Verfahrensgang
LG Berlin (Urteil vom 30.06.2004) |
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 30. Juni 2004 nach § 349 Abs. 4 StPO im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
2. Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt. Die Revision ist aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO, soweit das Rechtsmittel sich gegen den Schuldspruch richtet. Jedoch hält der Strafausspruch sachlichrechtlicher Prüfung nicht stand.
Nach den getroffenen Feststellungen trug der Angeklagte, ein „bislang nur geringfügig und auch noch nicht einschlägig” bestrafter 27jähriger Familienvater, der einen Arbeitsvertrag hat, 202 g Marihuana mit einem THC-Anteil von 19 g bei sich, wovon drei Viertel zum gewinnbringenden Weiterverkauf bestimmt waren. Zugleich führte er ein Klappmesser mit arretierbarer Klinge und einer Klingenlänge von 6 cm mit sich. Das Landgericht hat hierin rechtsfehlerfrei ein Verbrechen nach § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG gefunden. Es hat einen minder schweren Fall nach § 30a Abs. 3 BtMG angenommen.
Durchgreifenden rechtlichen Bedenken begegnet folgende strafschärfende Erwägung: Es konnte „nicht gleichsam unterschlagen werden, daß sich der Angeklagte … jedenfalls noch nach einer ihm auch bekannt gewordenen Aussage seiner früheren Lebensgefährtin …, die unter anderem angegeben hatte, daß der Angeklagte schon seit Jahren im großen Stile mit Rauschgift handele, zu seiner Tat hat hinreißen lassen. Denn auch unabhängig von dem von ihm bestrittenen Wahrheitsgehalt jener Aussage, hätte er sich solche Beschuldigung doch zumindest als Warnung dienen lassen können, derartige Straftaten besser zu unterlassen.”
Allerdings kann ein früheres Strafverfahren eine bei der Strafzumessung berücksichtigungstaugliche Warnfunktion selbst dann entfalten, wenn es mit einer Einstellung nach § 170 Abs. 2, §§ 153 ff. oder § 260 Abs. 3 StPO oder gar mit einem Freispruch geendet hat; auch die Zustellung einer Anklage wegen eines vergleichbaren Vorwurfs kann in diesem Sinne beachtlich sein (zu alledem Schäfer, Praxis der Strafzumessung 3. Aufl. Rdn. 367 bis 369 m.N. der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs). Dies findet seinen Grund darin, daß die zunächst erfolgte gesetzliche Tätigkeit der Strafverfolgungsorgane jedenfalls einen – jeweils näher bestimmten – Verdachtsgrad voraussetzt. Auch ist es grundsätzlich möglich, der Bezichtigung durch eine Privatperson eine Warnfunktion der genannten Art beizumessen – nämlich dann, wenn die Richtigkeit der Bezichtigung festgestellt ist. Indes ist es ausgeschlossen, privaten Bezichtigungen ohne Rücksicht auf deren Wahrheitsgehalt, also möglicherweise unwahren Verdächtigungen eine solche strafschärfend wirkende Warnfunktion zuzusprechen.
Deshalb bedarf die Sache neuer Strafzumessung. Der neue Tatrichter wird auch zu erwägen haben, ob etwa eine günstige Prognose im Sinne des § 56 Abs. 1 StGB und besondere Umstände im Sinne des § 56 Abs. 2 Satz 1 StGB vorliegen und alle Strafzwecke auch mit einer Freiheitsstrafe erreichbar sind, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt werden könnte.
Unterschriften
Harms, Häger, Raum, Brause, Schaal
Fundstellen
Haufe-Index 2558411 |
DAR 2005, 244 |