Entscheidungsstichwort (Thema)
Einkommensteuererstattung als Insolvenzmasse
Leitsatz (amtlich)
1. Der Anspruch auf Erstattung von Einkommensteuerzahlungen wird von der Abtretungserklärung gem. § 287 Abs. 2 S. 1 InsO nicht erfasst (Fortführung von BGH vom 21. Juli 2005, IX ZR 115/04, ZVI 2005, 437).
2. Der Anspruch auf Erstattung von Einkommensteuerzahlungen gehört zur Insolvenzmasse, wenn der die Erstattungsforderung begründende Sachverhalt vor oder während des Insolvenzverfahrens verwirklicht worden ist.
Normenkette
InsO §§ 35, 36 Abs. 1 S. 2, Abs. 4, § 287 Abs. 2 S. 1, § 292 Abs. 1 S. 3; EStG §§ 36, 38; AO 1977 § 37 Abs. 2, § 38
Verfahrensgang
LG Aschaffenburg (Beschluss vom 29.09.2004; Aktenzeichen 4 T 169/04) |
AG Aschaffenburg (Beschluss vom 19.08.2004; Aktenzeichen IK 168/01) |
Nachgehend
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde des Schuldners und die sofortige Beschwerde des Treuhänders werden der Beschluss der 4. Zivilkammer des LG Aschaffenburg v. 29.9.2004 und der Beschluss des AG Aschaffenburg v. 19.8.2004 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Entscheidung, auch über die Kosten der Beschwerdeverfahren, an das Insolvenzgericht zurückverwiesen.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 1.022,90 EUR festgesetzt.
Dem Schuldner wird für das Rechtsbeschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung bewilligt und Rechtsanwalt Dr. K. beigeordnet.
Gründe
I.
Mit Beschluss v. 24.10.2001 eröffnete das AG - Insolvenzgericht - auf Eigenantrag das vereinfachte Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners und bestellte den weiteren Beteiligten zum Treuhänder. Nach Durchführung des Schlusstermins wurde das Verfahren durch Beschluss v. 18.11.2003 aufgehoben. Zum Treuhänder im Restschuldbefreiungsverfahren wurde der bisherige Treuhänder bestimmt.
Für das Jahr 2003 stand dem Schuldner ein Einkommensteuererstattungsanspruch von 1.162 EUR zu. Diesen teilte das Finanzamt, nachdem das Insolvenzverfahren am 18.11.2003 aufgehoben worden war, anteilig auf. Den auf die Zeit vor Aufhebung des Insolvenzverfahrens entfallenden Betrag i.H.v. 1.022,90 EUR überwies es an die Gerichtskasse, den Restbetrag von 139,10 EUR an den Schuldner.
Mit Beschluss v. 19.8.2004 hat das AG - Insolvenzgericht - von Amts wegen entschieden, dass auch der an die Gerichtskasse überwiesene Betrag dem Schuldner zustehe. Auf die sofortige Beschwerde des Treuhänders hat das LG den Beschluss des AG abgeändert und festgestellt, dass der (Rest-) Anspruch auf Einkommensteuererstattung i.H.v. 1.022,90 EUR dem Treuhänder zustehe. Mit der vom LG zugelassenen Rechtsbeschwerde begehrt der Schuldner die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.
II.
Die Rechtsbeschwerde ist statthaft, § 574 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, § 793 ZPO, weil sie vom LG zugelassen worden ist. Hieran ist das Rechtsbeschwerdegericht gebunden, § 574 Abs. 3 S. 2 ZPO.
Für die Frage, was der Treuhänder durch die Abtretung erlangt, findet gem. § 292 Abs. 1 S. 3 InsO die Vorschrift des § 36 Abs. 1 S. 2, Abs. 4 InsO entsprechende Anwendung. Vorliegend geht es um die Frage, ob der Einkommensteuererstattungsanspruch pfändbares Einkommen darstellt. Dies ist in § 850 ZPO geregelt. Gem. § 36 Abs. 4 InsO ist für die Entscheidung dieser Frage wie in den Fällen des § 89 Abs. 3 InsO das Insolvenzgericht als besonderes Vollstreckungsgericht zuständig (BGH, Beschl. v. 5.2.2004 - IX ZB 97/03, BGHReport 2004, 910 = MDR 2004, 766 = ZIP 2004, 732). Der Rechtsmittelzug richtet sich in diesem Fall nach den allgemeinen vollstreckungsrechtlichen Vorschriften. Deshalb war hier gem. § 793 ZPO die sofortige Beschwerde gegeben (BGH, Beschl. v. 5.2.2004 - IX ZB 97/03, BGHReport 2004, 910 = MDR 2004, 766 = ZIP 2004, 732; v. 17.2.2004 - IX ZB 306/03, ZInsO 2004, 441). Der Beschluss des Insolvenzgerichts, dem eine Anhörung des Treuhänders vorausgegangen war, hatte Entscheidungscharakter (BGH, Beschl. v. 6.5.2004 - IX ZB 104/04, ZIP 2004, 1379).
Die Rechtsbeschwerde ist auch im Übrigen zulässig, § 575 Abs. 1 bis 3 ZPO.
III.
Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung der bisherigen Entscheidungen sowie zur Zurückverweisung an das Insolvenzgericht.
1. Das LG hat seine Entscheidung damit begründet, dass der Anspruch auf Einkommensteuererstattung für das Jahr 2003 von der Abtretungserklärung nach § 287 Abs. 2 S. 1 InsO umfasst sei und deshalb dem Treuhänder zustehe.
Diese Rechtsauffassung trifft nicht zu. Wie der Senat zwischenzeitlich entschieden hat, wird der Anspruch auf Erstattung von Einkommensteuerzahlungen von der Abtretungserklärung gem. § 287 Abs. 2 S. 1 InsO nicht erfasst, weil er öffentlich-rechtlicher Natur ist und nicht den Charakter eines Einkommens hat, das dem Berechtigten auf Grund eines Arbeits- oder Dienstverhältnisses zusteht (BGH, Urt. v. 21.7.2005 - IX ZR 115/04, MDR 2006, 49 = BGHReport 2005, 1475 m. Anm. Grote = ZVI 2005, 437 [438]).
2. Der streitige Betrag unterfällt damit derzeit dem Verwaltungs- und Verfügungsrecht des Schuldners. Mit der Aufhebung des Insolvenzverfahrens durch Beschluss v. 18.11.2003 hat der Schuldner dieses Recht über sein Vermögen zurückerlangt, soweit es nicht von der Abtretung nach § 287 Abs. 2 S. 1 InsO erfasst wird. Der Anspruch auf Steuerrückerstattung war damit aus der Insolvenzbeschlagnahme entlassen (Hintzen in MünchKomm/InsO, § 200 Rz. 31, § 203 Rz. 21; Kübler/Prütting/Holzer, InsO § 200 Rz. 6 f.).
3. Das Insolvenzgericht hätte jedoch von Amts wegen die Anordnung einer Nachtragsverteilung gem. § 203 Abs. 1 InsO prüfen müssen. Eine solche Anordnung ist auch im Verbraucherinsolvenzverfahren zulässig (BGH, Beschl. v. 1.12.2005 - IX ZB 17/04). Diese Entscheidung wird das Insolvenzgericht nach der Zurückverweisung nachzuholen haben. Mit der Anordnung der Nachtragsverteilung tritt dann eine erneute Insolvenzbeschlagnahme ein (Hintzen in MünchKomm/InsO, § 203 Rz. 21; HK-InsO/Irschlinger, 3. Aufl., § 203 Rz. 6).
Bei seiner Entscheidung wird das Insolvenzgericht davon auszugehen haben, dass der streitige Betrag nach dem Schlusstermin als Gegenstand der Masse ermittelt worden ist, § 203 Abs. 1 Nr. 3 InsO.
Nach § 35 InsO erfasst das Insolvenzverfahren das gesamte Vermögen, das dem Schuldner zur Zeit der Eröffnung des Verfahrens gehört und das er während des Verfahrens erlangt. Gegenstände, die nicht gepfändet werden können, gehören gem. § 36 Abs. 1 S. 1 InsO nicht zur Insolvenzmasse (BGH v. 25.10.1984 - IX ZR 110/83, BGHZ 92, 339 [340 f.] = MDR 1985, 227). Ansprüche auf Erstattung von Einkommensteuer sind jedoch gem. § 46 Abs. 1 AO pfändbar (BGH v. 12.12.2003 - IXa ZB 115/03, BGHZ 157, 195 = MDR 2004, 535 = BGHReport 2004, 556 m. Anm. Boddenberg/Homann; BFH v. 18.8.1998 - VII R 114/97, BFHE 187, 1 [3]; InVo 2000, 277 [278]; Uhlenbruck, InsO 12. Aufl., § 35 Rz. 68).
Der Anspruch auf Steuererstattung entsteht, wie die Einkommensteuerschuld, gem. § 38 AO i.V.m. § 36 Abs. 1 EStG erst mit Ablauf des Veranlagungszeitraums. Vor diesem Zeitpunkt steht nicht fest, ob für das Kalenderjahr eine Einkommensteuer entstanden ist, die niedriger ist als die Vorauszahlungen, die der Steuerpflichtige geleistet hat (BFHE 128, 146 [147]; BFH v. 6.2.1996 - VII R 116/94, BFHE 179, 547 [550 f.]). Die Steuerfestsetzung hat auf den Entstehungszeitpunkt keinen Einfluss; denn sie hat für das Steuerschuldverhältnis nur deklaratorischen Charakter (BFHE 73, 300 [301]; Jaeger/Henckel, InsO, § 35 Rz. 109).
Die Frage, welchem Vermögen Steuererstattungsansprüche zuzuordnen sind, bestimmt sich für die Zwecke des Insolvenzverfahrens nicht nach Steuerrecht, sondern nach Insolvenzrecht. Maßgebend ist danach nicht der Zeitpunkt der Vollentstehung des Rechts, sondern der Zeitpunkt, in dem nach insolvenzrechtlichen Grundsätzen der Rechtsgrund für den Anspruch gelegt worden ist (BFHE 128, 146 [147]; BFH v. 21.9.1993 - VII R 119/91, BFHE 172, 308 [310] = UR 1994, 233 m. Anm. Weiss; v. 6.2.1996 - VII R 116/94, BFHE 179, 547 [551]). Der Anspruch hängt in diesem Fall nur noch vom Zeitablauf ab (BGH v. 25.10.1984 - IX ZR 110/83, BGHZ 92, 339 [341] = MDR 1985, 227).
Dieser Rechtsgrund ist hier bereits mit der Abführung der Lohnsteuer entstanden, die auf die Einkommensteuer anzurechnen ist, § 36 Abs. 2 EStG. Durch Steuerabzug erhoben im Sinne dieser Vorschrift ist auch die gem. § 38 EStG einbehaltene und an das Finanzamt abgeführte Lohnsteuer (Ludwig Schmidt/Heinicke, EStG 24. Aufl., § 36 Rz. 5, § 38 Rz. 1).
Der Erstattungsanspruch stand lediglich unter der aufschiebenden Bedingung, dass am Jahresende die geschuldete Einkommensteuer geringer sein würde als die Summe der Anrechnungsbeträge, so dass sich gem. § 36 Abs. 4 S. 2 EStG, § 37 Abs. 2 AO ein Erstattungsbetrag ergab (BFH BStBl. II 1979, 639 [640]; v. 6.2.1996 - VII R 116/94, BFHE 179, 547 [551]; Tipke/Kruse, AO, Stand September 2005, § 251 Rz. 102; Jaeger/Henckel, InsO, § 35 Rz. 109). Die Finanzbehörde ist bereits dann etwas zur Insolvenzmasse schuldig geworden, wenn der die Erstattungsforderung begründende Sachverhalt verwirklicht worden ist (Franz Klein, AO, 8. Aufl., § 251 Rz. 25; Brandes in MünchKomm/InsO, § 95 Rz. 26).
Der Insolvenzschuldner hat mit der Vorauszahlung eine Anwartschaft auf den am Ende des Veranlagungszeitraums entstehenden Erstattungsanspruch, so dass dieser in die Masse fällt, wenn vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder während dessen Dauer der ihn begründende Sachverhalt verwirklicht ist. Derartige Steuererstattungsanspüche werden daher zu Recht allgemein als zur Insolvenzmasse gehörig angesehen (BFH v. 9.2.1993 - VII R 12/92, BFHE 170, 300 [301] = UR 1994, 230 m. Anm. Weiss; v. 6.2.1996 - VII R 116/94, BFHE 179, 547 [551] und ständig; AG Göttingen NZI 2001, 270 [271]; AG Dortmund ZInsO 2002, 685; Jaeger/Henckel, InsO, § 35 Rz. 109; Uhlenbruck, InsO § 35 Rz. 68; Kilger/K. Schmidt, Insolvenzgesetze, § 1 KO Anm. 2 B d; Kübler/Prütting/Holzer, § 35 Rz. 84; Lwowski in MünchKomm/InsO, § 35 Rz. 422; Tipke/Kruse, AO, Stand September 2005, § 251 Rz. 102; Pahlke/Koenig, AO, § 251 Rz. 104; Hess, InsO, 2. Aufl., § 35 f Rz. 250; HK-InsO/Eickmann, 3. Aufl., § 35 Rz. 24; Nerlich/Römermann/Andres, § 35 Rz. 59; Braun/Bäuerle, InsO 2. Aufl., § 35 Rz. 70; Frotscher, Besteuerung in der Insolvenz, 5. Aufl., S. 52).
4. Die Sache ist zur erneuten Entscheidung an das Insolvenzgericht zurückzuverweisen (§ 577 Abs. 4 ZPO; BGH, Beschl. v. 22.7.2004 - IX ZB 161/03, BGHZ 160, 176 [185 f.] = BGHReport 2004, 1653 = MDR 2005, 173).
Fundstellen
Haufe-Index 1478613 |
DB 2006, 387 |
DStZ 2006, 208 |
WPg 2006, 298 |
NJW 2006, 1127 |
Inf 2006, 328 |
NWB 2006, 1190 |
BGHR 2006, 533 |
WM 2006, 539 |
WuB 2006, 517 |
ZIP 2006, 340 |
DZWir 2006, 174 |
MDR 2006, 891 |
NZI 2006, 246 |
Rpfleger 2006, 218 |
ZInsO 2006, 139 |
KSI 2006, 119 |
NWB direkt 2006, 11 |
ZVI 2006, 58 |
ZVI 2006, 79 |
SJ 2006, 43 |