Verfahrensgang
LG Deggendorf (Urteil vom 02.08.2001) |
Tenor
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Deggendorf vom 2. August 2001 wird als unbegründet verworfen.
Der Beschwerdeführer trägt die Kosten des Rechtsmittels.
Tatbestand
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schwerer räuberischer Erpressung in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von elf Jahren verurteilt und seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Die gegen die Verurteilung gerichtete Revision des Angeklagten bleibt erfolglos, da die Nachprüfung des Urteils keinen Rechtsfehler zu seinem Nachteil ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO).
I.
Vergeblich macht die Revision geltend, die Strafkammer habe zwei gegen die Schöffin P. gerichtete Befangenheitsanträge zu Unrecht zurückgewiesen (§ 338 Nr. 3 StPO).
1. Nachdem die Hauptverhandlung schon mehrere Monate gedauert hatte, erschien im Plattlinger Anzeiger ein mehrspaltiger Artikel „Bankräuber-Prozeß tritt auf der Stelle”. Darin heißt es, die Schöffin habe „schon vor Wochen … bei einem zufälligen Flurgespräch auf die Frage nach der Dauer des Prozesses gemeint, daß von einer so langen Prozessdauer bei Antritt ihres Amtes keine Rede war.” Wörtlich habe sie gesagt: „Der soll doch endlich gestehen, dass er es war.”
Auf diesen Satz ist der Ablehnungsantrag gestützt, der darüber hinaus eingehende, ersichtlich an die gemäß § 31 Abs. 2 Satz 2 StPO zur Entscheidung berufenen berufsrichterlichen Mitglieder gerichtete Rechtsausführungen enthält. Da die Hauptverhandlung bei Eingang des Schriftsatzes für einige Tage unterbrochen war, übersandte ihn der Vorsitzende – ohne weitere Zusätze – an die Schöffin „zur eiligen Stellungnahme”.
In der daraufhin eingegangenen mehrseitigen handschriftlichen Stellungnahme der Schöffin legt sie eindringlich dar, sie habe lediglich auf die Frage nach der mutmaßlichen Dauer des Verfahrens geäußert, für sie sei „kein Ende in Sicht. Es sei denn, es käme ein Geständnis, wenn der B. es gewesen ist.”
Darüber hinaus wendet sie sich gegen die „Vorwürfe” des Verteidigers, sie sei befangen. „Woher will er wissen, ob und daß ich bereits von der Schuld des Angeklagten überzeugt bin?”, da er doch „nicht der liebe Gott” und auch „kein Hellseher” sei. In diesem Zusammenhang führt sie auch aus, es sei „Tradition” des Verteidigers, „erst die Staatsanwältin, dann das Gericht und jetzt die Schöffen abzulehnen”.
Ohne daß dies Gegenstand des Ablehnungsantrags gewesen wäre, befaßt sie sich dann auch noch mit ihren in dem Artikel wiedergegebenen Äußerungen zur Dauer des Verfahrens. Wenn sie noch nicht berentet wäre sondern noch immer als Akkordarbeiterin am Fließband einer Fabrik arbeiten würde, hätte sie Schwierigkeiten in dem für dieses Verfahren erforderlichen Umfang frei zu bekommen.
Diese dienstliche Äußerung, insbesondere die den Verteidiger betreffenden Passagen, ist Grundlage eines weiteren Ablehnungsantrags.
2. Der Senat hat das gesamte Vorbringen auch in tatsächlicher Hinsicht (nach „Beschwerdegrundsätzen”) zu würdigen. Ebenso wie die Strafkammer hält er die Anträge im Ergebnis für unbegründet.
a) Ohne daß dies näherer Darlegung bedürfte, griffe der Ablehnungsantrag durch, wenn die Schöffin geäußert hätte, der Angeklagte solle endlich gestehen.
Jedoch ergibt die dienstliche Äußerung, daß die Schöffin diese Aussage nicht getan hat. Im Ergebnis erhärtet wird ihr Inhalt durch die von der Revision nicht bestrittene Erklärung des Journalisten, er habe den Artikel erst in deutlichem zeitlichen Abstand zu dem Gespräch geschrieben – dies ergibt sich auch aus dem Artikel selbst – und sich über dessen Inhalt auch keine Notizen gemacht. Dementsprechend könne er die Richtigkeit des Zitats „nicht beschwören”; vielmehr würde er gegebenenfalls einen Wunsch der Schöffin nach einer Gegendarstellung befürworten. Dieses entgegen der Auffassung der Revision widerspruchsfreie Ergebnis der Ermittlungen zu dem Pressezitat ist geeignet, ursprünglich berechtigtes Mißtrauen gegen die Unbefangenheit der Schöffin auszuräumen (vgl. schon BGHSt 4, 264, 269, 270 zu einer im Kern identischen Fallgestaltung; vgl. auch Pfeiffer in KK 4. Aufl. § 26 Rdn. 7 m. w. N.).
b) Auch der Inhalt der dienstlichen Äußerung begründet die Besorgnis der Befangenheit nicht.
Nach ihrem Inhalt und ihrem gesamten Duktus versteht der Senat die dienstliche Äußerung vielmehr dahin, daß sich die Schöffin des Kerns ihrer richterlichen Pflicht, am Ende des Prozesses unvoreingenommen über Schuld oder Unschuld zu entscheiden, genau bewußt ist und sie sich mit ihren Worten nachhaltig gegen die Annahme wendet, sie werde dieser Pflicht nicht nachkommen. Wenn die Schöffin dies betont, folgt daraus auch dann nicht die Besorgnis ihrer Befangenheit wenn sie sich dabei, wie es in dem Antrag heißt, „den rechtlich erheblichen Unterschied zwischen Befangenheit und Besorgnis der Befangenheit nicht vergegenwärtigt” hat. „Ungeheuerliche” Vorwürfe gegenüber dem Verteidiger, die eine Voreingenommenheit gegen den Angeklagten besorgen lassen könnten, sind auch im übrigen der dienstlichen Äußerung nicht zu entnehmen. Schließlich führt es auch zu keinem anderen Ergebnis, daß die Schöffin auch auf vorangegangene Verfahrensvorgänge hingewiesen hat, mit denen mangelnde Objektivität von Verfahrensbeteiligten geltend gemacht wurde. Mag dieser Hinweis auch nicht unbedingt geboten gewesen sein und überdies zeigen, daß der Schöffin der Zweck von §§ 22 ff StPO als „materiell-rechtliche Garantie des in Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG manifestierten Prinzips … gänzlich unbekannt” ist, so ist er doch in tatsächlicher Hinsicht im Kern nicht falsch und schon deshalb kein Anzeichen für eine Befangenheit. Der ihr in diesem Zusammenhang unterlaufene Irrtum – zusätzlich zu dem Antrag auf Ablösung der Sitzungsstaatsanwältin war nicht das Gericht abgelehnt worden sondern beantragt worden, insgesamt „die Staatsanwaltschaft Deggendorf auszuwechseln” – ist unwesentlich und daher ebenfalls kein Anzeichen für Befangenheit (vgl. Pfeiffer in KK 4. Aufl. § 24 Rdn. 7 m. w. N.).
3. Unbeschadet der Unbegründetheit der Anträge sieht der Senat Anlaß zu folgenden Hinweisen:
a) In aller Regel wird erfahrungsgemäß ein abgelehnter Schöffe vom Vorsitzenden mündlich zur Abgabe der dienstlichen Erklärung (§§ 26 Abs. 3, 31 Abs. 1 StPO) aufgefordert. Ergeht diese Aufforderung, wie hier, schriftlich, sollte bei der Gestaltung des Schriftverkehrs schon zur Vermeidung von Mißverständnissen darauf Bedacht genommen werden, daß ein Schöffe nicht über die gleiche strafprozessuale Ausbildung und Erfahrung verfügt wie ein Berufsrichter (vgl. auch Nr. 126 Abs. 2 Satz 2 RiStBV).
b) Aus dem selben Grunde sollte sich die dem Vorsitzenden anempfohlene Belehrung von Schöffen über mögliche Befangenheitsgründe (vgl. Nr. 126 Abs. 1 Satz 1 RiStBV) jedenfalls in erkennbar Aufsehen erregenden Verfahren auch auf die Behandlung von Presseanfragen in laufender Hauptverhandlung erstrecken.
Entscheidungsgründe
II.
Zu den übrigen Verfahrensrügen verweist der Senat auf das auch durch die Erwiderung der Revision vom 4. Januar 2002 nicht entkräftete Vorbringen des Generalbundesanwalts und bemerkt ergänzend:
1. Der Antrag auf Ladung des Polizeibeamten S. ist von der Strafkammer rechtsfehlerfrei zurückgewiesen worden.
a) Hinsichtlich der Wertungen, die vorliegenden Banküberfälle seien für den Angeklagten „untypisch” bzw. „persönlichkeitsfremd”, war der Polizeibeamte entsprechend der Einordnung der Strafkammer ein völlig ungeeignetes Beweismittel. Ein Zeuge kann grundsätzlich nur über seine eigenen Wahrnehmungen vernommen werden (BGHSt 39, 251, 253). Er ist als Beweismittel völlig ungeeignet, wenn er nicht über die besondere Befähigung verfügt, die zur Wahrnehmung eines Vorgangs erforderlich ist, der nur einem Sachverständigen verständlich werden kann (Alsberg/Nüse/Meyer, Der Beweisantrag im Strafprozeß, 5. Aufl. S. 605). Die genannten Wertungen sind dem Sachverständigenbeweis bzw. dem Gericht vorbehalten.
b) Hinsichtlich der Beweisbehauptung, der Angeklagte habe bei den „Altfällen” nie Mitwisser gehabt, ist bereits fraglich, ob darin eine konkrete Tatsachenbehauptung liegt. Insoweit hat die Strafkammer den Antrag ausweislich der Beschlußgründe jedenfalls rechtsfehlerfrei wegen Bedeutungslosigkeit abgelehnt.
2. Die Rüge, das Landgericht habe gegen die Verpflichtung zur erschöpfenden Beweiswürdigung gemäß § 261 StPO verstoßen, weil es die durch Verlesung eingeführten Vorstrafen des Hauptbelastungszeugen im Urteil nicht erörtert habe, ist unbegründet. Aus dem Schweigen der Gründe zu erhobenen Beweisen kann nicht geschlossen werden, der Tatrichter habe diese ungewürdigt gelassen (BGH NJW 1951, 325; BGH MDR 1989, 114). Richtig ist zwar, daß es für die Beurteilung der Glaubwürdigkeit eines Zeugen und der Glaubhaftigkeit seiner Bekundungen regelmäßig nicht unerheblich ist, ob er in anderem Zusammenhang vorsätzlich die Unwahrheit vor Gericht bekundet hat. Eine bindende Beweisregel des Inhalts, daß einem Zeugen, der zu anderen Punkten vorsätzlich die Unwahrheit ausgesagt hat, generell nicht geglaubt werden dürfe, besteht jedoch nicht (BGH StV 1999, 80, 81). Die Erörterung der beiden Vorstrafen in den Entscheidungsgründen war hier nicht unbedingt erforderlich. Die Strafkammer stellt nämlich nicht auf die „allgemeine Glaubwürdigkeit” des Zeugen, sondern im Rahmen einer ausführlichen Beweiswürdigung anhand anerkannter Kriterien auf die – wesentlich besser zu überprüfende – Glaubhaftigkeit der konkreten Aussage des Zeugen ab. Insbesondere aufgrund der Selbstbelastungen des Zeugen und der Bestätigung durch andere Beweismittel bejaht die Kammer die Glaubhaftigkeit der Aussage. Die abgeurteilte Falschaussage des Zeugen betrifft zudem eine Konstellation, die erhebliche Unterschiede zur vorliegenden Aussage aufweist. Bei der Vorstrafe ging es um die Verlobte des Zeugen; dem Angeklagten steht er dagegen „neutraler” gegenüber. Hinzu kommt, daß Falschbelastungen hinsichtlich ihrer Indizwirkung für die Persönlichkeit des Aussagenden schwerwiegender sind als eine – hier bei der Vorstrafe vorliegende – falsche entlastende Aussage (vgl. Bender/Nack, Tatsachenfeststellung vor Gericht, Bd. 1, 2. Aufl., S. 69). Es liegt schließlich auch nicht die Fallgestaltung „Aussage gegen Aussage” vor, so daß die dort geltenden strengeren Kriterien – die Erörterung sämtlicher Umstände (vgl. BGH NStZ 1997, 494; Sander StV 2000, 45, 47) – nicht eingreifen.
3. Die Rüge, das Landgericht habe den Beweisantrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens zu der Beweisbehauptung, daß es sich bei dem Angeklagten „um einen guten Zellengeber handelt”, entgegen § 244 Abs. 6 StPO nicht beschieden, ist zulässig. Die Beweisbehauptung ist der Revisionsbegründung zu entnehmen. Die Zulässigkeit des Wiedereinsetzungsantrages, mit dem eine zunächst versehentlich nicht übersandte Ablichtung der dritten Seite des Beweisantrages nachgereicht wurde, kann daher dahingestellt bleiben. Die Rüge ist jedoch unbegründet, weil die Strafkammer dem Beweisantrag nachgekommen ist. Zur Beweisfrage hat sie ein Behördengutachten eingeholt und verlesen. Dabei ist unerheblich, daß sie einen Sachverständigen vom BKA und nicht – wie beantragt – einen solchen vom LKA beauftragt hat. Die Auswahl des Sachverständigen obliegt nach § 73 StPO dem Gericht. Mangelhafte Sachkunde des beauftragten Sachverständigen oder einen Verstoß gegen die Aufklärungspflicht macht die Revision insoweit nicht geltend.
4. Schließlich greift auch die Aufklärungsrüge (§ 244 Abs. 2 StPO) nicht durch, mit der angegriffen wird, daß die in den sichergestellten Turnschuhen entdeckten DNA-Mischspuren nicht mit allen beim BKA gespeicherten DNA-Daten verglichen worden sind. Es ist nicht ersichtlich, was die Strafkammer zu dieser Beweiserhebung gedrängt haben sollte. Nach den Feststellungen hat der Angeklagte diese Turnschuhe, die zu den am Tatort gefundenen Schuhabdrücken passen, bei den beiden Banküberfällen getragen. Daß die beiden an den Schuhen gefundenen DNA-Spuren nicht vom Angeklagten stammten, hat die Strafkammer gesehen. Dies wurde im Rahmen der Beweiswürdigung als entlastendes Indiz berücksichtigt. Die Spuren schließen – wie die Kammer aufgrund sachverständiger Beratung rechtsfehlerfrei festgestellt hat – nicht aus, daß der Angeklagte diese Schuhe bei den Überfällen getragen hat, ohne dabei eigene Spuren zu hinterlassen. Erkenntnisse darüber, wer die Schuhe noch getragen hat, hätten die Täterschaft des Angeklagten daher nicht ausgeschlossen. Zumal unter Berücksichtigung des übrigen Beweisergebnisses brauchte sich die Strafkammer daher zu einem Datenabgleich nicht gedrängt zu sehen.
III.
Zur Sachrüge ist lediglich zu bemerken:
Die Strafkammer hat die Notwendigkeit einer Sicherungsverwahrung nach sachverständiger Beratung rechtsfehlerfrei aus den zahlreichen Vorstrafen des Angeklagten (etwa wegen über zehn bewaffneten Überfällen) und den sonstigen zu seiner Persönlichkeit angefallenen Erkenntnissen geschlossen. Wie eine Gesamtschau der Urteilsgründe mit hinlänglicher Klarheit ergibt, hat sie dabei nicht auch auf das Prozeßverhalten des Angeklagten abgestellt, was rechtsfehlerhaft wäre (vgl. BGH StV 1993, 469; BGH b. Pfister NStZ-RR 2000, 365). Sie hat vielmehr nur dargelegt, daß auch das Prozeßverhalten keinen Anlaß gibt, die Gefährlichkeitsprognose in Zweifel zu ziehen. Dies ist nicht zu beanstanden (vgl. BGH Urteil vom 30. August 1994 – 1 StR 271/94 m. w. N.).
Unterschriften
Schäfer, Wahl, Boetticher, Herr RiBGH Dr. Kolz ist wegen Urlaubs an der Unterschrift verhindert. Schäfer, Hebenstreit
Fundstellen
Haufe-Index 2559454 |
NStZ 2002, 495 |
wistra 2002, 267 |