Verfahrensgang
LG Aschaffenburg (Urteil vom 11.03.2019) |
Tenor
1. Auf die Revision des Beschuldigten wird das Urteil des Landgerichts Aschaffenburg vom 11. März 2019 aufgehoben.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat im zweiten Rechtsgang den Angeklagten und Beschuldigten (im Folgenden lediglich: Beschuldigten) in dem wegen eines Teils der verfahrensgegenständlichen Taten als Straf- und wegen einer weiteren Tat im Sinne von § 264 StPO als Sicherungsverfahren geführten Verfahren erneut freigesprochen und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet, nachdem eine vorhergehende gleichlautende Entscheidung durch Beschluss des Senats vom 4. April 2018 (1 StR 116/18) wegen widersprüchlicher Feststellungen zur Schuldfähigkeit des Beschuldigten aufgehoben worden war. Die gegen seine Unterbringung gerichtete, auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Beschuldigten hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist sein Rechtsmittel unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
Rz. 2
1. Die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen waren bereits in Rechtskraft erwachsen. Nunmehr hat das Landgericht rechtsfehlerfrei festgestellt, dass der Beschuldigte infolge seiner paranoiden Schizophrenie unfähig war, das Unrecht seiner drei Taten einzusehen (§ 20 StGB).
Rz. 3
2. Die Anordnung der Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) hält dennoch der sachlichrechtlichen Nachprüfung nicht stand. Denn die Gefahrenprognose ist nicht tragfähig begründet.
Rz. 4
a) Die grundsätzlich unbefristete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB ist eine außerordentlich belastende Maßnahme, die besonders gravierend in die Rechte des Betroffenen eingreift. Sie darf daher nur dann angeordnet werden, wenn eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades dafür besteht, dass vom Täter infolge seines fortdauernden Zustands erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten sind, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Die notwendige Prognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstaten zu stellen und hat sich darauf zu erstrecken, ob und welche rechtswidrigen Taten vom Täter infolge seines Zustands drohen, wie ausgeprägt das Maß der Gefährdung ist (Häufigkeit, Rückfallfrequenz) und welches Gewicht den bedrohten Rechtsgütern zukommt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 5. Juli 2013 – 2 BvR 2957/12 Rn. 27; BGH, Beschluss vom 7. Juli 2016 – 4 StR 79/16 Rn. 6). Bei den zu erwartenden Taten muss es sich um solche handeln, die geeignet erscheinen, den Rechtsfrieden schwer zu stören sowie das Gefühl der Rechtssicherheit erheblich zu beeinträchtigen, und die damit zumindest dem Bereich der mittleren Kriminalität zuzuordnen sind (st. Rspr.; BGH, Urteile vom 22. Mai 2019 – 5 StR 683/18 Rn. 15; vom 11. Oktober 2018 – 4 StR 195/18 Rn. 17 und vom 26. Juli 2018 – 3 StR 174/18 Rn. 12). An die Darlegung der künftigen Gefährlichkeit sind umso höhere Anforderungen zu stellen, je mehr es sich bei dem zu beurteilenden Sachverhalt unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes (§ 62 StGB) um einen Grenzfall handelt (BGH, Beschlüsse vom 4. Juli 2012 – 4 StR 224/12 Rn. 8 und vom 8. November 2006 – 2 StR 465/06 Rn. 8).
Rz. 5
Der Umstand, dass ein Täter trotz bestehender Grunderkrankungen in der Vergangenheit über einen längeren Zeitraum nicht strafrechtlich in Erscheinung getreten ist, kann dabei ein gewichtiges Indiz gegen die Wahrscheinlichkeit künftiger gefährlicher Straftaten sein und ist deshalb regelmäßig zu erörtern (st. Rspr.; BGH, Beschlüsse vom 7. Mai 2019 – 4 StR 135/19 Rn. 6; vom 4. Juli 2012 – 4 StR 224/12 Rn. 11 und vom 9. Mai 2019 – 5 StR 109/19 Rn. 14; Urteile vom 22. Mai 2019 – 5 StR 99/19 Rn. 9 und vom 17. November 1999 – 2 StR 453/99 Rn. 5, BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 27).
Rz. 6
b) An diesen Grundsätzen gemessen erweisen sich die Erwägungen als lückenhaft, mit denen das Landgericht seine Gefahrenprognose bei den nicht besonders schwerwiegenden Anlasstaten (Körperverletzungen [§ 223 StGB] und Bedrohung [§ 241 StGB]), bei denen die Erheblichkeitsschwelle nicht deutlich überschritten ist, begründet hat. Denn es bleibt unerörtert, dass der Beschuldigte im Zeitraum von September 2005 bis April 2016 trotz bestehender Grunderkrankung weder Körperverletzungen noch andere Straftaten von ausreichendem Gewicht beging. Gleiches gilt für den Umstand, dass der Beschuldigte innerhalb der in dieser Sache angeordneten einstweiligen Unterbringung (§ 126a StPO) während eines Zeitraums von fast eineinhalb Jahren keinen Regelverstoß beging, ohne dass er psychotherapeutisch behandelt worden wäre. Dass er außerhalb des Vollzugs die verordneten neuroleptischen Medikamente absetzen würde, ist zudem derzeit nicht ausreichend belegt.
Rz. 7
3. Die Feststellungen sind von dem Erörterungsmangel nicht betroffen und können bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO). Das nunmehr zur Entscheidung berufene Tatgericht wird sich eingehender mit der Erheblichkeit der Anlasstaten und den zu erwartenden Taten auseinanderzusetzen und sie zu werten haben. Es kann ergänzende Feststellungen treffen, sofern diese den aufrechterhaltenen nicht widersprechen.
Unterschriften
Raum, Fischer, Hohoff, Leplow, Pernice
Fundstellen
Haufe-Index 13409502 |
NStZ-RR 2019, 375 |
StV 2021, 221 |