZ 31/02, MDR 2003, 838 = BGHReport 2003, 839 = NJW 2003, 2905, unter II 1) - Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist unbegründet. Der angefochtene Bescheid der Antragsgegnerin ist rechtmäßig. Er verletzt den Antragsteller daher nicht in seinen Rechten, so dass hierauf geleistete Zahlungen nicht zurückzuerstatten sind.
1. Der Bescheid findet eine hinreichende rechtliche Grundlage in der Abgabensatzung der Antragsgegnerin.
Zwar ist die Ermächtigung der Antragsgegnerin zur Erhebung von Abgaben in § 113a BNotO 1998 - ebenso wie diejenige in § 39 Abs. 7 VONot, in § 113 Abschn. I BNotO 1981 und in § 113 BNotO 1998 - mit Art. 12 Abs. 1 GG unvereinbar. Die Regelungen genügen nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen des Demokratie- und Rechtsstaatsprinzips an die Delegation von Normsetzung an die Träger funktionaler Selbstverwaltung - hier an die Antragsgegnerin - (BVerfG, Beschl. v. 13.7.2004 - 1 BvR 1298/94, 1 BvR 1299/94, 1 BvR 1332/95, 1 BvR 1613/97, NJW 2005, 45 [47]). Die Verfassungswidrigkeit der alten wie der neuen Regelung hat jedoch nicht ihre sofortige Nichtigkeit und die des auf ihnen beruhenden Satzungsrechts zur Folge. Der Gesetzgeber hat nach den Vorgaben des BVerfG bis zum Ende des Jahre 2006 eine verfassungsgemäße Regelung zu treffen. Bis dahin sind die verfassungswidrigen Vorschriften ausnahmsweise weiter anzuwenden (BVerfG, Beschl. v. 13.7.2004 - 1 BvR 1298/94, 1 BvR 1299/94, 1 BvR 1332/95, 1 BvR 1613/97, NJW 2005, 45 [49]). Der Senat verweist dazu auf seine Beschlüsse v. 14.3.2005 (BGH, Beschl. v. 14.3.2005 - NotZ 2/05; Beschl. v. 14.3.2005 - NotZ 3/05, bei juris abrufbar; Beschl. v. 14.3.2005 - NotZ 4/05). Entgegen der Auffassung des Antragstellers enthält der Beschluss des BVerfG v. 13.7.2004 eine Weitergeltungsanordnung auch für § 113a BNotO (BVerfG, Beschl. v. 13.7.2004 - 1 BvR 1298/94, 1 BvR 1299/94, 1 BvR 1332/95, 1 BvR 1613/97, NJW 2005, 45, unter II); ihre Aufnahme in den Tenor - an der es hier fehlt - ist zwar üblich, aber keine zwingende Voraussetzung für den Fortbestand der Norm (Graßhof in Umbach/Clemens/Dollinger, BVerfGG, 2. Aufl., § 78 Rz. 34 a.E., unter Verweis auf BVerfG v. 3.3.2004 - 1 BvR 2378/98, 1 BvR 1084/99, BVerfGE 109, 279 [381]). Soweit der Antragsteller beanstandet, es fehle der Weitergeltungsanordnung die nötige Publizität, verkennt er, dass die nach § 31 Abs. 2 S. 3 BVerfGG vorgeschriebene Veröffentlichung der Entscheidungsformel im Bundesgesetzblatt keinen konstitutiven, sondern nur deklaratorischen Charakter hat (Heusch in Umbach/Clemens/Dollinger, BVerfGG, 2. Aufl., § 31 Rz. 87; Bethge in Maunz/Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 31 [Stand: Juni 2001] Rz. 312).
Die Vorschrift des § 113a BNotO enthält somit eine - vorerst noch ausreichende - Ermächtigung für die Satzungen der Antragsgegnerin, auf deren Grundlage der angefochtene Bescheid erlassen worden ist.
2. Die mit beträchtlichem Begründungsaufwand aufgestellte These des Antragstellers, die Errichtung der Antragsgegnerin hätte nach Art. 83 Abs. 1 der Verfassung des Freistaates Sachsen (LV) eines Landesgesetzes bedurft und sei, da ein solches Gesetz nicht erlassen worden sei, wegen Verstoßes gegen Art. 84 Abs. 1 GG eine "Scheinbehörde", deren "Scheinsatzungen" nichtig und deren "Scheinverwaltungsakte" ohne weiteres aufzuheben seien, vermag der Senat nicht nachzuvollziehen.
a) Das BVerfG hat in seiner Entscheidung v. 13.7.2004 eingehend dargelegt, dass die Errichtung der Ländernotarkasse und ihre Ausstattung mit Satzungsgewalt auf unzulänglichen organisatorischen Vorgaben beruhen; gleichwohl hat es das BVerfG für notwendig erachtet, die verfassungswidrige Vorschrift des § 113a BNotO und das darauf beruhende Satzungsrecht als Regelung für die Übergangszeit bis zum Ende des Jahres 2006 fortbestehen zu lassen, damit nicht ein Zustand besteht, der von der verfassungsmäßigen Ordnung noch weiter entfernt ist als der bisherige (BVerfG, Beschl. v. 13.7.2004 - 1 BvR 1298/94, 1 BvR 1299/94, 1 BvR 1332/95, 1 BvR 1613/97, NJW 2005, 35 f.).
Auch wenn das BVerfG die Verfassungswidrigkeit der die Errichtung der Ländernotarkasse als rechtsfähige Anstalt des öffentlichen Rechts normierenden Bestimmungen nur aus Art. 12 Abs. 1 GG hergeleitet hat, so ist doch nicht ansatzweise erkennbar, dass das vom BVerfG hervorgehobene Interesse an einer verlässlichen Finanz- und Haushaltsplanung und an einem gleichmäßigen Verwaltungsvollzug weniger schwer wiegen würde, wenn § 113a BNotO nicht nur wegen Verstoßes gegen Art. 12 Abs. 1 GG verfassungswidrig wäre, sondern außerdem auch noch gegen Art. 84 Abs. 1 GG verstoßen würde.
b) Davon abgesehen könnte der Senat - was der Antragsteller im Übrigen nicht verkennt - nicht von sich aus einen Verfassungsverstoß gegen Art. 84 Abs. 1 GG feststellen und daraus die vom Antragsteller für richtig gehaltenen Rechtsfolgen ableiten. Vielmehr käme nur eine Vorlage an das BVerfG gem. Art. 100 Abs. 1 GG in Betracht. Dies würde voraussetzen, dass der beschließende Senat der Überzeugung wäre, dass der vom Antragsteller behauptete Verfassungsverstoß vorliegt; bloße Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit genügten nicht (BGH, Beschl. v. 30.11.2000 - III ZB 46/00, NJW 2001, 1069 [1070], unter Hinweis auf BVerfG v. 7.4.1992 - 1 BvL 19/91, BVerfGE 86, 52 [57]; v. 15.3.1989 - 1 BvR 1428/88, BVerfGE 80, 48 [59]).
Nach diesen Maßstäben besteht für eine Aussetzung des Verfahrens und eine Vorlage an das BVerfG kein Anlass.
aa) Die Ländernotarkasse ist ihrer auf § 39 VONot bzw. § 113a BNotO 1998 beruhenden Rechtsstellung nach als Anstalt des öffentlichen Rechts des Freistaats Sachsen zu beurteilen (BGH, Beschl. v. 10.3.1997 - NotZ 5/96, DNotZ 1997, 822 [823]). Da sie somit ihre gesetzliche Grundlage im Bundesrecht bzw. im früheren Recht der DDR hat, das nach dem Einigungsvertrag zunächst als partielles Bundesrecht weitergegolten hat (Anlage II Kapitel III Sachgebiet A Abschn. III Nr. 2 der Anlage zum Einigungsvertrag), scheidet Art. 83 Abs. 1 LV als Prüfungsmaßstab für die Wirksamkeit der Errichtung dieser Behörde von vornherein aus. Diese Regelung der Landesverfassung betrifft nur solche Behörden des Freistaates Sachsen, deren Errichtung auf einem Organisationsakt des Landes selbst beruht (dies entspricht ersichtlich auch der Rechtsauffassung des VerfGH Sachs., Beschl. v. 16.6.2005 - Vf. 20-IV-05 [HS], Vf. 21-IV-05 [eA], Umdruck S. 6; a.A. möglicherweise - in einem obiter dictum - der VerfGH Bay., Beschl. v. 13.4.2005 - Vf. 9-VII-03, Umdruck S. 28).
bb) Nach Art. 84 Abs. 1 GG regeln die Länder, soweit sie - wie hier - Bundesgesetze als eigene Angelegenheiten ausführen, die Einrichtung der Behörden, soweit nicht Bundesgesetze mit Zustimmung des Bundesrates etwas Anderes bestimmen.
(1) Der Begriff der Einrichtung der Behörden ist weit zu verstehen. Er erfasst die Bildung und organisatorische Ausgestaltung der Behörden sowie die Festlegung ihres näheren Aufgabenkreises (Lerche in Maunz/Dürig, GG, Art. 84 [Stand: Januar 1995] Rz. 25; Trute in v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, 4. Aufl., Art. 84 Rz. 8; Jarass/Pieroth, GG, 7. Aufl., Art. 84 Rz. 3; BVerfG v. 17.7.2002 - 1 BvF 1/01, 1 BvF 2/01; BVerfGE 105, 313 [331]), wobei es sich stets um Landesbehörden handeln muss (Lerche in Maunz/Dürig, GG, Art. 84 [Stand: Januar 1995] Rz. 28; die fakultative Bundesverwaltung ist in Art. 87 Abs. 3 GG geregelt).
(2) Da Art. 84 Abs. 1 GG ein Regel-Ausnahme-Verhältnis zu Grunde liegt, das grundsätzlich die Organisationsgewalt den Ländern zuweist, darf der Bund nicht übermäßig auf diese Organisationsgewalt Einfluss nehmen; insb. ist, da das Grundgesetz die Materie Kommunalrecht nicht dem Bund zuweist, bei Einschaltung der Gemeinden in den Vollzug der Bundesgesetze Zurückhaltung geboten (BVerfG v. 9.12.1987 - 2 BvL 16/84; BVerfGE 77, 288 [299]).
(3) Nach diesen Kriterien begegnet die Errichtung der Ländernotarkasse als rechtsfähige Landes-Anstalt durch ein Bundesgesetz keinen durchgreifenden Bedenken. Zwar ist in der Staatspraxis die Zuweisung von Aufgaben und Befugnissen an bereits bestehende Landesbehörden durch den Bundesgesetzgeber der Regelfall, während der Errichtung einer landesunmittelbaren juristischen Person des öffentlichen Rechts durch den Bund die Ausnahme ist. Dies allein vermag jedoch die Verfassungsmäßigkeit des Bundes-Organisationsgesetzes nicht in Zweifel zu ziehen. Entscheidend ist allein die Schwere des Eingriffs in die Organisationshoheit des Landes. Dieser wiegt bei der Errichtung einer Anstalt mit selbstverwaltungsgeprägter Organisationsstruktur und streng berufsbezogenem, engem Aufgabenbereich weniger schwer als etwa die Zuweisung umfangreicher Verwaltungsaufgaben auf bereits bestehende Landesbehörden, die zur Erfüllung dieser Aufgabe in personeller und in sachlicher Hinsicht nicht hinreichend ausgestattet sind.
(4) Die erforderliche Zustimmung des Bundesrats, die selbstredend bei Erlass der nach Maßgabe des Staatsorganisationsrechts der DDR zu Stande gekommenen Verordnung über die Tätigkeit von Notaren in eigener Praxis v. 20.6.1990 (GBl. I, 475), geändert und ergänzt durch Verordnung v. 22.8.1990 (GBl. I, 1328) nicht vonnöten war, hat bei allen späteren, die Ländernotarkasse betreffenden Rechtssetzungsakten des Bundes (Einigungsvertrag, Rechtspflege-Anpassungsgesetz, Drittes Gesetz zur Änderung der Bundesnotarordnung und anderer Gesetze) vorgelegen.
3. Über die vom BVerfG (BVerfG v. 9.12.1987 - 2 BvL 16/84; BVerfGE 77, 288 [299]) festgestellte Verfassungswidrigkeit der §§ 113, 113a BNotO und ihrer Vorgängerregelungen hinaus besteht kein Grund, die Rechtmäßigkeit des Abgabenbescheides oder der ihn tragenden Satzung in Frage zu stellen. Das BVerfG hat weiter gehende Beanstandungen nicht erhoben, obwohl in den zu seiner Entscheidung anstehenden Verfahren die Beschwerdeführer - ebenso wie jetzt der Antragsteller - die Rechtmäßigkeit der Abgabenerhebung auch im Hinblick darauf beanstandet haben, dass die Ländernotarkasse die Haushalte der einzelnen Notarkammern in den fünf neuen Bundesländern finanziere, der einzelne Notar aber Einfluss nur auf das Wirtschaftsgebaren seiner eigenen Kammer habe, während sich die Mittelverwendung insgesamt seiner Kontrolle entziehe. Zudem haben sie geltend gemacht, dass die progressive Staffelabgabe den Grundsätzen des Sozialversicherungsrechts und des sozialversicherungsrechtlichen Äquivalenzprinzips widerspreche, die Anwendung fänden, weil die Abgaben auch Beiträge zur Altersversorgung enthielten. Die Abgaben verstießen gegen das Übermaßverbot und führten zur einer unzulässigen Umverteilung, da die umsatzstarken Notariate die Kammerhaushalte - auch der anderen Länder - überproportional finanzierten. Diese Rügen hat das BVerfG nicht durchgreifen lassen.
Fundstellen
Haufe-Index 1412931 |
BGHR 2005, 1564 |
DNotZ 2006, 75 |
NJOZ 2005, 4834 |