Verfahrensgang
LG Hamburg (Urteil vom 06.09.2013) |
Tenor
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 6. September 2013 nach § 349 Abs. 4 StPO im Strafausspruch aufgehoben; die zugehörigen Feststellungen bleiben bestehen.
Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt. Die hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten führt mit der Sachrüge zur Aufhebung des Strafausspruchs. Im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet nach § 349 Abs. 2 StPO.
Rz. 2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts waren der bislang unbestrafte Angeklagte und der Nebenkläger am Tattag als Reinigungskräfte in einem Hamburger Hotel eingesetzt. Am Tag zuvor hatte der Angeklagte einen Putzwagen versteckt, der dem Arbeitsbereich des Nebenklägers zugeordnet war. Als sie im Erdgeschoss zusammentrafen, schimpfte der Nebenkläger mit dem Angeklagten wegen des Versteckens des Putzwagens. Der Angeklagte drängte sich zum Nebenkläger in den Fahrstuhl. Während der Fahrt ins Untergeschoss kam es zu gegenseitigen Beschimpfungen, in deren Verlauf der Nebenkläger den Angeklagten jedenfalls einmal ins Gesicht schlug und dadurch eine Prellung sowie Einblutungen an der Unterlippe verursachte. Außerhalb des Fahrstuhls brachte der Angeklagte den Nebenkläger zu Boden. An dem bald nicht mehr wehrfähigen Nebenkläger verübte er in den folgenden etwa 25 Minuten mehr als 100 Gewalthandlungen und brachte ihm mit bedingtem Tötungsvorsatz namentlich lebensgefährliche Kopfverletzungen bei. Der Nebenkläger konnte nur durch eine Notoperation gerettet werden.
Rz. 3
2. Die Schwurgerichtskammer geht – dem psychiatrischen Sachverständigen folgend – davon aus, dass sich der Angeklagte während der gesamten Tat im Zustand verminderter Schuldfähigkeit (§ 21 StGB) befunden hat. Aufgrund mehrerer Faktoren, unter anderem des durch den Nebenkläger vollführten Schlags, sei beim Angeklagten spätestens mit Beginn der Gewalthandlungen eine tiefgreifende Wahrnehmungsverengung eingetreten, die in ihren Auswirkungen mit einer akuten Belastungsstörung vergleichbar sei. Die Strafe hat das Landgericht dem nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB gemilderten Strafrahmen des § 212 Abs. 1 StGB entnommen. Die Voraussetzungen des § 213 StGB hat es dabei ebenso abgelehnt wie – vor allem im Blick auf die Vollendungsnähe – eine Versuchsmilderung nach § 23 Abs. 2, § 49 Abs. 1 StGB. Bei der Strafzumessung hat sie zu Lasten des Angeklagten maßgebend gewertet, dass dieser die Tat aus einem „äußerst nichtigen Anlass heraus”, „mit äußerster Gewalt” sowie „einer Vielzahl brutaler Einzelhandlungen” und „über einen vergleichsweise langen Zeitraum” begangen habe (UA S. 41).
Rz. 4
3. Der Strafausspruch hält rechtlicher Prüfung nicht stand.
Rz. 5
a) Allerdings begegnet es, was die Revision ausdrücklich auch nicht beanstandet, im Ergebnis keinen durchgreifenden Bedenken, dass die Schwurgerichtskammer die erste Alternative des § 213 StGB verneint hat. Zwar spricht sie dem durch den Nebenkläger vollführten Schlag den Charakter als „Misshandlung” im Sinne Vorschrift ab und legt damit ein zu enges Begriffsverständnis zugrunde (vgl. etwa BGH, Urteil vom 1. August 1996 – 5 StR 214/96, BGHR StGB § 213 1. Alt. Misshandlung 5; Jähnke in LK, 11. Aufl., § 213 Rn. 4 mwN). Jedoch handelte der Angeklagte wegen des Versteckens des Putzwagens und seines Hineindrängens in den Fahrstuhl mit der Folge gegenseitiger Beschimpfungen und der dadurch begründeten Gefahr einer Eskalation des Geschehens nicht „ohne eigene Schuld” (zu den Voraussetzungen Jähnke, aaO, § 213 Rn. 10).
Rz. 6
b) Gleichwohl sind die – auch in ihrer Abfolge nicht geglückten – Strafzumessungserwägungen nicht frei von Rechtsfehlern. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs dürfen nämlich einem Angeklagten Anlass und Modalitäten der Tat nur dann ohne Abstriche strafschärfend zur Last gelegt werden, wenn sie in vollem Umfang vorwerfbar sind, nicht aber, wenn ihre Ursache in einer von ihm nicht oder nur eingeschränkt zu vertretenden geistig-seelischen Beeinträchtigung zu finden ist (vgl. BGH, Beschluss vom 29. Juni 2000 – 1 StR 223/00, StV 2001, 615; Urteil vom 17. Juli 2003 – 4 StR 105/03, NStZ-RR 2003, 294; Beschlüsse vom 8. Oktober 2002 – 5 StR 365/02, NStZ-RR 2003, 104; vom 31. Januar 2012 – 3 StR 453/11, NStZ-RR 2012, 169).
Rz. 7
Dem wird das angefochtene Urteil nicht gerecht. Mit der Frage, ob dem Angeklagten das Handeln aus „äußerst nichtigem Anlass” und die Brutalität sowie die Dauer seines Vorgehens trotz der Annahme einer die gesamte Tat umfassenden schuldmindernden Wahrnehmungsverengung uneingeschränkt vorwerfbar sind, setzen sich die Urteilsgründe nicht auseinander. Dass die genannten Umstände Ausfluss des Defektzustands gewesen sind, drängt sich hier indessen auf. Überdies bringt die Schwurgerichtskammer bei der Prüfung des Mordmerkmals der Grausamkeit selbst Zweifel zum Ausdruck, ob der Angeklagte vollständig zu erkennen vermochte, welches Leid er dem Nebenkläger zufügte (UA S. 35). Auch bei einer Gesamtschau der Ausführungen zur Strafzumessung kann der Senat nicht ausschließen, dass das Landgericht diese Möglichkeit bei der strafschärfenden Berücksichtigung der angeführten Strafzumessungstatsachen aus den Augen verloren hat.
Rz. 8
4. Der Strafausspruch bedarf deshalb neuer Verhandlung und Entscheidung. Das neue Tatgericht wird bei der Strafrahmenwahl die durch die Rechtsprechung vorgegebene Prüfungsreihenfolge zu beachten haben (vgl. etwa BGH, Beschluss vom 19. November 2013 – 2 StR 494/13 Rn. 4; Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 5. Aufl., Rn. 930 mwN). Der Senat weist ferner darauf hin, dass auch die weiteren von der Revision gegen die im angefochtenen Urteil vorgenommene Strafzumessung vorgebrachten Beanstandungen nicht jeglicher Berechtigung entbehren. Die Versagung einer Versuchsmilderung ist freilich nicht zu beanstanden.
Rz. 9
5. Die der Strafzumessung zugrunde liegenden tatsächlichen Feststellungen werden von dem Wertungsfehler nicht berührt und können daher bestehen bleiben. Ergänzende Feststellungen bleiben zulässig, sofern sie den bisher getroffenen nicht widersprechen.
Unterschriften
Basdorf, Sander, Schneider, König, Bellay
Fundstellen
Haufe-Index 6701134 |
NStZ-RR 2014, 140 |