Leitsatz (amtlich)
Bei der Entscheidung über einen Anspruch auf Einzelunterbringung während der Ruhezeit (§ 18 Abs. 1 Satz 1 StVollzG) in einem nach Inkrafttreten des Strafvollzugsgesetzes umgebauten Einzelbauwerk einer aus mehreren Bau-werken bestehenden – vor Inkrafttreten des Strafvollzugsgesetzes erbauten – Justizvollzugsanstalt ist auf den Gesamtzustand der Justizvollzugsanstalt abzustellen mit der Folge, dass § 201 Nr. 3 Satz 1 StVollzG auf die gesamte Justizvollzugsanstalt weiter anzuwenden ist.
Normenkette
StVollzG § 18 Abs. 1 S. 1, § 201 Nr. 3 S. 1
Verfahrensgang
Tenor
Bei der Entscheidung über einen Anspruch auf Einzelunterbringung während der Ruhezeit (§ 18 Abs. 1 Satz 1 StVollzG) in einem nach Inkrafttreten des Strafvollzugsgesetzes umgebauten Einzelbauwerk einer aus mehreren Bauwerken bestehenden – vor Inkrafttreten des Strafvollzugsgesetzes erbauten – Justizvollzugsanstalt ist auf den Gesamtzustand der Justizvollzugsanstalt abzustellen mit der Folge, dass § 201 Nr. 3 Satz 1 StVollzG auf die gesamte Justizvollzugsanstalt weiter anzuwenden ist.
Tatbestand
I.
Der Gefangene D verbüßt seit dem 13. Februar 2002 in der 1844 mit drei Hafthäusern in Betrieb genommenen Justizvollzugsanstalt Halle I Strafhaft. Er ist in dem schon zu diesem Zeitpunkt errichteten Haus 1.1 (Strafhaft Männer) in einem nach Umbau 1998 hergestellten 12,59 m² großen Haftraum mit abgetrenntem Sanitärbereich untergebracht. Der Einzelhaftraum ist wegen dauerhafter Überbelegung der Anstalt seit August 2001 mit zwei Gefangenen belegt.
Den von dem Gefangenen zuletzt am 26. Juli 2004 gestellten Antrag auf Einzelunterbringung während der Ruhezeiten (§ 18 Abs. 1 Satz 1 StVollzG) hat der Leiter der Justizvollzugsanstalt unter Hinweis auf fehlende Einzelhaftplätze zurückgewiesen. Dem dagegen gerichteten Verpflichtungsantrag des Gefangenen hat die Strafvollstreckungskammer mit Beschluss vom 20. Dezember 2004 stattgegeben und die sofortige Vollziehung des Verpflichtungsanspruchs angeordnet.
Das Landgericht hat die Auffassung vertreten, die gemeinsame Unterbringung des Antragstellers könne nicht auf die „räumlichen Verhältnisse der Anstalt” im Sinne der Übergangsvorschrift des § 201 Nr. 3 Satz 1 StVollzG gestützt werden. Ausschlaggebend für deren Anwendung sei nicht der Zeitpunkt der Errichtung der Anstalt, sondern der Zustand des Hafthauses, in dem der Gefangene untergebracht ist. Das Hafthaus 1.1 stehe nach umfassender Renovierung mit der Schaffung von 96 Einzelhaftplätzen aber einem Neubau gleich. Gewisse, auf denkmalschutzrechtliche Auflagen zurückgehende Funktionseinbußen rechtfertigten keine andere Bewertung. Das Landgericht hat ferner sinngemäß erwogen, eine Anwendung der Übergangsvorschrift sei verwirkt. Nach Abschluss des Umbaus des Hafthauses 1.1 hätten bis Juli 2001 genügend Einzelhaftplätze zur Verfügung gestanden. Die erst ab August 2001 wieder erforderlichen Doppelbelegungen stünden dann aber nicht mehr im Zusammenhang mit den räumlichen Verhältnissen der Anstalt, sondern hätten ihre Ursache allein im starken Anwachsen der Zahl der Gefangenen. Schließlich hat das Landgericht darauf hingewiesen, dass dem Gefangenen wegen der noch bis 19. Februar 2008 anstehenden Inhaftierung auch im Rahmen des § 201 Nr. 3 Satz 1 StVollzG aufgrund einer gebotenen Ermessensreduzierung auf Null ein Anspruch auf Einzelunterbringung zustehen „dürfte”.
Dem ist das Ministerium der Justiz des Landes Sachsen-Anhalt mit seiner auf die Verletzung sachlichen Rechts gestützten Rechtsbeschwerde entgegengetreten. Das Oberlandesgericht Naumburg hat mit Beschluss vom 5. April 2005 die Rechtsbeschwerde zur Fortbildung des Rechts nach § 116 Abs. 1 StVollzG zugelassen. Es hält sie auch für begründet.
Das Oberlandesgericht vertritt die Auffassung, dass für die Beurteilung der räumlichen Verhältnisse i. S. v. § 201 Nr. 3 Satz 1 StVollzG auf die Gesamtheit der Anstalt und nicht auf den Zustand des einzelnen in Frage stehenden Hafthauses abzustellen ist. Es sieht sich an der beabsichtigten Entscheidung jedoch durch den Beschluss des Kammergerichts Berlin vom 10. Dezember 1997 (NStZ-RR 1998, 191) gehindert, das den Zustand eines einzelnen – 1995 in der Justizvollzugsanstalt Plötzensee neu errichteten – Hafthauses als maßgeblich angesehen hat. Das Oberlandesgericht Naumburg hat deshalb gemäß § 121 Abs. 2 GVG die Sache dem Bundesgerichtshof zur Entscheidung mit folgender Rechtsfrage vorgelegt:
„Ist bei der Entscheidung über einen Anspruch auf Einzelunterbringung während der Ruhezeit (§ 18 StVollzG) auf die räumlichen Verhältnisse eines nach Inkrafttreten des StVollzG umgebauten Einzelbauwerks einer aus mehreren Bauwerken bestehenden – vor Inkrafttreten des StVollzG erbauten – Justizvollzugsanstalt abzustellen oder auf den Gesamtzustand der Justizvollzugsanstalt mit der Folge, dass die Übergangsvorschrift des § 201 Nr. 3 Satz 1 StVollzG auf die gesamte Justizvollzugsanstalt weiter anzuwenden ist?”
Entscheidungsgründe
II.
Die Vorlegungsvoraussetzungen sind gegeben.
1. Die Auffassung des Oberlandesgerichts, es komme für seine Entscheidung auf die vorgelegte Rechtsfrage an, ist zutreffend.
Die Vorlegungsfrage betrifft die Auslegung des Begriffs „Anstalt” in § 201 Nr. 3 Satz 1 StVollzG und ist damit eine Rechtsfrage.
Auch wenn sich der vom Kammergericht bewertete Sachverhalt (Neubau) von dem hier in Frage stehenden (Umbau) unterscheidet, ist die Auffassung des Oberlandesgerichts, tragende Erwägungen des Beschlusses des Kammergerichts stünden seiner beabsichtigten Entscheidung entgegen, jedenfalls vertretbar und bei der Prüfung der Vorlegungsvoraussetzungen durch den Senat zugrunde zu legen (vgl. BGHSt 16, 321, 324; BGH NStZ 2000, 222). Es erscheint nämlich sachgerecht, Neubauten und Umbauten als Anknüpfungspunkt für die Beurteilung der „räumlichen Verhältnisse der Anstalt” gleich zu behandeln (a.A. Arloth in Arloth/Lückemann, StVollzG § 201 Rdn. 1). Ferner ist es wegen der insoweit grundsätzlich gleichen Rechtslage (§ 18 Abs. 2 Satz 1 StVollzG) unerheblich, dass sich das Kammergericht mit einer Doppelbelegung im offenen Vollzug befasst hat, vorliegend aber eine solche im geschlossenen Vollzug zu beurteilen ist.
Der vom Landgericht erwogene Anspruch des Gefangenen auf Einzelunterbringung im Blick auf die noch lange Vollzugsdauer steht der Entscheidungserheblichkeit nicht entgegen. Es handelt sich insoweit lediglich um eine nicht tragende Hilfserwägung.
Auch soweit das Oberlandesgericht implizit die im Blick auf den Wortlaut des § 111 StVollzG zweifelhafte Vorfrage entschieden hat, dass die Aufsichtsbehörde befugt ist, Rechtsbeschwerde zu erheben (dafür: Volckart in AK-StVollzG 4. Aufl. § 111 Rdn. 5 m.w.N.; dagegen: Calliess/Müller-Dietz, StVollzG 10. Aufl. § 111 Rdn. 4 m.w.N.), beseitigt solches die Entscheidungserheblichkeit ebenfalls nicht. Diese nicht vorgelegte Rechtsfrage steht mit der Vorlegungsfrage nicht in solch einem sachlogisch untrennbaren Zusammenhang, dass über beide nur einheitlich entschieden werden könnte (vgl. BGHSt 34, 101, 105). Der Senat ist nicht genötigt, zu dieser Frage Stellung zu nehmen. Deren Beantwortung durch das Oberlandesgericht hat auch keinen Abweichungsfall ausgelöst (vgl. den Nachweis der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte bei Volckart aaO).
Gleiches gilt für die ebenfalls vom Oberlandesgericht implizit entschiedene Vorfrage, ob die Rechtsbeschwerde entgegen dem Wortlaut des § 114 Abs. 2 Satz 3 StVollzG bei einer im Eilverfahren getroffenen Hauptsacheentscheidung zulässig ist (dafür: OLG Hamm ZfStrVo 1987, 378 [Ls]; OLG Karlsruhe NStZ 1993, 557, 558; Arloth aaO § 114 Rdn. 5; dagegen: Volckart aaO § 114 Rdn. 11; Calliess/Müller-Dietz aaO § 114 Rdn. 4).
2. Die Vorschrift des § 201 Nr. 3 Satz 1 StVollzG ist vorliegend anwendbar.
Es handelt sich um ein Zeitgesetz, das allerdings den Zeitpunkt des Außerkrafttretens nicht bestimmt. Dieser Mangel beeinträchtigt aber die Wirksamkeit und Anwendbarkeit der Norm nicht. Die fehlende Befristung liegt innerhalb des Gestaltungsermessens des Gesetzgebers (vgl. Sannwald in Schmidt-Bleibtreu/Klein, GG 10. Aufl. Vorb. v. Art. 70 Rdn. 10 und 15) und wird von sachlichen Erwägungen getragen. Die auf den Entwurf der Bundesregierung (vgl. BTDrucks. 7/918 S. 37) zurückgehende Fassung des § 201 Nr. 3 Satz 1 StVollzG war als eine Bestimmung konzipiert, die der Reform des Strafvollzugs in einer für die Haushalte der Länder tragbaren Form den Weg eröffnen sollte (BTDrucks. aaO S. 107). Das damit bezweckte Gebot, die Länderfinanzen nicht über Gebühr mit der Verpflichtung zum Umbau und Neubau von Justizvollzugsanstalten zu belasten, hat heute noch erhebliche Bedeutung. Die Anzahl der Strafgefangenen ist infolge der auf Grund zahlreicher Strafdrohungsverschärfungen (vgl. Tröndle/Fischer, StGB 52. Aufl. Vor § 174 Rdn. 4 und 4a) verhängter höherer Freiheitsstrafen stark angewachsen (51.442 am 31. März 1997; 60.742 am 31. März 2002; 63.677 am 31. März 2004). Dem gegenüber ist die Leistungskraft der Länder durch deren höhere Verschuldung zurückgegangen. Eine Einzelunterbringung (fast) aller Gefangener ist angesichts von dafür notwendigen mindestens 20.000 zusätzlichen Haftplätzen bei Herstellungskosten von 100.000 bis 150.000 Euro für einen Haftplatz auf absehbare Zeit nicht realisierbar (vgl. Dünkel/Geng Neue Kriminalpolitik 2003, 146, 147). Damit steht außer Frage, dass ein Wandel der Normsituation (vgl. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft 6. Aufl. S. 350) nicht eingetreten und § 201 Nr. 3 Satz 1 StVollzG auch heute noch anzuwenden ist (so auch OLG Frankfurt NStZ-RR 2001, 28, 29; OLG Celle NJW 2004, 2766, 2767; KG, Beschl. vom 16. Juni 2004 – 5 Ws 212/04 Vollz; vgl. auch OLG Naumburg NJW 2005, 514, 515; Kretschmer NStZ 2005, 251, 252, 254). Eines Rückgriffs auf die hier durch Art. 8 EVertr. Anlage I Kapitel III Justiz C Strafrecht Nr. 5 bewirkte kürzere Geltungsdauer der Norm bedarf es nicht.
§ 201 Nr. 3 Satz 1 StVollzG ist auch nicht – wie das Landgericht meint – deshalb unanwendbar, weil die Norm in der JVA Halle I aus tatsächlichen Gründen drei Jahre nicht angewandt werden musste und ein Zurückgreifen auf sie nur wegen der gestiegenen Zahl der Gefangenen verwirkt sei. Dem hier anzuwendenden öffentlichen Recht ist zwar das dem Privatrecht entstammende Institut der Verwirkung nicht fremd. Rechtsbeschränkungen unter diesem Gesichtspunkt kommen aber nur für subjektiv-öffentliche Rechte, wie etwa von Prozessordnungen den Verfahrensbeteiligten zuerkannte Rechte (vgl. BGHSt 38, 111; BGH NJW 2005, 2466) in Betracht. Einwände gegen die Anwendbarkeit von Gesetzen, die abstrakte Regelungen zum Inhalt haben und generelle Geltung beanspruchen, können mit diesem Rechtsinstitut aber nicht begründet werden.
3. Die Sache ist entscheidungsreif.
a) Die Auffassung des vorlegenden Oberlandesgerichts ist nicht durch Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts überholt. Das Bundesverfassungsgericht hat bislang nicht entschieden, dass eine bloße gemeinsame Unterbringung entgegen § 18 Abs. 1 Satz 1 StVollzG – ohne Hinzutreten erschwerender, den Gefangenen benachteiligender Umstände – wegen Verstoßes gegen das Gebot, die Menschenwürde des Gefangenen zu achten, verfassungswidrig ist. Eine auf Feststellung der verfassungsrechtlichen Unvereinbarkeit des § 201 Nr. 3 Satz 1 StVollzG gerichtete Vorlage hat die 2. Kammer des Zweiten Senats mit Beschluss vom 24. September 2003 als unzulässig zurückgewiesen (BVerfGK 2, 17). Zwar hat die 3. Kammer dieses Senats mit ihren Beschlüssen vom 27. Februar 2002 (NJW 2002, 2699) und 13. März 2002 (NJW 2002, 2700) Verfassungsbeschwerden von Gefangenen, die entgegen § 18 Abs. 1 Satz 1 StVollzG gemeinsam untergebracht waren, stattgegeben. Als unmittelbar verletzt hat das Bundesverfassungsgericht aber die Grundrechte der Gefangenen auf wirksamen gerichtlichen Rechtsschutz angesehen (NJW aaO, S. 2700 und 2701), der die Fachgerichte zur Würdigung der – allerdings im Blick auf Art. 1 Abs. 1 GG verfassungsrechtlichen Bedenken begegnenden – Eigenschaften der jeweiligen Hafträume (7,6 m² und 8 m² Bodenfläche mit jeweils offener Toilette) hätte nötigen müssen.
b) Das Verfahren muss nicht nach Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG ausgesetzt werden. Der Senat schließt für den vorliegenden Fall einen Verstoß gegen das Gebot der menschenwürdigen Behandlung Strafgefangener aus.
Größe und Ausstattung des Haftraums begründen hier keine durchgreifenden Bedenken, der Gefangene sei in einer seine Menschenwürde missachtenden Art untergebracht (vgl. BVerfG aaO S. 2701; BVerfG – Kammer ZfStrVo 1994, 377, 378; OLG Celle StV 2003, 567, 568). In der Rechtsprechung der Instanzgerichte und im Schrifttum entspricht es allgemeiner Auffassung, dass solches erst bei nicht abgetrennter Toilette oder deren fehlender gesonderten Entlüftung und bei einem Unterschreiten von 16 m³ Luftraum oder 12 m² Bodenfläche anzunehmen ist (OLG Frankfurt NJW 2003, 2843, 2845 mit umfangreichen Nachweisen der Rspr. und Literatur; OLG Naumburg NJW 2005, 514, 515; LG Halle StV 2005, 342; LG Hamburg ZfStrVo 2004, 5). Der Senat teilt diese Auffassung. Die hier vorliegende Unterbringung von zwei Gefangenen in einem 12,59 m² großen Einzelhaftraum mit Abtrennung des Sanitärbereichs begegnet demnach keinen Einwänden (vgl. auch OLG Celle StV 2003, 567, 568).
Indes erschöpft sich die Wirkkraft des Gebots der menschenwürdigen Behandlung der Strafgefangenen nicht in dem Anspruch auf eine (hier gemeinsame) Unterbringung in angemessenen Hafträumen. Eine länger dauernde Mehrfachunterbringung gegen den Willen des Strafgefangenen kann sich – trotz der gebotenen Zurückhaltung gegenüber unmittelbaren Folgerungen aus Art. 1 Abs. 1 GG (vgl. OLG Frankfurt NJW 2003, 2843, 2845 m.w.N.) – als ein die Menschenwürde des Gefangenen tangierender Verlust der Intim- und Privatsphäre darstellen (vgl. Kretschmer NStZ 2005, 251, 254; Theile StV 2002, 670, 671; Ullenbruch NStZ 1999, 429, 430; Oberheim, Gefängnisüberfüllung [1984] S. 51). Auch dem Gefangenen muss ein Innenraum verbleiben, in dem er in Ruhe gelassen wird und in welchem er ein Recht auf Einsamkeit genießen kann (vgl. BVerfGE 27, 1, 6; BVerfG – Kammer NJW 1996, 2643; BGHSt 37, 380, 382). Begründet letztlich ein Anspruch darauf schon das Gebot für die Justizvollzugsbeamten, Gefangene lediglich aus besonderen, in § 88 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 StVollzG oder § 4 Abs. 2 Satz 2 StVollzG normierten Anlässen, durch Sichtspione zu beobachten (vgl. BGHSt aaO S. 381 f.; Böhm JR 1992, 174, 176), muss der wesentlich stärkere Eingriff in die Privatsphäre des Gefangenen infolge der Doppelbelegung (vgl. Ullenbruch aaO; Böhm aaO Fußn. 15) auf Wunsch des Gefangenen durch die Gestaltung des Vollzugs teilweise ausgeglichen werden. Dafür bietet sich an – und solches ist auch geboten, – dass jeweils jedem der in dem doppelt belegten Haftraum untergebrachten Gefangenen außerhalb der Schlafenszeit angemessene Ruhezeiten (vgl. Calliess/Müller-Dietz, StVollzG 10. Aufl. § 18 Rdn. 1) gewährt werden (so bereits Oberheim aaO S. 51 f.), während derer der jeweils andere Gefangene arbeitet, sich in Gemeinschaftsräumen oder im Freien aufhält (§ 64 StVollzG).
Unter diesen Prämissen hält der Senat vorliegend eine Unterbringung von zwei Gefangenen in einem Einzelhaftraum für verfassungsrechtlich unbedenklich.
c) Auch einer Anfrage gemäß § 132 Abs. 3 GVG beim III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs bedarf es nicht. Zwar hat dieser Senat in seinem Urteil vom 4. November 2004 (NJW 2005, 58; zur Veröffentlichung in BGHZ bestimmt) die tatrichterliche Würdigung gebilligt, dass die Unterbringung des Klägers in einem 16 m² großen Haftraum, in dem Toilette und Waschbecken nur mit einem Sichtschutz abgetrennt waren, mit vier weiteren Gefangenen wegen Verstoßes gegen das Gebot der menschenwürdigen Behandlung Strafgefangener rechtswidrig gewesen ist (aaO S. 59). Diese Wertung fußt aber auf einem wesentlich anders gelagerten Sachverhalt, so dass die dort gefundene Rechtsauffassung für die hiesige Sache keine Bindung entfalten kann.
III.
Der Senat hält die Rechtsansicht des vorlegenden Oberlandesgerichts für zutreffend. Anstalt im Sinne des § 201 Nr. 3 Satz 1 StVollzG meint die gesamte Justizvollzugsanstalt. Auf sie und damit den Zeitpunkt ihrer Errichtung beziehen sich auch die „räumlichen Verhältnisse” von nach dem 1. Januar 1977 umgebauter Hafthäuser (im Ergebnis auch Arloth in Arloth/Lückemann, StVollzG § 201 Rdn. 1; a.A. Calliess/Müller-Dietz, StVollzG 10. Aufl. § 18 Rdn. 4; dem Beschluss des KG vom 10. Dezember 1997 (NStZ-RR 1998, 191) bezüglich Neubauten folgend: Böhm in Schwind/Böhm/
Jehle, StVollzG 4. Aufl. § 201 Rdn. 2; Kellerman in AK-StVollzG 4. Aufl. § 18 Rdn. 4; Calliess/Müller-Dietz aaO).
1. Der Wortsinn der Vorschrift ist eindeutig. Die Regelung unterscheidet nicht zwischen Hafthäusern, deren Errichtung vor oder nach dem Inkrafttreten des Strafvollzugsgesetzes (1. Januar 1977) begonnen wurde, sondern zwischen Anstalten. Nach dem durch § 139 StVollzG vorgegebenen spezifischen Sprachgebrauch des Strafvollzugsgesetzes steht der Begriff „Anstalt” für eine Justizvollzugsanstalt insgesamt.
2. Aus der systematischen Stellung der Norm ergibt sich, dass § 201 StVollzG, wie es seine Überschrift ausdrückt, „Übergangsbestimmungen für bestehende Anstalten” und nicht für einzelne Gebäude der Anstalt trifft. Die Ausnahmeregelungen in den Nummern 1, 2, 4 und 5 beziehen sich jeweils auf die gesamte Justizvollzugsanstalt. So ist die Rede von personellen und organisatorischen Verhältnissen der Anstalt (Nr. 1), von räumlichen, personellen und organisatorischen Verhältnissen der Anstalt (Nr. 2), von Gestaltung und Gliederung der Justizvollzugsanstalten (Nr. 4) und von der Belegungsfähigkeit der Anstalt (Nr. 5), die zudem nach Maßgabe des § 201 Nr. 3 StVollzG und somit begrifflich für die gesamte Justizvollzugsanstalt in einer § 18 Abs. 1 Satz 1 StVollzG einschränkenden Weise festgelegt werden kann. Sonderregelungen für einzelne Vollzugsbauten in einer Justizvollzugsanstalt kennt das Strafvollzugsgesetz dagegen nicht. Es unterscheidet, wie §§ 140 und 141 StVollzG zu entnehmen ist, lediglich zwischen Anstalten sowie Abteilungen und Hafträumen innerhalb der Anstalt.
3. Die historische Auslegung eröffnet nicht die vom Kammergericht vertretene einschränkende Anwendung der Norm.
a) Die Bundesregierung hat in der Begründung des Gesetzentwurfs nicht zwischen alten und neuen (oder umgebauten) Vollzugsbauten, sondern zwischen bestehenden und neuen Vollzugsanstalten unterschieden (vgl. BTDrucks. 7/918 S. 55 f.; 107). Ewas anderes ergibt sich nicht aus den vom Kammergericht herangezogenen Teilen der Begründung. Zwar könnte die zum Erfordernis eines späteren Inkrafttretens des § 18 StVollzG (aaO S. 55) mitgeteilte Erwägung, dass „wegen der noch notwendigen erheblichen Umbauten auch diese Vorschrift vorerst vollständig nur für neue Vollzugsbauten in Kraft treten (kann)”, bei isolierter Betrachtung für den Standpunkt des Kammergerichts streiten. Dem stehen aber die genaueren Erläuterungen zum Verhältnis von Umbauten und Neubauten zur Begründung der Übergangsvorschrift (aaO S. 107) entgegen: „Der genannte Grundsatz soll nur für Neubauten voll eingeführt werden. Außerdem sollen auch in den bestehenden Anstalten bis 1982 außer in den unvermeidbaren Fällen Zellenarbeit und übergroße Schlafsäle abgeschafft werden”. Danach wird aber zwischen erforderlichen Umbauten in den bestehenden Anstalten mit dem Ziel der Schaffung von Werkräumen nebst der Abschaffung übergroßer Schlafsäle und der Errichtung von Neubauten differenziert. Letzteres bedeutet, was sich aus dem Gegensatz zu den bestehenden Anstalten erhellt, dass neu zu errichtende Justizvollzugsanstalten und nicht einzelne Hafthäuser gemeint sind. Demnach wird für die Anwendung von § 18 StVollzG auch in der Gesetzesbegründung lediglich zwischen bestehenden und neuen Justizvollzugsanstalten unterschieden.
b) Nur bei weitestgehender Suspendierung des § 18 Abs. 1 Satz 1 StVollzG konnte die vom Strafvollzugsgesetz intendierte Gesamtreform des Strafvollzugs überhaupt gelingen. Nach der Strafrechtsreform 1969 waren infolge der kriminalpolitischen Erwartung eines deutlichen Rückgangs der Zahl der Strafgefangenen Gefängnisse geschlossen worden (vgl. Kaiser/Schöch, Strafvollzug 5. Aufl. § 10 Rdn. 8). Bereits 1971 wurde aber die Belegungssituation wieder kritisch (vgl. Oberheim ZfStrVo 1985, 15, 17). Der Gesetzgeber stand damit vor dem Problem, das zur Verwirklichung der Reformziele in großem Umfang zusätzlich erforderlich werdende Fachpersonal, Haft- und Fachräume mit den fehlenden finanziellen und räumlichen Ressourcen in Einklang zu bringen; die vorhandenen Strafanstalten mussten schon aus finanziellen Gründen weiter verwendet werden (vgl. Kaiser/Schöch aaO). Der notwendige Umbau in den Anstalten war zudem nur mit Verlust von Haftraumkapazität möglich. Die meisten Gemeinschaftsräume sollten nicht mehr zur Unterbringung von Gefangenen, sondern zu anderen Zwecken verwendet werden (vgl. Böhm, Strafvollzug S. 89). So wurden zahlreiche bisherige Hafträume zu Arbeits-, Ausbildungs-, Weiterbildungsräumen sowie zu Diensträumen für zusätzlich eingestellte Fachkräfte umgewidmet (vgl. Böhm in Schwind/Böhm, StVollzG 3. Aufl. § 146 Rdn. 6). Nur die weiterhin erlaubte gemeinsame Unterbringung konnte vor diesem Hintergrund Abhilfe schaffen. So wurden Einzelhafträume in Mehrbetträume „umdefiniert” oder umgestaltet (vgl. Dünkel/Morgenstern in FS für Heinz Müller-Dietz S. 150). Damit ermöglichte nur eine weitestgehende Anwendung der Übergangsvorschrift – bei den besonders langen Planungs- und Bauzeiten für neue Anstalten (vgl. zum beachtlichen Umfang des aktuellen Neubauprogramms Dünkel/Morgenstern aaO) – die vom Gesetzgeber seit 1977 gewollte grundlegende Umgestaltung des Strafvollzugs.
4. Die Rechtsauffassung des Oberlandesgerichts steht im Einklang mit dem Sinn und Zweck der Regelung des § 201 Nr. 3 Satz 1 StVollzG.
Die Vorschrift verfolgt das Ziel, in den vor dem 1. Januar 1977 errichteten Anstalten die Anwendung des § 18 Abs. 1 Satz 1 StVollzG zu suspendieren. Der Gesetzgeber will damit verhindern, dass Strafgefangene in diesen Anstalten ohne eine Einschränkungsmöglichkeit im Einzelfall einen einfachgesetzlichen Anspruch auf Einzelunterbringung erfolgreich geltend machen können (vgl. OLG Celle NJW 2004, 2766, 2767). Mit der Regelung wird demnach auch einem in der Anstalt bestehenden Platzmangel begegnet (vgl. OLG Celle aaO). Gefangene dürfen, falls dies die beschränkten Raumverhältnisse erfordern und es die persönliche Disposition des Gefangenen erlaubt (vgl. OLG Celle aaO), in Altanstalten weiterhin mit bis zu sieben weiteren Personen untergebracht werden (§ 201 Nr. 3 Satz 2 StVollzG).
Auch der Umstand, dass vorliegend die Vollstreckung von Freiheitsstrafe gegen erwachsene Männer ausschließlich in einem Gebäude durchgeführt wird, das nur über Einzelhaftplätze verfügt, kann nicht dazu führen, dass die übrigen Unterbringungsmöglichkeiten bei der Beurteilung der räumlichen Verhältnisse in der Anstalt nicht berücksichtigt werden dürfen. Denn die Regelung will, was § 201 Nr. 5 StVollzG erhellt, den Aufsichtsbehörden nicht ihre Gestaltungsfreiheit zur Aufteilung der Gefangenen auf die gesamte Justizvollzugsanstalt nehmen. Die Ansicht des Kammergerichts würde dagegen, worauf das Oberlandesgericht zu Recht hinweist, zu unterschiedlichen Rechtslagen innerhalb einer Anstalt führen. Solches würde bei den Gefangenen Neid und Unfrieden hervorrufen und dadurch das Erreichen der Vollzugsziele erschweren.
Die vom Kammergericht erwogene Möglichkeit der Umgehung des gesetzgeberischen Willens verlangt keine andere Bewertung. Die Frage, ob die räumlichen Anstaltsverhältnisse tatsächlich eine gemeinsame Unterbringung erfordern, unterliegt eingehender gerichtlicher Nachprüfung (vgl. OLG Celle NJW 2004, 2766, 2767), in deren Rahmen einem etwaigen rechtsmissbräuchlichen Verhalten entgegenzutreten wäre.
5. Der Senat hat entgegen der im Schrifttum geäußerten Kritik (vgl. Calliess/Müller-Dietz, StVollzG 10. Aufl. § 111 Rdn. 1 m.w.N.) den Generalbundesanwalt beteiligt. Der Beschlusstenor entspricht dessen Antrag. Der Schriftsatz der Verteidigerin vom 10. Oktober 2005 hat vorgelegen.
Unterschriften
Harms, Häger, Raum, Brause, Schaal
Fundstellen
Haufe-Index 2557044 |
BGHSt 2006, 234 |
BGHSt |