Normenkette
StPO § 243 Abs. 4 S. 1, § 337
Verfahrensgang
LG Frankenthal (Pfalz) (Entscheidung vom 21.01.2021; Aktenzeichen 3 KLs 5421 Js 5915/18) |
Tenor
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Frankenthal (Pfalz) vom 21. Januar 2021 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in zwei Fällen zu der Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt, von welcher wegen überlanger Verfahrensdauer drei Monate als vollstreckt gelten. Ferner hat es eine Adhäsionsentscheidung getroffen. Hiergegen wendet sich die Revision des Angeklagten mit zwei Verfahrensbeanstandungen und der Rüge der Verletzung materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat mit einer Verfahrensrüge Erfolg.
Rz. 2
Der Angeklagte beanstandet zu Recht eine Verletzung der Mitteilungspflicht nach § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO.
Rz. 3
1. Der Rüge liegt ‒ soweit für die Entscheidung von Bedeutung ‒ folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:
Rz. 4
Vor Beginn der Hauptverhandlung am 16. November 2020 kam es außerhalb des Sitzungssaals zu einem Gespräch, an dem die Berufsrichter, die Schöffen, der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft und der Verteidiger, nicht aber der Angeklagte teilnahmen. In diesem Gespräch legte der Vorsitzende dar, dass im Falle eines Geständnisses des Angeklagten eine Gesamtfreiheitsstrafe im Bereich von zwei Jahren in Betracht komme. Der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft brachte seine Bedenken gegen eine Strafe in der genannten Höhe, die er für zu gering erachtete, zum Ausdruck und äußerte sich in diesem Zusammenhang zu einem Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft, wobei diese Äußerung entweder die nur geringen Erfolgsaussichten einer Strafmaßrevision bei einem handwerklich gut gemachten Urteil ‒ so die dienstliche Erklärung des Sitzungsvertreters der Staatsanwaltschaft ‒ oder das mögliche Unterbleiben einer Revisionseinlegung ‒ so die anwaltliche Versicherung des Instanzverteidigers ‒ zum Gegenstand hatte. Der Verteidiger erklärte, den Vorschlag mit dem Angeklagten besprechen zu wollen. Nach Beginn der Hauptverhandlung teilte der Vorsitzende im Anschluss an die Verlesung der Anklageschrift und die Feststellung der Verfahrenseröffnung mit, dass mit den Verfahrensbeteiligten ein Rechtsgespräch geführt und eine Verständigung nicht getroffen worden sei. Im Anschluss äußerte sich der über sein Schweigerecht belehrte Angeklagte bestreitend zur Sache.
Rz. 5
2. Indem der Vorsitzende der Strafkammer in der Hauptverhandlung lediglich die Gesprächsführung als solche und als deren Ergebnis das Ausbleiben einer Verständigung, nicht aber den wesentlichen Inhalt des Gesprächs mitteilte, genügte er nicht der sich aus § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO ergebenden Pflicht zur Information über außerhalb der Hauptverhandlung geführte verständigungsbezogene Erörterungen, die ohne Einschränkungen auch im Falle erfolgloser Verständigungsbemühungen gilt (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 18. November 2020 ‒ 2 StR 317/19, wistra 2021, 290 Rn. 45 mwN). Denn bei der im Vorfeld der Hauptverhandlung erfolgten Unterredung, in deren Verlauf eine Verbindung zwischen einem möglichen Geständnis des Angeklagten und dem Verfahrensergebnis hergestellt wurde, handelte es sich um ein Gespräch, das die Möglichkeit einer Verständigung zum Gegenstand hatte. Die Mitteilungspflicht des § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO gehört zu den vom Gesetzgeber zur Absicherung des Verständigungsverfahrens normierten Transparenz- und Dokumentationsregeln, durch die gewährleistet werden soll, dass Erörterungen mit dem Ziel einer Verständigung stets in öffentlicher Hauptverhandlung zur Sprache kommen, so dass für informelles und unkontrollierbares Verhalten unter Umgehung der strafprozessualen Grundsätze kein Raum verbleibt (vgl. BGH, Beschlüsse vom 18. Juli 2016 ‒ 1 StR 315/15, StV 2018, 6 Rn. 15; vom 15. Januar 2015 ‒ 1 StR 315/14, BGHSt 60, 150 Rn. 14).
Rz. 6
3. Entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts kann nicht ausgeschlossen werden, dass das angefochtene Urteil auf diesem Verfahrensverstoß beruht.
Rz. 7
a) Die Mitteilungspflicht des § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO verfolgt zum einen den Zweck, den Angeklagten, der an den Verständigungsgesprächen nicht teilgenommen hat, durch eine umfassende Unterrichtung über die wesentlichen Gesprächsinhalte seitens des Gerichts in die Lage zu versetzen, eine sachgerechte autonome Entscheidung über sein Verteidigungsverhalten zu treffen (vgl. BGH, Urteil vom 14. April 2015 ‒ 5 StR 20/15, NStZ 2015, 537, 538; Beschluss vom 28. Januar 2015 ‒ 5 StR 601/14, NStZ 2015, 178). Zum anderen sollen die Transparenz- und Dokumentationspflichten aus § 243 Abs. 4 StPO zum Schutz des Angeklagten eine effektive Kontrolle des Verständigungsgeschehens durch die Öffentlichkeit, die Staatsanwaltschaft und das Rechtsmittelgericht ermöglichen (BVerfG, NJW 2020, 2461 Rn. 22 f.; NStZ 2015, 170, 171; vgl. BGH, Beschluss vom 25. Juni 2020 ‒ 3 StR 102/20, NStZ 2021, 310 Rn. 23). Im Rahmen der bei einer Verletzung der Mitteilungspflicht des § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO anzustellenden Beruhensprüfung sind beide Aspekte der durch die Regelung des § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO bezweckten Schutzwirkung in den Blick zu nehmen (vgl. BVerfG, NJW 2020, 2461 Rn. 39; NStZ 2015, 170, 171). Das Beruhen des Urteils auf einer Verletzung der Mitteilungspflicht des § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO kann daher im Einzelfall nur ausgeschlossen werden, wenn der Mitteilungsmangel sich einerseits nicht in entscheidungserheblicher Weise auf das Prozessverhalten des Angeklagten ausgewirkt haben kann und mit Blick auf die Kontrollfunktion der Mitteilungspflicht andererseits der Inhalt der geführten Gespräche zweifelsfrei feststeht und diese nicht auf die Herbeiführung einer gesetzwidrigen Absprache gerichtet waren (vgl. BVerfG, NJW 2020, 2461 Rn. 39; BGH, Beschluss vom 24. Juli 2019 ‒ 1 StR 656/18, NStZ 2020, 93 Rn. 18; Urteil vom 26. April 2017 ‒ 2 StR 506/15, NStZ 2017, 658, 659).
Rz. 8
b) Von diesen Maßstäben ausgehend lässt sich ein Beruhenszusammenhang nicht verneinen. Der Senat kann schon nicht ausschließen, dass eine den gesetzlichen Vorgaben entsprechende Unterrichtung des Angeklagten über den wesentlichen Inhalt des im Vorfeld der Hauptverhandlung geführten Verständigungsgesprächs durch den Vorsitzenden zu einem anderen, gegebenenfalls geständigen Einlassungsverhalten des Angeklagten geführt hätte. Eine Konstellation, in der schon nach dem Revisionsvorbringen davon auszugehen ist, dass der Angeklagte unabhängig von dem Inhalt einer Mitteilung auf jeden Fall an seiner einmal gewählten Verteidigungsstrategie festgehalten hätte (vgl. BGH, Beschluss vom 29. November 2013 ‒ 1 StR 200/13, NStZ 2014, 221) ist nicht gegeben. Angesichts des Umstands, dass der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft seine ablehnende Stellungnahme zu der vom Vorsitzenden unterbreiteten Strafmaßvorstellung mit einer inhaltlich nicht dokumentierten und von ihm sowie dem Verteidiger unterschiedlich verstandenen Äußerung über ein Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft verknüpfte, liegt zudem ein gravierender die Kontrollfunktion berührender Transparenzmangel vor, der es nicht als ausgeschlossen erscheinen lässt, dass die geführte Unterredung eine informelle Verständigung zum Gegenstand hatte.
Quentin |
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Bender |
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Maatsch |
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Scheuß |
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Fundstellen
Haufe-Index 15100707 |
wistra 2022, 3 |
wistra 2022, 436 |
NStZ-RR 2022, 79 |
NJW-Spezial 2022, 152 |
StRR 2022, 16 |
StV 2022, 425 |