Verfahrensgang
OLG Naumburg (Urteil vom 16.12.2003) |
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten W. wird das Urteil des Oberlandesgerichts Naumburg vom 16. Dezember 2003, soweit es ihn betrifft, mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Auf die Revision des Angeklagten H. wird das vorbezeichnete Urteil, soweit es ihn betrifft,
- im Schuldspruch dahingehend geändert, daß der Angeklagte der tateinheitlichen Brandstiftung in zwei vollendeten und zwei versuchten Fällen schuldig ist;
- im Strafausspruch aufgehoben.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an einen anderen Strafsenat des Oberlandesgerichts zurückverwiesen.
4. Die weitergehende Revision des Angeklagten H. wird verworfen.
Gründe
Das Oberlandesgericht hat die Angeklagten der Brandstiftung in zwei Fällen und der versuchten Brandstiftung in zwei weiteren Fällen schuldig gesprochen. Es hat gegen den Angeklagten H. auf eine Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten sowie gegen den Angeklagten W. auf eine Jugendstrafe von zwei Jahren erkannt. Mit ihren Revisionen beanstanden beide Angeklagten die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Das Rechtsmittel des Angeklagten W. hat mit einer Verfahrensrüge in vollem Umfang Erfolg. Die Revision des Angeklagten H. führt auf die Sachrüge zur Änderung des Schuldspruchs und zur Aufhebung des Strafausspruchs.
1. Zutreffend macht der Angeklagte W. geltend, daß er während eines wesentlichen Teils der Hauptverhandlung nicht verteidigt war und daher der absolute Revisionsgrund gemäß § 338 Nr. 5 i. V. m. § 140 Abs. 1 Nr. 1 StPO gegeben ist.
Durch die Sitzungsniederschrift ist bewiesen (§ 274 StPO), daß die Hauptverhandlung gegen den Angeklagten W. im Termin vom 5. November 2003 zeitweise stattgefunden hat, ohne daß einer der beiden Verteidiger des Angeklagten im Sitzungssaal anwesend war. Im Protokoll ist dazu festgehalten, daß nach Wiederaufruf der Sache um 9.55 Uhr die Rechtsanwälte He. und P. – die beiden Verteidiger des Angeklagten W.- nicht wieder im Sitzungssaal erschienen sind. Es wurde sodann zunächst ein Widerspruch der Verteidigung gegen die Verlesung und Verwertung bestimmter Urkunden durch Gerichtsbeschluß zurückgewiesen; im Anschluß daran wurde eine Urkunde verlesen und in Augenschein genommen. Hiernach vermerkt das Protokoll, daß Rechtsanwalt P. wieder im Sitzungssaal erschienen ist. Sodann erhob das Oberlandesgericht bis zur erneuten Unterbrechung der Verhandlung um 11.05 Uhr weitere Urkundenbeweise und nahm Augenscheine ein. Im Anschluß an die Unterbrechung vermerkt das Protokoll, daß Rechtsanwalt He. auch nach Wiederaufruf der Sache um 11.38 Uhr nicht wieder im Sitzungssaal erschienen ist. Es wurden weitere Beweise erhoben, bis laut Protokoll schließlich auch Rechtsanwalt He. wieder den Sitzungssaal betrat.
Damit ist gemäß §§ 274, 272 Nr. 4 StPO belegt (vgl. Schlüchter in SK-StPO – Stand Mai 1995 – § 274 Rdn. 6 m. w. N.), daß der Angeklagte W. nach Wiederaufruf der Sache um 9.55 Uhr bis zum Wiedererscheinen von Rechtsanwalt P. nicht verteidigt war und während dieses Zeitraums mit der Fortsetzung der Beweisaufnahme ein wesentlicher Teil der Hauptverhandlung stattfand. Die Sitzungsniederschrift ist zu diesem Punkt weder lückenhaft noch widersprüchlich oder unklar. Der protokollierte Verfahrensablauf unterscheidet sich wesentlich von demjenigen, den der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs in seinem Urteil vom 8. August 2001 – 2 StR 504/00 (= NStZ 2002, 270 m. krit. Anm. Fezer) zu beurteilen hatte. Der Senat kann daher offen lassen, ob er der Ansicht des 2. Strafsenats beitreten könnte, daß bei dem dortigen Protokollinhalt der Sitzungsniederschrift keine Beweiskraft für die Abwesenheit des notwendigen Verteidigers zukomme.
Da die zeitweilige Abwesenheit der beiden Verteidiger des Angeklagten W. aber durch die gesetzlich festgelegte Beweiskraft des Protokolls bestätigt wird, können die das Gegenteil bezeugenden dienstlichen Erklärungen der erkennenden Richter, der Protokollführerin und der Sitzungsvertreter des Generalbundesanwalts keine Berücksichtigung finden (vgl. BGH NStZ 1983, 373; StV 1986, 287, 288). Zwar haben sich damit auch die für den Inhalt des Protokolls verantwortlichen Urkundspersonen – der Vorsitzende Richter am Oberlandesgericht sowie die Protokollführerin – von dem Inhalt der von ihnen unterzeichneten Sitzungsniederschrift distanziert. Damit konnte – unbeschadet des Umstands, daß eine formelle Berichtigung der Sitzungsniederschrift bisher ohnehin nicht vorgenommen worden ist – dem ursprünglichen Protokoll indessen nicht mehr zu Lasten des Angeklagten die Beweiskraft entzogen werden, nachdem dieser die Rüge nach § 338 Nr. 5 StPO erhoben hatte (vgl. BGHSt 2, 125; 34, 11; BGHR StPO § 274 Beweiskraft 8; BGH NStZ 1992, 49). Den dies in Frage stellenden – nicht entscheidungstragenden – Erwägungen im Urteil des 2. Strafsenats vom 8. August 2001 (NStZ 2002, 270, 272; vgl. auch BGHR StPO § 274 Beweiskraft 22 – 5. Strafsenat) vermag sich der Senat nicht anzuschließen. Sie würden zu einer weitgehenden Relativierung der Beweiskraft des Protokolls führen und damit dem Zweck des § 274 StPO widerstreiten, die Prüfung der wesentlichen Förmlichkeiten des Verfahrensgangs der Tatsacheninstanz durch das Revisionsgericht zu formalisieren und daher auf die aus der Sitzungsniederschrift ersichtlichen Verfahrensvorgänge zu beschränken.
Die Verurteilung des Angeklagten W. kann daher keinen Bestand haben.
2. Mit Recht beanstandet der Angeklagte H., daß das Oberlandesgericht das Konkurrenzverhältnis zwischen den abgeurteilten vier Brandstiftungsdelikten rechtsfehlerhaft beurteilt hat.
Das Oberlandesgericht hat sich davon überzeugt, daß der Angeklagte die vier Brandstiftungsdelikte als Mitglied und Rädelsführer einer terroristischen Vereinigung begangen hat. Es hat eine Verurteilung nach § 129 a Abs. 1 Nr. 3 und Abs. 2 StGB i. d. F. des 6. Strafrechtsreformgesetzes jedoch deswegen nicht für möglich gehalten, weil dem Angeklagten der persönliche Strafaufhebungsgrund nach § 129 a Abs. 5, § 129 Abs. 6 Halbs. 2 StGB aF zugute zu halten sei. Dies führt indessen nicht dazu, daß die klammernde Wirkung des Organisationsdelikts nach § 129 a Abs. 1 StGB entfiele, durch welche die vom Angeklagten in Umsetzung der terroristischen Ziele begangenen, nach der Strafandrohung gleichgewichtigen Brandstiftungsdelikte zu Tateinheit verbunden werden (vgl. BGHSt 29, 288, 291 f. m. w. N.). Es gilt hier im Ergebnis dasselbe wie in den Fällen, in denen das die anderen Straftaten zu Tateinheit verklammernde Delikt wegen Fehlens des erforderlichen Strafantrages (vgl. BGHR StGB § 52 Abs. 1 Klammerwirkung 1 und 2) oder aufgrund einer Verfahrensbeschränkung nach § 154 a StPO (vgl. BGH NStZ 1984, 135; BGHR StPO § 52 Abs. 1 Klammerwirkung 3) nicht abgeurteilt werden kann. Denn der Umstand, daß das tatbestandsmäßige, rechtswidrige und schuldhafte Handeln des Angeklagten wegen seines späteren Verhaltens gemäß § 129 a Abs. 5, § 129 Abs. 6 Halbs. 2 StGB nicht mehr unter dem rechtlichen Gesichtspunkt der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung abgeurteilt werden darf, ändert nichts daran, daß die Brandstiftungsdelikte im jeweiligen Tatzeitpunkt zugleich mitgliedschaftliche Betätigungsakte nach § 129 a Abs. 1 StGB darstellten und daher im Sinne des § 52 Abs. 1 StGB durch dieselbe Handlung jeweils mehrere Strafgesetze verwirklicht wurden. Zutreffend weist der Generalbundesanwalt in seiner Zuschrift vom 22. Juni 2004 darauf hin, daß demgegenüber eine nachträgliche abweichende Beurteilung des Konkurrenzverhältnisses dogmatisch kaum begründbar wäre und bei einer Mehrheit von Beschuldigten zu schwer erklärbaren Wertungswidersprüchen führen würde.
Die somit gebotene Änderung des Schuldspruchs führt zur Aufhebung des Strafausspruchs. Der Senat vermag nicht sicher auszuschließen, daß das Oberlandesgericht bei zutreffender Würdigung des Konkurrenzverhältnisses auf eine einheitliche Strafe (§ 52 Abs. 2 Satz 1 StGB) erkannt hätte, die hinter der ausgesprochenen Gesamtfreiheitsstrafe zurückgeblieben wäre. Insbesondere kann der Senat letztere – entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts – nicht mit der Erwägung als selbständige Freiheitsstrafe aufrechterhalten, die klammernde Wirkung des Organisationsdelikts beruhe auf dem Hinzutreten zusätzlichen Unrechts und dürfe den Angeklagten H. daher nicht privilegieren. Eine derartige Würdigung wäre nicht damit vereinbar, daß dem Angeklagten der persönliche Strafaufhebungsgrund des § 129 a Abs. 5, § 129 Abs. 6 Halbs. 2 StGB aF zugute zu halten ist und ihm daher seine Mitgliedschaft und Rädelsführerschaft in der terroristischen Vereinigung nicht mehr strafschärfend angelastet werden darf.
Die bisher bezüglich des Angeklagten H. zum Strafausspruch getroffenen Feststellungen werden von dem aufgezeigten Rechtsfehler und der Änderung des Schuldspruchs nicht berührt. Sie können daher bestehen bleiben. Der nunmehr zur Entscheidung berufene Strafsenat ist nicht gehindert, weitere, hierzu nicht in Widerspruch stehende Feststellungen zu treffen.
Unterschriften
Tolksdorf, Miebach, von Lienen, Becker, Hubert
Fundstellen
Haufe-Index 2557865 |
NStZ 2005, 46 |
wistra 2004, 474 |
DAR 2005, 253 |
StV 2004, 638 |