Entscheidungsstichwort (Thema)
Verbraucherinsolvenzverfahren. Freigabe der Wohnungseigentumsrechte aus der Insolvenzmasse. Freigegebene Gegenstände im Eigentum des Schuldners als sonstiges Vermögen. Unzulässigkeit der Anordnung der Zwangsverwaltung über das Wohnungseigentum wegen titulierter Hausgeldrückstände. Persönliche Forderungen. Kein Absonderungsrecht. Vollstreckungsverbot des § 89 Abs. 1 InsO. Mieteinkünfte als Neuerwerb in die Masse
Leitsatz (amtlich)
Gibt ein Insolvenzverwalter oder Treuhänder einen dem Schuldner gehörenden Gegenstand aus der Insolvenzmasse frei, unterliegt dieser als sonstiges Vermögen des Schuldners dem Vollstreckungsverbot des § 89 Abs. 1 InsO.
Normenkette
InsO § 89 Abs. 1
Verfahrensgang
LG Heilbronn (Beschluss vom 23.01.2006; Aktenzeichen 1 T 529/05) |
AG Schwäbisch Hall (Entscheidung vom 26.10.2005; Aktenzeichen L 50/05) |
Tenor
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 1. Zivilkammer des LG Heilbronn vom 23.1.2006 wird auf Kosten der Gläubigerin zurückgewiesen.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 500 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
[1] Die Beteiligte zu 2) ist Miteigentümerin eines Grundstücks in Ilshofen, verbunden mit dem Sondereigentum an einer Wohnung und einem Tiefgaragenstellplatz. Über ihr Vermögen wurde am 8.3.2005 das (Verbraucher-) Insolvenzverfahren eröffnet. Der im Insolvenzverfahren ernannte Treuhänder erklärte mit Schreiben vom 11.7.2005 ggü. der Beteiligten zu 2) die Freigabe der Wohnungseigentumsrechte aus der Insolvenzmasse. Die Beteiligte zu 1) ist Verwalterin der Eigentümergemeinschaft. Sie beantragte am 17.10.2005 wegen titulierter Hausgeldrückstände aus dem Jahr 2004 die Anordnung der Zwangsverwaltung über das Wohnungseigentum der Beteiligten zu 2). Der Antrag blieb beim AG - Vollstreckungsgericht - und beim Beschwerdegericht ohne Erfolg. Beide Gerichte stellten sich auf den Standpunkt, dass die Zwangsvollstreckung nach § 89 Abs. 1 InsO unzulässig sei. Ein Recht auf abgesonderte Befriedigung lehnte das Beschwerdegericht, dessen Entscheidung in Rpfleger 2006, 430 veröffentlicht ist, ab. Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt die Beteiligte zu 1) ihr Begehren weiter.
II.
[2] Die Rechtsbeschwerde ist nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig. Sie bleibt in der Sache jedoch ohne Erfolg.
[3] Mit Recht haben die Vorinstanzen entschieden, dass der Antrag auf Anordnung der Zwangsverwaltung nach § 89 Abs. 1 InsO unzulässig ist. Nach dieser Norm sind Zwangsvollstreckungen für einzelne Insolvenzgläubiger während der Dauer des Insolvenzverfahrens weder in die Insolvenzmasse noch in das sonstige Vermögen des Schuldners zulässig.
[4] 1. Die von der Antragstellerin vertretene Wohnungseigentümergemeinschaft ist als Insolvenzgläubigerin (§ 38 InsO) vom Vollstreckungsverbot des § 89 InsO betroffen. Mit ihrem Antrag auf Anordnung der Zwangsverwaltung betreibt sie die Vollstreckung eines vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstandenen und titulierten persönlichen Anspruchs. Sie wäre nur dann nicht als Insolvenzgläubigerin zu behandeln, wenn mit dem Antrag ein Absonderungsrecht verwertet werden sollte (Breuer in MünchKomm/InsO, 2. Aufl., § 89 Rz. 21; Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl., § 89 Rz. 11; HK-InsO/Kayser, 5. Aufl., § 89 Rz. 7). So liegt der Fall jedoch nicht. Ein Absonderungsrecht bestand zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens in Bezug auf die vollstreckten Forderungen nicht.
[5] a) Die Antragstellerin betreibt die Vollstreckung in unbewegliches Vermögen der Schuldnerin. Gemäß § 49 InsO sind Gläubiger, denen ein Recht auf Befriedigung aus unbeweglichen Gegenständen zusteht, zur abgesonderten Befriedigung nach Maßgabe des Gesetzes über die Zwangsversteigerung und die Zwangsverwaltung berechtigt. Was ein Recht zur Befriedigung aus dem Grundstück gewährt, ist den §§ 10 ff., 155 ZVG zu entnehmen (Ganter in MünchKomm/InsO, 2. Aufl., § 49 Rz. 3). Danach kommen zunächst dingliche Rechte an einem Grundstück i.S.v. § 10 Abs. 1 Nr. 4 ZVG in Betracht. Hierzu gehören die Grundpfandrechte und Reallasten (§§ 1105, 1113, 1191, 1199 BGB). Kraft ihres gesetzlichen Inhalts verschaffen diese dinglichen Rechte ihrem Inhaber im Falle der Eröffnung des Insolvenzverfahrens ein Absonderungsrecht, ohne dass weitere Voraussetzungen erfüllt sein müssen. Inhaberin eines derartigen dinglichen Rechts ist die Eigentümergemeinschaft nicht.
[6] b) Dem Antrag auf Anordnung der Zwangsverwaltung liegen vielmehr rückständige, vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens fällig gewordene Hausgeldansprüche (§§ 16 Abs. 2, 28 Abs. 2 und 5 WEG) zugrunde. Dies sind persönliche Forderungen. Auch solche können zu einem Recht auf Befriedigung aus einem Grundstück führen (§§ 155 Abs. 2 Satz 1, 10 Abs. 1 Nr. 5 ZVG), jedoch erst ab dem Zeitpunkt, zu dem das Grundstück zugunsten des Gläubigers im Zwangsversteigerungs- oder Zwangsverwaltungsverfahren beschlagnahmt wird. Die Tatsache allein, dass ein persönlicher Gläubiger mit seinem Anspruch in die Rangklasse 5 des § 10 Abs. 1 ZVG eingeordnet ist, verschafft ihm noch kein Befriedigungsrecht aus dem Grundstück (Ganter in MünchKomm/InsO, a.a.O., Rz. 76; Smid/Depré, InsO, 2. Aufl., § 49 Rz. 17). Ein Absonderungsrecht nach § 49 InsO besteht nur, wenn das Recht auf Befriedigung aus dem Grundstück zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens bereits entstanden war. Persönliche Gläubiger müssen daher bis zu diesem Zeitpunkt die Beschlagnahme des Grundstücks bewirkt haben, indem sie die Anordnung der Zwangsversteigerung bzw. Zwangsverwaltung selbst erwirkt haben (§§ 20, 146 Abs. 1 ZVG) oder einem laufenden Verfahren beigetreten sind (§§ 27, 151 Abs. 2 ZVG; vgl. Ganter in MünchKomm/InsO, a.a.O.). Daran fehlt es hier.
[7] c) Ein Recht auf Befriedigung aus dem Grundstück kann schließlich auch in den Fällen des § 10 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 ZVG bestehen (Ganter in MünchKomm/InsO, a.a.O., Rz. 47 ff.; Depré, a.a.O., Rz. 16: Absonderungsrecht aufgrund besonderer gesetzlicher Anordnung; vgl. auch Prütting in Kübler/Prütting/Bork, InsO § 49 Rz. 14; FK-InsO/Imberger, 5. Aufl., § 49 Rz. 28-31). Ansprüche der Eigentümergemeinschaft auf Hausgeld fielen nach der bis zum 30.6.2007 geltenden Rechtslage jedoch nicht in diese Rangklassen. Erst seit der Neufassung des § 10 Abs. 1 Nr. 2 ZVG durch Art. 2 des Gesetzes zur Änderung des Wohnungseigentumsgesetzes und anderer Gesetze vom 26.3.2007 (BGBl. I, 370) sind Ansprüche auf Hausgeld nach §§ 16 Abs. 2, 28 Abs. 2 und 5 WEG bei der Vollstreckung in ein Wohneigentum nicht mehr der fünften, sondern der zweiten Rangklasse zugewiesen. Damit besteht für solche Ansprüche nunmehr ein Recht auf Befriedigung aus dem Grundstück, das im Insolvenzverfahren im Wege der abgesonderten Befriedigung verfolgt werden kann, ohne dass eine Beschlagnahme des Wohnungseigentums vor Insolvenzeröffnung vorausgesetzt wäre (Hintzen/Alff ZInsO 2008, 480, 483 f.). Die neue Rechtslage gilt jedoch nur für Zwangsversteigerungs- und Zwangsverwaltungsverfahren, die ab Inkrafttreten der Neuregelung am 1.7.2007 anhängig werden (§ 62 Abs. 1 WEG). Rückstände von Ansprüchen der zweiten Rangklasse können nach § 10 Abs. 1 Nr. 2 ZVG in gewissem Umfang (aus dem Jahr der Beschlagnahme und den letzten zwei Jahren davor) in einem Zwangsversteigerungsverfahren, gem. § 155 Abs. 2 Satz 2 ZVG aber nicht im Zwangsverwaltungsverfahren geltend gemacht werden. Ein Recht zur Befriedigung aus dem Grundstück im Wege der Zwangsverwaltung besteht daher auch nach neuem Recht für die von der Antragstellerin verfolgten Hausgeldrückstände nicht.
[8] 2. Das Wohnungseigentum der Beteiligten zu 2) fällt unter das Vollstreckungsverbot des § 89 Abs. 1 InsO. Das Verbot gilt für Zwangsvollstreckungen in die Insolvenzmasse und in das sonstige Vermögen des Schuldners. Nachdem der Treuhänder das Wohnungseigentum der Beteiligten zu 2) freigegeben hat, ist es aus der Insolvenzmasse ausgeschieden und in die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis der Schuldnerin zurückgelangt (vgl. zur Freigabe BGHZ 35, 180, 181; 148, 252, 258 f.; 163, 32, 34f.; Pape ZInsO 2008, 465, 470 f.). Es ist damit entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde Teil des sonstigen Vermögens der Schuldnerin i.S.v. § 89 Abs. 1 InsO.
[9] a) Der Wortlaut der Norm schränkt den Begriff des sonstigen Vermögens nicht ein. Freigegebene Gegenstände im Eigentum des Schuldners gehören begrifflich zweifelsfrei zu seinem sonstigen Vermögen.
[10] b) Die Systematik der §§ 35 bis 37 InsO rechtfertigt keine andere Beurteilung. Diese Bestimmungen regeln, was zur Insolvenzmasse gehört. Sie beschreiben nicht abschließend, was - da nicht zur Insolvenzmasse gehörend - das sonstige Vermögen des Schuldners bildet. Als auf den Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens bezogene Regelung sagen sie nichts über die Zuordnung von Gegenständen aus, die wie im Falle der Freigabe zu einem späteren Zeitpunkt aus der Insolvenzmasse ausscheiden.
[11] c) Auch die Entstehungsgeschichte des § 89 Abs. 1 InsO spricht nicht gegen eine Zuordnung freigegebener Gegenstände zum sonstigen Vermögen des Schuldners. Vorläufer von § 89 Abs. 1 InsO war § 14 Abs. 1 KO. Das bereits in dieser Norm enthaltene Verbot der Zwangsvollstreckung einzelner Konkursgläubiger auch in das nicht zur Konkursmasse gehörige, sonstige Vermögen des Schuldners sollte es dem Schuldner ermöglichen, bereits während des Konkursverfahrens eine neue wirtschaftliche Existenz zu begründen (Motive II S. 51 f.; Jaeger/Henckel, KO 9. Aufl., § 14 Rz. 2). Diesem Gesichtspunkt kommt unter der Geltung der Insolvenzordnung, die anders als die Konkursordnung (§ 1 Abs. 1 KO) auch den Neuerwerb der Insolvenzmasse zuordnet (§ 35 Abs. 1 InsO), nur noch eine geringere Bedeutung zu. In Kenntnis dieses Umstands hat der Gesetzgeber das sonstige Vermögen des Schuldners auch in § 89 Abs. 1 InsO für die Dauer des Insolvenzverfahrens dem Zugriff der Insolvenzgläubiger entzogen (Begründung zum Regierungsentwurf einer Insolvenzordnung, BT-Drucks. 12/2443, 137). Das geringere Gewicht des Zwecks, dem Schuldner durch den Schutz des sonstigen Vermögens einen Neuanfang zu ermöglichen, ist angesichts dieses gesetzgeberischen Willens kein Argument dafür, freigegebene Gegenstände vom Vollstreckungsverbot des § 89 Abs. 1 InsO auszunehmen.
[12] d) Es ist daher in Rechtsprechung und Schrifttum fast einhellige Meinung, dass das Vollstreckungsverbot des § 89 Abs. 1 InsO auch für vom Insolvenzverwalter oder Treuhänder aus der Insolvenzmasse freigegebene Gegenstände gilt, weil sie zum sonstigen Vermögen des Schuldners gehören (BGHZ 166, 74, 83, Rz. 26; LG Berlin ZMR 2005, 910; OLG Hamm Rpfleger 1971, 109 [zu § 14 KO]; Jaeger/Eckardt, InsO § 89 Rz. 29 und 7; Breuer in MünchKomm/InsO, a.a.O., § 89 Rz. 18; HK-InsO/Kayser, a.a.O., § 89 Rz. 16; Uhlenbruck, a.a.O., § 89 Rz. 15; Lüke in Kübler/Prütting/Bork, InsO § 89 Rz. 14; HmbKomm-InsO/Kuleisa 2. Aufl., § 89 Rz. 9; Gerhardt in Gottwald, Insolvenzrechts-Handbuch 3. Aufl., § 33 Rz. 12; BK-InsO/Blersch/v. Olshausen, § 89 Rz. 12; Nerlich/Römermann/Wittkowski, InsO § 89 Rz. 4; a.A. Schmidberger Rpfleger 2006, 431 f.).
[13] e) Die Unzulässigkeit des Antrags auf Anordnung der Zwangsverwaltung führt nicht zu einem für die Wohnungseigentümergemeinschaft unzumutbaren Ergebnis. Zum einen fallen etwaige Mieteinkünfte des Schuldners aus der freigegebenen Wohnung als Neuerwerb in die Masse. Zum anderen hat die Gläubigerin die Möglichkeit, sich einen Vollstreckungstitel bezüglich der in § 10 Abs. 1 Nr. 2 n.F., § 155 Abs. 2 Satz 2 ZVG aufgeführten Hausgeldansprüche zu verschaffen und gestützt auf diesen Titel die Zwangsverwaltung des Wohnungseigentums der Beteiligten zu 2) zu beantragen.
Fundstellen
Haufe-Index 2147674 |
DB 2009, 842 |